M&A im Sektor Lebensmittel & Getränke – Themen und Trends
M&A-Transaktionen im Bereich Food & Beverages (F&B) hatten es in den letzten Jahren schwer. Jedoch: Der negative Trend ist gebrochen. Welche rechtlichen Themen sollten jetzt – bei aller Euphorie – bei Deals nicht aus dem Blickfeld geraten?
2023 war kein gutes Jahr für Fusionen und Übernahmen in der europäischen Lebensmittel-, Getränke- und Landwirtschaft. Das Transaktionsvolumen ging im gesamten Jahr um 18,7% zurück, der Rückgang in der zweiten Jahreshälfte war mit einem Minus von 28,3% am stärksten ausgeprägt.1 Doch kann die Branche mittlerweile wieder Hoffnung schöpfen? 2024 entspricht bislang von dem Niveau der Fusionen und Übernahmen in etwa 2019, einem Jahr, das weder von COVID-19 noch von besonderer Inflation betroffen war.2 Vier Gründe sind Grundlage für vorsichtigen Optimismus für die Zukunft:
(i) Der Druck der Kosteninflation hat nachgelassen. Die hart geführten Preisverhandlungen zwischen Markenherstellern und Einzelhändlern lassen in ihrer Intensität langsam nach,3 die Branche hatte Zeit, um Lieferketten zu stärken und Preissteigerungen zu verkraften.4 Das weckt den Appetit strategischer Interessenten.5
(ii) M&A-Berater berichten zudem, dass die Bewertungen der Unternehmen des Lebensmittel- und Getränkesektors (mit Ausnahme der Agrarwerte) nach einem Rückgang im Jahr 2023 wieder Halt gefunden haben.6
(iii) Ferner begründen Ernährungstrends und Veränderungen im Verbraucherverhalten (z.B. der Trend zu pflanzlicher Ernährung, die Zunahme von Handelsmarken) weiterhin Chancen, durch Fusionen und Übernahmen ein erhebliches Marktwachstum zu erzielen.7
(iv) Und schließlich ist aus dem Markt zu vernehmen, dass die großen Lebensmitteleinzelhändler vermehrt in die Vertikalisierung, das heißt die Produktion und Lieferketten investieren.8
Die Lebensmittel- und Getränkeindustrie hat vor diesem Hintergrund in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen steigende M&A-Aktivitäten erlebt9, und auch wenn es weiterhin Herausforderungen gibt, deuten diese Faktoren auf eine weiterhin günstigere Entwicklung hin.
2. Themen von besonderer Bedeutung10
Anlässlich dieses Aufschwungs wollen wir einen Blick auf einige rechtliche Themen werfen, die für jede M&A-Transaktion, ob Asset oder Share Deal, wichtig sind. Selbstverständlich kann dabei nur eine Auswahl von Themen angesprochen werden, die vom Autor nach subjektiver Wahrnehmung und ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit zusammengestellt wurde.
2.1 Investitionskontrolle
Die sogenannte Investitionskontrolle nach dem Außenwirtschaftsgesetz (AWG) und der dazugehörigen Außenwirtschaftsverordnung (AWV) spielt bei M&A-Transaktionen in nahezu allen Industriesektoren eine zunehmende und mittlerweile sehr wichtige Rolle.11 Verschiedene Gesetzesnovellen in den letzten Jahren haben den Anwendungsbereich dieser Regelungen maßgeblich ausgeweitet, die prozessualen Vorgaben wurden vielfältig geändert, die Sanktionen bei Nichtbeachtung verschärft und vor allem die praktischen Aufgriffsschwellen durch das zuständige Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz deutlich abgesenkt.12 Das gilt insbesondere auch für M&A-Transaktionen im F&B-Bereich.
