12.09.2024 | Christin Müller, Dr. Peter Müller

Ablauf und Best Practices im M&A-Schiedsgutachterverfahren

M&A-Kaufpreisstreitigkeiten haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Viele Parteien sehen sich erstmalig mit der Situation eines Schiedsgutachterverfahrens konfrontiert. Hierbei sind einige grundlegende Fragestellungen zu beachten, um eine erfolgreiche Streitbeilegung sicherzustellen.

Recht & Steuer

1. Einleitung

M&A-Kaufpreisstreitigkeiten haben in den letzten Jahren vor dem Hintergrund veränderter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen sowie schwankender Marktstimmungen und Bewertungsmaßstäbe deutlich zugenommen. Im Falle von Kaufpreisanpassungsklauseln und Earn-outs können selbst vermeintlich geringfügige Auslegungsunterschiede zu Differenzen im mehrstelligen Millionenbereich führen. Hierbei ist zusätzlich eine signifikante Zunahme solcher M&A-Kaufpreisstreitigkeiten zu verzeichnen, die nicht durch eine Verhandlungslösung der Parteien beendet werden können.

Abhilfe bei solchen M&A-Kaufpreisstreitigkeiten schafft die Einschaltung eines unabhängigen Schiedsgutachters, der eine neutrale Sicht auf beide Positionen einnimmt. Problematisch ist jedoch, dass viele Parteien sich erstmalig mit der Situation eines Schiedsgutachterverfahrens konfrontiert sehen. Hierbei sind nach unserer Erfahrung als Parteiberater und als Schiedsgutachter einige grundlegende Fragestellungen zu beachten, um eine erfolgreiche Streitbeilegung sicherzustellen:

•Wann kommt ein Schiedsgutachterverfahren bei M&A-Streitigkeiten zur Anwendung?

•Welche Optionen zur Ausgestaltung eines Schiedsgutachterverfahrens haben die Parteien zur Auswahl?

•Welche Empfehlungen ergeben sich aus der Praxis für die Durchführung eines Schiedsgutachterverfahrens?

2. Anwendungsfälle von Schiedsgutachterverfahren und häufige Streitpunkte

Die häufigsten Anwendungsfälle von Schiedsgutachterverfahren finden sich in der M&A-Praxis insbesondere im Falle von Streitigkeiten in Bezug auf Preisanpassungsklauseln und Earn-out-Berechnungen. Darüber hinaus werden in seltenen Fällen Schiedsgutachter auch bei der Beurteilung von Leakage-Sachverhalten einbezogen.

Die überwiegend verwendeten Preisanpassungsklauseln vergleichen hierbei das Nettoumlaufvermögen (Working Capital) und die Nettoverschuldung (Net Debt) auf Basis von Schätzwerten mit den tatsächlichen Werten zum Vollzugszeitpunkt der Transaktion (sogenannte Closing Accounts). Die einzelnen Positionen des Nettoumlaufvermögens und der Nettoverschuldung sind hierbei auf Basis vertraglicher Regelungen unter Einbezug von nationalen und internationalen Rechnungslegungsstandards zu ermitteln, die zumeist hochkomplex und auslegungsbedürftig sind. Daraus resultieren zum Teil weite Interpretationsmöglichkeiten und Entscheidungsspielräume mit unmittelbarer Kaufpreisrelevanz.

Ähnliches lässt sich in der Praxis auch für Earn-out-Berechnungen beobachten. Finanzielle Zielgrößen wie das Ergebnis vor Zinsen und Steuern (EBIT) werden hierbei ebenso auf Basis vertraglicher Regelungen unter Einbezug von nationalen und internationalen Rechnungslegungsstandards ermittelt. Das Streitpotenzial eines Earn-outs ist jedoch aufgrund der in der Praxis weit überwiegend gewählten Ausgestaltung um ein Vielfaches höher. Regelmäßig werden Earn-out-Zahlungen vereinbart, die nur bei der Überschreitung eines vereinbarten Schwellenwerts vollständig gezahlt werden, es wird jedoch keine Zahlung bei einer Unterschreitung geleistet. Entsprechend können selbst kleinste Sachverhalte als „Zünglein an der Waage“ über Millionenzahlungen entscheiden.

