1. Einleitung
Nach den anhaltenden Disruptionen der Lieferketten im Zusammenhang mit der COVID-19- Pandemie kommen nun weitere Herausforderungen auf die Automobilbranche zu. Die gegenwärtig diskutierte Verschärfung des CO2-Reduktionsziels bis 2030 und die damit angestrebte klimaneutrale Mobilität bis zum Jahr 2050 befeuern die Situation. Regulatorische Aspekte wie beispielsweise das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz erfordern andere und zusätzliche Prozesse. Hinzu kommen geopolitische Spannungen, der Anstieg der Material- und Energiepreise als auch die allgemeine Inflation mit dem einhergehenden Anstieg des Zinsniveaus, die vor allem die Zulieferer auf eine besondere Belastungsprobe stellen.
Diese komplexe Transformationssituation und die Zunahme neuer Anbieter zum Beispiel aus China, die den Wettbewerb grundlegend aufgerüttelt hat, führen zu einer steigenden Unsicherheit und zwingen insbesondere auch den Zulieferersektor zum Handeln. Zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit sind Neupositionierungen unumgänglich. Um diesem Wandel entsprechend gerecht zu werden, könnten Fusionen und Akquisitionen im Markt aller Voraussicht nach zunehmen. Durch die verstärkte Komplexität und Vielschichtigkeit der Unternehmenstransaktionen treten nach der Kaufvertragsunterzeichnung (Signing) häufiger Interpretationsdifferenzen bezüglich der endgültigen Berechnung des Kaufpreises zwischen den Parteien auf. Der Streitwert erreicht in diesen Fällen schnell eine signifikante Höhe. Zusätzlich lässt sich eine Zunahme dieser Konflikte im zeitlichen Zusammenhang mit einem sich verschlechternden wirtschaftlichen Umfeld beobachten.
Welche Ursachen ein solcher Post-M&A-Dispute haben kann, welche Herausforderungen dies für Unternehmenstransaktionen birgt und wie Unternehmen das Streitpotenzial reduzieren oder Konflikte abwehren können, wird in diesem Artikel näher beleuchtet.
2. Zulieferersektor im Umbruch – eine Bestandsaufnahme
Die Transformation des Automobilsektors zum elektrischen und autonomen Fahren, dominiert von digitalisierten Fahrzeugfunktionen, drängt insbesondere Zulieferer zu Technologieinvestitionen mit einem hohen Finanzierungsvolumen. Insbesondere für viele klein- und mittelständische Unternehmen bedeutet dies besondere Kraftanstrengungen. Hinzu kommt, dass viele Marktteilnehmer über geringe finanzielle Rücklagen verfügen und die Fremdfinanzierungskosten solcher Investitionen durch das steigende Zinsniveau erhöht werden. Laut aktuellen Analysen des Supplier Risk Monitor von Deloitte können nur 56% der betrachteten Zulieferer als finanziell stabil bewertet werden, 13% weisen eine bedenkliche EBIT-Marge auf.1
Um sich den verändernden Rahmenbedingungen anpassen zu können, werden sich Unternehmen strukturell neu aufstellen müssen. Hier bieten sich unter anderem Fusionen, der Erwerb oder die Veräußerung von Unternehmensanteilen an. Der Zusammenschluss mit anderen Unternehmen birgt Potenzial für substanzielles Wachstum, gleichzeitig schafft er aber auch Konfliktfelder.
3. Post M&A – die Konfliktfelder
Unternehmenstransaktionen werden mit zunehmender Komplexität streitanfälliger. Verkäufer haben das Ziel eines hohen Preises bei möglichst geringen Haftungsrisiken. Dem stehen die Erwartungen der Käufer gegenüber, Targets günstig zu erwerben, idealerweise mit einer Vielzahl von Absicherungen in Form von Garantien. Je komplexer die Transaktion, desto herausfordernder wird die Einigung der Vertragsparteien, deren Interessen sich diametral gegenüberstehen. Dies manifestiert sich in unterschiedlichen Vorstellungen, abweichenden Beurteilungen und Interpretationen der zur Kaufpreisfindung herangezogenen Aspekte.
