Wachstum mit Bedacht: M&A bei Schüco
Prof. Dr. Christoph Schalast im Gespräch mit Britta ter Schüren, Head of Mergers & Acquisitions bei Schüco
Wie macht man nachhaltiges Wachstum und strategische Zurückhaltung zur Priorität? Britta ter Schüren, Head of M&A bei der Schüco International KG, erklärt im Gespräch mit Prof. Dr. Schalast, welche M&A-Strategie das Familienunternehmen Schüco International KG verfolgt, wie kulturelle Unterschiede Transaktionen prägen – und wieso Deutschland bei der Fusionskontrolle inzwischen ein Problem geworden ist.
Prof. Dr. Schalast: Gestartet sind Sie im Großkonzern Volkswagen und haben dann fast zehn Jahre für die Nordzucker AG gearbeitet, bevor Sie 2018 zum mittelständischen Familienunternehmen Schüco gewechselt sind und dessen Transaktionen nun als Head of M&A betreuen. Welche Unterschiede sehen Sie zwischen den Unternehmen, mit Blick auf das Verständnis von M&A sowie die Kultur?
Britta ter Schüren: Der größte Unterschied liegt für mich im Spannungsfeld Konzern versus Mittelstand. Auch wenn Nordzucker und Schüco in ihrer Größenordnung vergleichbar sind, unterscheiden sie sich doch erheblich in Struktur und Ausrichtung. Im Mittelstand erlebe ich eine viel größere Nähe zu den Entscheidungsträgern. Prozesse sind weniger politisiert, Entscheidungswege kürzer und klarer. Man kann die handelnden Personen besser einschätzen, was es leichter macht, Dinge tatsächlich zu bewegen – ohne dass alles bereits durch komplexe Strukturen vorgezeichnet ist.
Ein weiterer Unterschied zeigt sich bei der Zusammenarbeit mit externen Beratern. Während im Konzernumfeld vielfach externe Expertise eingebunden und gesteuert werden muss, arbeiten wir bei Schüco sehr viel inhouse. Natürlich hängt das auch immer von der jeweiligen Transaktion ab, aber grundsätzlich ist der Mittelstand hier deutlich eigenständiger aufgestellt. Wenn man dann noch den Vergleich zwischen einem Familienunternehmen und einer mittelständischen AG zieht, kommt ein weiterer Aspekt hinzu: die Frage der Transparenz. Als AG unterliegt man bestimmten Veröffentlichungspflichten – auch wenn man nicht börsennotiert ist. Das beeinflusst die Prozesse und Strukturen erheblich. Im Familienunternehmen haben wir deutlich mehr Freiheit, was wir kommunizieren möchten und was nicht – und das wirkt sich spürbar auf die Arbeitsweise aus.
Prof. Dr. Schalast: Welche Rolle spielt externes Wachstum durch Unternehmensübernahmen bei der Strategie von Schüco?
Britta ter Schüren: Wir verfolgen eine übergeordnete Gruppenstrategie, die klar auf Wachstum ausgerichtet ist. In der Vergangenheit sind wir bereits stark gewachsen, und auch künftig wollen wir dies nachhaltig und profitabel tun. An manchen Stellen ist dieses Wachstum ohne M&A kaum möglich.
Aber es ist keineswegs so, dass wir beispielsweise proaktiv sagen: „Wir möchten jetzt in England etwas kaufen.“ Vielmehr gehen unsere Fachbereiche jeweils der Frage nach, wie sie einen nächsten Schritt bestmöglich gestalten können. Dabei betrachten wir in der Regel mehrere Optionen. Es gibt selten nur einen einzigen Weg – wir stellen uns immer die klassische „Make-or-Buy“-Frage: Ist es schneller oder kosteneffizienter, etwas zuzukaufen, oder gelingt der Schritt auch organisch? Insofern unterstützen wir als M&A-Team diesen Prozess, sind aber nicht die treibende Kraft hinter der Strategie selbst.
Prof. Dr. Schalast: Wenn man sich Ihre letzten Akquisitionen anschaut, so gab es vor der Corona-Krise einen Schwerpunkt in Deutschland, etwa mit der Beteiligung an der Sälzer GmbH oder der Übernahme der Soreg AG in der Schweiz. Bei Sälzer geht es um Hochsicherheitsprodukte, bei Soreg um Schiebeelemente. In dem gleichen Jahr waren Sie auch noch international unterwegs, etwa im Nahen Osten. Sie kennen sich in der internationalen M&A-Szene gut aus. Unterscheidet sich die Post-Merger-Integration in der DACH-Region von anderen Bereichen?
Britta ter Schüren: Ich glaube weniger, dass sich die Post-Merger-Integration grundsätzlich zwischen der DACH-Region und anderen Regionen unterscheidet – zumindest nicht in unserem Fall. Das liegt vor allem daran, dass wir es meist mit kleineren Targets zu tun haben, häufig familien- oder gründergeführten Unternehmen. Natürlich gibt es länderspezifische Unterschiede in der Kultur, auch innerhalb Europas, die eine Integration mal einfacher, mal schwieriger machen können.
