06.03.2025

KI und M&A-Deals: Umbruch oder schrittweise Veränderung?

Mario Pofahl, Partner und Head of Tech Group bei Linklaters in Hamburg, und Prof. Dr. Isabell Welpe von der Technischen Universität München (TUM) beleuchten die Auswirkungen von KI (Künstliche Intelligenz) auf Geschäftsmodelle und Unternehmensfusionen und -übernahmen. Sie beziehen sich dabei auf die Studie " AI as a driver for corporate transformation", die von Linklaters und der TUM durchgeführt wurde. Die Autoren erläutern, wie KI den Prozess revolutioniert, indem sie die Effizienz steigert und die Datenanalyse verbessert. Gleichzeitig müssen Fragen des Datenschutzes, interne Widerstände und technologische Herausforderungen bei der Implementierung überwunden werden. Klar ist: KI bietet erhebliches Potenzial zur Veränderung von Geschäftsmodelle und zum Erzielen von Wettbewerbsvorteilen, aber menschliche Expertise bleibt unverzichtbar.

Strategien & Visionen

1. Einführung

Künstliche Intelligenz wird Unternehmenstransaktionen in vielerlei Hinsicht verändern. Das ist ein wesentliches Ergebnis der Studie „AI as a driver for corporate transformation“, welche die Wirtschaftskanzlei Linklaters in Zusammenarbeit mit Isabell Welpe, Professorin an der Technischen Universität München, durchgeführt hat.

Die Studie untersucht, welche Auswirkungen die rasante Entwicklung von künstlicher Intelligenz auf Geschäftsmodelle und M&A-Transaktionen hat und welche Herausforderungen und Chancen sich daraus für Unternehmensjuristen und Wirtschaftsanwälte ergeben. Insgesamt wurden 236 Vorstände, Rechtsabteilungsleiter und -mitarbeiter sowie in M&A-Transaktionen involvierte Manager und Experten aus börsennotierten und großen mittelständischen Unternehmen befragt.

2. KI in vielen Bereichen noch in der Erprobungsphase

Das Anwendungsspektrum für moderne KI-Technologien ist breit, und der Einsatz von KI-Tools – entweder allein oder in Kombination mit anderen Technologien – nimmt in allen Unternehmensbereichen stark zu. Den Ergebnissen der Studie zufolge gewinnt die Integration von KI in den Geschäftsalltag deshalb zunehmend an strategischer Bedeutung. Allerdings: Die Erfahrungen mit KI fallen bei den Unternehmen sehr unterschiedlich aus. Die große Mehrheit der Unternehmen (81%) befindet sich noch in der Erprobungsphase, wobei 62% bereits in der Testphase sind und knapp 20% noch mit KI-Anwendungen experimentieren. Nur 1% der Unternehmen hat bestätigt, dass sie KI vollständig in ihre Geschäftsprozesse implementiert haben. Es fällt auf, dass Führungskräfte ein größeres Interesse an KI als ihre Mitarbeiter zeigen, was auf eine Diskrepanz bei der Akzeptanz und Nutzung hindeutet. Auf beiden Seiten besteht jedoch noch ein erhebliches Potenzial für die Entwicklung von Fähigkeiten im Umgang mit dieser Technologie.

Insgesamt zeigt die Umfrage eine positive Einstellung gegenüber KI: Die Unternehmen arbeiten aktiv an der Integration von KI und haben das Potenzial von KI erkannt. Die Mehrheit der Befragten glaubt, dass der Einsatz von KI die Produktivität steigern wird (68,4%) und dass sich die Arbeitsorganisation in den Unternehmen erheblich verändern wird (55,5%). Mehr als die Hälfte der Befragten sieht erhebliches Potenzial für Kosteneinsparungen (54,2%) und erwartet spürbare Verbesserungen bei der Qualität von Dienstleistungen und Produkten (52,2%) (s. Abb. 1).

Abb. 1 Die Mehrheit der Befragten erwartet durch KI Kostensenkungen, Produktivitätssteigerungen und Veränderungen in der Arbeitsorganisation. Ein geringerer Teil der Befragten erwartet Veränderungen in der strategischen Ausrichtung des Unternehmens.

