Prozessfinanzierer helfen Gläubigern in Insolvenzstreitigkeiten: Monetarisierung offener Forderungen kann Unternehmen retten
Eine Schreckensvision von Firmeninhabern und Investoren: Notleidende Forderungen bringen das eigene Unternehmen in eine Schieflage, weil sie nicht (rechtzeitig) durchgesetzt werden können.
Eine Schreckensvision von Firmeninhabern und Investoren: Notleidende Forderungen bringen das eigene Unternehmen in eine Schieflage, weil sie nicht (rechtzeitig) durchgesetzt werden können. Zwar gibt es die Möglichkeit, die Forderungen über Gerichte (oder Schiedsgerichte) einzutreiben, doch für die Durchsetzung fehlt dem Unternehmen selbst das Geld. Die letzten verfügbaren Reserven werden genutzt, um den Geschäftsbetrieb aufrecht und das Unternehmen auf Kurs zu halten. Für die offenen Forderungen bleiben oftmals nur der „Haircut“ oder der außergerichtliche Vergleich als Lösung – oder der komplette Forderungsverzicht.
Prozesskostenfinanzierer haben in Nordamerika, UK und Australien gezeigt, dass auch Gläubiger mit stark eingeschränktem finanziellem Spielraum ihre Forderungen mit rechtlichen Mitteln durchsetzen können, wenn es Geldgeber gibt, die kompetente Kanzleien finanzieren. Dem Unternehmen bieten sich hier zwei Alternativen: entweder die klassische Prozessfinanzierung, bei der am Ende des Verfahrens ein festgelegter Teil der ausstehenden Gelder beim Prozessfinanzierer verbleibt. Oder die Monetarisierung, bei welcher die Forderung(en) (teilweise) verkauft werden. Diese bietet dem Unternehmen den Vorteil, sofort liquide zu sein, Investitionen zu tätigen und die Geschäfte wieder auf Kurs zu bringen. In beiden Fällen trägt der Prozessfinanzierer das volle Risiko des Verfahrensausgangs: Lassen sich die Forderungen nicht durchsetzen, geht der Finanzierer vollständig leer aus.
In Deutschland verzeichnen Institutionen wie Creditreform den höchsten Anstieg an Insolvenzen seit zehn Jahren: Im ersten Halbjahr 2024 wurden hierzulande 11.000 Firmenpleiten registriert. Dies stellt einen Anstieg von fast 30% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum dar, in dem 8.470 Insolvenzen verzeichnet wurden. Verstärkt wird der wirtschaftliche Schaden durch die Zahl der Großinsolvenzen, also Insolvenzen von Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern, die deutlich gestiegen ist. Zahlreiche kleine und mittlere Unternehmen sitzen auf unbezahlten Rechnungen, während ihre eigenen Kosten für Energie, Personal, Bürokratie und Verpflichtungen aus Darlehen kontinuierlich steigen.
Das Beispiel Insolvenzstreitigkeiten zeigt, wie stark sich das Aufgabenspektrum von Prozessfinanzierern derzeit erweitert: Viele Jahre lang waren es Einzelaktionäre, Verbraucher oder Unternehmer, die sich über fremdfinanzierte Sammelklagen Recht verschafften. Heute werden auch Großkonzerne bei den Prozessfinanzierern vorstellig: einerseits, weil sie die Kostenrisiken und tatsächlichen Kosten möglicher oder laufender Verfahren eliminieren wollen; andererseits, weil sich rechtliche Forderungen monetarisieren lassen.
Wie geht der Prozesskostenfinanzierer vor, wenn er in eine Situation mit drohender oder bereits eingetretener Insolvenz kommt? Er stellt die für die Prozessführung notwendigen Mittel bereit und übernimmt die Absicherung des Unterlegenheitsrisikos, zahlt im Fall des Unterliegens also auch den Kostenerstattungsanspruch der Gegenseite. Im Gegenzug erhält der Prozessfinanzierer eine Beteiligung an dem erstrittenen und (und gegebenenfalls) vollstreckten Erlös. Dieser kann nach dem Fortgang des Verfahrens gestaffelt sein und bei einem frühzeitigen Vergleich entsprechend gering ausfallen. Der Mittelbereitstellung geht üblicherweise die Bewertung von Chancen und Risiken der einzelnen Streitigkeiten voraus.
Wenn diese grundsätzlichen Fragen entschieden sind, unterbreitet der Prozessfinanzierer den Unternehmen ein Angebot für eine Finanzierungslösung. In das streitige Verfahren selbst greift der Prozessfinanzierer weder ein, noch hat er ein Mitspracherecht. Beratung und Prozessführung liegen allein bei der Kanzlei, außer der Mandant wünscht einen Input.
Die Unterstützung des Prozessfinanzierers kann sich auf einen einzelnen Fall beziehen. Bei größeren Unternehmen bietet es sich an, das gesamte Portfolio an (notleidenden) Forderungen zu betrachten. In einigen Märkten, wie in Nordamerika, Großbritannien und Australien, haben sich Lösungen etabliert, die nicht nur die Außenstände von Unternehmen, sondern auch deren Schulden umfassen. Anders gewendet: Prozessfinanzierer ermöglichen es Unternehmen, gegen Schuldner und Gläubiger gleichermaßen vor Gericht zu ziehen.
