03.08.2023 | Andre Waßmann

Drum prüfe, wer sich ewig bindet

Der M&A-Prozess ist nicht standardisiert und es existieren auch keine externen Regeln oder Regularien, wie ein solcher Prozess abzulaufen hat. Käufer und Verkäufer steht es demnach weitestgehend frei, den Prozess nach ihren Ansprüchen und Bedürfnissen zu gestalten. Ein Aspekt, der aber aus keiner Buy- oder Sell-Side und auch keinem Fundraising wegzudenken ist, ist die Due Diligence (DD).

Special Topic

Der M&A-Prozess ist nicht standardisiert und es existieren auch keine externen Regeln oder Regularien, wie ein solcher Prozess abzulaufen hat. Käufer und Verkäufer steht es demnach weitestgehend frei, den Prozess nach ihren Ansprüchen und Bedürfnissen zu gestalten. Ein Aspekt, der aber aus keiner Buy- oder Sell-Side und auch keinem Fundraising wegzudenken ist, ist die Due Diligence (DD).

Due Diligence heißt frei übersetzt Sorgfaltspflicht bzw. etwas wörtlicher die „gebührende Sorgfalt“ und bedeutet die Überprüfung des Verkaufsobjekts durch den potenziellen Erwerber auf gewisse Kriterien. Auch hier steht es dem Käufer frei, welche Aspekte er sich genauer ansehen möchte. Etabliert haben sich in der M&A-Praxis die rechtliche, steuerliche, finanzielle, personelle, kommerzielle und – als neuestes Mitglied – die ESG Due Diligence. Gerade in Fällen, in denen eine Finanzierung für den Kaufpreis aufgenommen werden soll, ist ein fachmännisch erstellter DD-Bericht Voraussetzung für die Kredit-vergabe.

Das Ziel der Due Diligence ist es dabei, durch das Offenlegen umfassender Informationen zum Verkaufsobjekt die bestehenden Informationsasymmetrien zwischen Käufer und Verkäufer weitestgehend abzubauen und dem Käufer Klarheit darüber zu verschaffen, ob das Verkaufsobjekt seinen Anforderungen und Kriterien entspricht.

Die ESG Due Diligence nimmt mittlerweile eine besondere Rolle ein, da Unternehmen durch regulatorische Vorgaben zu mehr Nachhaltigkeit verpflichtet sind. Nachhaltigkeit ist in Unternehmen aller Größenordnungen das strategisch aktuell vermutlich relevanteste Thema. Damit nimmt es entsprechend Einfluss auf die Entscheidungen im Rahmen von M&A-Entscheidungen und Prozessen.

Nachhaltigkeit findet im Rahmen von M&A auf drei Ebenen Ausdruck: 1) im Portfolio, 2) dem M&A-Prozess und 3) der Bewertung im Rahmen einer Übernahme oder eines Verkaufs (dem Preis).

Regulatorischer und gesellschaftlicher Druck zu mehr Nachhaltigkeit führt zu einem Überdenken des eigenen Portfolios an Dienstleistungen, Produkten, Gesellschaften oder Zulieferern. Vor diesem Hintergrund wird eine nachhaltige Portfolio-, Geschäfts-feld- oder Produktstrategie entwickelt und das Marktumfeld nach potenziellen Investoren oder Zielunternehmen gescreent. Sobald ein M&A-Prozess zustande kommt, werden die erarbeiteten Kriterien im Rahmen der DD überprüft. Positive sowie negative Aspekte aus allen DD-Bereichen schlagen sich dabei letztendlich im Kauf-preis nieder. Jeder Abzugsposten muss dabei durch die Due Diligence detailliert hergeleitet und quantifiziert werden. Aufschläge, sogenannten Prämien, sind möglich, um im Prozess um ein besonders nachhaltiges Zielunter-nehmen wettbewerbsfähig zu sein.