Abb. Quelle: AI as a corporate driver of transformation, Studie von TUM und Linklaters LLP, 2024

Quelle: AI as a corporate driver of transformation, Studie von TUM und Linklaters LLP, 2024

3. KI als Treiber für die M&A-Transformation

Die Integration von KI in M&A-Transaktionen nehmen die Unternehmen durchweg als vorteilhaft wahr. Positive Auswirkungen werden erwartet im Hinblick auf die Effizienzsteigerung, Genauigkeit und Qualität der Ergebnisse und auf die strategische Entscheidungsfindung bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und der Erschließung neuer Märkte. Die Unternehmen erwarten schon zeitnah, dass Wirtschaftskanzleien KI in ihre Angebote integrieren, und erhoffen sich zum einen Kostensenkungen als auch die Möglichkeit, größere Datenräume in die Analysen einzubeziehen. Gleichzeitig bleibt die menschliche Expertise in komplexen Verhandlungen und Entscheidungsprozessen von zentraler Bedeutung.

Unternehmen nutzen KI bei M&A-Transaktionen bereits zur Automatisierung und Optimierung der kritischen Prozesse wie Due Diligence, Vertragsanalyse (Umgang mit großen Datenmengen) und Risikobewertung. Sie setzen zunehmend KI-Tools wie maschinelles Lernen, natürliche Sprachverarbeitung und robotergestützte Prozessautomatisierung ein. KI ist vor allem, aber nicht nur ein Werkzeug zur Effizienzsteigerung. Die immensen Chancen der Integration von KI reichen von der Automatisierung routinemäßiger Aufgaben über die Optimierung des Due-Diligence-Prozesses bis zur strategischen Neugestaltung ganzer Unternehmensmodelle.

Die Mehrheit der Befragten bestätigt das große Optimierungspotenzial für M&A: 84,2% der Teilnehmer erwarten erhebliche Auswirkungen in der Due Diligence, 87,1% sehen Erleichterungen bei der Risikobewertung sowie beim Compliance-Prozess und 79,6% erwarten mittlere bis große Verbesserungen beim Verhandlungsprozess. Weitere Verbesserungen werden bei der Entscheidungsfindung (83%), wichtigen Ressourcen (87,1%) und der Post-Merger-Integration (78,3%) gesehen (s. Abb. 2).

Abb. 2 Die Mehrheit der Befragten erwartet mäßige bis starke Veränderungen bei M&A-Aktivitäten durch KI

Abb. Quelle: AI as a corporate driver of transformation, Studie von TUM und Linklaters LLP, 2024

Quelle: AI as a corporate driver of transformation, Studie von TUM und Linklaters LLP, 2024

Obwohl die Digitalisierung und die Nutzung virtueller Datenräume das Datenvolumen, das bei M&A überprüft werden muss, erhöht haben, können KI-basierte Tools bereits heute große Mengen von rechtlichen und finanziellen Dokumenten prüfen, Daten nach relevanten Informationen filtern und schnell und effizient analysieren und Workflows optimieren. Die KI erkennt Muster, Anomalien und Risiken und verbessert die Datenanalyse, so dass beispielsweise eine effiziente Identifizierung potenzieller Compliance-Probleme möglich ist. Insgesamt werden Geschwindigkeit und Präzision bei M&A-Transaktionen verbessert.

4. Das „magische Dreieck“: Qualität, Zeit und Kosten in M&A-Transaktionen

Der verstärkte Einsatz von KI-Systemen in Zielunternehmen wird sich auch auf zukünftige M&A-Transaktionen auswirken. Im Einklang mit dem magischen Dreieck der modernen Unternehmenswelt (Qualität, Zeit und Kosten) wirken hier bestimmte Leitplanken zusammen, die M&A-Transaktionen direkt beeinflussen können.

Der Einsatz von KI bei Unternehmenstransaktionen führt zu deutlichen Kosteneinsparungen und effizienteren Abläufen, was zu einer schnelleren Transaktionsverarbeitung führt. Gleichzeitig beschleunigt KI die Entscheidungsfindung und unterstützt so die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und Erschließung neuer Märkte. Dennoch betonen alle Befragten, dass die Qualität der rechtlichen Arbeit trotz des Einsatzes von KI nicht leiden darf. KI kann nicht den gesamten Entscheidungsprozess ersetzen. Entscheidend sind hierbei sowohl die Qualität der Daten als auch eine gesicherte Überprüfung durch einen Experten.