In der Praxis können dabei mögliche Streitpunkte im Rahmen von Kaufpreisanpassungsklauseln und Earn-out-Berechnungen das gesamte Spektrum von Bilanzpositionen oder Positionen aus der Gewinn- und Verlustrechnung betreffen. Ermessensbehaftet – und dadurch häufig im Fokus von Streitigkeiten – ist hierbei die Bewertung von Forderungen und Vorräten. Aufgrund des immanent hohen Ermessens ist auch die Bewertung von Rückstellungen häufig Gegenstand von Streitigkeiten.

Zudem treten nach Closing häufig Streitfragen zu Bilanzierungssachverhalten zutage, die zuvor innerhalb eines größeren Konzernverbundes aufgrund ihrer Höhe als unwesentlich angesehen wurden, jedoch im Rahmen einer Kaufpreisanpassung zu einem wesentlichen Streit zwischen den Parteien führen können.

Auch im Hinblick auf die korrekte Umsatzrealisierung sind im Falle von komplexen Projekten und Auftragsfertigungen häufig unterschiedliche Auslegungen zu beobachten. Auch andere Fragen der Periodenabgrenzung von Geschäftsvorfällen lassen sich als häufig wiederkehrende Streitfälle beobachten.

3. Abgrenzung des Schiedsgutachterverfahrens vom Schiedsgerichtsverfahren (Arbitration) und Vorteile

Obgleich das Ergebnis des Schiedsgutachterverfahrens für beide Parteien verbindlich ist, handelt es sich im Gegensatz zu Schiedsgerichtsverfahren ausschließlich um eine vertragliche Vereinbarung. Auch wenn die Begriffe regelmäßig im gleichen Zusammenhang genannt werden, unterscheiden sich die jeweiligen Verfahren und die formalen Anforderungen grundlegend.

Das Schiedsgutachterverfahren findet ausschließlich auf im jeweiligen Kaufvertrag genau definierte Sachverhalte aus der Finance- und Rechnungslegungsperspektive Anwendung, wie zum Beispiel die Beurteilung von Streitpunkten bei Preisanpassungsmechanismen oder Earn-out-Berechnungen. Demgegenüber kann sich ein Schiedsgerichtsverfahren (Arbitration) auf alle Bestimmungen des Kaufvertrages beziehen und hierbei insbesondere auf alle rechtlichen Fragestellungen.

Konzeptionell sieht das Schiedsgutachterverfahren die Betrachtung aus der Sicht eines Experten mit beruflichem Hintergrund im Finanz- und Rechnungswesen vor. Die Verfahrensregeln können zwischen Käufer und Verkäufer individuell vereinbart werden. Gegensätzlich werden Schiedsgerichtsverfahren von Rechtsanwälten durchgeführt, die auf M&A-Streitigkeiten spezialisiert sind. Ein Verfahren kann hierbei beispielsweise nach den Regeln des Deutschen Instituts für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) oder international nach den Bestimmungen der International Chamber of Commerce (ICC) durchgeführt werden.

Ein wesentlicher Vorteil des Schiedsgutachterverfahrens besteht darin, dass im Gegensatz zu Schiedsgerichten in einem Zeitraum von drei bis sechs Monaten eine Entscheidung herbeigeführt werden kann. Entsprechend besteht regelmäßig ein Zeit- und damit auch Kostenvorteil gegenüber einem Schiedsgericht.

4. Ausgestaltung der Schiedsgutachterklausel

Dem Schiedsgutachterverfahren vorgelagert sind regelmäßig Verhandlungen der Parteien, um strittige Sachverhalte in Bezug auf Kaufpreisanpassungsklauseln oder Earn-out-Berechnungen auszuräumen. Scheitern diese Verhandlungen, ohne dass Einigkeit über alle strittigen Sachverhalte erzielt wurde, greift die vertraglich vereinbarte Schiedsgutachterklausel.

