30.04.2020 | Dr. Ulrich Philippi

Covid-19: Black Swan Event zwischen Signing und Closing?

optional, Special Topic

Während eine Vielzahl angelaufener Transaktionen ausgesetzt oder abgebrochen worden sind, stehen laufende Transaktionen im Stadium zwischen Signing und Closing angesichts der aktuellen Situation häufig vor einer Zerreißprobe.

Der Käufer muss damit rechnen, ein weniger werthaltiges Zielunternehmen zu erwerben und den Fortbestand des Zielunternehmens für einen nicht absehbaren Zeitraum mit zusätzlicher Liquidität absichern zu müssen. Aufgrund der unbestimmten Dauer des Lockdown sowie der bereits jetzt absehbaren Phasenverschiebungen beim Wiederanlaufen der Wirtschaft in den einzelnen Ländern ist ferner mit erheblichen Verwerfungen in der Lieferkette zu rechnen. Dadurch kann sich das Risiko erhöhen, dass sich Aufholeffekte nach Krisenende nicht mehr oder erst sehr viel später materialisieren.

Der Verkäufer muss – je nach Kaufpreismodell – damit rechnen, dass es zum Closing zu einer erheblichen Kaufpreisreduktion kommen kann. Insbesondere dann, wenn keine Vorsorge zum Beispiel durch Vereinbarung eines Mindestkaufpreises getroffen wurde, kann dies empfindliche Einbußen zur Konsequenz haben. Zusätzlich besteht für den Verkäufer das Risiko einer Haftung aus Garantien, die (auch) auf den Zeitpunkt des Closing abgegeben wurden, so zum Beispiel bei einer Verletzung von Hauptleistungspflichten aus wesentlichen Verträgen (Nichterfüllung der Zahlungs- oder Lieferpflichten).

Ein weiterer problembehafteter Bereich sind die in der letzten Zeit zur Überbrückung unterschiedlicher Kaufpreisvorstellungen häufiger zum Einsatz gekommenen Earn-out-Regelungen, bei denen ein variabler Kaufpreisbestandteil nur zur Auszahlung kommt, wenn bestimmte finanzielle Ziele vom Zielunternehmen erreicht werden. Das kann für den Verkäufer bedeuten, dass er unter Umständen auf einen Teil des Kaufpreises verzichten muss, entweder weil ein vereinbarter Schwellenwert (Floor) nicht oder nicht in dem dafür vorgesehen Zeitfenster erreicht werden kann. Dies insbesondere dann, wenn keine Aufholregelung innerhalb eines sich über mehrere Jahre erstreckenden Earn-out-Zeitraums vereinbart ist.

Die Lage wird teilweise dadurch verschärft, dass sich die Phase zwischen Signing und Closing, je nach Umfang der erforderlichen Vollzugshandlungen, erheblich in die Länge ziehen kann. So hat sich die Bearbeitungsgeschwindigkeit bei erforderlichen behördlichen Genehmigungen in den letzten Wochen deutlich verlangsamt. Maßnahmen zur Erfüllung von Vollzugsvoraussetzungen, so zum Beispiel operative Maßnahmen im Rahmen eines Carve out, können angesichts des Lockdown und der dadurch behinderten Betriebsabläufe im Unternehmen nicht in dem dafür vorgesehenen Zeitfenster umgesetzt werden.

Die Möglichkeit von einer in diesem Stadium befindlichen Transaktion Abstand zu nehmen, ist regelmäßig vertraglich nicht vorgesehen oder zumindest stark eingeschränkt. Dies gilt insbesondere für exogene Risiken wie die Corona-Pandemie, die sich auf Ebene des Zielunternehmens zum Beispiel in Form eines substanziellen Umsatzrückgangs als wesentlich nachteilige Veränderung materialisieren. Regelungen, die den Käufer in einer solchen Situation zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigen (sog. Market-Mac-Klauseln) und in der Folge die Risiken auf den Verkäufer verlagern, sind in europäischen Transaktionen in aller Regel nicht verhandelbar.