Nach § 55a Abs. 1 Nr. 1 AWV kann und wird bei der Prüfung einer voraussichtlichen Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit zum Schutz der Versorgungssicherheit der Bundesrepublik Deutschland insbesondere berücksichtigt werden, ob das deutsche Unternehmen Betreiber einer sogenannten „kritischen Infrastruktur“ ist. Damit soll erreicht werden, dass die versorgungsrelevantesten Infrastrukturen (sog. „Schlüsselinfrastrukturen“) vor Beeinträchtigungen oder Ausfällen geschützt werden. Um zu bestimmen, was kritische Infrastrukturen sind, wird auf die Definitionen und Regelungen des Gesetzes über das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSIG) und der dazugehörigen Verordnung zur Bestimmung Kritischer Infrastrukturen nach dem BSI-Gesetz (BSI-KritisV) zurückgegriffen.
Im Ernährungssektor stellt die Versorgung der Allgemeinheit mit Lebensmitteln eine kritische Dienstleistung dar (vgl. § 4 Abs. 1 BSI-KritisV). Mit Lebensmitteln sind im Rahmen der Investitionskontrolle alle Produktgruppen zur Versorgung der Bevölkerung mit Speisen und Getränken (mit Ausnahme von alkoholischen Getränken) gemeint. Zusätzlich sind bei der Lebensmittelproduktion und -verarbeitung auch die Vor- und Rohproduktion und unter anderem auch Nahrungsergänzungsmittel eingeschlossen. Der Erwerb einer Beteiligung an einem Lebensmittelhersteller ist daher – vorbehaltlich der Schwellenwerte – meldepflichtig, sobald 10% der Stimmrechte erreicht oder überschritten werden (vgl. § 55a Abs. 4, § 56 Abs. 1 Nr. 1 AWV). Wird die Meldung nach § 55a Abs. 4 AWV unterlassen, stellt das keine Ordnungswidrigkeit dar. Vielmehr steht nach § 15 Abs. 2 AWG das schuldrechtliche Erwerbsgeschäft unter einer auflösenden Bedingung der Genehmigung, und der Erwerb darf gemäß § 15 Abs. 3 AWG nicht vollzogen werden (Vollzugsverbot). Wird dem Vollzugsverbot zuwidergehandelt, stellt das eine Straftat nach § 15 Abs. 4 AWG i. V. m. § 18 Abs. 1b AWG dar.13
Häufig wird es aber am Erreichen der maßgeblichen quantitativen Schwellenwerte mangeln. Für das Erreichen der Schwellenwerte kommt es ausschließlich auf die umgeschlagene beziehungsweise in Verkehr gebrachte Menge Lebensmittel beziehungsweise alkoholfreie Getränke an, sodass es keine Rolle spielt, ob und in welchem Umfang darüber hinaus auch andere Produkte hergestellt oder vertrieben werden. Nach Teil 3 Anhang 3 zur BSI-KritisV liegen diese aktuell für hergestellte Lebensmittel (außer Getränke) bei 434.500 Tonnen/Jahr beziehungsweise für hergestellte Getränke (außer Getränke mit einem Alkoholgehalt von mehr als 1,2 Volumenprozent) bei 350.000.000 Liter/Jahr. Trotz dieser hohen Schwellenwerte gibt es nach einer Schätzung des BMI immerhin circa 150 Betreiber kritischer Infrastrukturen im Ernährungssektor.14
Zudem wird durch § 55a Abs. 1 Nr. 27 AWV auch die Bewirtschaftung einer landwirtschaftlichen Fläche von mehr als 10.000 Hektar erfasst, was der Fläche von circa 150 durchschnittlichen landwirtschaftlichen Betrieben in Deutschland entspricht.15 Auch hier versucht der deutsche Gesetzgeber die Nahrungsmittelsicherheit im Sinne einer Nahrungsmittelversorgungssicherheit zu schützen,16 und entsprechende Transaktionen sind meldepflichtig.
