„Es geht um Work-Life-Blending“: Interview mit Bodo Janssen, Upstalsboom
Text Magdalena Aderhold
Vom verhassten Chef zum einem der beliebtesten Arbeitgeber Deutschlands: Bodo Janssen zeigte den Teilnehmern des BM&A Mittelstandstags anhand seiner Geschichte, wie wichtig die innere Einstellung der Führungskräfte ist und wie man es mit dem richtigen Mindset schafft, sein Personal mit Wertschätzung zu führen und damit auch dem Fachkräftemangel entgegenzutreten.
LEBENSWERK: Herr Janssen, wenn es um gute Mitarbeiterführung geht, sind Sie einer der Experten in Deutschland. Wie kam es dazu?
Bodo Janssen: „Um besser arbeiten zu können, brauchen wir einen anderen Chef als Bodo Janssen.“ Dieser Satz unter vielen anderen, ähnlichen Aussagen bei einer Mitarbeiterbefragung im Jahr 2010 hat mich zum Innehalten gebracht. Bis dahin war ich der salopp gesagt typische Unternehmer: Die Gewinne sollten steigen, alle sollten mich toll finden, der Rest würde dann schon passen. Ich saß am größten Schreibtisch im größten Sessel mit dem größten Auto auf dem Parkplatz vor dem Büro. Als aber der Krankenstand stieg, die Kündigungen auf meinen Schreibtisch flatterten, wir Häuser schließen mussten, wurde mir klar, dass ich den Faktor Mensch einfach nie beachtet habe. Um zu sehen, wo die Probleme liegen, wurde die Mitarbeiterbefragung durchgeführt. Die Ergebnisse waren äußerst schmerzhaft und brachten mich abrupt auf den Boden der Tatsachen. Wo ich mit einer zwei bis drei in Schulnoten rechnete, kamen Vierer und Fünfer raus, bisweilen auch Sechser. Und Aussagen wie die oben erwähnte.
LEBENSWERK: Die Ergebnisse sind das eine, was man daraus macht, das andere. Was taten Sie?
Bodo Janssen: Man hat ja drei Möglichkeiten: Flucht, Stillstand, Angriff. Das Unternehmen konnte ich nicht zurückgeben, Stillstand kam nicht in Frage – ich hatte ein paar Jahre zuvor bereits eine Befragung durchgeführt, die auch nicht ganz so gut war, die ich aber unter den Tisch habe fallen lassen. Daran erinnerten sich so manche meiner Mitarbeiter. Es blieb also der Angriff. Und hier kam schon das erste Umdenken: Ich wollte nicht gegen, sondern für etwas kämpfen. Also haben wir die Ergebnisse unzensiert in der Firma veröffentlicht.
LEBENSWERK: Ein ungewöhnlicher Schritt.
Bodo Janssen: Mit Sicherheit. Doch eine Krise allein ist noch kein Fahrplan für die Zukunft, und ich habe drei Erkenntnisse für mich identifiziert. Die erste ist das Erkennen – ich erkenne, dass etwas nicht stimmt, und das haben mir meine Mitarbeiter sehr leicht gemacht.
Die zweite ist das Anerkennen, dass tatsächlich etwas nicht in Ordnung ist. Ohne diese Einsicht ist Veränderung nicht möglich. Die dritte schließlich ist das Bekenntnis – nicht die Entscheidung, sondern der Entschluss, etwas zu ändern. Und von diesen Erkenntnissen sollten auch meine Mitarbeiter erfahren.
Anschließend gingen wir die Probleme an. Es ging einmal um Arbeitsmittel: Da waren zum Beispiel fehlende Kaffeelöffel, die in den Restaurants keinen guten Service am Gast erlaubten und dadurch die Mitarbeiter frustrierten. Dann war es die Bürokratisierung: Ich habe meinen Teams so viele Aufgaben aufgebürdet, dass sie für ihre eigentliche Arbeit keine Zeit mehr hatten. Und das kenne ich eigentlich aus allen Unternehmen, für die ich als Berater arbeite. Als drittes kommt die Führung: Die Mitarbeiter fühlen sich nicht ge-führt, ich nenne das „Management by Champignons“ – die Köpfe sitzen im Dunkeln, kaum kommt einer hoch, wird er abgeschnitten. Als Macht durch Intransparenz kann man diesen Zu-stand ebenfalls gut beschreiben.
LEBENSWERK: Das lässt sich aber wahrscheinlich nicht so schnell beheben.
Bodo Janssen: Das stimmt, hier geht es in erster Linie um die Änderung der eigenen Einstellung. Ich musste mir eingestehen, dass meine Mitarbeiter Mittel zum Zweck waren, damit ich Gewinne einfahren oder mir ein großes Büro leisten konnte. Doch wer ist schon gerne das Mittel für irgendeinen Zweck? Und das wollte ich ändern. Also bin ich ins Kloster gegangen, und dort ging es um spirituelles Führen, ein schwieriger Begriff, vor zehn Jahren noch schwieriger als heute.
