Transformation und Disruption in der Automobilzulieferindustrie – Perspektiven für M&A
Die Entwicklung der deutschen Automobilzulieferindustrie ist von tiefgreifenden Veränderungen geprägt. Die Branche durchläuft eine Phase beispielloser Transformation, angetrieben durch den Wandel hin zu Elektromobilität, Digitalisierung und Nachhaltigkeit.
1. Einleitung
Die Entwicklung der deutschen Automobilzulieferindustrie ist von tiefgreifenden Veränderungen geprägt. Die Branche durchläuft eine Phase beispielloser Transformation, angetrieben durch den Wandel hin zu Elektromobilität, Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Gleichzeitig belasten externe Faktoren wie steigende Finanzierungskosten, fehlende innenpolitische Planbarkeit, globale Lieferkettenprobleme und geopolitische Spannungen beziehungsweise Konflikte die Unternehmen. Die Notwendigkeit, technologische Innovationen voranzutreiben und gleichzeitig wirtschaftliche Stabilität in einem schwierigen Marktumfeld zu gewährleisten, stellt die Branche insgesamt vor große Herausforderungen.
Dieser Artikel skizziert die aktuellen Herausforderungen der Automobilzulieferindustrie und beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit M&A dazu beitragen kann, die nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit der Branche zu sichern.
2. Status quo – erste Belebungen der M&A-Aktivitäten
Der sich bereits seit einigen Jahren vollziehende Wandel in der Automobilindustrie sowie die Abkühlung der Weltwirtschaft und zunehmende geopolitische Unsicherheiten haben zu einem deutlichen Rückgang der finanziellen Stabilität der Unternehmen geführt. So ist der Median der EBIT-Marge von deutschen Automobilzulieferern von 5,5% in 2016 auf nur noch 2,9% in 2023 gesunken.1 Darüber hinaus blicken viele Zulieferer bezüglich der Transformation hin zur Elektromobilität skeptisch in die Zukunft, da kaum stemmbare Investitionen getätigt werden müssen, um den Anforderungen der EU und der Bundesregierung gerecht zu werden. Passend zur pessimistischen Stimmung fielen im Zeitraum von Januar 2022 bis Februar 2024 bezogen auf die Top 20 der deutschen Zulieferer auf eine Standorteröffnung im Durchschnitt circa 3,8 Standortschließungen. Einhergehend mit der schwindenden Bereitschaft, in die Automobilzuliefererbranche zu investieren, erhöht sich die Anzahl der Insolvenzen der Zulieferer in Deutschland. Im ersten Halbjahr 2024 mussten insgesamt 20 deutsche Zulieferer Insolvenz anmelden, was einem Plus von 67% im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Darunter befinden sich beispielsweise die größeren Insolvenzfälle der Eissmann Automotive Gruppe, Auto-Kabel und Franken Guss.
Auch anhand der in den vergangenen Jahren zu beobachtenden M&A-Aktivitäten in der Automobilbranche spiegelt sich das schwierige Marktumfeld wider. So lag das Transaktionsvolumen mit 53 Mrd. EUR in 2022 und 60 Mrd. EUR in 2023 auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau, nachdem für 2021 noch ein Wert von 109 Mrd. EUR gemeldet wurde. Mit Blick auf die Anzahl der Transaktionen fällt allerdings auf, dass es 2023 zu einem deutlichen Anstieg auf 399 gemeldete Deals nach 241 in 2022 kam. Maßgeblich für diesen Anstieg waren allerdings vor allem Transaktionen im Bereich der E-Mobilität, technologisch innovativen Komponenten sowie den Komponenten, die nicht im Zusammenhang mit der Verbrennertechnologie stehen.2 Dagegen bewegen sich die M&A-Aktivitäten bezüglich der auf die Verbrennertechnologie fokussierten Zulieferer weiterhin auf einem sehr niedrigen Niveau. Erschwerend kommt zu den Herausforderungen der Transformation auch das aktuelle Finanzmarktumfeld hinzu, das es gerade Finanzinvestoren nahezu unmöglich macht, Transaktionsfinanzierungen zu adäquaten Konditionen abzuschließen.
3. Herausforderungen der Automobilzulieferindustrie
Die Automobilzulieferindustrie sieht sich branchenspezifischen Umbrüchen sowie erheblichen exogenen Einflüssen gegenüber, die in den nachfolgenden wesentlichen Herausforderungen münden.