2.2 Lieferkettensorgfalt
Das Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten (Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, LkSG), das seit Anfang 2023 in Kraft ist, dient nach dem Willen des Gesetzgebers „der Verbesserung der internationalen Menschenrechtslage“.17 Zu diesem Zweck werden im Inland ansässigen Unternehmen Sorgfaltspflichten zum Schutz international anerkannter Menschenrechte im eigenen Handeln und in der Lieferkette auferlegt. Der Menschenrechtsschutz soll damit nicht mehr allein staatliche Aufgabe, sondern auch Verantwortung von Unternehmen sein. Zugleich soll es auf diesem Weg für faire Wettbewerbsbedingungen sorgen.18
Das LkSG verlangt von den Unternehmen keine Garantien, das Gesetz erlegt ihnen lediglich „angemessene“ Bemühens- und Sorgfaltspflichten auf.19 Was dabei angemessen ist, hängt gemäß § 3 Abs. 2 LkSG von der Geschäftstätigkeit des Unternehmens, seinem tatsächlichen Einflussvermögen, der Schwere und Umkehrbarkeit der Verletzung und der Art des eigenen Verursachungsbeitrags ab.20
Die sich aus dem LkSG ergebenden Sorgfaltspflichten werden dabei mit den Mitteln des öffentlichen Rechts durchgesetzt (sog. Public Enforcement). Der Gesetzgeber hat sich mit den §§ 14 ff. LkSG für behördliche Kontrollen und Durchsetzung entschieden: Nach § 14 I Nr. 1 LkSG kann die zuständige Behörde (das ist nach § 19 LkSG das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA)), von Amts wegen (oder auf Antrag) tätig werden, um die Einhaltung der Sorgfaltspflichten zu kontrollieren sowie Verstöße festzustellen, zu beseitigen oder zu verhindern. Bestimmte Verstöße gegen die gesetzlichen Sorgfaltspflichten sind zudem als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld bewehrt. Gegen juristische Personen und Personenvereinigungen können Geldbußen von bis zu 8 Mio. EUR verhängt werden. Und selbst hierüber geht § 24 Abs. 3 LkSG bei einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als 400 Mio. EUR hinaus: In diesem Fall können Verstöße mit Geldbußen in Höhe von bis zu 2% des durchschnittlichen weltweiten Jahresumsatzes geahndet werden. Zudem können nach Maßgabe von § 22 LkSG Unternehmen bei einer Verletzung ihrer Sorgfaltspflichten von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden. Das alles macht deutlich, dass eine Beschäftigung mit der Lieferkettensorgfalt in jeder M&A-Transaktion Teil der obligatorischen Due Diligence sein sollte.
Das gilt selbstverständlich auch für Transaktionen im Bereich F&B. Und die Bedeutung der Lieferkettensorgfalt – auch im Bereich F&B – wird zukünftig weiter zunehmen. Denn das EU-Parlament hat dem sogenannten „EU-Lieferkettengesetz“, konkret der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD), zugestimmt.21 In einer stufenweisen Anwendung wird das Gesetz EU-Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitenden und mindestens 450 Mio. EUR Umsatz verpflichten, menschenrechtliche und bestimmte umweltbezogene Risiken in ihren Wertschöpfungsketten zu ermitteln, Präventions- und Abhilfemaßnahmen zu ergreifen und darüber zu berichten. Die CSDDD geht in einigen Bereichen über das seit Januar 2023 geltende deutsche Lieferkettengesetz hinaus22 und sah in der Entwurfsfassung unter anderem sogenannte Hochrisikobranchen vor, für die verschärfte Regelungen gelten – grob gesprochen war dies neben der Textilindustrie und der Mineralgewinnung auch die Lebensmittelbranche. Zwar wurde dieser Ansatz in der finalen Fassung auf Druck der Mitgliedstaaten gelöscht, um im Ergebnis den Anwendungsbereich der Richtlinie zu beschränken. Dennoch zeigt dies, dass die Lebensmittelbranche in den Augen des europäischen Gesetzgebers als eine Risikobranche anzusehen ist, was verstärkte Sorgfaltspflichten der Unternehmen in diesem Bereich nach sich ziehen wird.
