Dealonomics: Was Cross-Border-M&A-Deals heute erfolgreich macht
Trotz geopolitischer Unsicherheiten bleibt der internationale M&A-Markt erstaunlich stabil – das zeigt die neue Studie Dealonomics von Taylor Wessing und der Bayes Business School. Im Interview erklärt Dr. Christian Traichel, Co-Leiter der internationalen Corporate / M&A-Praxis von Taylor Wessing, warum Post-Merger-Integration, KI, Cultural Fit und regulatorische Fragen heute über den Deal-Erfolg entscheiden. Er spricht über Trends in den Schlüsselbranchen TMC, Energy und Life Sciences & Healthcare – und über das, was in einem komplexer werdenden Markt den Unterschied macht zwischen Transaktionen mit Potenzial und echten M&A-Erfolgen.
1. Einleitung
Im Rahmen der internationalen M&A-Studie Dealonomics hat die Kanzlei Taylor Wessing in Kooperation mit der Bayes Business School über 900 grenzüberschreitende Unternehmenstransaktionen mit einem Dealvolumen von mehr als USD 100 Mio. analysiert und 850 Dealmaker in Europa und Nordamerika befragt. Die Studie gibt exklusive Einblicke in Erfolgsfaktoren, Bewertungshürden und sektorale Trends – und liefert Impulse für die Optimierung grenzüberschreitender Transaktionen.
Die M&A Review spricht mit Dr. Christian Traichel, Partner & Co-Chair der internationalen Corporate/M&A-Praxis von Taylor Wessing, über den M&A-Standort Deutschland, regulatorische Herausforderungen und die Bedeutung von Post-Merger-Integration, Kommunikation und Künstlicher Intelligenz im M&A-Geschäft der kommenden Jahre.
M&A Review: Herr Dr. Traichel, die Taylor Wessing-Studie zeigt: Trotz geopolitischer Unsicherheiten und wirtschaftlicher Schwankungen bleiben Dealmaker erstaunlich optimistisch. Wie erklären Sie sich diese Resilienz – und wie bewerten Sie die aktuelle Stimmung im internationalen M&A-Markt?
Dr. Christian Traichel: Die Ergebnisse von Dealonomics haben auch uns in Teilen überrascht – insbesondere die Tatsache, dass 74% der befragten Dealmaker trotz volatiler Rahmenbedingungen so optimistisch in die nächsten zwölf Monate blicken. Dieses Stimmungsbild zeigt, dass M&A heute weniger konjunkturabhängig ist als früher – vielmehr ist es zu einem strategischen Hebel geworden. Viele Unternehmen stehen unter Innovationsdruck und müssen digitale Fähigkeiten integrieren. M&A ist dabei ein effektiver Hebel, um Zeit zu sparen, Märkte zu sichern oder technologische Lücken zu schließen.
Gleichzeitig hat sich das Angebot verändert: Viele Targets sind besser vorbereitet, Prozesse professioneller strukturiert. Und: Es ist nach wie vor sehr viel Kapital im Markt – vor allem in und aus den USA. Institutionelle Investoren und Private-Equity-Häuser verfügen unverändert über erhebliche Dry-Powder-Reserven, die auf sinnvolle Einsatzmöglichkeiten warten.
Auf der anderen Seite beobachten wir eine deutlich selektivere Dealdynamik: Investoren schauen genauer hin, unterziehen die Businesspläne verschärften Stresstests und legen verstärkt Wert auf Integrationstauglichkeit und Cultural Fit. Der M&A-Markt ist also keineswegs euphorisch, sondern noch bewusster aktiv – mit einem klaren Fokus auf Qualität vor Geschwindigkeit.
Abb. 1 Wie positiv schätzen Sie die M&A-Aktivitäten in den folgenden Märkten in den nächsten 12 Monaten ein?
Quelle: Dealonomics
2. Standort & Regulierung
M&A Review: Deutschland wird in der Studie als hochrelevanter Markt identifiziert – insbesondere für US-Investoren. Gleichzeitig zeigen sich strukturelle Herausforderungen: Steuerlast, Arbeitsrecht, Investitionskontrollen. Was müsste aus Ihrer Sicht getan werden, damit der Standort im internationalen Vergleich noch weiter an Attraktivität gewinnt?
Dr. Christian Traichel: Keine Frage: Deutschland ist einer der bedeutendsten Zielmärkte für grenzüberschreitende M&A-Transaktionen – das zeigt sich auch in unserer Dealonomics-Studie: Im internationalen Vergleich liegt die Bundesrepublik im Zeitraum 2018 – 2024 mit einem durchschnittlichen Dealvolumen von über 1 Mrd. USD auf Rang drei hinter den USA und dem Vereinigten Königreich bei Deals größer als 100 Mio. USD. Gleichwohl beeinflussen strukturelle Hemmnisse den Dealflow.