Aber aus meiner Sicht ist die Unternehmenskultur entscheidender: Wie offen ist das Unternehmen gegenüber externem Input? Wie bereit ist der Gründer, Schüco als neuen Eigentümer zu akzeptieren und aktiv einzubinden? Unsere Erfahrungen zeigen, dass die größeren Herausforderungen bei der Integration nicht zwangsläufig bei internationalen, sondern auch bei deutschen Unternehmen auftreten können.
Prof. Dr. Schalast: Der nächste größere Schritt war dann 2021 das Joint Venture mit Alufit International Private. Hier haben Sie einen Mehrheitsanteil. Alufit ist Indiens größter Aluminium-Fassadenbauer. Ganz sicher war das eine herausfordernde Transaktion auch mit einer Reihe von Cultural Topics. Wie hat dieser Deal – während der Corona-Pandemie – funktioniert und wie ist die Integration geglückt?
Britta ter Schüren: Die größte Herausforderung bei dieser Transaktion war sicherlich die Corona-Zeit. Die Unternehmenskultur habe ich dabei nie als Hindernis empfunden – obwohl Indien natürlich eine sehr hierarchisch geprägte und in unserem Fall auch stark männerdominierte Kultur hat. Trotzdem war das Verhältnis zu dem Eigentümer von Anfang an sehr vertrauensvoll, was entscheidend dafür war, dass die Transaktion auch virtuell so gut funktionieren konnte. Die eigentlichen Schwierigkeiten lagen eher in der Steuerung der Berater. Anders als in Deutschland, wo Entscheidungen oft klar sind, wurden uns in Indien meist mehrere Optionen gleichzeitig präsentiert. Unsere Aufgabe war es dann, alle Beteiligten wieder auf eine gemeinsame Linie zu bringen. Hinzu kam, dass Indien ein sehr komplexes Land ist – sprachlich, rechtlich, steuerlich. Das hat die Transaktion nicht einfacher gemacht. Aber am Ende ist es uns gut gelungen. Anfang dieses Jahres haben wir den Minderheitsanteil übernommen und sind nun alleiniger Eigentümer. Der bisherige Minderheitsgesellschafter ist jedoch weiterhin in einer wichtigen Rolle für uns in Indien aktiv. Das zeigt, dass es auf persönlicher und geschäftlicher Ebene wirklich gut gepasst hat.
Prof. Dr. Schalast: Sie hatten eben angesprochen, dass Sie auch die Berater einfangen mussten. Ich vermute, es waren sowohl Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und M&A-Berater. Haben Sie da auf die indische oder die internationale Expertise gesetzt?
Britta ter Schüren: Wir haben auf eine Kombination aus indischer und internationaler Expertise gesetzt. In der ersten Phase haben wir ausschließlich mit einer indischen Kanzlei zusammengearbeitet – rückblickend würde ich das so allerdings nicht noch einmal machen. Im weiteren Verlauf haben wir daher zusätzlich einen deutschen Anwalt hinzugezogen, der auch über eine indische Zulassung verfügte. Das hat sich deutlich bewährt, weil er die Zusammenarbeit aus Deutschland heraus koordinieren und zugleich die lokalen Besonderheiten abdecken konnte. Auf der M&A-Seite haben wir mit BDO zusammengearbeitet – ein großer Vorteil, da BDO sowohl in Deutschland als auch in Indien mit eigenen Teams vertreten ist. Besonders während der Covid-Zeit war das extrem hilfreich: Sie konnten nicht nur die Zeitverschiebung überbrücken, sondern auch sprachliche und kulturelle Barrieren gezielt abfedern. Das hat wirklich hervorragend funktioniert – ich würde es jederzeit wieder so machen.
Prof. Dr. Schalast: Im Rahmen von Investitionen in Indien wird oft über das rechtlich komplizierte Regelwerk gesprochen – vor allem mit Blick auf die Außenwirtschaftskontrolle und die FDI (ausländische Direktinvestitionen). Hatten Sie damit auch Schwierigkeiten?
Britta ter Schüren: Wir hatten mit dem Thema nur sehr am Rande zu tun. In unserem Fall gab es kaum Berührungspunkte mit der Außenwirtschaftskontrolle oder FDI-Regularien, was vor allem an zwei Faktoren lag: Zum einen haben wir ausschließlich deutsche Gesellschafter – das ist insbesondere innerhalb Europas von Vorteil, da es keine Verbindungen zu als kritisch eingestuften Ländern gibt. Zum anderen sind wir in der Regel nicht in sensiblen Branchen tätig.
Prof. Dr. Schalast: Sehen Sie in Indien ein Land, in dem Sie weiterwachsen möchten?