2.3 „Greenwashing“ und „Social Washing“
Den Begriff des Greenwashing gibt es schon lange,23 und auch in rechtlicher Hinsicht wird das Thema schon länger diskutiert beziehungsweise Streitigkeiten darüber vor den Gerichten ausgefochten. In der Sache geht es um „Schönfärberei“ von umweltbezogenen Tatsachen beziehungsweise Aussagen.24 Und solche Aussagen werden auch vielfach in Bezug auf Produkte aus dem Bereich F&B zu Marketingzwecken verwendet, sei es, dass es um die (vermeintliche) CO2-/Klimaneutralität der Produkte beziehungsweise des Herstellers oder die Recyclingfähigkeit der Verpackungen geht. Das von den Gerichten und inzwischen auch dem europäischen Richtlinien-Geber missbilligte Ziel des Greenwashings ist es, auf die Vorstellungen des potenziellen Käufers mit irreführenden oder falschen Aussagen einzuwirken, um hierdurch ein Produkt, eine Leistung oder ein Unternehmen besser aussehen zu lassen, als dies den Tatsachen entspricht. Dabei sind bei der „Schönfärberei“ nicht nur umweltschutzbezogene Themen betroffen, sondern zunehmend auch Fragen von Menschenrechten (sog. „Social Washing“) und guter Unternehmensführung.25
In dieser Hinsicht sind (derzeit) noch keine allgemeinen rechtlichen Regelungen für entsprechende „grüne“ Werbeclaims in Kraft, wenn man von sehr spezifischen EU-Spezialregelungen wie Öko-VO, EnVerbrKennzVO und der weiter unten betrachteten Health-Claims-Verordnung absieht.26 Folglich gilt allgemeines Wettbewerbsrecht, und hiernach sind Werbeclaims unzulässig, wenn
(i) sie gegen eine konkrete Marktverhaltensregelung verstoßen und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen (§ 3a UWG)27 oder
(ii) sie irreführend und dazu geeignet sind, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte (§§ 5, 5a UWG), weil der Claim faktisch falsch ist oder wenn der Claim missverständlich ist oder wenn dabei wesentliche Informationen vorenthalten werden.28
Da der Anwendungsbereich dieser Vorgaben sowohl den Bereich B2B als auch B2C umfasst und grundsätzlich ein rein zivilrechtliches Verfahren mit den üblichen, nicht zu vernachlässigenden UWG-Sanktionen (Unterlassung, Schadensersatz, usw.) droht29 und – vor allem – weil seit einigen Jahren strategisch von Verbänden (z. B. WBZ, VZBV, DUH) initiierte Verfahren bezüglich solcher Claims zu „Klimaneutralität“ drohen, sollten die (wesentlichen) Produkte und Claims des Zielunternehmens im Rahmen der Due Diligence auf entsprechend problematische Claims hin untersucht werden.
Dies gilt umso mehr, als am 26. März 2024 die Richtlinie (EU) 2024/825 zur Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel (in Englisch: „Empowering Consumers for the Green Transition“, kurz: EmpCo-Richtlinie) in Kraft getreten ist, die ab 2026 Anwendung finden wird. Sie bezweckt nach dem Willen des Richtliniengebers die Stärkung der Verbraucherrechte und enthält vor allem eine Reihe von (neuen) unzulässigen Geschäftspraktiken in Bezug auf Umwelt- und Nachhaltigkeitswerbung beziehungsweise Werbung mit sozialen Aspekten (Social Claims), auch in der sogenannten „schwarzen Liste“.