M&A Review: Welche Hemmnisse sind das genau?
Dr. Christian Traichel: Aus Sicht internationaler Investoren ist Deutschland ein Markt mit hoher Stabilität, aber auch mit komplexen Rahmenbedingungen. Die Studie zeigt, dass hohe Lohnnebenkosten, als in Teilen starr empfundene arbeitsrechtliche Vorgaben und eine ausufernde Bürokratie als Standortnachteile wahrgenommen werden – insbesondere von US-Investoren. Auch das steuerliche Umfeld ist herausfordernd: Deutschland hat mit 29,9% den zweithöchsten effektiven Unternehmenssteuersatz in Westeuropa.
Hinzu kommen zunehmende regulatorische Hürden, etwa durch komplexe Investitionsprüfungen bei ausländischen Direktinvestitionen – insbesondere aus China –, die vor allem im Technologie- und Infrastrukturbereich relevant sind. Solche Prüfprozesse schaffen Unsicherheit, kosten Zeit und können abschreckend wirken – auch wenn sie politisch nachvollziehbar sind.
Abb. 2 Inwieweit beeinflusst die Regulierung in den folgenden Märkten die Häufigkeit und Erfolgsquote
grenzüberschreitender M&A?
Quelle: Dealonomics
M&A Review: Was müsste geschehen, damit Deutschland nicht den Anschluss verliert?
Dr. Christian Traichel: Was es braucht, ist ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Schutzbedürfnis und Investitionsfreundlichkeit. Dazu zählen vor allem zeitlich gestraffte Verfahren, attraktivere gesetzliche Rahmenbedingungen und eine moderne, digitalisierte Verwaltung. Wenn Deutschland seine Standortvorteile erhalten will, muss es bei Regulatorik und Effizienz international wettbewerbsfähig bleiben – sonst wird sich das Kapital andere Wege suchen.
M&A Review: Die Sektoren TMC, Energy und Life Sciences & Healthcare dominieren laut Dealonomics die Dealaktivitäten bis 2030. Wo sehen Sie in diesen Bereichen die größten Chancen für grenzüberschreitende Deals – und worauf achten Ihre Mandanten in diesen Sektoren besonders?
Dr. Christian Traichel: Die drei Branchen vereint ein hoher Transformationsdruck, zugleich aber auch ein starkes strategisches Momentum, das M&A zu einem zentralen Wachstumsinstrument macht.
Im TMC-Sektor ist die Dealaktivität traditionell hoch – getrieben durch Innovationszyklen, Plattformökonomien und die Notwendigkeit, sich technologisch immer wieder neu aufzustellen. Akquisitionen in diesem Bereich zielen häufig auf IP, Daten, KI-Fähigkeiten oder Tech-Teams ab. Mandanten achten hier besonders auf Geschwindigkeit, Cultural Fit und Rechtssicherheit bei immateriellen Assets.
Im Energiesektor ist M&A inzwischen eng verknüpft mit einer globalen Transformation hin zu klimaneutralen Volkswirtschaften, auch wenn das derzeit in Teilbereichen pausiert. Infrastrukturprojekte, Speichertechnologien und Carbon Capture stehen im Fokus. Gleichzeitig bleibt das regulatorische Umfeld anspruchsvoll: Viele Transaktionen sind genehmigungspflichtig, langwierig und kapitalintensiv. Wer in diesem Umfeld erfolgreich agieren will, braucht exakte Due Diligence, flexible Strukturen, sektorerfahrene Berater und klare Narrative gegenüber Stakeholdern und Behörden.
Auch wenn die Post-Pandemie-Dynamik im Life-Sciences- und Healthcare-Markt abgenommen hat, bleibt der Sektor zuverlässig, was gezielte M&A-Transaktionen betrifft. Begünstigt wird dies durch vermehrt notwendige strategische Neuausrichtungen vieler Unternehmen. Hier geht es häufig um Pipeline-Erweiterung, R&D-Partnerschaften oder gezielte Buy-and-Build-Strategien. Kleine Akquisitionen mit hoher F&E-Tiefe können durch die globale Vertriebsstärke der Käufer große Wirkung entfalten.
In allen drei Sektoren zeigt sich: Cross-Border-M&A ist kein Selbstzweck, sondern ein zielgerichtetes Mittel, um Fähigkeiten zu ergänzen, Märkte schneller zu erschließen – und letztlich die eigene Zukunftsfähigkeit zu sichern.
M&A Review: Eine interessante Erkenntnis aus der Taylor Wessing-Studie lautet: Der Erfolg eines Deals entscheidet sich immer noch nach dem Signing – bei der Integration. Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht eine frühzeitige Post-Merger-Strategie, und ist das Risiko Post-Merger-Integration überhaupt neu?