Wiederkehrendes Konfliktpotential bei der Kaufpreisbemessung:
•Bilanzgarantien
•Garantien in Bezug auf verkaufte Geschäftsanteile, Vermögensgegenstände, operatives Geschäft
•Indemnities (Freistellungsverpflichtungen) für identifizierte Risiken wie zum Beispiel Steuerzahlungen, Umweltrisiken
•Wertberichtigungen von Forderungen aus Lieferung/Leistung
•Bewertung und Wertberichtigung von Vorräten
•Rückstellungsbewertung
•Umsatzrealisierung
•Personalaufwendungen und -rückstellungen
•Drohverlustrückstellungen (vorzeitige Bilanzierung von etwaigen künftigen Verlusten)
Eine wesentliche Ursache sind dabei unpräzise Formulierungen oder Definition von Vertragsklauseln, die zu viel Interpretationsspielraum lassen, hier beispielhaft:
Nach Unterzeichnung des Unternehmenskaufvertrages (Share Purchase Agreement, SPA) stellt der Käufer fest, dass das Zielunternehmen über einen erhöhten Vorratsbestand verfügt, bei dem es sich um eine kundenspezifische Anfertigung handelt. Die Ware konnte aufgrund von Zahlungsunfähigkeit des Kunden nicht an ihn veräußert werden. Der Versuch, die Produkte auf dem freien Markt zu dem ursprünglichen Preis zu veräußern, erweist sich als äußerst schwierig, da es sich um Waren handelt, die auf Bestellung nach dem spezifischen Bedarf des Kunden angefertigt worden waren. Ein Umstand, der dem Käufer vor Unterzeichnung des SPA nicht bekannt war.
Es ist daher fraglich, ob und inwieweit diese Vorräte hätten abgewertet werden müssen und inwieweit sich dies auf den Kaufpreis auswirkt. Im Vertragswerk sind die Regelungen dazu nicht eindeutig formuliert beziehungsweise definiert.
Des Weiteren sind sich die Parteien uneinig, ob die Bestimmungen des Kaufvertrages es erlauben, die Wertberichtigung der Vorräte in dem bereits unterzeichneten Vertrag vorzunehmen und damit den Kaufpreis anzupassen. Zeitgleich ist offen, ob der Vertrag überhaupt eine Anpassung dahingehend vorsieht und welches Vorgehen Anwendung findet. Ferner wird diskutiert, welche Wesentlichkeitsschwelle eine Neuberechnung auslösen sollte.
4. Konfliktbearbeitung bei einem Post-M&A-Dispute
Ist ein Käufer bei Unstimmigkeiten beispielsweise der Auffassung, er könne Schadensersatz vom Verkäufer verlangen, weil dieser seinen vorvertraglichen Aufklärungspflichten im SPA nicht nachgekommen ist, so steht ein solcher Anspruch vor großen rechtlichen Hürden.
Der Käufer muss nachweisen, dass der Verkäufer wissentlich Informationen verschwiegen oder zum eigenen Vorteil verändert hat. In diesem Fall ist eine exakte Sachverhaltsanalyse erforderlich, um die Forderungen evidenzbasiert nachweisen zu können.
Ein im Ausland ansässiger Investor erwirbt die Mehrheit der Aktien eines europäischen Unternehmens, welches vorwiegend Original Equipment Manufacturer (OEM) beliefert. Nach Unterzeichnung des SPA und mit Kontrollübernahme des Zielunternehmens durch den Käufer stößt dieser auf nicht gebuchte Verluste und Verbindlichkeiten sowie insgesamt auf schlechte Buchhaltungspraktiken. Während der Vertragsverhandlungen und nach Signing des Vertrages hat der Käufer auf die im Zusammenhang mit dem Zielunternehmen erhaltenen Aussagen, Bewertungen und Garantien (Representations & Warranties) des Verkäufers vertraut.
Durch die Analysen externer Sachverständiger kommt zum Vorschein, dass finanzielle Nachteile aus der Vergangenheit unwissentlich auf den Käufer übergegangen sind. Nach dessen Auffassung liegt hier ein Verstoß gegen die vorvertraglichen Aufklärungspflichten des Verkäufers im Zusammenhang mit einer mangelhaften Offenlegung vor. Umfangreiche und teilweise komplizierte Vereinbarungen mit den OEMs wurden im Datenraum von dem Veräußerer zwar zur Verfügung gestellt, kritische Nachträge in Verbindung mit den Verträgen allerdings erst sehr spät, kurz vor Unterzeichnung des SPA, bereitgestellt, sodass eine vollständige Finanzanalyse kaum möglich war.