Danach werden zukünftig unter anderem folgende Geschäftspraktiken ausdrücklich unzulässig sein:
(i) Umweltaussagen über die künftigen Umweltleistungen, ohne dass das jeweilige Unternehmen hierzu „klare, objektive und überprüfbare, öffentlich verfügbare Verpflichtungen“ getroffen hat (Bsp.: „klimaneutral bis 2050“)
(ii) Bewerbung von irrelevanten Vorteilen, die (ohnehin) nicht aus dem Produkt oder dem Unternehmen herrühren (Bsp.: glutenfreies Wasser oder plastikfreie Papiertücher)
(iii) Anbringen eines Nachhaltigkeitssiegels, das nicht auf einem Zertifizierungssystem beruht oder nicht von staatlichen Stellen festgesetzt wurde
(iv) allgemeine Umweltaussagen, ohne dass der Gewerbetreibende die anerkannte hervorragende Umweltleistung, auf die sich die Aussage bezieht, nachweisen kann
(v) Umweltaussagen zum gesamten Produkt oder der gesamten Geschäftstätigkeit des Gewerbetreibenden, wenn sie sich nur auf einen bestimmten Aspekt des Produkts oder eine bestimmte Aktivität der Geschäftstätigkeit des Gewerbetreibenden bezieht
(vi) Aussagen, die sich auf der Kompensation von Treibhausgasemissionen begründen, aber implizieren, dass das Produkt hinsichtlich der Treibhausgasemissionen neutrale, verringerte oder positive Auswirkungen auf die Umwelt hat
(vii) Die Präsentation von Anforderungen, die kraft Gesetzes für alle Produkte in der betreffenden Produktkategorie auf dem Unionsmarkt gelten, als Besonderheit des Angebots des Gewerbetreibenden
(viii) falsche Behauptungen, dass eine Ware unter normalen Nutzungsbedingungen eine bestimmte Haltbarkeit hinsichtlich der Nutzungszeit oder -intensität hat
(ix) die Präsentation einer Ware als reparierbar, wenn sie es nicht ist.
Diese deutlich verlängerte und spezifizierte Liste von ausdrücklich unzulässigen Geschäftspraktiken wird vermutlich zu häufigeren Klagen seitens der Verbraucher, aber vor allem auch der (professionellen) Verbraucherschutz- und Klageorganisationen führen.
Aber auch jenseits dieser neuen Richtlinie ist der europäische Gesetzgeber nicht untätig geblieben. Kürzlich wurde ein Entwurf einer Richtlinie über die Begründung ausdrücklicher Umweltaussagen und die diesbezügliche Kommunikation (kurz: Richtlinie über Umweltaussagen/Green-Claims-Richtlinie) veröffentlicht,30 der nach der Europawahl von den EU-Institutionen im sogenannten „Trilogverfahren“ voraussichtlich weiter verhandelt werden wird. Zudem werden die Unternehmen im F&B-Bereich derzeit auch den Entwurf einer Ökodesign-VO verfolgen, die die Ökodesign-RL ersetzen und die Kreislaufwirtschaft stärken soll,31 sowie den Entwurf einer Verpackungs-VO (EU-VerpackV), deren Ziel es ist, die Recyclingmöglichkeiten von Verpackungen zu verbessern.32 Auch diese Aspekte sollten bei einer umfassenden Due Diligence nicht unbeachtet bleiben.
2.4 Irreführende Werbung und Health-Claims-Verordnung
Neben den allgemeinen Irreführungsverboten gemäß §§ 5, 5a UWG (vgl. oben) sowie der VO (EU) 1169/2011 (Lebensmittel-Informations-VO, LMIV) und der RL 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung spielt auch die sogenannte Health-Claims-Verordnung („HCVO“) bei der Bewerbung von Lebensmitteln mit nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben eine wichtige Rolle. Nährwertbezogene Angaben sind dabei solche, die besondere Nährwerteigenschaften von Lebensmitteln beschreiben (z.B. „zuckerfrei“, „reich an Vitamin C“). Gesundheitsbezogene Angaben stellen einen Zusammenhang mit einem Lebensmittel beziehungsweise dessen Bestandteilen und der menschlichen Gesundheit her (z.B. „Calcium wird für die Erhaltung normaler Knochen benötigt“).
Gesundheitsbezogene Angaben dürfen nur verwendet werden, wenn sie ein gesetzlich vorgeschriebenes Zulassungsverfahren erfolgreich durchlaufen haben. Nährwertbezogene Angaben müssen die im Anhang der Health-Claims-Verordnung festgelegten Bedingungen erfüllen.33 Ganz allgemein dürfen nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben „nicht falsch, mehrdeutig oder irreführend“ sein. Dieses Irreführungsverbot wird in der HCVO noch weiter konkretisiert: Die Verwendung nährwert- und gesundheitsbezogener Angaben ist nur zulässig, wenn die ausgelobte positive ernährungsbezogene oder physiologische Wirkung anhand allgemein anerkannter wissenschaftlicher Nachweise verbürgt ist.
