4.1. Szenario 1: Niedrigeres Dealaufkommen 2023 im Vergleich zu 2022
In diesem Szenario verstärkt die mögliche Rezession die schon bestehenden Unsicherheiten auf dem M&A-Markt. Zum einen werden die durchgeführten Deals voraussichtlich geringer bewertet. Zum anderen führt die aktuelle Situation durch insgesamt höhere Kosten zu geringeren Cashflows. Wer nicht verkaufen muss, wartet weiterhin ab. Auch bei bereits eingeleiteten M&A-Prozessen bestünde die Gefahr, dass sie aufgrund nicht realisierbarer Erwartungen zwischen Verkäufer und Käufer nicht zum Abschluss kommen.
Eine weitere Folge der Rezession dürfte sein, dass Unternehmen sich auf die Bewältigung der Krise fokussieren. Um sich nicht weiteren Risiken beziehungsweise Herausforderungen auszusetzen, halten sich die Unternehmen bei Zukäufen zurück. Für Unternehmen mit mangelnder Kapitalausstattung und schlechten Finanzierungskonditionen rücken Zukäufe ohnehin in die Ferne. Diese Möglichkeit wird mit jeder Erhöhung der Leitzinsen zur Bekämpfung der Inflation wahrscheinlicher, da damit auch die Finanzierungskosten für Fremdkapital steigen. Zum Szenario 1 gehört auch, dass durch weitere Disruptionen die Unsicherheiten nochmals zunehmen. Auch das würde sich negativ auf das Dealaufkommen auswirken.
4.2. Szenario 2: Höheres Dealaufkommen 2023 im Vergleich zu 2022
Im zweiten Szenario stellen die derzeitigen Krisenauslöser wie Inflation, steigende Zinsen, Lieferkettenunterbrechungen sowie Energie- und Rohstoffpreise für Unternehmen und andere Akteure des M&A-Marktes keine Schocks mehr dar. Da die Volatilität der Faktoren zurückgeht, wird die Krise zum New Normal, es findet eine Rückkehr zur Planbarkeit statt. Die Handelnden haben in diesem Szenario die negativen Rahmenbedingungen eingepreist, es kommt zu keinen Überraschungen mehr. Statt alle Kräfte in die Bewältigung der Krise(n) zu stecken, können die freien Kapazitäten für strategische Themen genutzt werden, beispielsweise für das Generieren von Wachstum durch M&A.
Des Weiteren ist infolge einer längeren Rezession damit zu rechnen, dass mehr und mehr Unternehmen in finanzielle Schieflagen geraten. Zu erwarten ist dann, dass in der Folge Distressed- und Carve-out-Transaktionen zunehmen. Das schafft Chancen für Unternehmen mit einer soliden Kapitalstruktur. Wer bis dahin gut durch die Krise manövriert ist, die Kosten kontrolliert und über Liquiditätsreserven verfügt, wird vielfach Gelegenheiten für Zukäufe zu niedrigen Bewertungen finden und sie auch nutzen. Insbesondere das vorhandene Dry Powder der Private-Equity-Gesellschaften kann hierbei zum Einsatz kommen.
Für das Eintreffen des zweiten Szenarios könnte auch die von den Volkswirten erwartete Kürze der Rezession sorgen. Durch das Aufhellen der makroökonomischen Situation würden die Unsicherheiten im Markt abnehmen. Da Cashflows, Kapitalkosten und das Kapitalverhältnis zwischen Eigen- und Fremdkosten dann geringeren Schwankungen unterliegen, würde dadurch auch die Unternehmensbewertung erleichtert. Die Beruhigung der volkswirtschaftlichen Situation würde so auch zu einer Belebung des M&A-Marktes beitragen.
Und noch ein Punkt könnte für das Eintreten von Szenario 2 sprechen: 2022 lagen die Bewertungen von Käufern und Verkäufern oft weit auseinander. Während Verkäufer sich noch am hohen Plateau des Jahres 2021 orientierten, richteten sich Käufer bereits an den höheren Finanzierungskosten des Jahres 2022 aus. 2023 könnten sich beide Seiten annähern und mehr Deals abschließen.
4.3. Trends, die nicht an der Rezessionsfrage hängen
Neben den beiden rezessionsabhängigen Szenarien sehen wir einige weitere Trends, die den M&A-Markt 2023 und darüber hinaus beschäftigen werden. Hierzu gehört die gewachsene Bedeutung von ESG-Themen. Immer mehr Fonds tracken ESG, entsprechend gewinnen Investments in Nachhaltigkeit weiter an Bedeutung. Viele Unternehmen trennen sich daher von Assets, die nicht ESG-Kriterien entsprechen. Vor allem das Thema CO₂-Reduzierung treibt diese Entwicklung voran.
Ein weiterer Trend für 2023 ergibt sich aus den geopolitischen Veränderungen und der sich abzeichnenden Rückkehr der Interessenverbünde − mit Russland und eventuell Indien im Osten, Europa und den USA im Westen sowie China, das aufgrund seiner Größe, wirtschaftlichen Stärke und geografischen Lage seine eigenen Vorteile aus diesen Konstellationen ziehen kann. Diese Entwicklung dürfte sich zunehmend auch im M&A-Geschäft niederschlagen, da die Investments sich stärker nach geopolitischen Einflusssphären ausrichten. Mögliche Gewinner dieser Neuausrichtung könnten neben China auch die Staaten der MENA-Region (Middle East and North Africa) sein. Staatsfonds, etwa aus Saudi-Arabien oder den Vereinigten Arabischen Emiraten, dürften sich weiter in Europa engagieren. Der schwache Euro führt außerdem dazu, dass europäische Investments für außereuropäische Investoren interessanter werden.