Ausnahmsweise kann ein Rücktrittsrecht des Käufers jedoch auch an die Verletzung bestimmter wesentlicher Garantien zwischen Signing und Closing geknüpft sein, sofern zum Beispiel eine bestimmte Anzahl von Mitarbeitern kündigt oder aus einer Garantieverletzung zwischen Signing und Closing drohende Schäden eine im Kaufvertrag vordefinierte Grenze überschreiten. Es kann also sein, dass ein unvorhergesehenes exogenes Ereignis dazu führt, dass im Kaufvertrag verankerte Verkäufergarantien verletzt werden und aufgrund der gravierenden Folgen eine Rücktrittsmöglichkeit für den Käufer entsteht. Wie sich in den letzten Wochen nach dem Lockdown gezeigt hat, ist die Problematik potenzieller Garantieverletzungen insbesondere in Bezug auf Garantien zu wesentlichen Verträgen und deren Erfüllung bereits in der M&A-Praxis angekommen.

Ein in der aktuelle Situation ebenfalls virulentes Problem sind in Kaufverträgen häufiger zu findende Längstensfristen („Long Stop Dates“), die für die Erfüllung bestimmter oder sämtlicher Closing-Bedingungen vereinbart sind und bei deren Überschreiten eine oder beide Parteien vom Kaufvertrag zurücktreten können. Die derzeit im In- und Ausland deutlich verlangsamten behördlichen Genehmigungsverfahren und die durch Kurzarbeit oder Betriebsschließungen eingeschränkte Handlungsfähigkeit bei beteiligten Dritten, kann dazu führen, dass der Vollzug der Transaktion durch eine vereinbarte Frist gefährdet ist. Fraglich ist, ob die Partei, die am Vertrag festhalten möchte, in diesem Fall argumentieren kann, dass die Frist aufgrund der durch die Corona-Krise erzeugten besonderen Umstände und der Tatsache, dass diese von den Vertragsparteien bei Abschluss des Kaufvertrages nicht bedacht wurden, entweder angemessen zu verlängern oder auszusetzen ist. Dies wird davon abhängen, ob die konkrete Regelung unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben dahingehend ergänzend ausgelegt werden kann, dass eine durch die Corona-Krise eingetretene Verzögerung des Vollzugs einen Anspruch auf Aussetzung der Frist begründet. Ob eine solche Argumentation verfängt und ob die konkrete Regelung einer solchen Auslegung zugänglich ist, muss anhand der konkreten Ausgestaltung und dem von den Parteien beabsichtigten Schutzzweck der Regelung überprüft werden.

Empfehlungen und Fazit

Potenzielle Garantieverletzungen zwischen Signing und Closing

Wird eine potenzielle Garantieverletzung zwischen Signing und Closing erkennbar, sollte der Verkäufers rechtzeitig Heilungsmaßnahmen prüfen und den Käufer im Rahmen der Umsetzung proaktiv einbinden. Dadurch kann das Potenzial für mögliche Streitigkeiten kurz vor Closing gemindert werden. Für den Fall, dass eine Versicherung zur Absicherung der Verkäufergarantien bzw. Freistellungen existiert (Warranty and Indemnity (W&I)-Insurance), sollte ergänzend geprüft werden, ob die drohende Garantieverletzung von der Versicherung abgedeckt ist. Im Grundsatz wird dies der Fall sein, da marktübliche Versicherungsbedingungen den im Kaufvertrag verankerten Garantie- und Haftungsregelungen folgen und – jedenfalls derzeit noch – keine Ausschlusstatbestände für Pandemie-bedingte Garantieverletzungen enthalten.

Gerade bei krisenbedingten Maßnahmen, die sich ggf. außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs bewegen, sollte auch darauf geachtet werden, dass die im Kaufvertrag vereinbarten Covenants, die im Rahmen der Fortführung des Geschäftsbetriebs zwischen Signing und Closing vom Verkäufer einzuhalten sind, beachtet werden. Auch insoweit ist es wichtig, vorausschauend zu agieren und wo nötig, die Abstimmung mit dem Käufer zu suchen.

