3.4 Nein zum Reziprozitätstest
Auf einen Reziprozitätstest wurde in der Verordnung verzichtet. Dieser ließe sich – als rein ökonomischer Erwägungsgrund – vor dem Hintergrund des Prüfmaßstabs der europäischen Sicherheitsinteressen schwer rechtfertigen.19 Stattdessen hat die FDI Screening-VO einen Regelungsrahmen gesetzt, der die Hürden für Investments in der EU insgesam erhöht.
4. Ziel der Beitragsreihe
Gerade weil die FDI Screening-VO viele Freiräume lässt, wird mitunter beklagt, dass die Verordnung nicht weit genug gehe und einen „Flickenteppich“ zurücklasse.20 Stattdessen zeigt der Vergleich der hier in den Blick genommenen Länder Deutschland, Niederlande, Polen, Österreich, Frankreich und Schweiz, dass mehr Gemeinsamkeiten bestehen, als man zunächst erwarten würde. In allen untersuchten Ländern stellen sich mehr oder weniger die gleichen Fragen und Herausforderungen; auch die Kataloge der kritischen Sektoren sind weitgehend gleich. Abweichungen bestehen mitunter in den Prüfschwellenwerten oder dem Mechanismus des Prüfregimes. Der größte Unterschied aber zeigt sich darin, welchen Stellenwert die jeweiligen Länder – gegebenenfalls auch aus politischen Gründen – der Investitionsprüfung einräumen. Hier zeichnet sich insgesamt eine zunehmende Sympathie für stärkere Eingriffsbefugnisse der Behörden ab – insbesondere in den Ländern, die schon sehr lange über entsprechende Gesetze verfügen wie Frankreich und Deutschland. Für die Niederlande wäre eine mögliche sektorübergreifende Investitionskontrolle neu. Das Land hat zwar den Kooperationsmechanismus bereits umgesetzt, die Gestaltung der Anforderungen an eine Investitionsprüfung erweist sich aber bisher als ein zähes Gesetzgebungsunterfangen.
Auch die Schweiz kennt eine sektorübergreifende Investitionskontrolle nicht. Im Gegensatz zu Deutschland sind Unternehmen in kritischen Sektoren in der Schweiz aber in der Regel noch vollständig oder zumindest mehrheitlich in Staatshand (national oder kantonal) und dadurch vor einer Übernahme aus dem Ausland geschützt (etwa die Bundesbahn, die Post, die Luftfahrt etc.) Auch Polen und Österreich setzen, wie die Schweiz, weitgehend auf eine offene Investitionspolitik. Polen und Österreich sehen insbesondere auch „De-Minimis“-Ausnahmen für Erwerbe von Zielunternehmen vor, die eine bestimmte Arbeitnehmer- und/oder Umsatzschwelle nicht überschreiten (Näheres in der Juni- und Juli-Ausgabe 2022 der M&A REVIEW). Zur FDI Screening-VO und ihren Auswirkungen in den Nachbarländern mehr in den nächsten Beiträgen dieser Reihe.
1 Europäische Kommission, First Annual Report on the screening of foreign direct investments into the Union, 23.11.2021, COM (2021) 714 final, S. 8 f.
2 Vgl. das Schreiben der Wirtschaftsminister Italiens, Frankreichs und Deutschlands an Cecilia Malmström, Februar 2017, abrufbar unter www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/S-T/schreiben-de-fr-it-an-malmstroem.html, zuletzt abgerufen am 11. April 2022.
3 Proposal for a Union act on the Screening of Foreign Investment in Strategic Sectors, 20. März 2017, B [8-0000/2017] von Weber, Caspary, Saifi, I. Winkler, Cicu, Proust, Quisthoudt-Rowohl, Reding, Schwab und Szejnfeld, zuletzt abgerufen am 11. April 2022.
4 Vgl. B. und Ziff. 1 im Proposal for a Union act on the Screening of Foreign Investment in Strategic Sectors, 20. März 2017, B [8-0000/2017], zuletzt abgerufen am 11. April 2022.
5 Europäische Kommission, Mitteilung: Offenheit für ausländische Direktinvestitionen bei gleichzeitigem Schutz grundlegender Unionsinteressen, 13.9.2017, COM(2017) 494 final, S. 5.
6 Europäische Kommission, Mitteilung: Offenheit für ausländische Direktinvestitionen bei gleichzeitigem Schutz grundlegender Unionsinteressen, 13.9.2017, COM(2017) 494 final, S. 6.
7 Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Rahmens für die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen in der Europäischen Union, COM(2017) 487 final {SWD(2017) 297 final}, S. 10; Krenzler/Herrmann/Niestedt/Voland, 18. EL Oktober 2021, EU_VO_2019_452 vor Art. 1 Rn. 11.
8 Art. 3 Abs. 2.
9 Art. 3 Abs. 5.
10 Art. 3 Abs. 3.
11 Art. 4 Abs. 1 lit.a.
12 Art. 1 Abs. 3; Zu der mitunter schwierigen Zuordnung der Rechtsgrundlagen und Kompetenzgrundlagen für die FDI Screening-VO siehe im Detail: Klamert/Bucher EuZW 2021, 335, 337 ff.
13 Art. 6 Abs. 2 und 3, Art. 7 Abs. 2 und 3.
14 Art. 6 Abs. 9, Art. 7 Abs. 7.
15 Art. 8 Abs. 2 lit.c.
16 Art, 5.
17 Art. 7 Abs. 8.
18 Art. 7 Abs. 6.
19 Vgl. EuGH Rs-C 54/99, Association Église de scientologie de Paris, Scientology International Reserves Trust, IStR 2000, 287, 288, Rn. 17 m.w.N.,
20 Dies war insbesondere die Kritik aus Italien und Begründung, weshalb Italien als Mitinitiator der Verordnung neben Frankreich und Deutschland sich bei der Abstimmung am Ende der Stimme enthielt; vgl. Erklärung Italiens in Rat der EU, Interinstitutionelles Dossier 2017/0224 (COD), 6551/19 – ADD2, I/A-Punkt-Vermerk, 22. Februar 2019.