Kaufverträge enthalten hierbei in den meisten Fällen konkrete Vorgaben über die Ausgestaltung des Schiedsgutachterverfahrens, wie beispielweise dass:

•der Schiedsgutachter beiden Parteien ausreichend Gehör gewähren soll, meist mit Verweis auf eine oder mehrere Schriftsatzrunden und eine mündliche Verhandlung;

•sich die Entscheidung des Schiedsgutachters innerhalb der Positionen der Parteien bewegen muss;

•der Schiedsgutachter eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mit nationalem oder auch internationalem Ansehen sein muss;

•die Parteien mit dem Schiedsgutachter zusammenarbeiten und ihm die für seine Arbeit relevanten Unterlagen zur Verfügung stellen müssen;

•die Kosten des Schiedsgutachters nach §§ 91ff. ZPO zwischen den Parteien aufzuteilen sind;

•das gesamte Verfahren innerhalb einer Frist abzuschließen ist.

In der Praxis kann es sich jedoch als hinderlich erweisen, das Verfahren im Vorfeld zu konkret im Kaufvertrag festzulegen, da zu diesem Zeitpunkt Art und Umfang der Streitigkeiten noch gar nicht bekannt sein können. Hiervon auszunehmen sind eher allgemeine Verfahrensregeln, wie ausreichend Gehör, die Beschränkung der Entscheidung des Schiedsgutachters auf die Positionen der Parteien, Regelungen zur Zusammenarbeit sowie die Expertise und das Renommee des Schiedsgutachters. Demgegenüber erscheint eine zeitliche Beschränkung des gesamten Verfahrens oder gar einzelner Prozessschritte im Kaufvertrag zumeist als nicht praktikabel. Die Dauer eines Verfahrens insgesamt und der einzelnen Prozessschritte sollte sich hierbei nach der Anzahl und Komplexität der jeweiligen strittigen Sachverhalte richten. Zudem sollte sich die Verfahrenslänge dabei insbesondere an der Zahl der vereinbarten Prozessschritte orientieren, um ein der Sache angemessenes Verfahren zu gewährleisten. Bei der Auswahl des Schiedsgutachters sollten die Parteien Wert darauf legen, dass ein zu bestimmender Schiedsgutachter über tiefgreifende und fundierte Kenntnisse von M&A und Rechnungslegung verfügt und im besten Fall regelmäßig als Schiedsgutachter tätig ist. Häufig einigen sich die Parteien bereits im Kaufvertrag auf einen solchen Experten. Benennt der Kaufvertrag keinen Schiedsgutachter und die Parteien können über die Wahl dieses Schiedsgutachters keine Einigung erzielen, entscheidet darüber eine dritte Instanz (in Deutschland regemäßig das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW)).

5. Typischer Ablauf eines Schiedsgutachterverfahrens und Praxisempfehlungen

Der Ablauf eines Schiedsgutachterverfahrens gliedert sich typischerweise in vier Kernprozessschritte, wobei bei Bedarf vier weitere Schritte optional eingeschoben werden können. Der Ablauf wird vor Beginn des Schiedsgutachterverfahrens mit allen beteiligten Parteien vereinbart und sollte in jedem Fall individuell auf die Komplexität und die Anzahl der strittigen Sachverhalte angepasst werden. Dabei wird in enger Abstimmung mit allen Beteiligten der genaue Prozessablauf, die zu entscheidenden strittigen Sachverhalte sowie der Handlungsrahmen des Schiedsgutachters definiert.

Abb. 1 • Indikativer Zeitplan für Schiedsgutachterverfahren

Abb. Quelle: KPMG AG

Quelle: KPMG AG

1) Beide Parteien erstellen zunächst eine schriftliche Ausfertigung ihrer Position zu den strittigen Sachverhalten inklusive der dazugehörigen Dokumentation. Hierzu gehören beispielsweise Nachweise auf Einzelkontenebene, Verträge oder Rechnungen. Unter Berücksichtigung der Anzahl an strittigen Sachverhalten und der Komplexität wird hierfür meist eine Frist von zehn bis fünfzehn Bankarbeitstagen vorgesehen.