Portfolioanalyse

Wie ist die Nachhaltigkeitsdebatte motiviert? Verglichen mit dem weltweiten Durchschnitt verursacht Deutschland als Industrienation pro Kopf gerechnet mehr als das Doppelte an klimaschädlichen Treibhausgasen. Deutschland hat sich wie viele andere Industrienationen mit Unterzeichnung des Pariser Klimaschutzabkommens dazu verpflichtet, die Emissionen von Treibhausgasen deutlich zu senken. Gemäß Zahlen der Bundesregierung ist es bereits gelungen, den Ausstoß von Treib-hausgasen zwischen 1990 und 2018 um 30,8% zu senken. Bis 2030 soll der Ausstoß um 55% reduziert werden. Mit Beschluss des Bundes-Klimaschutzgesetzes (KSG) vom 24.06.2021 liegt das deutsche Treibhausgas-minderungsziel für das Jahr 2030 sogar bei minus 65% gegenüber 1990. Deutschland hat sich demnach für den Klimaschutz sehr ehrgeizige Ziele gesetzt und will bis 2045 sogar die Klimaneutralität erreichen.

Die Wirtschaft soll vor allem in den wichtigen Bereichen Energiewirtschaft, energieintensive Industrien, Verkehr und Gebäude ihren Beitrag leisten. Daraus verspricht man sich einen deutlich höheren und schnelleren Abbau der Emissionen.

Es wurden auch verschiedene Standards etabliert, um Messung und Analyse der Treibhausgasemissionen zu ermöglichen und somit das Erreichen der regulatorischen Ziele auf Unternehmensebene messbar und damit umsetzbar zu machen. Wesentliche Beispiele sind die Standards der Global Reporting Initiative (GRI) oder des Sustainability Accounting Standards Board (SASB). Gemäß einer Studie von KMPG aus dem Jahr 2022 sind die GRI-Standards die weltweit meistgenutzten „Nachhaltigkeitsreportingstandards“.

Insbesondere von Bedeutung sind dabei die themenbezogenen Standards 300ff der GRI, die sich mit ökologischen Themen befassen. Ein Unternehmer steht demnach – je nachdem welcher Industrie er angehört – vor der großen Herausforderung, die Treibhausgasemission seines Unternehmens zu messen und in der eigenen Geschäftsberichterstattung zu verarbeiten mit dem letztendlichen Ziel, sie zu reduzieren.

Wie hängen die Reportingstandards mit dem Einfluss von Nachhaltigkeit auf Portfolioebene zusammen? Im Grunde ist die korrekte Datenerhebung für die Identifikation von strategisch relevanten, zielunterstützenden auf der einen und nichtpassenden Geschäfts- oder Portfoliobereichen auf der anderen Seite das Fundament der effektiven Portfolioanalyse.

Erst die Analyse der einzelnen Geschäfts-, Produkt- oder Portfoliobereiche ermöglicht Entscheidungsfindung hinsichtlich der Konformität mit Gesetzen und Standards und damit die Anpassung des Portfolios. Es werden solche Bereiche festgelegt, die mit ihrer Leistung unterhalb der selbstgesteckten Benchmarks in der eigenen Konzerngruppe liegen, und eine Entscheidung über den Prozess von IST zu SOLL getroffen.

Der effizienteste Weg zu weniger Treibhausgasemission ist das Schließen emissionsstarker Bereiche bzw. deren Verkauf, sofern es sich nicht um Kernbereiche handelt. Kernbereiche sollten mittels Innovation und Optimierung entwickelt werden. Strategisch nicht relevante, sogenannte Non-Core-Bereiche, können im Rahmen einer initialen Portfolioanalyse identifiziert, gemäß ihrem Emissionsimpact klassifiziert und letztendlich für einen Carve-out ausgewählt werden. Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass der Verkauf besonders „schmutziger“ Teilbereiche in der Regel erschwert sein sollte und immer schwerer wird.

Alternativ oder ergänzend können Zielunternehmen oder Assets außerhalb des Unternehmens identifiziert werden, deren Übernahme eine Erhöhung der eigenen Konformität ermöglicht. Im Rahmen der Port-folioanalyse werden so Lücken oder Substitute identifiziert und durch strategische Zukäufe geschlossen oder Angebote und Wertschöpfungs-ketten diversifiziert. Auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit ist insbesondere die Investition in Wettbewerber mit nachhaltigen Verfahren oder nachhaltigeren Technologien oft ein probates Mittel. Hier ist naturgemäß mit Prä-mien auf den Kaufpreis zu rechnen.

