05.12.2024 | Dr. Thomas Reiter

Standpunkt zur Legalisierung von Cannabis und deren Auswirkungen

Die Legalisierung von Cannabis in Deutschland ist ein kontrovers diskutiertes Thema, das sowohl wirtschaftliche Potenziale als auch medizinische Herausforderungen mit sich bringt.

Standpunkt

Die Legalisierung von Cannabis in Deutschland ist ein kontrovers diskutiertes Thema, das sowohl wirtschaftliche Potenziale als auch medizinische Herausforderungen mit sich bringt. Befürworter führen oft die enormen wirtschaftlichen Möglichkeiten an – Steuereinnahmen in Milliardenhöhe und die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Ein regulierter und besteuerter Cannabismarkt könnte erhebliche Einnahmen generieren, die Staat und Wirtschaft zugutekommen. Doch die Realität, insbesondere aus medizinischer Sicht, gestaltet sich komplexer.

Kaum eine Innovation im medizinischen Bereich der letzten Jahrzehnte hat eine solch polarisierende Debatte ausgelöst wie die Einführung von medizinischem Cannabis. Während manche Patienten und Ärzte auf unkritische Euphorie setzen, stehen andere der Anwendung ablehnend gegenüber. Die wirtschaftlichen Interessen, die mit der Legalisierung verknüpft sind, begegnen dabei einer medizinischen Bilanz, die bislang wenig überzeugend ausfällt.

Seit der Legalisierung von medizinischem Cannabis im Jahr 2017 zeigen die klinischen Erfahrungen, dass die medizinische Wirksamkeit eingeschränkt ist. Lediglich etwa 10% der Patienten mit neuropathischen Schmerzen profitieren derart von Cannabinoiden, dass die bisherige leitliniengerechte Behandlung mit stark wirkenden Medikamenten reduziert oder abgesetzt werden kann. Folgerichtig taucht Cannabis in der Schmerztherapie-Leitlinie nur als letzte Option auf, wenn alle anderen Therapien versagt haben. Eine offizielle Zulassung zur Behandlung von Schmerzen fehlt nach wie vor, und laufende Studien lassen bisher keine eindeutigen Schlüsse zu. Tatsächlich wird die Evidenzlage oft als „Bermuda-Dreieck der wissenschaftlichen Beweise“ bezeichnet, da die Studienlage in ihrer Uneinheitlichkeit schwer interpretierbar ist (Eisenberg et al. 2022).

Die Verordnungszahlen für medizinisches Cannabis sind in Deutschland jedoch kontinuierlich gewachsen und haben 2024 ein Umsatzvolumen von rund 463,5 Mio. EUR erreicht – zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung, ohne signifikante Einsparungen an anderer Stelle zu generieren. Hinzu kommen potenzielle Nebenwirkungen und Risiken einer Abhängigkeit durch regelmäßigen Cannabiskonsum, deren langfristige Effekte bislang unzureichend erforscht sind. Die Solidargemeinschaft der Versicherten trägt letztlich die Kosten dieses Trends.

Aufgrund der angenommenen geringen Nebenwirkungen und vermeintlichen Ungefährlichkeit wurde Cannabis 2023 auch für den Freizeitgebrauch legalisiert. Dies hat wirtschaftliche Anreize geschaffen, insbesondere durch die Aussicht auf Steuermehreinnahmen, die auf über 4 Mrd. EUR pro Jahr geschätzt werden. Doch auch hier zeigt sich eine Lücke zwischen Theorie und Praxis: Eine kommerzielle Infrastruktur, um Cannabis effizient und steuerwirksam an Endkunden zu vertreiben, existiert derzeit nicht. Die aktuellen Vertriebswege, etwa über sogenannte Cannabis-Clubs und Eigenanbau, generieren kaum relevante Steuereinnahmen.

Ob die Legalisierung von Cannabis einen nachhaltigen medizinischen oder wirtschaftlichen Mehrwert schaffen kann, bleibt ungewiss. Der Nutzen beschränkt sich bislang auf die Entlastung der Strafverfolgungsbehörden, die durch den Wegfall zahlreicher Ermittlungen Kosten einsparen. Aus Investorensicht wurden die attraktivsten Marktanteile bereits gesichert – neue Marktteilnehmer finden nur noch „Bröckchen für die Tüte“.

Die Frage nach dem Marktwert des „höchsten Gutes“ bleibt damit vorerst unbeantwortet. Die Entwicklung des Cannabismarktes in Deutschland wird mit Spannung weiterverfolgt, doch die Versprechen einer großen wirtschaftlichen und medizinischen Transformation haben sich bis dato nicht in der erwarteten Weise erfüllt.

Autor
Dr. Thomas Reiter

Dr. Thomas Reiter ist Facharzt für Anästhesiologie, Schmerztherapeut und Oberarzt am Schmerzzentrum Starnberger See in Feldafing. Er verfügt über eine langjährige Erfahrung in der Behandlung von chronischen Schmerzpatienten und auch in der Anwendung von Cannabis in der Schmerzmedizin. 

 

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