M&A und Pharma: Dream-Team oder doch Katz und Maus?
Jeder Bereich hat seine Eigenheiten, so auch die Pharmabranche. Sobald es um mögliche Transaktionen und Fusionen geht, werden sie oft überdeutlich. Aber machen diese Eigenheiten unsere Arbeit einfacher, spannender oder einfach nur kompliziert? Wie wirken sich gesellschaftliche Trends auf Mergers and Acquisitions (M&A) innerhalb der Pharmabranche aus – und welche Rolle spielen verwandte Disziplinen wie Business Development (BD)? Ein Erklärungsversuch.
1. Einleitung
Jeder Bereich hat seine Eigenheiten, so auch die Pharmabranche. Sobald es um mögliche Transaktionen und Fusionen geht, werden sie oft überdeutlich. Aber machen diese Eigenheiten unsere Arbeit einfacher, spannender oder einfach nur kompliziert? Wie wirken sich gesellschaftliche Trends auf Mergers and Acquisitions (M&A) innerhalb der Pharmabranche aus – und welche Rolle spielen verwandte Disziplinen wie Business Development (BD)? Ein Erklärungsversuch.
2. Business Development
M&A und Business Development sind aufgrund der Bereiche In- und Out-Licensing sowie Portfolio- und Produktakquisitionen eng verzahnt – und deutlich stärker miteinander verwoben als in anderen Branchen. Business Development/Licensing konzentriert sich meistens auf den Abschluss von Partnerschaften und Allianzen wie zur Co-Entwicklung und Co-Vermarktung von Produkten, Ein- oder Auslizenzierungen oder Vertriebskooperationen, ist aber nicht darauf beschränkt. Kommt es zum Kauf von Produkten oder Produktportfolios, sind die Übergänge fließend. Auf der anderen Seite folgt die Bewertung des Produktportfolios einer Firma, die zum Verkauf steht, den gleichen Prinzipien wie bei Einlizenzierungen.
3. Frauen im Vorteil
Im 2022 veröffentlichten Bericht „Gender Diversity and Dealmaking 2022” hat SS&C Intralinks M&A-Abschlüsse von Frauen und Männern während der Pandemie untersucht. Obwohl die öffentliche Wahrnehmung und Wertschätzung nach wie vor auf den von männlichen CEOs abgeschlossenen Transaktionen liegt, zeigte sich, dass Frauen mehr Transaktionen zum Abschluss brachten und diese im Hinblick auf die Wertschöpfung auch nachhaltiger waren.
Schon während der Anbahnung und auch in der Verhandlungsphase haben Frauen unserer Erfahrung nach Vorteile: Sie wirken in Verhandlungsphasen oft neutralisierend auf die verhandelnden Parteien und die Fronten verhärten weniger stark. Auch ist in M&A- und BD-Projekten bei maßgeblicher Beteiligung von Frauen oft eine besonders hohe Sachorientierung innerhalb der Projektprozesse zu beobachten.
Die enge Verknüpfung von der eigentlichen Akquisition mit der nachgelagerten Post-Merger-Integration (PMI)-Phase ist ein Element, das Frauen mit der Charaktereigenschaft der Langfristigkeit sehr erfolgreich umsetzen. Da die PMI fundamental für den Erfolg einer Akquisition ist, gilt die frühe Planung und Vorbereitung der Post-Closing-Phase als zentraler Baustein für den gewünschten Effekt von M&A: ein langfristiger, profitabler Beitrag zum Unternehmens-
wachstum. Auch die kulturellen Herausforderungen beim Change-Management im Kontext mit einer Post-Merger-Integration sind mit der Charaktereigenschaft der Empathie gut zu meistern, die bei Frauen häufig stark ausgeprägt ist.
4. Internationalität und Diversity
Wahre Diversity kommt dann zustande, wenn man Menschen mit verschiedenen Hintergründen und Wurzeln zusammenbringt. Das ist eine der Stärken von kleineren Unternehmen, die international stark wachsen, weil sie die Fachkräfte sowieso nicht mehr vor Ort und Stelle finden. In der Konsequenz entstehen moderne Arbeitsformen, die die Integration einfacher machen. Aber auch darüber hinaus sind Organisationen in der Pharmaindustrie in der Regel mit sehr hoher Internationalität versehen. Diversity im Sinne von unterschiedlichen kulturellen Hintergründen der handelnden Personen führt zu einem positiven Effekt auf erfolgreiche Transaktionen sowie Post-Transaktions-Maßnahmen; es entfalten sich ein hohes Kreativitätslevel und sehr kontroverse Diskussionen, die zu einer durchdachteren Akquisitionsstrategie und Akquisitionsumsetzung führen.
5. Rechtliche und zulassungsrelevante Hürden
Die Pharmaindustrie gehört zu den am strengsten regulierten Märkten. Um Ziele zu verstehen und sie beurteilen zu können, sind regulatorische Grundkenntnisse und ein Grundverständnis über die Funktionen der Produkte notwendig. Im Rahmen von M&A-Transaktionen gilt es zudem, die kartellrechtlichen Auflagen und rechtlichen Änderungen aufmerksam zu verfolgen. Gerade in den USA waren zuletzt Verschärfungen zu beobachten; neue Regularien werden gerade erarbeitet.
Daneben müssen international agierende Unternehmen auch die unterschiedlichen Zulassungsregularien im Blick behalten, um die Produkte aus der Transaktion in den verschiedenen Märkten einführen zu können. Die damit einhergehenden Risiken und entsprechende Maßnahmen müssen im Zuge möglicher Transaktionen mitgedacht werden und in die Bewertung mit einfließen.