Due Diligence auf den Impact der Akquisition

Nach erfolgter Portfolioanalyse und Identifikation der Des- und Investitionsbereiche werden potenzielle Akquisitionsobjekte oder Investoren identifiziert und ein Transaktionsprozess gestartet. Im Rahmen der Due Diligence ist – neben den rechtlichen, wirtschaftlichen und steuerlichen Aspekten – zu prüfen, ob das Target die erforderlichen Voraussetzungen und Charakteristika hat, um die identifizierte Lücke in der Nachhaltigkeit zu schließen.

Entscheidet sich das Unternehmen für einen Zukauf, ist in Ergänzung zu den üblichen Prüfungsbereichen einer kommerziell-strategischen und technischen DD besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Hierüber werden der strategische Fit und die Eintrittswahrscheinlichkeit gewünschter Effekte nach der Integration ermittelt. Der Einsatz der Fachabteilungen und des Managements als Ergänzung zu den spezialisierten DD-Teams wird dabei erforderlich.

Entscheidend ist die ESG-Attraktivität des Targets sowie die Prüfung der Konformität mit regulatorischen Vorgaben oder anderen Banken- und Stakeholder-Kriterien. Mit einer „Tick-the-Box-DD“ kommt der Käufer nicht ans Ziel. Es ist zu prüfen, ob ich meine Ziele mit der Akquisition erreichen kann. Das Zielunternehmen (Target) kann nach den üblichen DD-Kriterien absolut in Ordnung sein. Es hilft dem Käufer aber auf seinem Weg zu mehr Nachhaltigkeit nicht, wenn er seine gesteckten Ziele mit der Übernahme des Targets nicht erreicht. Die Akquisition ergibt dann keinen Sinn.

Auf der Sell-side bzw. dem Carve-out von Non-Core-Einheiten, die entsprechend der ESG-Strategie nicht mehr in das Portfolio passen, beginnt diese Prüfphase bereits bei der Auswahl des Investors. Um den bestmöglichen Preis zu erzielen sind bei der Suche nach dem passenden Investor strategische Überlegungen und eine gewisse Kreativität gefragt. Die passendsten bzw. interessiertesten Käufer finden sich oftmals nicht im typischen Umkreis, also z.B. der eigenen Industrie. Hier gilt es, über den Tellerrand hinauszublicken und solche zu finden, die z.B. in den Geschäftsbereich diversifizieren oder die Wertschöpfungstiefe vergrößern möchten. Geografisch betrachtet, sind ausländische Investoren in das sogenannte Investorenuniversum einzubeziehen. Regulatorische Unterschiede in einzelnen Geografien sollten mitberücksichtigt werden.

Impact auf die Bewertung

Zur Ermittlung der ESG-Effekte in der Unternehmensbewertung müssen Risiken und materielle Einflüsse erkannt werden. Für die Risikoerfassung ist es notwendig, die treibenden Faktoren zu bestimmen und diese über ein Risikomodell in die Bewertung zu integrieren. Die ESG-Risikobewertung misst den Grad, in dem der wirtschaftliche Wert eines Unternehmens durch ESG-Faktoren gefährdet ist, oder, technischer ausgedrückt, das Ausmaß der nicht verwalteten ESG-Risiken eines Unternehmens. Bezogen auf die Bewertung gibt es direkte und indirekte Einflüsse. Indirekte Einflüsse ergeben sich vor allem durch Reputationsrisiken. Hier gehen wir nur auf die direkten Einflüsse ein.

Teil der DD ist die Herleitung eines individuellen ESG-Ratings für das potenzielle Akquisitionsobjekt sein, das in einem zweiten Schritt in die Unternehmensbewertung einfließt. Je besser das ESG-Rating eines Unternehmens ist, desto niedriger ist das Risiko, negative Entwicklungen aufgrund von Non-Compliance zu durchlaufen. Weiter gefasst bedeutet dies, dass der negative Effekt der Akquisition auf die Reputation minimiert wird – es ergibt sich sogar ein positiver Effekt bei Targets mit sehr gutem ESG-Rating. Die höhere Reputation in Kombination mit dem höheren Nachhaltigkeitsbewusstsein der Verbraucher und Klienten führt positiven Effekten auf der Top-Line der GuV – dem Umsatz, welche zukünftig verstärkt werden. Weitere Möglichkeiten spiegeln sich in den CapEx und/oder OpEx und damit auf der Bottom-Line wider.