Rechtliche Diskussionen zu diesem Thema beziehen sich dabei häufig auf die vorgelagerte Frage, ob eine gesundheitsbezogene Abgabe i.S.d. Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 HCVO gegeben ist34 oder bloß eine nach allgemeinen Grundsätzen zu bewertende Aussage zur „Beschaffenheit“.
So wurde die Bewerbung von Lebensmitteln als „Fatburner” als gesundheitsbezogene Aussage gewertet,35 so dass folglich die ausgelobte positive Wirkung anhand allgemein anerkannter wissenschaftlicher Nachweise nachzuweisen war. Gleiches gilt für die häufig zu findende Bezeichnung als „probiotisch”,36 so dass daher auch hier die Fähigkeit, die natürliche Darmfunktion und die Abwehrkräfte zu stimulieren, nachweisbar sein muss. Aber selbst die Bezeichnung als „bekömmlich” kann im Einzelfall und insbesondere aufgrund des konkreten Zusammenhangs schon als gesundheitsbezogen zu beurteilen sein,37 ebenso wie die Wortschöpfung „magenschön”.38 Denn diese Begriffe wecken bei einem durchschnittlichen Verbraucher die Vorstellung, dass das so bezeichnete Produkt eine positive Wirkung auf den Magen hat und damit das Wohlbefinden des Konsumenten verbessert.39 Diese Beispiele zeigen, dass aufgrund der Health-Claims-Verordnung bei der Wahl des Produktnamens und der Marketingstrategie besondere Vorsicht geboten ist und sie auch im Rahmen der Due Diligence nicht außer Acht gelassen werden sollte.
Daneben ist die Health-Claims-Verordnung aber in bestimmten Fällen auch noch aus einem anderen Grund im Bereich F&B von Bedeutung. Denn sie fordert bei Nahrungsergänzungsmitteln, nährwert- oder gesundheitsbezogene Angaben zu ergründen und diese jederzeit den zuständigen Behörden vorlegen zu können. Das wird in der Praxis ganz überwiegend durch vorheriges Anlegen einer entsprechenden Produktakte sichergestellt,40 was im Rahmen der regulatorischen Due Diligence bezüglich der Einhaltung der Vorgaben des „Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch“ (LFGB) und gegebenenfalls einschlägiger Spezialgesetze zu überprüfen wäre.
1 Zahlen und Trends nach MCF Corporate Finance, Consumer M&A: Food, Beverage & Agriculture – Q1 2024 Industry Update, veröffentlicht auf www.mcfcorpfin.com/news/ma-insights-food-beverage-agriculture-q1-2024/#:~:text=M%26A%20Pi-cking%20up%20in%20the,compared%20to%20486%20in%202022 (zuletzt abgerufen am 31. Mai 2024); vgl. dazu auch Kroll, Food and Beverage Industry Insights – Spring 2024, veröffentlicht auf www.kroll.com/en/insights/publications/m-and-a/food-and-beverage-ma-landscape-spring-2024 (zuletzt abgerufen am 31. Mai 2024).
2 Nach MCF Corporate Finance, a.a.O.
3 „Rewe verspricht das Ende der Preisexplosion“, veröffentlicht am 12. April 2024 auf welt.de, vgl. aber noch „Milka wird bei Rewe knapp“, veröffentlicht am 2. Mai 2024 auf lebensmittelzeitung.net (jeweils zuletzt abgerufen am 31. Mai 2024).
4 So MCF Corporate Finance, a.a.O.
5 Vgl. MCF Corporate Finance, a.a.O.; Kroll, a.a.O.
6 Ebenso MCF Corporate Finance, a.a.O.
7 So MCF Corporate Finance, a.a.O.
8 Vgl. hierzu: „Handelskonzerne nehmen Winkels ins Visier“, veröffentlicht am 26. Januar 2024 auf lebensmittelzeitung.net (zuletzt abgerufen am 31. Mai 2024); „Rewe will Produktion stärken“, veröffentlicht am 3. Mai 2024 auf lebensmittelzeitung.net (zuletzt abgerufen am 31. Mai 2024).
