21.05.2019 | Prof. Dr. Christoph Schalast

Die Bayer-Monsanto-Lehre: Greife niemals in ein fallendes Messer

Standpunkt

Anfang Mai 2019 wurde erstmals in der Geschichte von Hauptversammlungen deutscher DAX-Unternehmen einem Vorstand die Entlastung verweigert. Bemerkenswert ist die dahinterstehende Begründung: Der Verfall des Aktienkurses in den letzten 12 Monaten aufgrund einer Milliardentransaktion, der Übernahme des US-Pflanzenschutzmittelproduzenten Monsanto durch die deutsche Bayer AG.

Als die Transaktion bekannt gemacht wurde, haben sich viele schon gewundert: Warum geht Bayer mit seiner starken Sensibilität für das Thema Compliance und Image diesen gefährlichen Weg? Schon zum Zeitpunkt des Bekanntwerdens war öffentlich, dass Monsanto, das im Übrigen auch ansonsten ein eher schwieriges Image hat, wegen des Pflanzenschutzmittels Glyphosat ganz besonders im Fokus steht, zahlreiche Klagen waren bereits in den USA anhängig.

Dabei ist davon auszugehen, dass Bayer und seine Berater dieses Risiko gesehen und unter Abwägung aller Chancen der Transaktion sowie der damit verbundenen Synergien in Kauf genommen haben. Das nennt man üblicherweise Business Judgement. Aber das aktuelle rechtliche und teilweise politische Umfeld gerade in den USA sollte dafür sensibilisieren, dass erhebliche (nicht nur rechtliche) Risiken in großen Deals einer besonderen Absicherung bedürfen.

Ein gutes Beispiel dafür, wie erfolgreiche Absicherung laufen kann, ist die nach dem Signing noch abgesagte Übernahme von Akorn durch Fresenius. Zwar kam es hier nicht zu Massenklagen und Strafschadensersatzforderungen wie im Falle Monsanto, doch auch hier veränderten sich die Zahlen nach der Übernahme dramatisch. Fresenius zog daraus die Konsequenzen, aktivierte eine – mit Voraussicht eingebaute – Material Adverse Change (MAC)- Klausel im Unternehmenskaufvertrag und konnte sich schließlich – bestätigt durch amerikanische Gerichte – aus dem Deal zurückziehen. So war zwar viel Geld verbrannt, aber der drohende Hauptschaden, die Übernahme von Akorn, konnte verhindert werden.

Angesichts der Entwicklung bei Monsanto in den letzten Monaten und Wochen kommt einem die alte Börsenweisheit in den Sinn: „Niemals in ein fallendes Messer greifen.“ Es ist bekannt, dass amerikanische Jurys in der ersten Instanz zu ganz erheblichen Strafschadensersatzzahlungen/ Punitive Damages kommen können, insbesondere wenn es um die Verursachung einer lebensbedrohenden Krankheit wie Krebs geht. Nun liegen bereits drei Urteile vor, und das letzte ist mit einer Schadensersatzsumme von circa 2 Mrd. USD für das klagende Ehepaar selbst für amerikanische Verhältnisse spektakulär. Natürlich wird der Spruch der Jury und auch die Höhe des Strafschadensersatzes in der zweiten Instanz überprüft und vermutlich erheblich reduziert werden, doch insgesamt zeigt dies, wie gefährlich eine Unternehmensübernahme derzeit in den USA ist, insbesondere wenn Massenklagen mit Schadensersatzanforderungen im Raum stehen.

Die Besonderheiten in den USA ergeben sich des Weiteren nicht zuletzt aus dem aktuellen politischen Umfeld und so bisher nicht gekannter Einflussnahmen auf Verfahren, wie es etwa Linde bei der Praxair-Transaktion zu spüren bekam. Und in diesem Umfeld ist natürlich nicht auszuschließen, dass auch ein Berufungsgericht die „reiche“ und „deutsche“ Bayer AG als neue Eigentümerin von Monsanto gerne zur Kasse bittet.

Dies alles zeigt: M&A ist zunehmend für den Vorstand einer AG ein gefährliches Terrain. Zunächst besteht immer die Gefahr, dass man einen Deal unbedingt unter Dach und Fach bringen will und dabei nicht ganz so genau wie erforderlich auf Kosten und Risiken schaut sowie künftige Synergien allzu optimistisch bewertet.

Diese Anforderungen gelten aber nicht nur für den Vorstand, sondern zunehmend auch für den Aufsichtsrat. Denn dies hat sich auch bei Bayer gezeigt: Obwohl dem Aufsichtsrat die Entlastung erteilt wurde, so war dies angesichts der außergewöhnlich niedrigen Zustimmungsquote ein klarer Denkzettel. Auch wenn eine verweigerte Entlastung keine juristischen Konsequenzen hat, insbesondere nicht das Vorspiel zu einem möglichen späteren Schadensersatzprozess sein muss, so ist dies jedoch ein deutlicher Weckruf.

christoph-schalast
Autor
Prof. Dr. Christoph Schalast

Prof. Dr. Christoph Schalast, Rechtsanwalt und Notar, ist Managing Partner von Schalast LAW | TAX, akademischer Direktor des M&A Master-Studiengangs (LL.M.) der Frankfurt School of Finance & Management sowie Herausgeber der M&A Review.

Profil
Das könnte Sie auch interessieren