22.03.2023

„Wie resilient ein Unternehmen ist, hängt davon ab, wie resilient die Person ist, die es leitet“

Der deutsche Mittelstand war in den vergangenen Jahren unterschiedlichsten Krisen ausgesetzt. Die Resilienz der Unternehmen wurde auf den Prüfstand gestellt. IM Interview erklären Dr. Annette Icks und Dr. Siegrun Brink von der IfM Bonn, wovon die Reslilienz ener Firma abhängt und wie der Mittelstand aktuell aufgestellt ist.

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Interview mit Dr. Annette Icks und Dr. Siegrun Brink, IfM Bonn

Der deutsche Mittelstand war in den vergangenen Jahren unterschiedlichsten Krisen ausgesetzt. Die Resilienz der Unternehmen wurde auf den Prüfstand gestellt. Im Interview erklären Dr. Annette Icks und Dr. Siegrun Brink von der IfM Bonn, wovon die Resilienz einer Firma abhängt und wie der Mittelstand aktuell aufgestellt ist.

LEBENSWERK: Nach den Corona-Jahren 2020/2021 folgte mit 2022 ein Jahr, das neben Pandemiefolgen zahlreiche weitere Krisen mit sich brachte – Russlands Angriffskrieg in der Ukraine, Energiepreisexplosion, steigende Inflation. Wie steht der deutsche Mittelstand jetzt angesichts dessen da?

Dr. Siegrun Brink: So unterschiedlich wie der Mittelstand ist, so unterschiedlich ist er auch aktuell von den verschiedenen Krisensituationen betroffen. Mit anderen Worten: Es spielt eine große Rolle, in welchen Wirtschaftszweigen die Unternehmen tätig sind: Es gibt Branchen, die bisher sehr gut durch die verschiedenen Krisen gekommen sind. Dagegen spüren der Einzel-, Groß- und Versandhandel sowie die Kfz-Werkstätten oder die Baubranche aktuell stark die gestiegenen Lieferantenpreise. Im Handel kommt noch der Strukturwandel zum Online-Shopping als Herausforderung hinzu – in den Industrieunternehmen die digitale Transformation und die Entwicklung hin zu nachhaltigerem Wirtschaften.

LEBENSWERK: Sie verfolgen seit Jahren die Resilienz des deutschen Mittelstands – halten Sie unsere KMU für ausreichend resilient, um die Krisen langfristig zu überstehen?

Dr. Siegrun Brink: Diese Frage kann man so allgemein nicht beantworten, da jedes Unternehmen individuelle Voraussetzungen mitbringt, beispielsweise im Hinblick auf seine finanzielle Ausstattung und sein unternehmerisches Umfeld. Auch spielt natürlich die Art der Krise eine Rolle – und die sich daraus ergebenden Handlungsspielräume. Und letztlich hängt es auch von der Unternehmerperson und deren Handeln vor und während der Krisensituation ab, wie ein Unternehmen die plötzlich auftretende Situation bewältigt. All das gilt umso mehr, je kleiner das Unternehmen.

Dr. Annette Icks: Ebenso spielt es eine Rolle, wie krisenerfahren Unternehmer sind. So haben wir beispielsweise im Zuge einer Studie zur Krise im Baugewerbe festgestellt, dass viele Inhaber von Bauunternehmen aufgrund der positiven wirtschaftlichen Entwicklung, die diese Branche in den vergangenen Jahren erlebte, nicht mehr darin geübt waren, mit Krisen umzugehen. Diejenigen Bauunternehmer, die hingegen bereits krisenähnliche Situationen im Unternehmensalltag erlebt hatten, ergriffen in den vergangenen Monaten schon frühzeitig Maß-nahmen und achteten beispielsweise auf ihr strategisches Liquiditätsmanagement sowie auf ein umfassendes Controlling der Außenstände und des Auftragsbestands.

LEBENSWERK: Wovon hängt es ab, wie resilient ein mittelständisches Unternehmen ist?

Dr. Annette Icks: Wie resilient ein Unternehmen ist, hängt maßgeblich davon ab, wie resilient die Person ist, die das Unter-nehmen leitet. Resilient heißt in diesem Fall: Wie anpassungs- und lernfähig ist die Unternehmerperson? Wie flexibel ist sie in ihrer Arbeitsweise und ihren Bewältigungsstrategien? Wie sehr denkt sie lösungs-, ziel- und chancenorientiert? Je mehr eine Unternehmerperson über diese einzelnen Eigenschaften verfügt, desto positiver wirkt sich dies generell auf die Entscheidungs-, Veränderungs- und Innovationsprozesse im Unter-nehmen aus.

LEBENSWERK: Deutschlands KMU sind anteilig öfter Industriebetriebe als beispielsweise Unternehmen in den USA oder Asien – hilft das in Sachen Resilienz?

Dr. Annette Icks: Das kann man so pauschal nicht sagen – schließlich gibt es nicht die Krise. Vielmehr ist es ein Kennzeichen von Krisen, dass der Unternehmensalltag auf unerwartete Art und Weise unterbrochen wird und sowohl Routinen als auch gängige Arbeitsabläufe gestört werden. Eine solche plötzliche Störung stellten beispielsweise die Lockdowns und Grenzschließungen für die Industrieunternehmen zu Beginn der Corona-Pandemie dar. Solche plötzlichen Störungen waren aber auch die Lieferengpässe und die Energiepreisentwicklung, für die nicht zuletzt der Angriff Russlands auf die Ukraine ursächlich ist.