Dr. Christian Traichel: „Der Deal ist erst gemacht, wenn er integriert ist“ – dieses Zitat aus unserer Studie bringt es auf den Punkt. Das ist eigentlich auch nichts Neues, aber überraschenderweise wurde Integration offenbar immer noch als nachgelagerte Aufgabe verstanden. Klar ist aber: Eine erfolgreiche Post-Merger-Strategie ist kein optionaler Schritt, sondern entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg der Transaktion. Das beginnt bereits vor dem Signing – mit einer bewussten Verzahnung von Transaktionsstruktur und Integrationslogik.
Viele Deals scheitern nicht an der Due Diligence oder an der Finanzierung, sondern daran, dass nach dem Signing operative Reibungsverluste, kulturelle Spannungen oder Kommunikationsdefizite auftreten. Hier zeigt sich: M&A ist nicht nur ein juristisches, sondern eben auch ein organisatorisches und kulturelles Projekt.
M&A Review: Wie verändert sich vor diesem Hintergrund die anwaltliche Begleitung einer Transaktion?
Dr. Christian Traichel: Beim anwaltlichen Beratungsansatz ändert sich eigentlich nicht viel. Der anwaltliche Berater muss im Rahmen der Due Diligence und bei der Vertragsgestaltung immer mitdenken, wie das Target post-Closing integriert beziehungsweise beim Käufer fortgeführt werden soll. Wir erleben in der Beratungspraxis aber zunehmend, dass seitens der Mandanten früher im Prozess die rechtlichen Aspekte der Post-Merger-Integration thematisiert werden.
M&A Review: Was heißt das konkret?
Dr. Christian Traichel: Das betrifft etwa die Gestaltung von Earn-out-Klauseln, Garantiekatalogen oder Governance-Regelungen in Joint-Venture-Verträgen. Auch arbeitsrechtliche und datenschutzrechtliche Aspekte haben eine hohe Relevanz, etwa wenn internationale HR-Systeme vereinheitlicht oder Kundendaten zusammengeführt werden sollen.
Kurz gesagt: Je früher rechtliche Aspekte der Integration strategisch mitgedacht werden, desto reibungsloser verlaufen Umsetzung und Wertrealisierung. Erfolgreiches M&A erfordert heute rechtliche Klarheit – und vorausschauende Strukturierung über das Signing hinaus.
3. Bewertung & Erwartungsmanagement
M&A Review: Ein häufiger Grund für das Scheitern von Transaktionen liegt im sogenannten „Valuation Gap“ – also dem Auseinanderklaffen von Bewertungserwartungen.
Dr. Christian Traichel: Genau, der sogenannte Valuation Gap zählt zu den häufigsten Ursachen dafür, dass sich Transaktionen verzögern oder ganz aufgegeben werden. Käufer und Verkäufer gehen oft mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen in Verhandlungen – nicht nur aufgrund von Ist-Zahlen und Erwartungen, sondern auch aus emotionalen Motiven oder strategischen Ansätzen heraus. Gerade in volatilen Marktphasen werden diese Differenzen noch stärker spürbar.
Unsere Studie bestätigt: Bewertungsdifferenzen basieren häufig auf unterschiedlichen Markteinschätzungen statt auf belastbaren Fakten. Käufer argumentieren mit konservativen Prognosen und Multiples, Verkäufer hingegen mit Zukunftschancen, Marktpotenzial oder zuletzt erzielten Rekordergebnissen. Dieses Spannungsfeld ist verständlich – aber überwindbar, wenn frühzeitig auf Transparenz, realistische Szenarien und professionelles Erwartungsmanagement gesetzt wird.
Abb. 3 Faktoren, die von Käufern häufig überschätzt werden ...
Quelle: Dealonomics
M&A Review: Wie lässt sich diese Lücke schließen?
Dr. Christian Traichel: Bewertungsdifferenzen werden unverändert häufig über Earn-out-Regelungen überbrückt. Wichtig ist dabei ein transparentes Regelwerk, das Anreize setzt, Missbrauch und spätere Konflikte vermeidet und einen zeitlich vernünftigen Zeitraum abdeckt. Entscheidend ist: Eine gute Bewertung entsteht nicht nur durch Zahlen, sondern durch Vertrauen, saubere Kommunikation – und ein gemeinsames Verständnis dessen, was den Deal für beide Seiten wirklich wertvoll macht.
M&A Review: Welchen Beitrag können M&A-Berater in der Kommunikation und Projektsteuerung leisten?