Langfristig bestehende Kundenverträge, die dem Käufer als profitabel präsentiert worden sind, unterlagen einer ungenauen und zum Teil falschen Budgetierung, sodass sich eine Vielzahl der Verträge als verlustbringend erwies. Nach den International Financial Reporting Standards (IFRS) müssen solche Verluste im Voraus in den Jahresabschlüssen ausgewiesen werden. Bei adäquater Anwendung des IFRS vor dem Unternehmensverkauf hätte dieser Aspekt zu einer Reduktion des Kaufpreises entsprechend des unterzeichneten SPA geführt.
Bei weiteren Nachforschungen entdecken die vom Käufer beauftragten Sachverständigen diverse komplexe Darlehensverträge (Überziehungskredite, kurz- und langfristige Finanzierungen mit verschiedenen und sich teilweise überschneidenden Verpflichtungen), die lediglich auf eine sehr einfache Weise dargestellt und somit nicht vollständig offengelegt worden waren. All diese Fakten, die erst durch die Unterstützung des Käufers durch ein professionelles Expertenteam aufgedeckt werden konnten, zeigten ein Unternehmen kurz vor der Insolvenz. Der Investor konnte mit Unterstützung dieser Expertise seinen Schadenersatzanspruch stichhaltig beweisen und geltend machen.
Es stellt sich naturgemäß die Frage, wie es sein konnte, dass solch kritische Punkte während einer Due Diligence in der Vorbereitung der Unternehmenstransaktion nicht erkannt wurden oder nicht erkannt werden konnten. In diesem Fall trafen zwei wesentliche Aspekte aufeinander. Die Datenmenge, der späte Zeitpunkt der Zurverfügungstellung sowie die teils sehr vereinfachte Darstellung komplexer Vorgänge im Datenraum durch den Verkäufer erschwerten die Due Diligence. Zum anderen wurde von Seiten des Käufers sehr stark auf die Representations & Warranties vertraut und so lediglich eine vereinfachte Due Diligence durchgeführt, welche offensichtlich nicht den Umfang hatte, die kritischen Vorgänge zu identifizieren.
Das Beispiel zeigt deutlich, dass eine umfangreiche und sorgfältige Due Diligence bei Unternehmenstransaktionen unerlässlich ist und auch im SPA erfasste Representations & Warranties eine solche nicht ersetzen können.
Bei der Konfliktbearbeitung sind eine gründliche Einarbeitung in die Materie und ein umfassendes Verständnis der Vertragsbestandteile von großer Bedeutung. Die rechtzeitige Involvierung von unabhängigen Experten ist dabei essenziell. Unklarheiten frühzeitig zu erörtern und ein gleichgerichtetes Verständnis über die Sachverhalte zu schaffen, ermöglicht zudem eine realistische Einschätzung der Erfolgsaussichten im Konfliktfall.
5. Verringerung des Konfliktpotenzials durch gute Vorbereitung
Um das Potenzial für Auseinandersetzungen möglichst gering zu halten, sollten die Parteien einen vertraulichen und transparenten Rahmen für die Vertragsverhandlungen schaffen. Es empfiehlt sich, von Beginn an erfahrene Berater aus verschiedenen Disziplinen hinzuzuziehen, die insbesondere die wirtschaftlichen, finanziellen, rechtlichen sowie steuerlichen Risiken bewerten.
6. Realistische Vertragsinhalte
Es sollten alle am Kaufvertrag beteiligten Interessen unter dem Aspekt berücksichtigt werden, dass die Vertragsparteien auch Kompromissbereitschaft zeigen. Jede Partei wird den Versuch unternehmen, ihre Position mit Argumenten zu bekräftigen, um an ihr Ziel zu kommen. Der Zeitfaktor sollte dabei nicht außer Acht gelassen werden, der die Vertragsparteien unter enormen Entscheidungsdruck setzt. Insbesondere geht es um die im SPA festzulegenden Fristen für die Klärung der Frage, wie viel Zeit dem Käufer für die „Good Faith Negotiation“ eingeräumt wird und welcher Zeitrahmen für die Streitanzeige und die Anspruchsvorbereitung im Falle einer Auseinandersetzung das Target betreffend vorzusehen ist. Darüber hinaus sind allgemeine Klauseln, wie Rechtswahl- und Schiedsklauseln beziehungsweise Gerichtsstandsvereinbarungen, nicht außer Acht zu lassen. Auch wenn die Austragung eines Konfliktfalls bei Unterzeichnung des SPA nicht unbedingt im Fokus steht, ist zu empfehlen, diese Punkte vertraglich aufzunehmen und präzise zu formulieren.