Finanzmathematisch stehen unterschiedliche Ansätze zur Bewertung und damit Berücksichtigung des identifizierten ESG-Risikos bereit. Die Ergebnisse der DD finden dabei meist als pauschale Abzugspositionen Eingang in die Wertermittlung oder wirken sich im Fall der finanziellen DD (FDD) direkt in Form von Anpassungen und Normalisierungen auf die Finanzzahlen und damit die Bewertungsbasis aus. Natürlich kann es auch zu Aufschlägen kommen, z.B. wenn sich ein Bieter dadurch Wettbewerbsvorteile verspricht oder im Sinne eines fairen Angebots bessere Verhältnisse als erwartet vorfindet.

Eine Berücksichtigung des ESG-Bewertungseffektes über die Kapitalkosten erscheint daher zunächst als das Mittel der Wahl und wird zusätzlich gestützt durch die nachweisbare Tatsache, dass Investoren bereit sind, niedrigere Returns in Anspruch zu nehmen, wenn das Unternehmen nachweislich eine höhere Nachhaltigkeit aufweist. Dies schlägt sich wiederum in im Wettbewerbsvergleich niedrigeren Kapital-kosten und damit im Diskontierungsfaktor nieder, was sich positiv auf den Unternehmenswert in der Bewertung auswirkt.

Über die Jahre 2015 bis 2019 wurden die Indizes „MSCI World“ – und „Emerging Markets“ miteinander verglichen. Innerhalb der GICS-Sektoren (Global Industry Classification Standard, unterteilt in 11 Sektoren, 24 Industriezweige, 69 Industrien und 158 Subindustrien) lassen sich, basierend auf ESG-Performance gemessen, deutliche Unterschiede feststellen. Der Unterschied der durchschnittlichen Kapitalkosten beträgt zwischen den am besten und schlechtesten bewerteten Quintilen im MSCI World 0,4 Prozentpunkte und im MSCI E.M. 0,8 Prozentpunkte. Ein nachhaltigeres Asset hat somit eine höhere Bewertung als ein vergleichbares Asset mit einem schlechteren Nachhaltigkeitsprofil.

Schlusswort

Die Due Diligence dient schon längst nicht mehr nur dem Abbau von Informationsasymmetrien oder der Sicherstellung einer Finanzierung, sondern vor allem dazu herauszufinden, ob ein potenzielles Kaufobjekt den eigenen Nachhaltigkeitsansprüchen genügt und die gewünschten Auswirkungen auf das Gesamt-unternehmen hat. Aus der Gesamtprüfung inkl. dem ESG-Fokus ermittelt sich ein fairer Preis im Sinne eines Nachhaltigkeitsabschlags oder einer Kaufpreisprämie.

Insbesondere die ESG DD, die je nach Branche noch lange einen „Tick the Box“-Charakter hatte, ist mittlerweile zentraler Bestandteil der Auswirkungsanalyse einer potenziellen Akquisition auf das Gesamtportfolio des Käufers. M&A wird somit zum Umsetzungswerkzeug der Nachhaltigkeitsstrategie, und die Due Diligence liefert die notwendigen Informationen für die Analyse und Bewertung des Gesamteffekts der Akquisition auf das interne und
externe ESG-Rating.

Andre Waßmann
Autor
Andre Waßmann

Andre Waßmann, Mitglied der Geschäftsleitung und Head of M&A | Corporate Finance bei Helbling Business Advisors, verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung in Unternehmensstrategie und Investmentbanking mit Schwerpunkt M&A und Corporate-Finance-Transaktionen. Er unterstützt seine Kunden bei der Trans-formation entlang von Megatrends durch Akquisitionen, Verkäufe und Finan-zierungen. Seine Expertise im Zusammenhang mit der Transformation zu mehr Nachhaltigkeit und ESG, Green Financing und Digitalisierung wird von Kunden und Medien gleichermaßen nachgefragt. Durch seine Erfahrung in verschiedenen Positionen u. a. bei Accenture, der Commerzbank, dem Investmenthaus KGAL und Clarfield International verfügt Andre Waßmann über ein exzellentes Banken-Knowhow und Kapitalmarktverständnis und einen breiten Branchenzugang.

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