LEBENSWERK: Inwiefern können Resilienz und Wachstum Hand in Hand gehen?

Dr. Siegrun Brink: Die aktuelle Studie „Die Auswirkungen der Innovationstätigkeit von KMU in Krisenzeiten auf ihre wirtschaftliche Entwicklung“ des IfM Bonn zeigt: Die Corona-Pandemie hat nicht nur den Anteil der innovationsaktiven Unternehmen verdoppelt, sondern diejenigen Unternehmen, die innovativ waren, haben auch wirtschaftlich die Krise besser überstanden. Dabei spielte es kaum eine Rolle, ob sie Geschäftsmodell-, Produkt-, Dienstleistungs- oder Prozessinnovationen initiierten. Dagegen spielte es eine Rolle, wie frühzeitig die Unternehmerinnen und Unternehmer Innovationen initiierten: Je früher sie dies taten, desto positiver entwickelten sie sich wirtschaftlich. Wir sehen also auch hier: Entscheidend für die Resilienz eines Unternehmens ist die Person, die es leitet.

LEBENSWERK: Wer muss vorwärts gehen, um die Resilienz des deutschen Mittelstands zu stärken – abgesehen vom Unternehmer selbst?

Dr. Siegrun Brink: Ob ein Unternehmen im Fall einer Störung Schaden abwenden, sich an störungsbedingte Veränderungen anpassen oder diese gar in eine Chance verwandeln kann, hängt davon ab, ob es der Unternehmerperson gelingt, vorhandene Handlungsspielräume zu nutzen.

Wie diese Handlungsspielräume aussehen, ergibt sich aus den Voraussetzungen, die vor Eintritt der Störung gegeben waren: So wirkten sich beispielsweise während der Corona-Krise eine gute Kapitalausstattung, persönliche Netzwerke der Unternehmerperson, ein hoher Digitalisierungsgrad sowie ein diversifiziertes Geschäftsmodell positiv für die Unternehmen aus. Die Hilfsprogramme zur finanziellen Unterstützung betroffener Unternehmen schufen weitere Handlungsspielräume. Letztendlich entscheidet aber das unternehmerische Handeln und das Verhalten der Unternehmerperson darüber, wie und in welchem Umfang Handlungsspielräume tatsächlich ausgeschöpft werden. Dies gelingt einer resilienten Unternehmerperson eher als einer weniger resilienten.

Dr. Annette Icks: Wie resilient eine Unternehmerperson in Krisenzeiten ist, hängt wiederum von persönlichen Faktoren ab, wie beispielsweise von der psychischen Gesundheit, der grundsätzlichen Lebenszufriedenheit sowie den sozialen und familiären Netzwerken.

LEBENSWERK: Vorwärts bzw. mitgehen müssen natürlich aber auch die Beschäftigten eines Unternehmens. Nur dann lassen sich notwendige Anpassungsprozesse auch schnell und nachhaltig umsetzen. Inwieweit kann die Politik unterstützen?

Dr. Siegrun Brink: Da plötzliche Störungen nun mal ebenso wenig vorhersehbar sind wie die damit verbundenen komplexen Wirkungsmechanismen, lassen sich für die Resilienz von Unternehmen kaum allgemeingütige Empfehlungen ableiten. Zu bedenken ist, dass politische Maßnahmen zahlreiche unmittelbare und mittelbare Auswirkungen haben.

Dr. Annette Icks: Die Politik sollte daher die jeweilige Krise immer ganzheitlich betrachten: Handelt es sich um eine Störung, auf die die Unternehmerinnen und Unternehmer im Sinne des unternehmerischen Risikos selbst adäquat reagieren können – oder handelt es sich um einen exogenen Schock, der die Unternehmen so plötzlich und unerwartet trifft, dass die ökonomische Bedrohung im Worse Case auch gut vorbereitete Unternehmen zur Aufgabe zwingen kann?

LEBENSWERK: Wie blicken Sie in die Zukunft, wenn es um die Resilienz deutscher Mittelständler geht – wo sind die größten Herausforderungen?

Dr. Annette Icks: Prinzipiell blicken wir positiv auf die Zukunft des Mittelstands. Schließlich haben die Unternehmen in der Vergangenheit – und zuletzt in den vergangenen Pandemiemonaten – bewiesen, was den Mittelstand in Deutschland auszeichnet: Die kreative und flexible Anpassung von Geschäftsmodellen und -prozessen sowie die Verlässlichkeit gegenüber Beschäftigten, Kunden und Lieferanten.

Dennoch bleibt unbestritten, dass der Mittelstand in Deutschland aktuell gleich vor mehreren Herausforderungen steht: Die Unternehmen haben die wirtschaftlichen Folgen der Pandemiejahre und des Angriffskriegs auf die Ukraine zu bewältigen. Daneben gilt es die digitale und ökologische Transformation zu bewältigen. Die größte Herausforderung ist und bleibt jedoch der zunehmende Fachkräftemangel. Bereits zum zweiten Mal in Folge haben dies die Führungskräfte im Mittelstand in der Befragung für das Zukunftspanel Mittelstand hervorgehoben.

Zu den Interviewpartnerinnen:
Dr. Annette Icks ist Projektleiterin und Dr. Siegrun Brink wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn. Beide beschäftigen sich seit einigen Jahren intensiv mit der Resilienz von mittelständischen Unternehmen.

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