07.06.2023 | Dr. Markus Messinger, Simon Radcliffe

Liberty GTS Schadensstudie 2022: Aktuelle Schadenstrends bei W&I-Versicherungen

Liberty Global Transaction Solutions (GTS), ein führender Anbieter von M&A-Versicherungen, hat sich im Rahmen seiner jährlichen Schadensstudie erneut detailliert mit Schadensfällen bei W&I-Versicherungen auseinandergesetzt. Wie in den letzten Jahren analysiert Liberty GTS die eingegangenen Schadensmeldungen zu W&I-Versicherungen1 unter anderem nach Branche, Region und Ursache und zeigt so derzeitige Schadenstrends auf.2

Special Topic

1. Einleitung

Liberty Global Transaction Solutions (GTS), ein führender Anbieter von M&A-Versicherungen, hat sich im Rahmen seiner jährlichen Schadensstudie erneut detailliert mit Schadensfällen bei W&I-Versicherungen auseinandergesetzt. Wie in den letzten Jahren analysiert Liberty GTS die eingegangenen Schadensmeldungen zu W&I-Versicherungen1 unter anderem nach Branche, Region und Ursache und zeigt so derzeitige Schadenstrends auf.2

2. Leichter Rückgang von Schadensmeldungen im Verhältnis zur Anzahl abgeschlossener Policen

Während die Schadensstudien von Liberty GTS in den Vorjahren gezeigt hatten, dass bei circa 21% aller W&I-Policen eine Schadensmitteilung abgegeben wird, gibt es nun Anzeichen dafür, dass diese Quote leicht sinkt. So wurden für Policen, die im Jahr 2019 abgeschlossen wurden, bisher nur in 16% der Fälle Schadensanzeigen abgegeben. Auch wenn für Policen aus diesem Jahr noch Schadensmeldungen eingehen dürften, ist ein wesentlicher Anstieg unwahrscheinlich, da für viele Policen die Versicherungslaufzeit für einen Großteil der Garantien mittlerweile abgelaufen ist.

Die Gründe für den leichten Rückgang von Schadensmeldungen können unterschiedlicher Natur sein. Wahrscheinlich haben jedoch Versicherte (und ihre Berater) mittlerweile ein besseres Verständnis von nichtmitteilungsbedürftigen Umständen. Auch konnten Versicherer mit zunehmender Verfügbarkeit von historischen Schadensdaten ihren Risikoappetit und Under-writing-Ansatz anpassen.

Der Rückgang von Schadensmeldungen im Verhältnis zur Anzahl abgeschlossener Policen sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zahl der Schadensmeldungen im Jahr 2021 erneut gestiegen ist (ein Anstieg von circa 37% im Vergleich zum Vorjahr). Angesichts der deutlichen Zunahme von abgeschlossenen Policen ist dies jedoch nicht überraschend.

Ein Trend im Bereich der Schadensmeldungen ist, dass es bei einer steigenden Anzahl von Transaktionen zu mehr als einer Schadensmeldung zu unterschiedlichen Umständen kommt. Lagen diese sogenannten „Mehrfachmeldungen“ im Jahr 2019 noch bei lediglich 10%, fielen im letzten Jahr 24,5% der Fälle in diese Kategorie. Diese Entwicklung, die in der Region EMEA noch stärker ausgeprägt ist als in den USA oder APAC, trägt ebenfalls dazu bei, dass trotz steigender Schadensmeldungen insgesamt die Schadenshäufigkeit im Verhältnis zur Anzahl der abgeschlossenen Policen zurückgeht.

Zu berücksichtigen ist, dass im Jahr 2021 circa 22% aller Schadensmeldungen vorsorglicher Natur waren und sich bei 42% aller Schadensanzeigen die potenzielle Schadenssumme innerhalb des Selbstbehalts bewegte. Hingegen betrafen 34% der im Jahr 2021 erhaltenen Meldungen einen die Selbstbehaltsschwelle übersteigenden Schaden.

