10.11.2023 | Dr. Hendrik Engelhardt, Michael Wabnitz, Dr. Daniel Arand, Dr. Florian Stellner

Disruptive Faktoren im Automobilsektor bremsen M&A-Aktivitäten in 2023

Der Wandel im Automobilsektor schreitet weiter voran: Herausforderungen sind immer noch Lieferkettenunterbrechungen, der Umstieg auf Elektrofahrzeuge, umfassendere Regulatorik und eine steigende Bedeutung von strategischen Allianzen und neuen Marktakteuren.

Industry Special

1. Einleitung

Der Wandel im Automobilsektor schreitet weiter voran: Herausforderungen sind immer noch Lieferkettenunterbrechungen, der Umstieg auf Elektrofahrzeuge, umfassendere Regulatorik und eine steigende Bedeutung von strategischen Allianzen und neuen Marktakteuren. Der Absatz von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor, auch ICE (Internal Combustion Engine) genannt, der bisher das Rückgrat der deutschen Automobilindustrie darstellte, soll kontinuierlich schrumpfen auf nur noch 60–80% Marktanteil in 2027.

Dieser Wandel zeigt sich auch im Transaktionsgeschäft im Automobilsektor:

•2023 wird es in der Automobilbranche weltweit einen signifikanten Rückgang von Transaktionen geben, vor allem in Nordamerika.

•Turnaround-Private-Equity-(PE)-Investoren konzentrieren sich stark auf ICE-Zulieferer und machen einen signifikanten Teil der Transaktionen im Automobilsegment aus (entweder direkt oder durch Zukäufe der Portfoliounternehmen); traditionelle LBO-Investoren sind bei Investitionen im Automobilsektor zurückhaltender.

•Die Bewertungsmultiplikatoren für ICE-Unternehmen liegen deutlich unter denen diversifizierter Automobilzulieferer; mit deutlichem Bewertungsaufschlag werden Unternehmen in den innovativen Geschäftsfeldern, den sogenannten CASE (Connected, Autonomous, Shared Mobility und Electric), bewertet.

•OEMs setzen weiterhin auf Allianzen und Partnerschaften, um die Kontinuität der Lieferketten (z.B. für Halbleiter oder Batterien) zu gewährleisten und den Aufbau der EV-Infrastruktur zu unterstützen; gerade in innovativen Geschäftsfeldern spielen Partnerschaften und JVs eine sehr bedeutende Rolle.

•Das Potenzial für weitere Konsolidierung im Zulieferermarkt ist bei Weitem noch nicht erschöpft; insbesondere von der Verbrennertechnologie abhängige Zulieferer werden zunehmend unter Druck geraten und den Rückzug aus Teilen ihres Geschäfts in Betracht ziehen, während fokussierte Strategen und Finanzinvestoren eine Konsolidierung anstreben, um den verbleibenden Markt profitabel zu bedienen.

2. Rückgang der M&A-Aktivitäten 2023

Der Markt für Unternehmensverkäufe erfährt 2023 (Januar bis Juli) einen Dämpfer: In der Automobilbranche gibt es weltweit einen annualisierten Rückgang der Anzahl der Deals um 16%, insbesondere getrieben durch Nordamerika. Europa hat sich hingegen als vergleichsweise robust erwiesen: Nach 294 Deals 2022 steuert der Markt für 2023 auf einen annualisierten Wert von ca. 270 Transaktionen in der Automobilbranche hin, was lediglich einem Rückgang um circa 8% entspräche. Zum Vergleich: Sektorübergreifend erwarten wir einen weltweiten annualisierten Rückgang der Deal-Aktivität von ca. 20%.

Hinsichtlich des Deal-Volumens in Euro ergibt sich sowohl in Europa als auch in Nordamerika ein starker Rückgang. Deutlich zu erkennen ist auch der starke Rückgang im Vergleich zu 2021, welcher sich nicht in der Entwicklung der Anzahl der Transaktionen widerspiegelt. Das Marktumfeld von 2021, geprägt durch hohe Bewertungen mit einer Reihe prominenter IPOs (u.a. Rivian) und SPAC-Transaktionen (u.a. Lucid) im Bereich der E-Mobilität, liegt inzwischen in weiter Ferne.

Der Anteil der ICE-Transaktionen, der von Finanzinvestoren durchgeführt wurde, ist dabei deutlich gesunken, von 88% 2021 auf nunmehr 40% in 2023 (Januar bis Juli). Dies ist zum einen bedingt durch eine fortschreitende Zurückhaltung traditioneller LBO-Finanzinvestoren gegenüber Investitionen im ICE-Bereich. Zum anderen treten Portfoliounternehmen von Turnaround-PEs, die eine Buy-and-Build-Strategie verfolgen, vermehrt direkt als strategischer Käufer auf.