6. Forschung, Entwicklung und Patente
Pharma lebt von Forschung und Entwicklung. M&A-Transaktionen sind dafür geeignet, die Diversifizierung des Portfolios voranzutreiben, sich Zugang zu neuen Technologien zu verschaffen und sich somit Vorteile im Wettbewerb mit anderen Unternehmen zu sichern. Angesichts anstehender Patentabläufe großer Blockbuster-Produkte setzen Unternehmen vor allem auf risikoreduzierte Produkte, die sich schon in fortgeschrittenen Entwicklungsstadien befinden und somit zeitnahe Umsätze versprechen. Neben der Portfoliodiversifizierung ist M&A gerade für mittelständische Unternehmen eine gute Option, die globale Präsenz auszubauen. Unterm Strich stärken sie nicht zuletzt ihr Produktportfolio.
Für innovative Pharmaunternehmen ist eine lange Patentlaufzeit ein wesentliches Kriterium, das den Wert eines Unternehmens oder Produkts mitbestimmt. Während Big Pharma auf patentgeschützte Produkte setzt, um so die Investitionen in Forschung und Entwicklung zu amortisieren, kann es für mittelständische und kleinere Unternehmen eine gute Strategie sein, Produkte auch nach Patentablauf im Blick zu behalten.
7. Digitalisierung
Digitale Technologien halten Einzug in die Pharmaindustrie – trotz einer gewissen Zurückhaltung aufgrund Unsicherheiten in Bezug auf Cybersicherheit oder, im Zusammenhang mit Therapien, unsichere Zulassungswege. Künstliche Intelligenz und digitale Technologien spielen schon eine bedeutende Rolle in der Suche nach Wirkstoffen, der klinischen Entwicklung oder der Produktion von Arzneimitteln; die Bedeutung der Digitalisierung in der Pharmaindustrie spiegelt sich aber noch nicht in den M&A-Aktivitäten wider. Die Anzahl von Abschlüssen zu digitalen Technologien nimmt zwar zu, die Anzahl und der Wert dieser Transaktionen ist im Vergleich zum allgemeinen Transaktionsgeschehen allerdings sehr klein1. Digitale Kompetenzen zu erweitern, auch über M&A, ist sicher etwas, das sich die meisten Pharmaunternehmen zwar anschauen, aber nicht den größten Fokus darauf legen. Ein Großteil der klassischen Pharmaprodukte ist analog; Services und Transaktionen auf digitalem Weg spielen meist noch eine untergeordnete Rolle. Hier gilt es, die Dynamik im Auge zu behalten; schließlich konnte man in anderen Branchen bereits beobachten, dass die Digitalisierung lange auf sich warten ließ, es mit einem Kristallisationspunkt dann aber zu einer exponentiell schnellen Einführung und damit Ablösung analoger Geschäftsmodelle kam.
8. Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsibility
Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsibility (CSR) sind wichtige Elemente in einer globalisierten Wirtschaftswelt mit all ihren positiven und negativen Auswirkungen. Die Pharmaindustrie hat eine besondere Verantwortung für diese Themen.Für die großen Pharmaunternehmen sind sie selbstverständlich. So hat der Wirtschaftsverband der forschenden Pharmaunternehmen vfa im Jahr 2013 eine erste Leitlinien-Grundlage für eine Nachhaltigkeitsstrategie erlassen. Aber unabhängig von verpflichtenden Regularien der EU zu Nachhaltigkeit bekennen sich zunehmend auch kleinere Unternehmen zu ihrer CSR und veröffentlichen entsprechende Berichte. Im Zuge der wachsenden Bedeutung von CSR spielt dies auch bei M&A-Entscheidungen eine immer größere Rolle. Firmen, die sich hier negativ hervortun, katapultieren sich direkt selbst ins Aus – eine Einstellung, die sicher die meisten Player der Pharmabranche teilen.
9. Folgen der Pandemie
Die Covid-19-Pandemie hat nur zu einer kurzfristigen Abschwächung der M&A-Aktivitäten in der Pharmaindustrie geführt. In jedem Fall aber hat sie die Sicherheitsvorkehrungen bei Risikobewertung und -management möglicher Transaktionen verstärkt und die Anfälligkeiten der Lieferketten in den Fokus gerückt. Sie hat die Durchführung klinischer Studien erschwert, was sich wiederum negativ auf die Bewertung von Produkten, die noch in der klinischen Entwicklung sind, ausgewirkt hat.
10. Größe von Akquisitionen
Für familiengeführte, mittelständische Unternehmen, wie sie in der Pharmabranche häufig zu finden sind, steht das Akquirieren von mehreren kleineren Zielunternehmen stärker im Vordergrund als eine große Akquisition. Die Vorteile sequenzieller kleinerer Akquisitionen liegen darin, dass deren Risiken überschaubarer sind und die Organisation mit der Integration nicht überfordert wird, sondern sich langsam in Struktur und Größe anpassen kann. Mit jeder weiteren Akquisition nimmt die Erfahrung zu, die die nächste Akquisition reibungsloser ablaufen lässt. Auch die Forschung zeigt, dass mehrere Akquisitionen moderater Größe erfolgversprechender sind als eine große Transaktion.
Neben Zeit und Kosten sorgen vor allem Studien, Zulassungen und Regulatorik dafür, dass eigene Innovationen für Pharmaunternehmen extrem risikobehaftet sind. Um dennoch wachsen zu können, spielen M&A und BD für sie eine größere Rolle als in anderen Branchen. Diese und die weiteren genannten Aspekte machen unsere Arbeit spannend und jeden Tag neu und anders. Kompliziert? Häufig auch das – aber wer in M&A und BD unterwegs ist, schätzt die Herausforderung.
1 Quelle: Pharmaceutical Technology. How digitalization M&A performed in the pharmaceutical industry in Q2 2023. September 13, 2023