3. Mehrheit der Schadensanzeigen innerhalb von 24 Monaten nach Abschluss der Police

In der letztjährigen Liberty GTS Schadensstudie wurde aufgezeigt, dass Schadensanzeigen zunehmend früher nach Policenabschluss abgegeben werden. Die diesjährigen Daten bestätigen dies; im Zeitraum von 6-18 Monaten nach Policenabschluss gehen die meisten Schadensmeldungen ein (ungefähr 58% aller Schadensmeldungen). Hintergrund dürfte sein, dass W&I-Policen regelmäßig zum Signing abgeschlossen, der neue Eigentümer aber erst (einige Wochen oder Monate später) zum Closing die Kontrolle übernimmt. Außerdem fällt die erste Jahresabschlussprüfung unter dem neuen Gesellschafter oft in diesen Zeitraum. Nur circa 15% der Schadensmeldungen erfolgen erst 24 Monate oder später nach Abschluss der Police.

Interessanterweise zeigt sich ein ähnliches Bild auch bei Schadensmeldungen zu steuerlichen Sachverhalten. Obwohl die Policenlaufzeit für Ansprüche, die sich auf die Steuerfreistellung oder Steuergarantien stützen, regelmäßig sieben Jahre beträgt, sind entsprechende Schadensanzeigen meistens innerhalb der ersten drei Jahre und fast nie später als vier Jahre nach Policenabschluss zu verzeichnen.

4. Weniger Schadensmeldungen bei großen Transaktionen, mehr Schadensauszahlungen in Bezug auf kleine Transaktionen

Wie in den Vorjahren zeigt die aktuelle Schadensstudie, dass die Häufigkeit der Schadensanzeigen bei Transaktionen mit einem Unternehmenswert von über 1 Mrd. USD geringer ist als bei kleineren Transaktionen. In der Region EMEA erfolgte für diese Mega-Deals nur in 12% der Fälle eine Schadensanzeige, während bei Transaktionen mit einem Unternehmenswert von 100 Mio. USD oder weniger bei jedem fünften Deal eine Anzeige eingeht. Dementsprechend lagen der Mehrzahl der von Liberty GTS seit 2019 getätigten Schadensauszahlungen Deals mit einem Unternehmenswert von weniger als 250 Mio. USD zugrunde (insgesamt 64% der Auszahlungen).

5. Häufige Schadensursachen: Steuern, Zustand des Anlagevermögens, Jahresabschlüsse, IP-Drittansprüche

Steuerbezogene Sachverhalte lösen weiterhin die meisten Schadensmeldungen aus (34% in EMEA). Hierbei handelt es sich oft um die Anzeige einer regulären Steuerprüfung. Allerdings nehmen Schadensmeldungen zu, mit denen (potenzielle) Steuerschäden geltend gemacht werden; oft im Bereich der Körperschaftssteuer, Umsatzsteuer oder Grundsteuer. Bei den meisten dieser Meldungen sind die geltend gemachten Schäden jedoch gering. Steuerschäden sind meist nicht dazu geeignet, anhand eines EBITDA- oder ähnlichen Multiplikators quantifiziert zu werden. Der geltend gemachte Verlust basiert fast immer auf der Höhe der Steuerschuld.

Ein deutlicher Anstieg ist bei (Groß-)Schadensmeldungen zu verzeichnen, die sich auf den Zustand und die Angemessenheit des Anlagevermögens der Zielgesellschaft beziehen („condition and sufficiency of assets“). Die Schadensabwicklung ist bei dieser Art von Ansprüchen oft besonders kompliziert. Die Trennlinie zwischen einer Garantieverletzung und normalem Verschleiß kann unscharf sein. Bei Bestimmung der Schadenshöhe sind etwaige Vorteile einer reparierten oder neuen Anlage in Ansatz zu bringen.

Großschäden stützen sich oft auf die Verletzung von Jahresabschlussgarantien oder anderen Finanzgarantien. Hintergrund ist, dass je nach anwendbarem Recht hier gegebenenfalls eine Schadensberechnung auf Basis eines EBITDA-Multiplikators vorgetragen wird. Neben einer Vielzahl von Einzelsachverhalten betraf die geltend gemachte Verletzung der Jahresabschlussgarantien zuletzt mehrfach eine Doppelzählung von Umsätzen mit wesentlichen Kunden. Außerdem wiederholten sich Sachverhalte in Zusammenhang mit potenziellen Managemententscheidungen im Vorfeld des Verkaufs der Zielgesellschaft (z.B. in Bezug auf Umsatzrealisierung, Aktivierung von Ausgaben oder die (versäumte) Abschreibung von (veralteten) Lager-beständen).