Abb. 1 • M&A-Transaktionen in der AutomobilindustrieAbb. 1 • M&A-Transaktionen in der AutomobilindustrieQuelle: MergerMarket

3. Bewertungen deutlich gesunken

Vor dem Hintergrund des aktuellen Marktumfelds sind niedrigere Bewertungen an der Tagesordnung. Bewertungsmultiplikatoren (EV/EBITDA) für Transaktionen im Automobilsektor sind in 2023 deutlich gefallen, von 11,6x im Median 2022 auf nunmehr 8,5x 2023 (Januar bis Juli). Hier ist der Rückgang in Europa stärker als in Nordamerika. Zudem zeigen sich über die einzelnen Segmente hinweg signifikant unterschiedliche Trading Multiples bei den Automobilzulieferern: Unsere Analysen ergeben, dass Akteure in den CASE-Kategorien mit einem Bewertungsaufschlag von circa 60% gegenüber diversifizierten Automobilzulieferern am Kapitalmarkt gehandelt werden, wohingegen Unternehmen mit starkem ICE-Bezug einen Bewertungsabschlag von circa 40% aufweisen.

Abb. 2 • Bedeutung von ICE-Deals und FinanzinvestorenAbb. 2 • Bedeutung von ICE-Deals und FinanzinvestorenQuelle: Capital IQ; MergerMarket; AlixPartnersAbb. 3 • Transition von ICE zu elektrischen AntriebslösungenQuelle: AlixPartners Powertrain Forecast

4. Strategien der Automobilindustrie auf den Veränderungsdruck

Die fundamentale Abkehr vom Verbrennungsmotor (ICE) hin zu batteriebetriebenen Elektrofahrzeugen (BEV) bricht die ICE-Lieferkette auf, die in den vergangenen 100 Jahren aufgebaut wurde. In der Tat haben zahlreiche Länder die 2030er Jahre als das Jahrzehnt festgelegt, in dem neue ICE-Fahrzeuge nicht mehr verkauft werden dürfen (EU: 2035, UK: 2030/35).Im Rahmen der jährlich erscheinenden AlixPartners Automotive Study haben wir Automobilzulieferer und OEMs zu den Auswirkungen des Verbrennerausstiegs und des Wechsels auf den Elektroantrieb auf ihre Strategie befragt. Rund ein Drittel hat bereits mit der Anpassung der strategischen Ausrichtung begonnen, die Aufgabe des Verbrennergeschäfts sowie Carve-outs haben rund 47% dieser Unternehmen bereits initiiert (siehe Abb. 4).

Abb. 4 • Strategien von Automobilzulieferern und OEMs im Hinblick auf Verbrennerausstieg und Wechsel zum ElektroantriebAbb. 4 • Strategien von Automobilzulieferern und OEMs im Hinblick auf Verbrennerausstieg und Wechsel zum ElektroantriebQuelle: AlixPartnersAbb. 5 • Anzahl der Zulieferer für SubsystemeAbb. 5 • Anzahl der Zulieferer für SubsystemeQuelle: MarkLines, S&P Capital IQ, AlixPartners

Im Gegensatz zur Liquidation des Verbrennergeschäfts beziehungsweise Nicht-Kerngeschäftsaktivitäten kann durch einen Carve-out, also die rechtliche und organisatorische Ausgliederung des Geschäfts in Verbindung mit einem Verkauf, oftmals eine deutliche finanzielle Verbesserung erzielt werden. Insbesondere Finanzinvestoren mit einem klaren Fokus auf Carve-out und Restrukturierungssituationen sind mit solchen Sondersituationen gut vertraut. Eine sogenannte „Last-Man-Standing-Strategie“ ermöglicht es diesen Investoren, über eine branchenweite Konsolidierung weitere operative Synergien zu erzielen und sich am Markt als führender Anbieter von Verbrennerkomponenten zu positionieren. Die akquirierten Portfolio-Unternehmen sollen im Verbrennergeschäft zusammenarbeiten, die (reduzierte) Nachfrage weiterhin bedienen und die Gewinne so lange abschöpfen wie möglich.Die Entscheidung, welcher Teilsektor konsolidiert werden soll, ist jedoch eine hochkomplexe Aufgabe, die ein tiefes Verständnis der bestehenden globalen Zuliefererkarte für jede Komponente erfordert. In unserer Marktanalyse haben wir die Anzahl der Zulieferer pro Subsystem evaluiert, als Gradmesser für den Fortschritt der Konsolidierung: Die Ergebnisse zeigen, dass die Potenziale weiterer Konsolidierung bei weitem noch nicht ausgeschöpft sind.

Abb. 6 • Kumulative Kursentwicklung der Verkäufer-Aktie relativ zum S&P-500 BenchmarkAbb. 6 • Kumulative Kursentwicklung der Verkäufer-Aktie relativ zum S&P-500 BenchmarkQuelle: S&P Capital IQ; AlixPartnersAbb. 7 • Partnerschaften von Automobilherstellern nach Kategorie 2016 - 2022Abb. 7 • Partnerschaften von Automobilherstellern nach Kategorie 2016 - 2022Quelle: AlixPartners

Der Markt für den Verkauf von Unternehmensanteilen im Zuliefererbereich ist im aktuellen Marktumfeld herausfordernd: M&A-Prozesse laufen deutlich länger, Risiken werden kritischer unter die Lupe genommen und Käufer ziehen Angebote zurück. Dies wirkt sich negativ auf die Kaufpreise aus. Klassische Buy-out-Transaktionen durch Large-Cap/Mid-Cap-Private Equity-Unternehmen sieht man selten: Das Risiko rückläufigen Volumens im Verbrennergeschäft wird als zu hoch eingeschätzt. Dies führt auch zu einer generellen Zurückhaltung von Banken bei der Finanzierung solcher Transaktionen, die zusätzlich noch ESG-Kriterien erfüllen müssen.