9 Kroll, a.a.O.; MCF Corporate Finance, a.a.O.
10 Ich danke meinen Kolleginnen und Kollegen Dr. Sebastian Hack, Dr. Martin Soppe, Marina Fröhlich, Louisa Hartig und Sarah Bohn für wertvolle Hinweise und Korrekturen.
11 Vgl. statt vieler Röhling/Stein, in: Röhling/Stein, Recht der Investitionskontrolle, 1. Aufl. 2024, Einleitung Rn. 77 ff.; Niggemann, in: Hasselbach/Nawroth/Rödding, Beck‘sches Holding-Handbuch, 3. Aufl. 2020, Teil G Rn. 132 ff.
12 Vgl. dazu statt vieler Röhling/Stein, in: Röhling/Stein, Recht der Investitionskontrolle, 1. Aufl. 2024, Einleitung Rn. 9 ff.
13 BeckOK, AußenWirtschaftsR/Niestedt, 11. Ed. 1.2.2024, AWV § 55a Rn. 42.
14 Begründung zur BSI-KritisV, Seite 4, abzurufen unter www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichun-gen/2016/kritis-vo.pdf;jsessionid=939C338273D5550EDD978A7DAB1080C6.live882?__blob=publicationFile&v=2 (zuletzt abgerufen am 2. Juni 2024); Röhling/Salaschek, in: Röhling/Stein, Recht der Investitionskontrolle, 1. Auflage 2024,
§ 55a Rn. 24, gehen von einem etwas höheren Wert von 230 aus.
15 Nach Barth/Käser: Erneute Novellierung der deutschen Investitionskontrolle, NZG 2021, 813, 817.
16 Barth/Käser: Erneute Novellierung der deutschen Investitionskontrolle, NZG 2021, 813, 817
17 Gesetzesbegründung, BT-Drs. Drucksache 19/28649, S. 1; Sagan/Schmidt, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, NZA-RR 2022, 281, 282.
18 Gesetzesbegründung, BT-Drs. Drucksache 19/28649, S. 2.
19 Sagan/Schmidt, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, in: NZA-RR 2022, 281, 282.
20 Gesetzesbegründung, BT-Drs. Drucksache 19/28649, S. 42; Sagan/Schmidt, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, in: NZA-RR 2022, 281, 282.
21 Bremer, Neuere Entwicklungen in Brüssel, NZG 2024, 673 Rn. 4.
22 Vgl. dazu Jürss/Schuler, Pflichten und Sanktionen des LkSG: Eine Systematisierung, in: ESG 2024, 90, 97; insbes. ist dort eine zivilrechtliche Haftung vorgesehen.
23 Nach Schwarz/Schieffer, Greenwashing – Ermittlung von Greenwashing-Vorwürfen, in: CCZ 2022, 345, 345, wurde dieser Begriff bereits 1986 in einem Essay des renommierten Umweltschützers Jay Westerveld verwendet.
24 Nach Schwarz/Schieffer, Greenwashing – Ermittlung von Greenwashing-Vorwürfen, in: CCZ 2022, 345, 345; Soppe/Fuchs, Greenwashing – Ein aktuelles Thema für Rechtsprechung und Rechtsetzung, in: WRP 2022, 1338 Rn. 5, sprechen zutreffend von „Grünfärberei“.
25 Schwarz/Schieffer, Greenwashing – Ermittlung von Greenwashing-Vorwürfen, in: CCZ 2022, 345, 345.
26 Hierzu Soppe/Fuchs, Greenwashing – Ein aktuelles Thema für Rechtsprechung und Rechtsetzung, in: WRP 2022, 1338 Rn. 7.
27 Soppe/Fuchs, Greenwashing – Ein aktuelles Thema für Rechtsprechung und Rechtsetzung, in: WRP 2022, 1338 Rn. 9.
28 Hierzu ausführlich Soppe/Fuchs, Greenwashing – Ein aktuelles Thema für Rechtsprechung und Rechtsetzung, in: WRP 2022, 1338 Rn. 11 ff.