Sich abzeichnende Fristenproblematik

Aus Sicht beider Parteien ist es ratsam, eine sich abzeichnende Fristenproblematik frühzeitig aufzugreifen und nach einer für beide Seiten akzeptablen Lösung zu suchen. Nichts ist misslicher, als in einem Closing-Prozess „gegen die Uhr“ arbeiten zu müssen, ohne die zeitliche Rahmenbedingungen in letzter Konsequenz kontrollieren zu können. Der dauerhaften oder großzügig bemessenen Aussetzung der Frist, die als reine Abwicklungsvereinbarung außerhalb des Kaufvertrages vereinbart werden kann und somit keiner Änderung bzw. Nachtragsbeurkundung des Kaufvertrages bedarf, ist der Vorzug zu geben.

Kaufpreiszahlung, Earn-out

Sofern der Kaufpreis ganz oder teilweise fremdfinanziert ist, sollte sich der Verkäufer durch Vorlage einer neuen Finanzierungsbestätigung absichern, da bislang geltende Voraussetzungen für Auszahlung der Darlehensvaluta zum Closing möglichweise nicht mehr erfüllt werden können.

Bei variablen Kaufpreismodellen, die eine Earn-Out-Komponente enthalten, sollten beide Parteien versuchen, den Zeitraum zwischen Signing und Closing für die Verhandlung einer Anpassung zu nutzen, um Corona bedingte Verwerfungen zu eliminieren. Naheliegend ist hier insbesondere eine Verschiebung der relevanten Berechnungszeiträume oder eine sich über den gesamten Earn-Out-Zeitraum ersteckende Aufholmöglichkeit zum jeweiligen Stichtag eventuell nicht erreichter Ziele. Gegebenenfalls. könnte auch eine Regelung aufgenommen werden, die die Dauer des Earn-out-Zeitraums an bestimmte Ereignisse knüpft, deren kumulative Erfüllung für die Normalisierung des Geschäfts des Zielunternehmens bedeutsam sind wie zum Beispiel die Lieferbarkeit von Vorprodukten für die Produktion, Öffnung von Kundenzentren, Messen etc.

Fazit

Die Auswirkungen von Corona auf M&A-Transaktionen, die sich aktuell in der Phase zwischen Signing und Closing befinden, sind zum Teil erheblich und haben die Kaufvertragsparteien völlig unvorbereitet getroffen. Wie bei anderen Black Swan Events in der Vergangenheit wird es daher darauf ankommen, schnell und flexibel auf die sich daraus ergebenden Herausforderungen und die veränderten Umstände zu reagieren. Auf Beraterseite sollte nach vermittelnden Lösungen gesucht werden. Zeitraubende Positionsgefechte führen in dieser Phase in aller Regel nur zu weiteren Verzögerungen, die sich negativ auf die Fortführung des Zielunternehmens auswirken. Um künftige Transaktionen „black swan proof“ auszugestalten, sollten Unternehmenskaufverträge Wege vorzeichnen, die beiden Parteien eine interessengerechte Lösung ermöglichen und Pattsituationen in dieser sensiblen Phase der Transaktion verhindern.

Dr. Ulrich Philippi
Autor
Dr. Ulrich Philippi

Ulrich Philippi ist Partner der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH im Bereich Corporate/M&A am Standort Stuttgart. Schwerpunkt seiner Tätigkeit ist die Beratung von strategischen und Private-Equity-Investoren bei komplexen nationalen und grenzüberschreitenden M&A-Transaktionen. Dazu gehören sowohl Small- und Mid-Cap-Transaktionen als auch Joint Ventures, Management-Buy-outs und Transaktionen in Krisensituationen. Zudem berät er im Bereich Corporate Governance, bei Unternehmensumstrukturierungen und sonstigen gesellschaftsrechtlichen Fragestellungen.

 

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