2) Als optionaler weiterer Prozessschritt können sowohl Käufer als auch Verkäufer zu der Ausfertigung der Gegenpartei aus dem ersten Prozessschritt unter konkreter Bezugnahme auf die einzelnen Sachverhalte schriftlich Stellung nehmen. Vergleichbar mit Prozessschritt 1 wird hierfür meist eine Frist von zehn bis fünfzehn Bankarbeitstagen vorgesehen.

3) Auf Basis der Eingaben der Parteien stellt der Schiedsgutachter Fragen, fordert weitere Unterlagen an und kann auch Befragungen mit dem Abschlussprüfer und seltener mit dem Management des Zielunternehmens anfragen. Für diesen Prozessschritt benötigt der Schiedsgutachter nach unserer Erfahrung regelmäßig zehn Bankarbeitstage. Darüber hinaus behält es sich der Schiedsgutachter in der Praxis zumeist vor, noch eine weitere Fragerunde durchzuführen, falls die ordnungsgemäße Durchführung seines Auftrags dies nach seinem Ermessen erfordert.

4) Der Veräußerer als auch der Erwerber müssen dann zu den Fragen des Schiedsgutachters schriftlich Stellung zu nehmen, Dokumente zur Verfügung stellen und entsprechende Befragungen mit dem Abschlussprüfer ermöglichen. Für diesen Prozessschritt ist regelmäßig eine Frist von zehn bis fünfzehn Bankarbeitstagen vorgesehen. Diese Frist richtet sich aber auch danach, ob die entsprechenden Anfragen innerhalb eines solchen Zeitraums beantwortet werden können und ob beispielweise der Abschlussprüfer innerhalb dieser Frist zur Verfügung steht.

5) Als weiterer optionaler Prozessschritt besteht die Möglichkeit einer mündlichen Verhandlung, die meist fünf bis zehn Bankarbeitstage nach dem Abschluss des vierten Prozessschritts stattfindet.

6/7) Als Alternative zu einer mündlichen Verhandlung können sich die Parteien dafür entscheiden, den Schiedsgutachter zu verpflichten, einen Entwurf seines Schiedsgutachtens zu übermitteln. Jedoch kann dieser Schritt auch zusätzlich zu einer mündlichen Verhandlung vereinbart werden, wobei dies in der Praxis eher seltener der Fall ist. Der Veräußerer und der Erwerber können dazu schriftlich Stellung nehmen, um beispielsweise auf Missverständnisse hinzuweisen oder um ihre Positionen noch einmal zu untermauern. Für die Erstellung und Übermittlung des Entwurfs des Schiedsgutachtens sowie die danach folgende Kommentierung durch die Parteien sind jeweils meist zehn bis fünfzehn Bankarbeitstage vorgesehen.

8) Das Schiedsgutachterverfahren endet in einer abschließenden Bewertung der strittigen Sachverhalte durch den Schiedsgutachter, die im Schiedsgutachten festgehalten wird. Vorbehaltlich offensichtlicher Fehler (beispielsweise Rechenfehler) und Fällen von Betrug, ist eine solche Entscheidung regelmäßig für die Parteien bindend.

6. Fazit

Die signifikante Zunahme von M&A-Kaufpreisstreitigkeiten, die nicht im Rahmen von Verhandlungen beigelegt werden können, stellt die Streitparteien vor enorme Herausforderungen. Viele Parteien sehen sich hierbei erstmalig in der Situation, ein Schiedsgutachterverfahren durchlaufen zu müssen.

Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass die Parteien den jeweiligen Schiedsgutachterprozess individuell auf den spezifischen Streitgegenstand zuschneiden sollten. Pauschallösungen und insbesondere ein zu enger Zeitrahmen, der nicht der Anzahl und der Komplexität der Streitpunkte entspricht, sollten in jedem Fall vermieden werden. Als Schiedsgutachter sollten nur solche Experten und Expertinnen bestellt werden, die über tiefgreifende und fundierte Kenntnisse von M&A und Rechnungslegung verfügen und im besten Fall regelmäßig als Schiedsgutachter tätig sind. Werden diese Punkte bedacht, steht einer erfolgreichen Streitbelegung meist nichts mehr im Wege.

Das könnte Sie auch interessieren