Dr. Christian Traichel: M&A-Berater spielen hier eine Schlüsselrolle – nicht nur als Zahlenspezialisten, sondern als Moderatoren unterschiedlicher Perspektiven. In unserer Praxis erleben wir, dass besonders bei inhabergeführten Unternehmen oder strategisch sensiblen Assets ein hohes Maß an psychologischem Feingefühl gefragt ist. Es geht darum, beide Seiten an einen Punkt zu bringen, an dem nicht der höchste Preis zählt, sondern der beste Fit – wirtschaftlich, kulturell und strategisch.
M&A Review: Laut Dealonomics nutzen bereits über 60% der befragten Dealmaker KI-basierte Tools, insbesondere in der Due Diligence und Datenanalyse. Wie verändert Künstliche Intelligenz die M&A-Praxis?
Dr. Christian Traichel: Künstliche Intelligenz verändert die M&A-Praxis bereits heute – und ihr Einfluss wird weiter wachsen. Für unsere Mandanten bedeutet das vor allem: schnellere Datenerfassung und mit der technischen Fortentwicklung zunehmend bessere Datenlage, frühere Erkenntnisse und darauf basierende Entscheidungen, die einen kompetitiven Vorteil ermöglichen können. Vor allem bei datenintensiven Targets – wie im Tech- oder Life-Sciences-Bereich – kann KI einen echten Vorsprung verschaffen, etwa bei der Extraktion relevanter Klauseln oder der Analyse von Datensätzen mit Tausenden Dokumenten.
M&A Review: Welche Risiken sehen Sie hier bei der Nutzung von KI?
Dr. Christian Traichel: Eine KI kann nur so gut sein wie ihre Trainingsdaten. In einem Panelgespräch zur Studie fiel der Satz: „AI can convincingly tell the wrong story“ – und das trifft es. Gerade bei generativen Systemen besteht die Gefahr, dass Inhalte erfunden, fehlinterpretiert oder nur scheinbar plausibel dargestellt werden.
Deshalb raten wir zur Nutzung von KI als „Co-Pilot“, nicht als Autopilot. Die juristische Bewertung, das strategische Framing und die Risikoeinschätzung bleiben menschliche Aufgaben. Kurz gesagt: KI verändert Prozesse, aber nicht die Verantwortung. Wer sie richtig einsetzt, kann viel gewinnen – aber nur, wenn Technik, Menschenverstand und rechtlicher Rahmen gut zusammenspielen.
Abb. 4 Die am meisten unterschätzten Risiken ...
Quelle: Dealonomics
M&A Review: Wenn Sie Entscheidern in Unternehmen, PE-Häusern oder Rechtsabteilungen einen Rat mit Blick auf die kommenden Jahre geben könnten: Was wird den Unterschied machen zwischen durchschnittlichen und herausragenden M&A-Transaktionen?
Dr. Christian Traichel: Wer in den kommenden Jahren im M&A-Markt erfolgreich sein will, braucht mehr als den besten Preis. Entscheidend ist ein strategisch durchdachter Gesamtansatz – also eine tragfähige Struktur, die deutlich über das Closing hinausgeht, ein belastbares wirtschaftliches Umfeld und vor allem: Mut und Überzeugung auf beiden Seiten. Unsere Studie zeigt, dass viele Akteure abwarten, bis sich Märkte, Zinsen oder Bewertungen beruhigen. Gleichzeitig sehen wir: Wer mit klarer Strategie und Vertrauen in den eigenen Deal agiert, setzt auch in unsicheren Zeiten erfolgreich Transaktionen um.
Dazu braucht es drei Dinge: erstens strategische Klarheit – also ein echtes und mutiges Verständnis dafür, was man warum kauft und wie man Mehrwert schaffen will. Zweitens: Cultural Fit und Vertrauen – auf Managementebene ebenso wie im Team. Und drittens: Geschwindigkeit mit Substanz. Nicht jeder Deal verläuft unter Idealbedingungen, aber er muss tragfähig sein – auch in unsicheren Zeiten.
Erfolgreiche M&A-Teams sind heute interdisziplinär aufgestellt, arbeiten datenbasiert und führen Prozesse, die auf Geschwindigkeit ausgelegt sind, ohne Sorgfalt zu opfern. In diesem Umfeld ist auch die Rolle externer Berater im Wandel: Wir sind nicht nur rechtliche Strukturierer, sondern vermehrt Sparringspartner, Koordinatoren und Risikomanager.
Erfolgreiches M&A endet nicht mit der Unterschrift – erfolgreiches M&A beginnt mit der Integration, der Kommunikation und der konsequenten und mutigen Umsetzung gemeinsamer Ziele. Wer diese Faktoren frühzeitig adressiert, schafft nicht nur Abschlüsse, sondern auch nachhaltigen Mehrwert.