Aus eins mach zwei: Unternehmensteile abtrennen per Carve-out
Man kann sich die Komplexität eines Carve-outs so vorstellen wie die chirurgische Entnahme eines Organs. Eine diffizile Operation, bei der weder der Ursprungsorganismus noch das Organ beschädigt werden darf. Mit der zusätzlichen Herausforderung beim Carve-out, dass hier das herausgetrennte Objekt selbst lebensfähig sein muss.
1. Einleitung
Die Nachwirkungen der Pandemie, volatile Energiepreise, Inflationsraten wie zuletzt in den 70er Jahren, gestörte Lieferketten, mangelnde Warenverfügbarkeit, steigende Zinsen und ein immer akuterer Fachkräftemangel: Angesichts dieser Entwicklungen denken Unternehmen darüber nach, wie sie das eigene Geschäftsmodell sturmfest justieren können, verbunden mit einer Steigerung des Unternehmenswertes, Fokussierung auf Kernkompetenzen und verbesserter Positionierung am Markt. All das lässt sich erreichen mit der erfolgreichen Abspaltung eines Teilbereiches und dessen Verselbstständigung: dem Carve-out. Leicht ausgesprochen, aber ausgesprochen komplex in der Umsetzung.
Wortwörtlich wird bei einem Carve-out ein Geschäftsbereich oder Unternehmensteil aus dem Unternehmen „herausgeschnitten“. Diese Abspaltung wird dann als eigenständige Einheit weiterbetrieben oder verkauft. Initiatoren für einen Carve-out sind das Management, die Eigentümer und Investoren – oder das Carve-out-Objekt selbst möchte eigenständig werden.
Man kann sich die Komplexität eines Carve-outs so vorstellen wie die chirurgische Entnahme eines Organs. Eine diffizile Operation, bei der weder der Ursprungsorganismus noch das Organ beschädigt werden darf. Mit der zusätzlichen Herausforderung beim Carve-out, dass hier das herausgetrennte Objekt selbst lebensfähig sein muss. Gleiches gilt im Übrigen auch für den verbleibenden Teil. Ist der betroffene Unternehmensteil, der herausgelöst wird, bisher operativ unselbstständig gewesen (z.B. Business Line, Produktionsbereich), gestaltet sich der Carve-out-Prozess noch schwieriger als bei einer bisher schon operativ selbstständigen Tochtergesellschaft oder Business Unit.
Führt diese Komplexität zu einer in letzter Zeit zurückhaltenden Aktivität bei Carve-out-Transaktionen? Nein, nicht die Komplexität allein dürfte es gewesen sein, wohl aber die allgemeine negative Marktentwicklung 2023. Hatten Carve-outs im Jahr 2022 in Europa ein Volumen von rund 67 Mrd. EUR in Europa, zeigen neueste Daten von Pitchbook für 2023 einen deutlichen Rückgang. Der Erwartungswert für das Volumen wurde hier für das Gesamtjahr um rund 39% niedriger angegeben (Abb. 1). Aktuelle Umfragen zeigen jedoch, dass rund 60% der Marktteilnehmer in den kommenden 24 Monaten einen Anstieg vermuten.
Abb. 1 • Marktvolumen & Anzahl von Carve-out-Transaktionen, Europa
Quelle: Pitchbook, European Private Capital, Stand: Juli 2023
2. Extreme Herausforderung, große Erfolgsperspektiven
Einen mehr oder weniger frei zu definierenden Unternehmensteil herauszuschneiden und daraus eine lebensfähige Einheit mit Zukunftsperspektive zu machen, wirkt auf den ersten Blick extrem herausfordernd. Und auch auf den zweiten Blick ist es das: eine hochkomplexe, langwierige Aufgabe, vor der man jedoch nicht zurückschrecken braucht. Denn wie in der Chirurgie gilt auch in der unternehmerischen Praxis: Komplexität muss planvoll in überschaubare Teile zerlegt werden, so dass sie Schritt für Schritt gemeistert werden kann, am besten mit Hilfe von Experten, die bereits zahlreiche Carve-out-Projekte erfolgreich durchgeführt haben. Die Perspektiven und Zielsetzungen solch einer Operation sind vielfältig:
Liquiditätsengpässe können gelöst werden, Finanzierungsvorhaben lassen sich stemmen, die Konzentration auf das Kerngeschäft bündelt die vorhandenen Ressourcen an der richtigen Stelle. Kurz: Das Unternehmen kann leistungsfähiger, handlungsschneller und effizienter als zuvor werden (Abb. 2).
