14.11.2022 | Christian Futterlieb

Zeitenwende in der Unternehmensfinanzierung?

Allgemein, optional, Small & Midcaps

Zinsen, Inflation und steigende Unsicherheit verändern die Finanzierung im Mittelstand. Worauf Finanzierer jetzt bei Unternehmensbewertungen, Kreditvergabe & Co. achten – und was das für Unternehmer bedeutet.

Was ist mein Unternehmen in diesen Zeiten (noch) wert? Die Einigung auf einen Unternehmenswert war schon immer schwierig, da Käufer und Verkäufer oft einen unterschiedlichen Blick auf Chancen und Risiken haben. Doch in der Regel nähert man sich über Gespräche und Informationsaustausch schrittweise an und findet eine gemeinsame Basis. In Zeiten von Krieg, Inflation und Zinswende wird es jedoch immer schwieriger, überhaupt zu einer belastbaren Bewertung zu kommen. Zu groß sind die Unsicherheiten gleich so vieler unterschiedlicher Faktoren. So hatte schon die Corona-Pandemie die Risiken von Lieferketten deutlich aufgezeigt. Der massive Preisanstieg vieler Rohstoffe, kaum dass es zu ersten Nachholeffekten während der Pandemie kam, verdeutlichte zudem die Volatilität von Einkaufspreisen. Mit dem Ukraine-Krieg treten beide Risikofelder noch deutlicher hervor: Nicht nur die Energieabhängigkeit von Russland, auch das Verhältnis zu China wird nun meist anders bewertet als noch vor wenigen Jahren. Und schließlich die wichtigste Frage: Wie geht es geldpolitisch weiter? Werden die Zinsen weiter steigen, verharrt die Inflation auf einem Niveau, das wir in Deutschland seit Jahrzehnten nicht erlebt haben?

Inflation wirft Bewertungsfragen auf

Allein die Inflation sorgt dafür, dass mögliche Eigenkapitalinvestoren selbst hinter aktuellen Umsatzentwicklungen in einem Unternehmen Fragezeichen machen: Ist die jüngste Umsatzsteigerung ein Ausweis einer fortgesetzten Wachstumsgeschichte oder ist sie „nur“ Preiserhöhungseffekten zuzuschreiben? Aktuelle Erfolge könnten wenig Aussagekraft haben, weil die Kunden nun ihre Lager gefüllt haben und in nächster Zeit nicht mehr nachordern. Preiserhöhungen konnten vielleicht ohne größere Schwierigkeiten weitergegeben werden, doch bei einer neuerlichen Preisrunde könnte die Kundenreaktion ganz anders aussehen. Gestiegene Energiepreise wirken sich bei länger laufenden Verträgen noch nicht aus, könnten aber mit dem Neuvertrag umso stärker durchschlagen. Ähnlich unsicher ist das Ergebnis der nächsten Lohnrunde. Immerhin erleben wir eine grundsätzlich neue Situation: Bei in diesem Jahr stagnierender bis schwacher Konjunkturentwicklung zeigt sich in allen wichtigen Weltmärkten weiter eine historisch hohe Zahl unbesetzter Stellen. Bisherige Erfahrungswerte auf Basis der vergangenen, meist stabilen Entwicklung bieten mithin keine verlässliche Berechnungsgrundlage mehr. Auch spielte in den zurückliegenden Jahren bei konservativer Finanzierung die Fremdkapitalkostenbelastung eines Unternehmens keine wesentliche Rolle, doch mit der Zinswende hat sich das geändert.

Manche Frage lässt sich mit einer umfangreicheren, zeitaufwendigeren Prüfung (Due Diligence) von Unternehmenszahlen oder Kundenverträgen beantworten. Auf andere gibt es keine gute Antwort, weil derzeit niemand fundierte Vorhersagen treffen kann. Insbesondere politische Faktoren sind schwer zu kalkulieren: In welchem Maße die Politik bei Zahlungsausfällen oder Energiepreisen regulierend eingreifen wird, weiß sie angesichts einer sich rasch wechselnden Lage offenbar meist selbst erst kurz vor einer Entscheidung.

Kapitalbedarf wächst

Eine seriöse Planung ist für Unternehmen und Investoren dadurch gleichermaßen schwierig. Dennoch: Der Markt für Eigenkapitalbeteiligungen ist weiterhin lebendig und funktioniert. Und längst nicht jedes Unternehmen ist betroffen. Anders als bei vorherigen Konjunkturabschwüngen leiden diesmal vor allem Konsumgüterhersteller als erste Marktteilnehmer unter der Käuferzurückhaltung, während viele Industrieunternehmen über Rekordauftragsbestände verfügen. Für Investoren bleiben – unbenommen aller konjunkturellen Veränderungen – besonders solche Unternehmen attraktiv, die Märkte bedienen, die von den langfristigen Transformationsthemen dieser Zeit profitieren, wie zum Beispiel Energieeffizienz, Digitalisierung, Ressourcenschonung und regionales Sourcing. Im deutschen Mittelstand gehören dazu die Bereiche Automatisierung, Messtechnik, Klima- und Kältetechnik oder Softwareentwicklung.