Dort beschäftigte ich mich intensiv mit dem Thema führen, da ging es zum Beispiel um Unterschiede der Führungsweisen in Bezug auf den Kontext oder auch den Menschen – nicht jeder kann in gleicher Weise geführt werden. Eine gute Führungskraft weiß das und ist in der Lage, jeden Mitarbeiter individuell zu führen. Heute handle ich in umgekehrter Weise: Ich sehe mich als Mittel zum Zweck dafür, dass es anderen Menschen gut geht.
LEBENSWERK: Haben Sie da ein konkretes Beispiel?
Bodo Janssen: Sogar zwei, ein positives und ein negatives. Ich habe einmal versucht, einen ehemaligen Marineoffizier mit klassischen Stuhlkreis-Methoden zu führen. Das hat natürlich überhaupt nicht funktioniert. Und dann hatte ich diese Mitarbeiterin, der ich ein ganzes Hotel mit Restaurant übergeben wollte. Sie hatte aber in der Gastronomie jenseits des Frühstücks keine Erfahrung und wollte sich das einfach nicht antun. Eine andere Führungskraft hätte vielleicht gesagt, machen Sie’s trotzdem. Ich habe aus dem Hotel mit Halbpension eines mit nur Frühstück gemacht – heute ist es eines der am besten laufenden Hotels der Gruppe. Daran sieht man aber auch einen anderen Aspekt guter Führung sehr gut: dass Unternehmen, die auf Vertrauen basieren, besser laufen als diejenigen, die auf Angst basieren.
LEBENSWERK: Das kann es aber nicht alleine sein?
Bodo Janssen: Nein, was meiner Meinung nach besonders wichtig ist, ist das Warum. Wenn die Mitarbeiter ein starkes Warum haben, dann stehen sie auch alles durch – dann wird auch mein Unternehmen resilient. Vor allem die junge Generation will das „Why“, das Geld interessiert sie oft nicht. Da kommt der Begriff der Work-Life-Balance auf, den ich aber nicht als richtig erachte.
LEBENSWERK: Sie sprechen eher von Work-Life-Blending. Was bedeutet das?
Bodo Janssen: Work-Life-Balance heißt für mich, dass ich auf der Arbeit nicht das erfahre, was mich erfüllt. Und es ist auch ein trauriger Begriff dafür, Arbeit und Leben voneinander zu trennen. Für mich stellt sich eher die Frage, wie man ein Unternehmen so gestaltet, dass das, was dort passiert, Leben genannt werden kann. Es geht also eher darum, Arbeit und Leben so ineinander fließen zu lassen, zu „verblenden“, und den Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben, sich ihren Fähigkeiten und Interessen entsprechend einzubringen und auch auf der Arbeit zu tun, was sie lieben. Wertschätzung spielt da also eine große Rolle. Das ist uns denke ich ziemlich gut gelungen, was sich vor allem während der Pandemie zeigte: Als Hotels nur zu 50 Prozent geöffnet waren, fuhren wir die stärksten Erfolge ein.
LEBENSWERK: Können Sie zum Schluss die Wirkung der Kehrtwende in Ihrem Unternehmen mit Zahlen unterfüttern?
Bodo Janssen: Das kann ich sehr gut, wobei ich aber vorwegnehmen will, dass diese Zahlen nicht mein Verdienst sind, sondern der Effekt der verschiedenen Begegnungen mit unterschiedlichen Menschen. Doch im Klartext: Der Anteil der Quereinsteiger liegt bei 50 Prozent – das wahrscheinlich ungewöhnlichste Beispiel ist ein Bankdirektor, der sich bei uns als Page beworben hat. Wie haben eine Kundenzufriedenheitsrate von über 90 Prozent und fahren die Gewinne ein, die ich mir von Anfang an gewünscht hatte. Nur mit viel zufriedeneren Mitarbeitern und damit auch Gästen. Auf der Personalseite müssen wir mittlerweile drei von vier Bewerbern absagen, und die Krankheitsquote liegt bei unter zwei Prozent. Die Zugehörigkeit zum Unternehmen liegt bei durchschnittlich siebeneinhalb Jahren, im Vergleich zum Branchendurchschnitt von eineinhalb Jahren. Den Fachkräftemangel kennen wir nur aus der Zeitung.
Abb. 1 Die vier Sätze zur Mitarbeiterführung von Pater Anselm Grün
Quelle: Eigene Darstellung
Bodo Janssen steht seit 2007 der Hotelgruppe Upstalsboom vor, dessen Führung er von seinem Vater übernahm, nachdem dieser bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. 2010 zeigte eine Umfrage zur Zufriedenheit der Mitarbeiter, dass sich die meisten einen anderen Chef wünschten – ein Grund für Janssen, sich mit dem Thema Führung zu beschäftigen und die Erkenntnisse im eigenen Unternehmen umzusetzen. Heute gehört die Hotelgruppe zu den beliebtesten Arbeitgebern der Branche und kann sich ihre Mitarbeiter im Gegensatz zu vielen Mitbewerbern aussuchen.