Ein Übel gegen ein noch größeres tauschen – das meint die Redensart „vom Regen in die Traufe kommen“. Eben diese Worte hat wohl so mancher Mittelständler im Kopf, wenn es darum geht, die eigene momentane Situation zu vermessen.
Die Corona-Pandemie ist noch nicht überwunden, dauerhafte Herausforderungen wie Digitalisierung und Fachkräftemangel schweben als Aufforderung zur Veränderung weiter über den Unternehmern, und dazu kommen der russische Angriffskrieg in der Ukraine, die damit einhergehenden Energieengpässe und -preisexplosionen, eine steigende Inflation, Lieferkettenprobleme und mehr. Gerät man „vom Regen in die Traufe“, meint das wortwörtlich: Regnet es, tröpfelt Wasser vom Dach und durch die Dachrinne über die Traufe. Wer also unter dem Vorsprung Schutz sucht, wird eventuell erst recht durchnässt. Ausweglos also die Situation. Das allerdings trifft im übertragenen Sinne auf den deutschen Mittelstand keineswegs zu.
Zunächst einmal gilt es, die Situation objektiv zu betrachten. Carsten Mumm, Chefvolkswirt der Privatbank Donner&Reuschel, sieht vor allem ein Problem: „Die deutsche Wirtschaft leidet zurzeit besonders unter kaum abschätzbaren Perspektiven für die kurzfristige Geschäftsentwicklung.“ Die massiv steigenden Erzeugerpreise, allen voran im Bereich der Energie, erschweren Planungen laut dem Experten „enorm“. Hinzu kommen laut Mumm „steigende Zinsen, anhaltende Lieferkettenprobleme und die globale Konjunkturabkühlung, die besonders die exportabhängige Industrie auch nachfrageseitig treffen wird“. Und als reiche das nicht an Herausforderungen, ergänzt Mumm: „Viele Unternehmen aus Dienstleistungssektoren und dem Handel werden zudem durch den absehbar deutlich reduzierten privaten Konsum aufgrund allgegenwärtig steigender Lebenshaltungskosten ausgebremst.“ Der Chefvolkswirt zieht erst einmal ein nicht sehr erfreuliches Fazit: „Für viele kleinere und mittelgroße Unternehmen mit weniger starken Finanzpolstern dürfte es in den kommenden Monaten sogar um die Existenz gehen.“
Jan Pörschmann, Managing Partner bei Proventis Partners, bewertet die Lage hinsichtlich der vielen einander bedingenden Herausforderungen ähnlich. Für den M&A-Berater gehören neben der Energiekrise vor allem der Fachkräftemangel in Verbindung mit der Lohn-Preis-Spirale sowie fragile Lieferketten und steigende Kreditkosten zu den größten Herausforderungen. Julian Will, Geschäftsführer bei Nachfolgekontor, wird noch drastischer: „Pandemie- und kriegsbedingte Schocks können im Einzelfall mit nahezu sofortiger Wirkung die vollständige Geschäftsgrundlage gestandener Mittelständler entziehen.“ Gerade Lieferkettenengpässe hebt Will als kritisch hervor: „Neben der Herausforderung, überhaupt Material zu beschaffen, kämpfen Unternehmen mit der Logistik, um die Ware ins Land zu bekommen.“ Will bilanziert: „Allen Branchen ist gemein, dass das Thema Unsicherheit eine der größten Herausforderungen darstellt. Der Mittelstand befindet sich aktuell in Abhängigkeit der tagesaktuellen Entwicklungen und kann entsprechend nur kurzfristig angepasst re- und nicht langfristig und marktbestimmend agieren. Um diesem Aktionismus entgegenzuwirken, braucht der deutsche Mittelstand wieder Planungssicherheit.“