Mandanten erwarten, dass die von externen Beratern genutzten KI-Tools von außergewöhnlich hoher Qualität, Zuverlässigkeit und Vertraulichkeit sind. Anwaltskanzleien sind verpflichtet, „digitales Vertrauen“ aufzubauen, um diese Ansprüche zu erfüllen. Im digitalen Zeitalter spielt (digitales) Vertrauen eine entscheidende Rolle. Es ist essenziell, dass Berater, einschließlich Anwaltskanzleien und interne Rechtsabteilungen, Transparenz wahren, die Nutzung von KI klar kommunizieren und die Grenzen dieser Technologien respektieren. Transparenz bei Daten oder Kosten stellt daher einen Vorteil für den Mandanten dar und kann als qualitativer Mehrwert gesehen werden.

5. Veränderte Rolle der Berater

Obwohl KI viele Standardprozesse effizienter und kostengünstiger machen kann, bleibt die sachkundige Beurteilung von Risiken und Ergebnissen durch erfahrene und hochspezialisierte Berater unerlässlich, um Fehleinschätzungen in der rechtlichen Beratung zu vermeiden. Es gibt jedoch eine wachsende Offenheit gegenüber dem Einsatz von KI in Transaktionsprozessen, wobei viele Teilnehmer den potenziellen Effizienzzugewinn als positiv hervorheben.

Die Studie ergibt auch, dass Unternehmen KI-Tools bislang nur in geringem Maße bei der Suche nach möglichen Targets verwenden. Sie bewerten die Erfahrung der M&A-Teams und die Investmentstory deutlich stärker als von KI-Tools durchgeführte Screenings. KI-Tools werden hier bislang für eine erste Recherche genutzt; die Arbeitsergebnisse werden aber ausschließlich durch Experten verifiziert und geprüft. Praktisch alle Befragten bezweifeln, dass das tiefe Verständnis der Experten von Transaktionen, Verhandlungen oder Markt durch KI ersetzt wird.

6. Herausforderungen für KI-getriebene Innovationen

Wenn es um die Einführung von KI geht, sehen sich die Unternehmen mit zahlreichen Hürden konfrontiert. Die erfolgreiche Implementierung von KI in M&A verlangt zunächst eine stabile IT-Infrastruktur und qualitativ hochwertige Daten. Nur durch eine sorgfältige Integration in bestehende Prozesse und Systeme kann eine effiziente Nutzung der Technologie gewährleistet und die Einhaltung regulatorischer Vorgaben sichergestellt werden. Viele Firmen kämpfen jedoch mit fragmentierten IT-Landschaften und unstrukturierten Datenbanken, Datensilos erschweren den Zugang zu wesentlichen Informationen. Unterschiedliche Datenformate behindern zusätzlich den standardisierten Einsatz von KI. Diese teils über Jahrzehnte gewachsenen Infrastrukturen erschweren erheblich die Integration und Nutzung von KI-basierten Lösungen.

Der Datenschutz stellt ebenfalls eine erhebliche Hürde dar, 60% der Befragten äußerten hierzu ihre Bedenken. 51% sehen Rechtsunsicherheiten und 44% ethische Fragen als besondere Herausforderungen. Der Widerstand durch Betriebsräte (42%) und Bedenken bezüglich Diskriminierung (36%) sind weitere Hemmnisse (s. Abb. 3). Unternehmen müssen ihre internen Strukturen an die neuen Technologien anpassen und gleichzeitig strenge Datenschutzbestimmungen einhalten, insbesondere in Deutschland, wo diese Regelungen als Innovationsbremse wahrgenommen werden. Daher erfordert die Umstellung eine detaillierte und sorgfältige Planung und Umsetzung, um den gesetzlichen Vorgaben und unternehmensinternen Standards gerecht zu werden.

Abb. 3 Die größten Bedenken der Teilnehmer beziehen sich auf Datenschutz, rechtliche Unsicherheiten und ethische Fragen, wenn sie über die Einführung von KI nachdenken.

