23.04.2020 | Ramón Glaßl, Prof. Dr. Christoph Schalast

Kooperationen in der Krise – Lockerung der Regeln und Unterstützung durch Wettbewerbsbehörden

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Die Corona-Krise stellt Unternehmen wie Verbraucher vor große wirtschaftliche Herausforderungen. Lieferungen fallen aus, Produkte sind nicht verfügbar, Kurzarbeit wird angeordnet oder die Mitarbeiter ins Home Office geschickt. Vermehrt stellt sich Unternehmen auch die Frage, inwieweit Kooperationen und abgestimmte Verhaltensweisen mit Wettbewerbern oder anderen Unternehmen, die üblicherweise wettbewerbs-und kartellrechtlich bedenklich sind, erlaubt sind, um die drohenden wirtschaftlichen Verluste möglichst niedrig zu halten. In diesem Zusammenhang hat die Europäische Kommission am 8. April 2020 eine Mitteilung veröffentlicht, in der sie betroffenen Unternehmen eine Orientierungshilfe bietet. Auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmeier hatte angekündigt, kartellrechtliche Einschränkungen während der Corona-Krise lockern zu wollen; das Bundeskartellamt und das International Competition Network haben ähnliche Erklärungen abgegeben. Gemein ist allen, dass sie sich dabei überwiegend auf diejenigen Kooperationen beziehen, die die Versorgung von wesentlichen knappen Produkten und Dienstleistungen wie Lebensmitteln, medizinischen Produkten oder Hygieneartikeln sicherstellen sollen. Die dahinterstehende Hoffnung ist, Unternehmen zur Zusammenarbeit zu ermutigen, um die Auswirkungen der Krise zum letztendlichen Nutzen der Bürger zu überwinden oder zumindest abzuschwächen. Diese Linie wird auch von Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts, bestätigt:

Wenn es für Vereinbarungen zwischen Unternehmen – wie in der aktuellen Situation – gute Gründe gebe, stehe das Kartellrecht diesen Vereinbarungen nicht im Weg. Von den Lockerungen nicht umfasst sind hingegen die Kernbeschränkungen – sprechen Unternehmen Preise ab oder tauschen sensible Informationen aus, ist dies nach wie vor an den kartellrechtlichen Beschränkungen zu messen und unter Umständen rechtswidrig. Auch dürfen Unternehmen ihre Marktmacht (erst recht) nicht missbrauchen. In Betracht dafür kommen während der Corona-Krise nicht nur Unternehmen, die bereits vor der Krise eine marktmächtige Position innehatten, sondern auch solche, die diese Position erst durch die Krise erlangt haben – wie beispielsweise Hersteller von Beatmungsgeräten, Mund-Nasen-Schutzmasken oder Desinfektionsmitteln. Verlangen diese Unternehmen aufgrund ihrer Marktmacht beispielsweise deutlich überhöhte Preise, ist dieses Verhalten nach wie vor kartellrechtlich bedenklich. Gibt es jedoch Gründe, die eine Preiserhöhung rechtfertigen (Lieferengpässe, gesteigerte Nachfrage), kann dies für eine Rechtmäßigkeit der Preiserhöhung sprechen. Die von der Kommission veröffentlichte Mitteilung soll die Selbsteinschätzung der betroffenen Unternehmen erleichtern. Um die hiermit einhergehende Ungewissheit möglichst gut einzudämmen, hat sich die Kommission zudem für einen in ihrer Historie bislang einzigartigen Schritt entschieden:

Obwohl es üblicherweise Aufgabe der Unternehmen ist, die Rechtmäßigkeit ihres Verhaltens einzuschätzen, und die Kommission bislang keine Beratung über die Rechtmäßigkeit angeboten hat, will sie Unternehmen in Zeiten der Corona-Krise besser unterstützen. Sollten Unternehmen Zweifel an der Rechtmäßigkeit ihrer geschäftlichen Aktivitäten haben, besteht nun die ausdrückliche Möglichkeit, auf einer gesonderten Webseite sowie über die direkte Kontaktaufnahme mit der Kommission Hilfestellung zu erhalten. Im Einzelfall behält es sich die Kommission sogar vor, eine Adhoc-Mitteilung zur Vereinbarkeit von Kooperationsinitiativen mit dem EU-Wettbewerbsrecht herauszugeben. Dieser einmalige Schritt der Kommission zeigt, wie ernst es ihr und den nationalen Wettbewerbsbehörden mit der Lockerung der kartellrechtlichen Vorgaben während der Corona-Krise ist. Klar ist aber auch, dass die Corona-Krise kein Freifahrtschein für kartellrechtlich bedenkliches Verhalten ist: EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hat deshalb auch angekündigt, Absprachen, die zu einer Verteuerung essenzieller Güter führen, strengstens zu verfolgen.

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