5. Wie reagiert der Kapitalmarkt auf die Abspaltung vom Verbrennergeschäft?

Notierte Unternehmen, die durch Veräußerung des ICE-Geschäftes ein aktives Portfoliomanagement betreiben, zeigen unmittelbar nach Deal Announcement in vielen Fällen eine deutliche Outperformance gegenüber dem Kapitalmarkt (siehe Abb. 6).Der Mobilitätswandel zeigt sich auch in einer zunehmenden Zahl strategischer Kooperationen und Joint Ventures. Bemerkenswert ist hierbei, dass die Anzahl der neu eingegangenen CASE-Partnerschaften mit +25% 2022 gegenüber dem Vorjahr ein enormes Wachstum aufweist (siehe Abb. 7).

Der Zugang zu Elektrifizierungstechnologie und -Know-how ist hierfür der wichtigste Treiber. Automobilhersteller konnten „in der alten Welt“ dank tiefer Wertschöpfung und differenzierendem Know-how im automobilen Ökosystem über Jahrzehnte hinweg eine starke Marktposition behaupten. Heute sehen sie sich gezwungen, den Zugang zu kritischen Komponenten und Kompetenzen durch Partnerschaften zu sichern wie zum Beispiel für die Batteriezellfertigung sowie Halbleiter.

6. Fazit

Strukturelle und technologische Entwicklungen in der Automobilbranche verändern nicht nur die zukünftigen Wertsteigerungspotenziale. Solche Transformationen bieten auch Chancen sowohl für Unternehmen, die einen gewinnmaximierenden beziehungsweise verlustminimierenden Ausstieg beabsichtigen, als auch für solche, die sich technologisch insbesondere in Richtung E-Mobilität weiterentwickeln.

Der Übergang von ICE zu elektrischen Antrieben wird immer intensiver und erfordert umfangreiche Maßnahmen für ICE-fokussierte Automobilunternehmen. Der sich beschleunigende Wandel vom Verbrenner- zum Elektroantrieb wird in naher Zukunft zu einem steigenden Maß an M&A-Aktivitäten führen. Der Markt wird sich weiter konsolidieren. Unternehmen, die weiterhin im Verbrennergeschäft tätig bleiben, fokussieren sich auf den Aufbau von Größenvorteilen und Effizienzsteigerungen und positionieren sich damit als „Last Man Standing“. 

Autor
Dr. Hendrik Engelhardt

Dr. Hendrik Engelhardt ist Director im Bereich Strategy & Operations von Deloitte Consulting. Er ist spezialisiert auf die Entwicklung und Umsetzung komplexer Transformationsprogramme. Hierbei liegt sein Fokus im Wesentlichen auf Themen wie strategische Neuausrichtung, Performance Improvement, Strategic Cost Transformation, Restrukturierung sowie M&A.

Autor
Michael Wabnitz

Michael Wabnitz ist Managing Director von AlixPartners. Er verfügt über mehr als 20 Jahre Berufserfahrung und berät Unternehmen, Vorstände und Finanzinvestoren in den Bereichen M&A-Transaktionen, CFO-Beratung und Transformation. Michael hat zahlreiche M&A-Transaktionsprojekte auf der Käufer- und Verkäuferseite geleitet, darunter Deal Advisory, Due Diligence, Carve-out, Post Merger Integration und Transformationsprogramme.

Bevor er zu AlixPartners kam, war er Managing Director bei Duff & Phelps, einem globalen Finanzberatungs- und Investmentbanking-Unternehmen. Davor war er Partner bei KPMG Corporate Finance.

Michael besitzt einen MBA in Betriebswirtschaftslehre und hat das deutsche Wirtschaftsprüfer- und Steuerberaterexamen erfolgreich abgelegt.

Autor
Dr. Daniel Arand

Dr. Daniel Arand, Director, ist Teil des Leadership-Teams im Bereich Automotive & Industrials bei AlixPartners. Er verfügt über langjährige Beratungs- und Industrieerfahrung mit Fokus auf Elektromobilität, Strategie und Performance Improvement sowohl aus Hersteller- als auch aus Zulieferersicht.

Autor
Dr. Florian Stellner

Dr. Florian Stellner ist Director bei AlixPartners. Mit zwölf Jahren globaler Erfahrung
verfügt Florian über besondere Expertise in der Durchführung von M&A-Transaktionen, Carve-outs, Business Planning, finanziellen und operativen Restrukturierungen und CFO-Support.

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