Ein Großteil der Unternehmen im Mittelstand spürt die Auswirkungen der Krise auch am Verhalten der Finanzierer. Die Verunsicherung führt nicht nur bei möglichen Eigenkapitalinvestoren zu einer zurückhaltenden Bewertung und deutlich längeren Prüfprozessen. Für alle Akteure auf der Finanzierungsseite gilt: Der Informationsbedarf steigt, die Risikoneigung in der Regel nicht.

Dabei wächst nach Jahren der Nullzinsen und – für die meisten Unternehmen – zahlreichen Finanzierungsoptionen der Finanzierungsbedarf von Unternehmen: Um eigene Lieferengpässe zu vermeiden, wurden die Lager gefüllt. Das kostet Liquidität. Wenn der Kunde dennoch mit der Bestellung zögert, weil ihm an anderer Stelle ein wichtiges Bauteil fürs Gesamtprodukt fehlt, wächst die zu überbrückende zeitliche Lücke zwischen der Ausgabe für den Einkauf und der Einnahme durch den Verkauf. Die Inflation hat den gleichen Effekt: Wenn die Ausgaben für den Einkauf steigen, wächst der Kapitalbedarf für die Frist bis zum Zahlungseingang des Kunden. Das trifft auch dann zu, wenn Unternehmen gestiegene Einkaufspreise weitergeben können. Es gibt aber durchaus auch Fälle, denen auch heute nicht möglich ist, die höheren Kosten auf ihre Kunden überzuwälzen, weil die Marktposition nicht stark genug ist.

Was zu tun ist

Inflation, Zinswende und Krieg in Osteuropa haben unmittelbar nach der Corona-Pandemie die Komplexität in der Unternehmensführung und -finanzierung erhöht und stellen alle Beteiligten vor große Herausforderungen. Wichtig ist nun, nicht zum Spielball der Tagesentwicklungen zu werden, sondern den langfristigen Weg in der eigenen Unternehmensentwicklung zu gehen. Das heißt, trotz der bestehenden Unternehmensrisiken im Auge zu behalten, dass wesentliche Belastungsfaktoren wie beispielsweise hohe Energiekosten nicht gleichermaßen auf internationale Wettbewerber wirken. Hier kommt es darauf an, sich nicht in der Lösung einzelner Probleme zu verlieren, sondern die technische Weiterentwicklung der eigenen Produkte unvermindert weiterzutreiben, um Wettbewerbsnachteile zu vermeiden. Das geht eigentlich nur aus einer starken Eigenkapitalposition heraus, gepaart mit Klarheit über die eigenen Leistungsfaktoren.

Was können Unternehmen hierfür tun: Zuerst einmal sollten sie ihre Liquiditätsentwicklung genau im Auge behalten und mit einer Anpassung ihrer Finanzierungsstruktur auf die bestehenden und möglicherweise noch drohenden Schwierigkeiten reagieren. Das sollte umgehend geschehen, auch wenn es (noch) keinen akuten Handlungsbedarf zu geben scheint. Vorbereitung ist auch deshalb so wichtig, weil es eine Finanzierungslösung selten „über Nacht“ gibt. Instrumente wie Factoring benötigen Monate, bis sie umgesetzt sind.

Zentral sind aktuelle Zahlen und Informationen, die die Fragen der Finanzierungsseite aufgreifen und möglichst beantworten. Fremdkapitalgeber achten verstärkt auf eine belastbare Eigenkapitalausstattung und andere Sicherheiten. Auch wer „nur“ eine Fremdkapitalfinanzierung wie einen Bankkredit sucht, sollte daher die Eigenkapitalseite nicht ausblenden. Eine minder- oder mehrheitliche Eigenkapitalbeteiligung oder Mezzaninefinanzierung kann Voraussetzung für eine umfassende Fremdkapitalfinanzierung sein, weil die Risiken der Kreditgeber sinken. Mezzanine hat beispielsweise den großen Vorteil, dass die Forderungen der Mezzanine-Geber nachrangig behandelt werden, ohne dass Gesellschafteranteile abgegeben werden müssen. Wer sich regelmäßig mit möglichen Finanzierungspartnern austauscht, die aktuellen Zahlen im Griff hat, einen realistischen Blick auf die Risiken bewahrt und seine Optionen kennt, hat bessere Chancen.

Autor
Christian Futterlieb

Christian Futterlieb ist Managing Partner und Geschäftsführer bei der Frankfurter Beteiligungsgesellschaft VR Equitypartner. In dieser Rolle verantwortet er die Akquisition und Wertsteigerung von Direktbeteiligungen sowie Mezzanine-Finanzierungen. Zudem begleitete er zahlreiche Investments und Zukäufe und betreut die Weiterentwicklung diverser Portfoliounternehmen.

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