Abb. 2 • Wesentliche Motive für einen Carve-out (Auswahl)
Quelle: RSM Ebner Stolz
3. Relevant auch für Mittelständler
Häufig setzen börsennotierte Unternehmen auf einen Carve-out; meist aus grundsätzlichen strategischen Überlegungen. Aber auch für den Mittelstand kann ein Carve-out ein geeignetes Instrument sein, etwa um auf aktuelle Marktsituationen oder finanzielle Entwicklungen zu reagieren. So können Mittelständler kurzfristig im Kerngeschäft wachsen, Komplexität in Geschäftsprozessen reduzieren und Unternehmensstrukturen verschlanken.
4. Die Planung – analysieren, dokumentieren, vorbereiten
Unzählige Nervenenden, Blutgefäße und andere Strukturen verbinden ein Organ mit dem Körper. Bei einer Transplantation muss der Chirurg jede einzelne Verbindung kennen und säuberlich trennen – ohne dass es dabei zu Komplikationen kommt. Auch ein zum Carve-out bestimmter Unternehmensteil ist auf vielschichtige Weise mit dem Unternehmen verbunden. Ein Großteil der Komplexität des Carve-out-Projektes steckt darin, diese Verknüpfungen zu analysieren, zu dokumentieren und dann möglichst reibungslos zu trennen (Abb. 3).
Abb. 3 • Carve-out-Themen und Arbeitsbereiche (Überblick)
Quelle: RSM Ebner Stolz
5. Das Management – gut aufgestellt für das Projekt
Die detaillierte Vorbereitung und Verständnis für die Herausforderungen im Prozess sind entscheidend für dessen Gelingen. Das gilt für die Chirurgie einer Klinik vor einer lebensgefährlichen Operation genauso wie für das Carve-out-Projekt. Beide brauchen eine klare Projektstruktur, definierte Verantwortlichkeiten und ein exzellentes, mit ausreichend Ressourcen ausgestattetes Team mit optimaler Aufgabenverteilung. Beim Carve-out kommt noch der Bedarf nach einem eigenen Projektmanagement-Office hinzu. Dieses PMO koordiniert alle Beteiligten zur Informationsbeschaffung, -weitergabe unter Einhaltung der Timeline und der Kostenvorgaben. Es übernimmt zudem die weltweite Koordination aller Aktivitäten inklusive Cost Monitoring und berichtet üblicherweise direkt an die Geschäftsleitung.
6. Die Umsetzung – möglichst effizient und strukturiert
Bei der Umsetzung eines Carve-outs zählt der effiziente und strukturierte Umgang mit den typischen Herausforderungen, die sich normalerweise in drei Dimensionen gliedern: Komplexität, Zeit und Ressourcen (Abb. 4).
Abb. 4 • Herausforderungen bei einem Carve-out
Quelle: RSM Ebner Stolz
7. Die Dauer – von der Analyse bis zur Execution
Je nach Komplexität des Carve-outs und Projektumfang dauert es von der Initiierung bis zur Umsetzung von wenigen Monaten bis hin zu einigen Jahren, bis der ausgegliederte Unternehmensteil sich vollständig vom Kernunternehmen gelöst hat und erfolgreich auf eigenen Beinen steht. Bei einem Verkauf kommt auf Seiten des Erwerbers dann eine meist intensive Post-Merger-Phase hinzu.
Der Zeithorizont zeigt: Ein Carve-out hilft nicht in akuten Notlagen, sondern bei der mittel- und langfristigen Verbesserung der Unternehmensperspektive.
Der idealtypische Verlauf eines Carve-outs folgt regelmäßig einem Muster:
Strategische Portfolio-Analyse: bis 3 Monate
• Bewertung Unternehmensportfolio/Geschäftsfelder nach unterschiedlichen Dimensionen
• Zusammenfassung der Key Findings
• Entscheidungsgrundlage für Portfolio-Strategie und Roadmap
Konzept und Vorbereitungsphase: 3 bis 12 Monate
• Definition/Abgrenzung des Carve-out-Perimeters
• High-Level-Komplexitätsmatrix
• Schaffung Transparenz zu Leistungsverflechtungen
• Erstellung eines detaillierten Carve-out-Konzeptes
• Prüfung rechtlicher und steuerlicher Aspekte
• Stand-alone-Anpassungen/Planung
M&A-Prozess (falls Veräußerung geplant): 8 bis 12 Monate
• Initiierung eines strukturierten Verkaufs-/Bieterverfahrens
• Market Sounding & Investorenprozess
• Marktfeedback und Bewertungseinschätzung (= Marktwert)
• Abschluss Kaufvertrag und TSA
Carve-out Execution: 3 bis 12 Monate
• Implementierung Projekt-Management-Office (PMO)
• enges Maßnahmentracking
• Monitoring und Umsetzung der Transitional Service Agreements
Post-Merger-Integration: meist mehrere Jahre
• Integrationskonzept
• Integrationsreporting
8. Der Verkaufsfall – auf der Suche nach einem „New Best Owner“
Regelmäßig werden Carve-outs im Zuge eines M&A-Prozesses an einen neuen Eigentümer veräußert. Neben dem eigentlichen Carve-out kommt dann auch noch die Komplexität eines Verkaufsprozesses hinzu. Auch hier ist der Grad der bisherigen Integration und Struktur von entscheidender Bedeutung für Besonderheiten, die bei der Umsetzung des Verkaufs zu beachten sind.