Alle diese Mittel aus dem Legal Finance Werkzeugkoffer schonen das Rechtsberatungsbudget eines Unternehmens. Denn längst sind die Rechtsabteilungen im Fokus der Finanzabteilungen. Diese betrachten deren Aktivitäten mit immer größerer Skepsis. Das liegt vor allem daran, dass diese Kosten meist nur eine Richtung kennen: nach oben. In US-Unternehmen machen die Aufwendungen und Rückstellungen für juristische Auseinandersetzungen bis zu 5% des Jahresumsatzes aus. In Deutschland sind es bereits 2,5% – Tendenz steigend. Die Entwicklung gerade in Deutschland und der EU spricht stark dafür, dass dies so bleibt: Die Regulierungsdichte nimmt kontinuierlich zu. Erst im September hatte der ehemalige EZB-Präsident Mario Draghi in seinem Strategiebericht für die EU die europäische Regelungswut kritisiert: Seit 2019 habe die EU 13.000 Richtlinien, Direktiven und andere Vorschriften erlassen, die USA in demselben Zeitraum dagegen nur 3.000. 1
Für Deutschland bedeutet das: Gerichtsverfahren sind hier im Vergleich ähnlich komplex und mitunter auch genauso teuer. Zwar sind in den USA und in Großbritannien die Stundensätze der Anwälte mitunter höher, aber hierzulande dauern die Verfahren oft länger, zum Beispiel wegen der zunehmenden Vorlagen an den EuGH oder weil die Berufung als zweite Tatsacheninstanz genutzt wird.
Zurück zur Finanzierung von Insolvenzstreitigkeiten und den möglichen Handlungsoptionen. Die gebräuchlichsten Lösungen der Prozessfinanzierung sind:
Finanzierung von Rechtsanwaltskosten und Gebühren: Prozessfinanzierungsvereinbarung, bei der ein Unternehmen die Rechtsanwaltskosten und Gerichtsgebühren beziehungsweise Gebühren eines Schiedsgerichts sowie Auslagen (wie beispielsweise für Sachverständige) auf einen Finanzierer überträgt. Sofern das Unternehmen im Rechtsstreit unterliegt, befriedigt der Finanzierer auch den Kostenerstattungsanspruch der Gegenseite und geht leer aus.
Monetarisierung: Der Prozessfinanzierer erwirbt einen Großteil (in der Regel 80 bis 90%) der potenziellen Ansprüche aus einer anhängigen Klage, einem Urteil oder einem Schiedsspruch. Das verschafft dem klagenden Unternehmen Liquidität. Oftmals bleibt der Mandant im Außenverhältnis in seiner bisherigen Rolle, tritt im Innenverhältnis zum Finanzierer mit einer Minderheitsbeteiligung aber wirtschaftlich in den Hintergrund.
Portfolio-Finanzierung: Hierbei handelt es sich um eine Kapitalfazilität für die Prozessfinanzierung mehrerer Rechtsstreitigkeiten. Diese kann eine Mischung aus verschiedenen Arten und Größenordnungen von Streitigkeiten umfassen. Portfolios können geschaffen werden, um einen Kapitalpool zu bilden, der durch bestehende und/oder künftige Ansprüche abgesichert ist. Aufgrund der Risikostreuung bieten sie in der Regel niedrigere Finanzierungskosten.
Asset Recovery: Die Vollstreckung von Urteilen und Schiedssprüchen, wenn die unterlegene Partei nicht zahlt, was auf einer Non-Recourse-Basis finanziert werden kann (d.h. die Rückzahlung hängt von einer erfolgreichen Durchsetzung ab).
Die am häufigsten gewählte Form der Prozesskostenfinanzierung ist die Finanzierung der Rechtsverfolgungskosten. Es wird erwartet, dass die Prozessfinanzierung in den kommenden 15 Jahren für Unternehmen zur Selbstverständlichkeit wird.
Selbst für Unternehmen, die bereits in der Insolvenz sind, gibt es Möglichkeiten, streitige Forderungen effizient und ohne Kostenrisiko durchzusetzen. Und zwar immer dann, wenn das Unternehmen ein Portfolio von werthaltigen Forderungen aufzuweisen hat. Auch in Deutschland ist diese Art der Unterstützung möglich: Ein insolventes Unternehmen in Eigenverwaltung darf Finanzierungen erhalten, um offene Forderungen einzutreiben, ähnlich wie es in den USA den Unternehmen erlaubt ist, die unter Chapter 11 fallen. Während der Eigenverwaltung behält das insolvente Unternehmen die Kontrolle über seine Geschäfte und kann bestimmte Maßnahmen ergreifen, um die Unternehmensfortführung zu sichern. Dazu gehört auch das Eintreiben von Forderungen gegenüber Schuldnern. Aus CFO-Perspektive ist in diesem Zusammenhang ein Aspekt wichtig: Sogenannte Massekredite dienen allein dem Zweck, dem Unternehmen die Weiterführung seiner Geschäfte zu ermöglichen. Die Prozessfinanzierung, die ein Insolvenzverwalter in Deutschland nutzen kann, ist kein Massedarlehen und führt demnach auch nicht zu einem Haftungsrisiko für den Insolvenzverwalter nach § 61 Insolvenzordnung.
Fazit: Gerade in der aktuellen, gesamtwirtschaftlich schwierigen Situation können Prozessfinanzierer helfen, in Schieflage geratene Unternehmen zu erhalten. Sie unterstützen Unternehmen dabei, Forderungen einzutreiben, die andernfalls nicht realisiert werden können, weil das Unternehmen selbst nicht (mehr) die Mittel hat, seine Interessen in einem Rechtsstreit durchzusetzen.