23.11.2018 | Magnus Höfer

Agile Entscheidungen im Board – zwischen Corporate Governance und neuer Fehlerkultur

Allgemein, Standpunkt

Wichtige Unternehmensentscheidungen sind in der Regel zustimmungspflichtige Geschäfte, die von den Eigentümervertretern freigegeben werden müssen. In der Praxis geschieht dies während der turnusmäßigen Sitzungen des Aufsichtsgremiums.

Die zu beobachtende Zunahme der Veränderungsgeschwindigkeit, sei es durch neue Technologien und Geschäftsmodelle, den gesellschaftlichen Wandel oder auch nur fortgesetzte gesetzgeberische Regelungswut, stellt in diesem Zusammenhang viele Unternehmen vor eine große Herausforderung. Von der Geschäftsführung wird nichtsdestotrotz erwartet, auf den sich am Horizont herausbildenden Wachstumsfeldern eine führende Rolle zu spielen, um nicht von disruptiven Start-ups rechts „Uber-holt“ zu werden.

Vor diesem Hintergrund reicht es in formalisierten und überfrachteten Gesellschaftersitzungen nicht aus, einen weiteren Tagesordnungspunkt für eine wichtige Unternehmensentscheidung auf die Agenda aufzunehmen, den die Teilnehmer dann oft wenig vorbereitet, aber dafür mit viel Gruppendynamik diskutieren.

Vielmehr müssen Management und Board erkennen, welche Entscheidungssituation tatsächlich vorliegt, also ob es sich um einen komplexen oder nicht komplexen Sachverhalt handelt.

Wenn beispielsweise der Aufsichtsrat eines Unternehmens über einfache beziehungsweise komplizierte Sachverhalte wie zum Beispiel die Anschaffung einer effizienteren Produktionsanlage oder den Kauf eines Wettbewerbers zu entscheiden hat, dann wird sich dieser beim Management vergewissern, ob alle wesentlichen wirtschaftlichen, technischen und rechtlichen Fragestellungen untersucht wurden und zu welchem Ergebnis diese Analysen gekommen sind. Diese Art der Fragestellungen ist grundsätzlich lösbar, solange man nur genügend geeignete Experten auf das Problem ansetzt.

Anders ist es bei komplexen Sachverhalten, bei denen weder alle Einflussgrößen noch deren Wirkungszusammenhänge genau bekannt sind. Beispiele für solche Sachverhalte sind die Entwicklung eines innovativen Produktes oder die Expansion in ein neues Marktsegment.

Um diese komplexen Aufgabenstellungen trotzdem beherrschbar zu machen, werden deshalb in der Praxis Dinge mit überschaubarem Aufwand ausprobiert und aus dem Feedback Schlüsse für die weitere Vorgehensweise gezogen. Aus dieser „agilen“ Vorgehensweise folgt, dass Entscheidungen nicht nur schneller getroffen, sondern auch öfters überprüft werden müssen. Es gilt also der Grundsatz, eher die Kosten einer Fehlentscheidung zu minimieren, als Fehlentscheidungen unbedingt zu vermeiden („fail forward“)!

Viele Geschäftsführer und Eigentümervertreter haben keine ausreichende Erfahrung und mangelnde methodische Kenntnisse, wenn sie in diese neue Welt(en) eintauchen und damit Entscheidungen schneller und unter größerer Unsicherheit treffen müssen.

Zur Verbesserung der Entscheidungsqualität müssen daher das Management und das Board ein gemeinsames Verständnis entwickeln, ob eine komplexe beziehungsweise unsichere Entscheidungssituation vorliegt. Damit einhergehend braucht es mehr Methodenkompetenz bei Geschäftsführern wie auch bei Eigentümervertretern, da reines Expertenwissen zu Märkten oder Technologien aufgrund der kürzer werdenden Halbwertszeit und des leichteren Informationszugangs weiter an Bedeutung verliert.

Bei komplexen Entscheidungssituationen sollten sich Management und Aufsichtsrat daher grundsätzlich einig sein, dass Planungen nicht in Stein gemeißelt, sondern stattdessen laufend angepasst werden müssen. Meinungsverschiedenheiten sollten offen diskutiert, Fehleinschätzungen im Nachhinein benannt und reflektiert werden.

Schließlich sollten die Satzung und Geschäftsordnung an das digitale Zeitalter angepasst werden, beispielsweise durch Bildung kleinerer Ausschüsse und Ermöglichung digitaler Abstimmungen.

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Autor
Magnus Höfer

Geschäftsführender Gesellschafter bei GMH Ventures GmbH und CEO und Aufsichtsrat in konzern- wie familiengeführten Unternehmen sowie Start-ups.

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