Zinsen, Inflation und steigende Unsicherheit verändern die Finanzierung im Mittelstand. Worauf Finanzierer jetzt bei Unternehmensbewertungen, Kreditvergabe & Co. achten – und was das für Unternehmer bedeutet.
Was ist mein Unternehmen in diesen Zeiten (noch) wert? Die Einigung auf einen Unternehmenswert war schon immer schwierig, da Käufer und Verkäufer oft einen unterschiedlichen Blick auf Chancen und Risiken haben. Doch in der Regel nähert man sich über Gespräche und Informationsaustausch schrittweise an und findet eine gemeinsame Basis. In Zeiten von Krieg, Inflation und Zinswende wird es jedoch immer schwieriger, überhaupt zu einer belastbaren Bewertung zu kommen. Zu groß sind die Unsicherheiten gleich so vieler unterschiedlicher Faktoren. So hatte schon die Corona-Pandemie die Risiken von Lieferketten deutlich aufgezeigt. Der massive Preisanstieg vieler Rohstoffe, kaum dass es zu ersten Nachholeffekten während der Pandemie kam, verdeutlichte zudem die Volatilität von Einkaufspreisen. Mit dem Ukraine-Krieg treten beide Risikofelder noch deutlicher hervor: Nicht nur die Energieabhängigkeit von Russland, auch das Verhältnis zu China wird nun meist anders bewertet als noch vor wenigen Jahren. Und schließlich die wichtigste Frage: Wie geht es geldpolitisch weiter? Werden die Zinsen weiter steigen, verharrt die Inflation auf einem Niveau, das wir in Deutschland seit Jahrzehnten nicht erlebt haben?
Inflation wirft Bewertungsfragen auf
Allein die Inflation sorgt dafür, dass mögliche Eigenkapitalinvestoren selbst hinter aktuellen Umsatzentwicklungen in einem Unternehmen Fragezeichen machen: Ist die jüngste Umsatzsteigerung ein Ausweis einer fortgesetzten Wachstumsgeschichte oder ist sie „nur“ Preiserhöhungseffekten zuzuschreiben? Aktuelle Erfolge könnten wenig Aussagekraft haben, weil die Kunden nun ihre Lager gefüllt haben und in nächster Zeit nicht mehr nachordern. Preiserhöhungen konnten vielleicht ohne größere Schwierigkeiten weitergegeben werden, doch bei einer neuerlichen Preisrunde könnte die Kundenreaktion ganz anders aussehen. Gestiegene Energiepreise wirken sich bei länger laufenden Verträgen noch nicht aus, könnten aber mit dem Neuvertrag umso stärker durchschlagen. Ähnlich unsicher ist das Ergebnis der nächsten Lohnrunde. Immerhin erleben wir eine grundsätzlich neue Situation: Bei in diesem Jahr stagnierender bis schwacher Konjunkturentwicklung zeigt sich in allen wichtigen Weltmärkten weiter eine historisch hohe Zahl unbesetzter Stellen. Bisherige Erfahrungswerte auf Basis der vergangenen, meist stabilen Entwicklung bieten mithin keine verlässliche Berechnungsgrundlage mehr. Auch spielte in den zurückliegenden Jahren bei konservativer Finanzierung die Fremdkapitalkostenbelastung eines Unternehmens keine wesentliche Rolle, doch mit der Zinswende hat sich das geändert.
Manche Frage lässt sich mit einer umfangreicheren, zeitaufwendigeren Prüfung (Due Diligence) von Unternehmenszahlen oder Kundenverträgen beantworten. Auf andere gibt es keine gute Antwort, weil derzeit niemand fundierte Vorhersagen treffen kann. Insbesondere politische Faktoren sind schwer zu kalkulieren: In welchem Maße die Politik bei Zahlungsausfällen oder Energiepreisen regulierend eingreifen wird, weiß sie angesichts einer sich rasch wechselnden Lage offenbar meist selbst erst kurz vor einer Entscheidung.
Kapitalbedarf wächst
Eine seriöse Planung ist für Unternehmen und Investoren dadurch gleichermaßen schwierig. Dennoch: Der Markt für Eigenkapitalbeteiligungen ist weiterhin lebendig und funktioniert. Und längst nicht jedes Unternehmen ist betroffen. Anders als bei vorherigen Konjunkturabschwüngen leiden diesmal vor allem Konsumgüterhersteller als erste Marktteilnehmer unter der Käuferzurückhaltung, während viele Industrieunternehmen über Rekordauftragsbestände verfügen. Für Investoren bleiben – unbenommen aller konjunkturellen Veränderungen – besonders solche Unternehmen attraktiv, die Märkte bedienen, die von den langfristigen Transformationsthemen dieser Zeit profitieren, wie zum Beispiel Energieeffizienz, Digitalisierung, Ressourcenschonung und regionales Sourcing. Im deutschen Mittelstand gehören dazu die Bereiche Automatisierung, Messtechnik, Klima- und Kältetechnik oder Softwareentwicklung.