Abb. Quelle: AI as a corporate driver of transformation, Studie von TUM und Linklaters LLP, 2024

Quelle: AI as a corporate driver of transformation, Studie von TUM und Linklaters LLP, 2024

Intern stoßen KI-Implementierungen häufig auf Widerstand, der auf Wissenslücken und kognitive Ermüdung zurückzuführen ist. Mitarbeiter sind nicht immer bereit, neue Technologien zu akzeptieren, was die Einführung erschwert. Der effiziente Einsatz von KI erfordert daher nicht nur technische Anpassungen, sondern auch Maßnahmen zur Überwindung interner Widerstände und zur Schulung der Belegschaft.

7. Die Zukunft ist KI

Die Studie verdeutlicht, dass KI heute schon M&A-Prozesse erheblich verbessert. KI bietet Unternehmen strategische Chancen durch mehr Effizienz, höhere Schnelligkeit und verbesserte Datenanalyse. Die Teilnehmer der Studie schätzen, dass KI großes Potenzial hat, M&A-Transaktionen weiter zu transformieren und den Prozess intelligenter und zukunftsorientierter zu gestalten. Sie betrachten KI daher als bedeutenden Werttreiber, der langfristig zu Umsatzsteigerungen und höheren Gewinnen beiträgt. Darüber hinaus ermöglicht KI die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und Geschäftsfelder. Unternehmen, die KI frühzeitig integrieren und effektiv einsetzen, können Wettbewerbsvorteile erlangen, indem sie anpassungsfähiger auf dynamische Marktbedingungen reagieren.

KI-Technologie wird zwar als entscheidend für die Maximierung von Automatisierung, Effizienzsteigerung und strategischer Entscheidungskompetenz angesehen. Aber KI wird nicht den gesamten strategischen Entscheidungsprozess ersetzen. Gerade bei komplexen Fusionen und Übernahmen bedarf es weiterhin der Erfahrung und Seniorität hochspezialisierter Berater.

Weiter in die Zukunft gedacht, könnte KI sogar eine revolutionäre Rolle für M&A-Prozesse spielen. Beispielsweise werden KI-gestützte Systeme in der Vertragsanalyse und -zusammenfassung nicht nur große Mengen an juristischen Dokumenten in kürzester Zeit analysieren, sondern auch Risiken identifizieren und Entscheidungsgrundlagen in Form von Empfehlungen erstellen. Denkbar ist auch, das KI als Live-Unterstützung bei Verhandlungen dienen könnte. In Echtzeit könnten Kompromissvorschläge unterbreitet und Wording-Optionen für Vertragsklauseln bereitgestellt werden, um schneller zu einer einvernehmlichen Lösung zu gelangen.

Für die verschiedenen Verhandlungstaktiken könnte die KI künftig Szenarien entwickeln und Verhandlungsergebnisse mit hoher Genauigkeit vorhersagen. Darüber hinaus könnte die KI Strategien auf der Grundlage des Verhaltens und der Präferenzen der beteiligten Parteien anpassen. Auch verbesserte Funktionen der emotionalen Intelligenz in der KI würden die Verhandlungslandschaft erheblich verändern. Präzisere und informiertere Entscheidungsfindungen werden die Qualität und Geschwindigkeit der M&A-Transaktionen enorm verbessern.

Aktuelle KI-Anwendungen in M&A bieten den Unternehmen bereits heute deutliche Vorteile. Eine ambitionierte Zukunftsvision für M&A-Prozesse ist daher eine zentrale KI-Anwendung, die M&A-Juristen anstelle der vielen spezialisierten KI-Tools einsetzen könnten. Je vielfältiger die eingesetzten Tools heute noch sind, desto aufwändiger gestaltet sich die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorschriften.

Schon jetzt sind sich die Marktteilnehmer einig: KI hat das transformative Potenzial, um die Transaktionsmethoden in Zukunft neu zu definieren. Wenn Unternehmen den Status quo mit futuristischen Visionen zu verbinden wissen, dann gelingt in einer zunehmend datengetriebenen Wirtschaft auch der Übergang in eine neue Ära von KI-gesteuerten – agilen und intelligenten – M&A-Prozessen.

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