Neben der Verkäuferperspektive ist hier auch die Ausgangssituation des Erwerbers entscheidend. Ein Finanzinvestor, der das Geschäft zukünftig stand-alone, also eigenständig führen möchte, wird eine andere Sichtweise auf die Transaktion entwickeln als ein Stratege. Ein strategischer Käufer hat andere Möglichkeiten. Unter Umständen kann er den Carve-out Bereich in seine bestehenden Strukturen integrieren, zentrale Funktionen und Dienste bereitstellen, wie beispielswiese IT-Systeme, Buchhaltung, Reporting, Personalwesen etc. Somit müssen diese Bereiche nicht aufgebaut und ersetzt werden.
Aber auch das wird nicht von heute auf morgen funktionieren, sondern bedarf einer genauen Planung, viel Aufmerksamkeit bei der Umsetzung und entsprechender Kompetenzen. Für eine Übergangsphase sind sowohl Strategen wie auch Finanzinvestoren auf den Support des Verkäufers angewiesen. Entscheidend für die Frage nach dem „New Best Owner“ ist vielmehr, wie sich das Unternehmen optimal entwickeln kann und welche Synergien beziehungsweise Wachstumspotenziale zukünftig gehoben werden können.
9. Transitional Service Agreement (TSA)
Zum offiziellen Start der Eigenständigkeit sind meist nicht alle Verbindungen zum bisherigen Kernunternehmen gekappt. Oft werden noch Leistungen bezogen, die erst nach und nach im neuen Unternehmen verankert werden.
Für diese Übergangsphase vereinbart man Transitional Service Agreements (TSA). Sie sichern für einen definierten Zeitraum den Bezug der benötigten Prozesse und Strukturen ab, um den operativen Betrieb ab Tag 1 zu gewährleisten. Beispiele:
• Nutzung von IP: Patente, Gebrauchsmuster, Markennamen, Logos
• IT: Soft- und Hardware, Infrastruktur, Lizenzen
• Corporate Services: Legal, Finance, HR
• Einkauf: Rohstoffbezug und Nutzung interner Lieferstrukturen
• Maschinen und Immobilien: Leasing und Mietverträge
In der Regel unterschiedet man bei TSA in Short Term (bis 12 Monate) und Long Term (12 bis 36 Monate). Bei Bedarf können TSAs auch länger bis hin zu Life-Time-Agreements vereinbart werden, etwa bei Patentnutzungen.
Strategische Investoren streben meist die schnellstmögliche Integration der neuen Einheit und die vollständige Abtrennung der Prozesse vom Ursprungsunternehmen an, um Synergien heben zu können. Dies bedeutet eher kürzere TSA-Laufzeiten.
Finanzinvestoren betreiben das veräußerte Unternehmen regelmäßig stand-alone, als eigenständige Einheit. Da hier meist nicht auf bestehende Strukturen und Prozesse zurückgegriffen werden kann, müssen diese erst aufgebaut werden. Dies führt zu länger laufenden TSAs.
10. Mit kompetenter Unterstützung Komplexität managen – und profitieren
Ein Carve-out ist ein effizientes Instrument für die Transformation und Fokussierung des Geschäftsmodells, gleichzeitig auch um Unternehmenswachstum zu forcieren oder finanzwirtschaftliche Strukturen zu optimieren.
Je nach Größe, Integrationsgrad im Ursprungsunternehmen und rechtlichem Rahmen ist ein Carve-out jedoch ein hochkomplexes Projekt. Es braucht eine umfangreiche Prozesskenntnis sowie eine strukturierte Planung und Ausführung. Dabei müssen viele interne und externe Beteiligte und Funktionsbereiche koordiniert werden und effizient zusammenarbeiten. Zahlreiche Beispiele erfolgreicher Carve-outs bei Konzernen und mittelständischen Unternehmen zeigen: Richtig umgesetzt, lohnt sich der Aufwand.