29 Darüber hinaus kommen im Hinblick auf ESG-Verhältnisse auch die unrichtige Darstellung im Jahresabschluss bzw. im Lagebricht nach §§ 331 HGB sowie die unrichtige Darstellung von Verhältnissen der Gesellschaft gegenüber der Hauptversammlung bzw. gegenüber dem Abschlussprüfer nach § 400 AktG in Betracht, zudem kann, soweit ESG-bezogene Tatsachen Insidertatsachen darstellen, darüber hinaus an Straftaten und Ordnungswidrigkeiten nach §§ 119 und 120 WpHG in Verbindung mit der EU-Marktmissbrauchsverordnung gedacht werden, hierzu Schwarz/Schieffer, Greenwashing – Ermittlung von Greenwashing-Vorwürfen, in: CCZ 2022, 345, 345.
30 Veröffentlicht am 22. März 2023 durch die Kommission und im März 2024 durch das EU-Parlament mit Änderungsvorschlägen versehen; hierzu ausführlich Göckler/Rosenow, Die EU-Regelungsvorhaben zu nachhaltigkeitsbezogener Werbung, in: GRUR 2024, 331ff.
31 Hierzu gab es eine politische Einigung im Rat im Dezember 2023 und eine Annahme im Parlament im April 2024, die formale Annahme durch den Rat steht noch aus, das Inkrafttreten ist geplant für Q2/2024; dazu Burchert/Weber, EU-Ökodesign-Verordnung – Verschärfungen durch das Europäische Parlament?, in: ESG 2023, 104ff.
32 Auch hierzu gab es eine politische Einigung zwischen Rat und Parlament im März 2024 und eine Annahme im Parlament im April 2024, die formale Annahme durch den Rat steht noch aus; hierzu ausführlich Bachmann/Rung, Von der EU-Verpackungsverordnung bis zur kommunalen Verpackungssteuer, in: NVwZ 2023, 1616ff.
33 Vgl. auch Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft – Nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben bei Lebensmitteln – Die Health-Claims-Verordnung, veröffentlicht auf www.bmel.de/DE/themen/ernaehrung/lebensmittel-kennzeichnung/pflichtangaben/
naehrwertinformationen-health-claims.html (zuletzt abgerufen am 31. Mai 2024).
34 Reinhart, Münchner Spätlese 2022 – Rechtsprechungsübersicht zur Health Claims-Verordnung, in: LMuR 2023, 536, 537.
35 LG Berlin, Urt. v. 30.5.2022, Az.: 101 O 43/22, in: GRUR-RS 2022, 22126 Rn. 25f.
36 LG Hannover, Beschl. v. 17.1.2022, Az. 16 O 7/22, in: MD 2022, 507, zitiert nach Reinhart, Münchner Spätlese 2022 – Rechtsprechungsübersicht zur Health Claims-Verordnung, in: LMuR 2023, 536, 539.
37 LG Dessau-Roßlau, Urt. v. 6.7.2022, Az. 3 O 10/22, in: LMuR 2023, 64 Rn. 32 ff.
38 LG Kiel, Urt. v. 20.5.2022, Az. 14 HK O 6/22, in: MD 2022, 743, zitiert nach Reinhart, Münchner Spätlese 2022 – Rechtsprechungsübersicht zur Health Claims-Verordnung, in: LMuR 2023, 536, 539.
39 Vgl. dazu auch Reinhart, Münchner Spätlese 2022 – Rechtsprechungsübersicht zur Health Claims-Verordnung, in: LMuR 2023, 536, 539.
40 Dengler/Wiedenfels, in Stief/Bromm, Vertragshandbuch Pharma und Life Sciences, 2. Aufl. 2021, Asset Purchase Agreement, C. Anm. 1.