Ein weiterer jüngerer Trend ist der Anstieg von Schadensanzeigen in Zusammenhang mit der potenziellen Verletzung geistigen Eigentums, insbesondere in Form von Ansprüchen Dritter gegenüber der Zielgesellschaft. Diese Entwicklung ist für Versicherer von erheblicher Bedeutung, da die W&I-Police in der Regel auch die Verteidigungskosten gegen Drittansprüche abdeckt, unabhängig davon, ob die behauptete Rechtsverletzung tatsächlich besteht oder nicht.

6. Branchen-Trends

Die Liberty GTS Schadensstudie zeigt, dass Transaktionen in den Bereichen Pharma und Biotechnologie einen erheblichen Teil der Schadensmeldungen mit mittlerem und hohem Schweregrad ausmachen, insbesondere in der Region EMEA. Die entsprechenden Schadensanzeigen bezogen sich nicht auf wiederkehrende bestimmte Probleme, sondern vielmehr auf unterschiedlichste Fragen des geistigen Eigentums, der Produktion, des Zustands vom Anlagevermögen, der Einhaltung gesetzlicher Vorschriften und der Produkthaftung.

Ferner konnte eine erhöhte Anzahl von Schadensmeldungen bei Transaktionen in der Abfallrecyclingbranche festgestellt werden. Die zugrundeliegenden Sachverhalte waren vielfältig, umfassten jedoch mehrere Umwelt- und Genehmigungsfragen sowie eine größere potenzielle Deponiesteuerschuld.

Wie in den vergangenen Jahren waren für Immobilientransaktionen keine Großschadensmeldungen zu verzeichnen. Allerdings gab es dennoch einige Schadensmeldungen, mit denen kleinere Schäden geltend gemacht wurden. Bei vielen handelte es sich um Mängel an den kritischen Systemen der Immobilie (z.B. Brandschutz, Beleuchtung, Heizung oder Klimaanlage), wobei diese Aspekte bei W&I-Policen regelmäßig ausgeschlossen sind.

7. Ausblick

Der Boom des M&A-Marktes im Jahr 2021 und zu Beginn des Jahres 2022 hat im selben Zeitraum zu einer beispiellosen Nachfrage nach M&A-Versicherungen geführt. Langfristig dürfte dies zu einem deutlichen Anstieg der Schadensmeldungen führen, was den M&A-Versicherungsmarkt in den nächsten Jahren auf vielfältige Weise prägen dürfte.

Es ist anzunehmen, dass die Versicherten zukünftig bei der Auswahl ihres Versicherungsträgers deutlich stärker auf die Kompetenzen und Qualität bei der Schadensabwicklung achten werden. Ein Hauptanliegen der Versicherten wird es sein, dass die Bearbeitung von M&A-Schäden durch ein erfahrenes, spezialisiertes internes Schadensteam mit voller Prozesskontrolle und Entscheidungskompetenz erfolgt.

Mit zunehmender Etablierung von M&A-Versicherungen sollten Schadensprozesse schlanker und effizienter werden, wodurch wiederum das Vertrauen in das Produkt und sein Einspringen im Schadensfall gestärkt werden dürfte.

Ein zunehmend datenbasierter Underwriting-Ansatz wird künftige Zeichnungsentscheidungen und Einschätzungen von bestimmten Risiken beeinflussen. Verschiebungen bei der Preisgestaltung und des Umfangs des Versicherungsschutzes sind denkbare Folgen. Diesen Herausforderungen können die Deal-Teams der Versicherten mit besonderer Aufmerksamkeit für schadensanfällige Bereiche begegnen.

Der gesamte Schadensreport und weitere Informationen finden sich unter www.libertygts.com/claims


1 W&I = Warranty & Indemnity

2 Der gesamte Schadensreport 2022 und weitere Informationen finden sich unter:
www.libertygts.com/claims.

Das könnte Sie auch interessieren