7. Berücksichtigung potenzieller Risiken
Anzeichen von potenziellen Risiken während der Verhandlungen oder im Rahmen von Analysen der Unterlagen des Zielunternehmens sind in jedem Fall mit allen vorliegenden Informationen in das Vertragswerk aufzunehmen.
8. Aufnahme von Garantien
Garantien der Verkäuferpartei sollten auf Basis der Anforderungen aus der vorangehenden Due-Diligence in den Kaufvertrag aufgenommen werden. Auch die Größenordnung, nach der die Haftungsrisiken zu bemessen sind, ist klar zu definieren. Die im Unternehmen bestehende Buchführung und Bilanzgarantien sind ebenso aufzunehmen (sogenannte „True and Fair View“-Garantien). Von besonderer Bedeutung ist dabei der zeitliche Bezugspunkt der Garantien.
9. Fazit
Die Automobilbranche im Allgemeinen, insbesondere aber die Zulieferindustrie sieht sich gerade verschiedenen, zum Teil auch existenziellen Herausforderungen gegenüber. Unternehmenstransaktionen könnten entsprechend zunehmen und sind dabei in ihrer Komplexität und ihren Auswirkungen nicht zu unterschätzen. Entstehen in M&A-Prozessen Streitigkeiten, so geht es schnell nicht nur um den meist signifikanten monetären Streitwert, sondern auch um die Kosten, Zeit und Risiken, die ein gerichtliches oder außergerichtliches Verfahren mit sich bringt. Diese Aspekte betreffen den Verkäufer als auch den Käufer. Letztere sollten ebenfalls durch solche Konflikte möglicherweise entstehende qualitative Herausforderungen bedenken, die im Rahmen der Verkomplizierung der Post-Merger-Integration den ursprünglichen Kaufpreis noch einmal erhöhen könnten.
Ziel beider Parteien sollte es daher sein, das Konfliktpotenzial im gegenseitigen Einvernehmen, soweit umsetzbar, vollumfänglich präventiv zu begrenzen. Die Regelungen des SPA sollten möglichst exakt und eindeutig formuliert werden, so dass es keine unterschiedlichen Interpretationen oder Unklarheiten bei Eintritt bestimmter Ereignisse gibt. Zur Sicherstellung empfiehlt sich die rechtzeitige Involvierung von spezialisierten SPA-Beratern, sodass alle wichtigen Regelungen präzise und klar benannt sowie potenzielle Risiken rechtzeitig identifiziert und somit reduziert werden können. Ebenso trägt eine zielgerichtete und angemessene Due Diligence, die bei Unternehmenstransaktionen unerlässlich ist, zu tendenziell weniger Post-M&A-Disputes bei, insbesondere wenn die Due-Diligence-Experten mit den SPA-Beratern Hand in Hand arbeiten.
Sollte es doch zu einem Post-M&A-Dispute kommen, zeigt die Erfahrung, dass das frühzeitige Hinzuziehen von Dispute-Beratern für die faktenbasierte Aufarbeitung und Darstellung der Ansprüche, neben einer eventuellen Rechtsberatung, die Erfolgsaussichten auf eine zügige Streitbeilegung erhöhen kann.
Unabhängig aber, an welchem Zeitpunkt einer Unternehmenstransaktion man sich befindet oder auf welcher Seite; das Konfliktpotenzial und damit einhergehende monetäre als auch zeitliche Risiken können durch eine zielgerichtete, planvolle Vorbereitung und Durchführung erheblich minimiert werden.
1 https://www2.deloitte.com/de/de/pages/consumer-industrial-products/articles/supplier-risk-monitor-2023.html