Britta ter Schüren: Ja, wir wollen in Indien weiterwachsen – aktuell sehe ich das vor allem über organisches Wachstum. Ein schönes Beispiel dafür ist der damalige gemeinsam entwickelte Businessplan. Ursprünglich als sehr ambitioniert eingestuft, hat das Team es tatsächlich geschafft, diesen Plan deutlich zu übertreffen.
Prof. Dr. Schalast: Die Fusionskontrolle wird für Sie jedoch ein Thema, da Sie in einem speziellen Markt wachsen. Letztes Jahr haben Sie ja schließlich 49% der Anteile an der GEST Holding erworben, was auch die Fusionskontrolle betroffen hat.
Britta ter Schüren: Ja, das ist ein sehr tagesaktuelles Thema, das uns in Europa, insbesondere in Deutschland, stark betrifft, weil wir hier die größten Marktanteile haben. Bei der Stemeseder-Transaktion mussten wir die Fusion in Österreich und Deutschland anmelden. In Österreich war das Verfahren nach 30 Tagen abgeschlossen, wir erhielten einen sehr schnellen Bescheid. In Deutschland hingegen hat es etwa neun Monate gedauert. Das war auch mit erheblichen Kosten verbunden, denn das bedeutet nicht nur eine neunmonatige Entscheidungsfrist. Es bedeutet vor allem neun Monate, in denen wir an Ressourcen gebunden sind – Management, Kommunikation mit den Kunden, sehr hohe Rechtsberatungskosten. Zwischendurch haben wir uns gefragt, ob wir den Aufwand weitertragen wollen, da die Rechtsberatungskosten bis zu diesem Punkt einen signifikanten Anteil des Transaktionspreises ausmachten. Auf der Partnerseite bedeutet das natürlich, dass der Käufer während dieser Zeit auf seinen Kaufpreis warten muss und nicht sicher weiß, ob er ihn überhaupt erhält.
Prof. Dr. Schalast: Und selbst wenn Sie in einem Bieterverfahren wären, hätten Sie den Nachteil, dass ein Private-Equity-Investor, der in der Regel keine Kontrollfragen hat, einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Ihnen hätte. Da müssen Sie sich gut überlegen, wie Sie argumentieren, damit die Transaktion doch mit Ihnen stattfinden sollte.
Britta ter Schüren: Das war in der Tat eine harte Lektion, weil es nicht das erste Mal war, dass ein solcher Prozess so lange gedauert hat. Deshalb sehen wir uns jede Transaktion vorher genau an und schätzen, wie wahrscheinlich es ist, dass wir eine Fusionskontrolle durchlaufen müssen, und wenn ja, in welchen Ländern und auf welcher Ebene. Es gibt sicherlich auch Fälle, in denen wir sagen, dass der Aufwand im Vergleich zum Transaktionsvolumen einfach nicht gerechtfertigt ist.
Prof. Dr. Schalast: Das bestätigt Ihre These, dass Fusionskontrollen tatsächlich ein Flaschenhals für Transaktionen werden können. Wenn man sich die M&A-Aktivitäten von Schüco ansieht, wird deutlich, dass Sie nicht nur kaufen, sondern mittlerweile auch verkaufen und Portfoliomanagement betreiben. Anfang dieses Jahres haben Sie die Tochtergesellschaft Schüco Teri Interior Systems an den Investor Rheingold Capital verkauft. Ist das ein gewisser Strategiewechsel, dass Sie sich von nicht-strategischen Bereichen trennen wollen?
Britta ter Schüren: Das ist natürlich nichts, das ein strategischer Investor gerne tut. Es gehört nicht zu unserer Strategie, nach ein paar Jahren wieder zu verkaufen. Doch man muss die aktuelle wirtschaftliche Situation betrachten. Es ist klar, dass man sich dann von Bereichen trennen sollte, die nicht mehr zum Kerngeschäft gehören. Wenn ein anderer Investor das Unternehmen besser entwickeln kann, kann der Verkauf der sinnvollere Weg sein.
Prof. Dr. Schalast: Wenn Sie jetzt in die Zukunft blicken – wir befinden uns ja gerade an einem spannenden Punkt, besonders in Deutschland –; wie sehen Sie die Perspektiven für Schüco und die M&A-Aktivitäten des Unternehmens? Welche Optionen stehen Ihnen bevor?
Britta ter Schüren: Es ist derzeit tatsächlich ein sehr interessanter Zeitpunkt. Die Situation ist jedoch auch mit vielen Unsicherheiten behaftet, was durch die politische Lage noch verschärft wird. Das gilt sowohl bei uns als auch in anderen Ländern, mit denen wir in Kontakt stehen. Daher wählen wir derzeit sicherlich sehr viel sorgfältiger aus. Im Moment geht es darum, vorsichtig, klug und mit Bedacht zu entscheiden.