3.1 Transformation zur Elektromobilität
Eine zentrale Herausforderung stellt der Transformationsbedarf der Automobilindustrie hin zur Elektromobilität dar. Damit einher gehen umfassende Investitionen in die Forschung und Entwicklung (z.B. elektrische Antriebe, Batterie Re-/Upcycling), Produktionsinfrastruktur (z.B. Umrüstung Produktionslinien, Automatisierung, Digitalisierung) und die Qualifizierung der Mitarbeiter sowie Einstellung neuer Fachkräfte. Diese Entwicklung bindet somit erhebliche finanzielle und personelle Ressourcen und wird die Unternehmen noch einige Jahre belasten. Überwiegend müssen die Zulieferer die Kompetenzen parallel zum laufenden Geschäft aufbauen und sind gleichzeitig noch langfristig verpflichtet, Produkte für die bestehende Verbrennertechnologie zu produzieren.
Hinzu kommt eine zunehmende Planungsunsicherheit: Trotz des von der EU beschlossenen Zulassungsverbots von neuen Verbrennerautos ab 2035 sieht sich die Branche einer rückläufigen Nachfrage nach Elektroautos gegenüber. Gründe dafür sind beispielsweise der im November vorigen Jahres beschlossene Wegfall des Umweltbonus aus dem Klima- und Transformationsfonds der Bundesregierung sowie die allgemein höhere Preisgestaltung der Endprodukte im Vergleich zu anderen Angeboten im Markt. Außerdem ist die noch nicht ausreichend ausgebaute Ladeinfrastruktur eine fortlaufende Einschränkung für potenzielle Käufer, die diese weiterhin vom Kauf eines Elektroautos abhält.
3.2 Stagnierende Fahrzeugproduktion und Verlagerung nach Asien
Langfristig wird für Deutschland und auch weltweit eine eher stagnierende PKW-Produktion erwartet. Zudem unterlagen die Absatzzahlen in den vergangenen Jahren deutlichen Schwankungen, die vor allem aus exogenen Faktoren wie der COVID19-Pandemie, dem Krieg in der Ukraine, Krisen in den Lieferketten insbesondere in Bezug auf die Halbleiter sowie hoher Inflation und damit verbundenen Unsicherheiten resultierten. Bezogen auf die PKW-Produktion in Deutschland war bereits in den vergangenen Jahren ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen. Nach den Angaben des VDA liefen 2023 4,1 Mio. PKW von den heimischen Produktionsbändern, sodass die Produktion um 13% unter dem Vorkrisenniveau von 4,7 Mio. PKW in 2019 beziehungsweise sogar 20% unter dem Produktionsvolumen von 5,1 Mio. PKW in 2018 lag.
Auch zukünftig wird erwartet, dass sich der Druck auf die heimische Zulieferindustrie durch die fortschreitende Verlagerung der Fahrzeugproduktion nach Asien erhöhen wird, die sowohl auf die europäischen Fahrzeughersteller entfällt, aber auch mit dem Wachstum chinesischer Hersteller zu erklären ist.
3.3 ESG-Anforderungen
Als einer der maßgeblichen Verursacher weltweiter Emissionen werden an die Automobilindustrie besondere Anforderungen auf dem Weg zur Transformation in Richtung Nachhaltigkeit gestellt. Neben industriespezifischen Regulierungen wie dem bereits genannten EU-weiten Verbrennerverbot belasten auch industrieübergreifende Anforderungen, wie insbesondere das seit 2023 geltende Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) sowie die ab 2024 eingeführte Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) vor allem auch die Automobilindustrie. Die Erfüllung der mit den ESG (zu Deutsch: Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) einhergehenden Kriterien für Nachhaltigkeit wird unerlässlich, um Betriebs- und Reputationsrisiken zu minimieren, den Zugang zu Kapital sicherzustellen und auf die Kundenbedürfnisse einzugehen – also um langfristige Wettbewerbsnachteile zu vermeiden.
3.4 Schwieriges Finanzierungsumfeld
Branchenübergreifend belasten bereits die deutlichen Zinserhöhungen, die durch die Zentralbanken seit Anfang 2022 zur Bekämpfung der stark ansteigenden Inflation erfolgten, sowie die Begrenzung CO2-intensiver Branchen im Finanzierungsportfolio der Banken die Industrieunternehmen. Bei den Automobilzulieferern wird die Refinanzierung zudem durch die historisch niedrigen Margen sowie die seit Beginn der COVID19-Pandemie deutlich gestiegene Verschuldung und die damit einhergehenden schlechteren Kredit- und Bonitätsratings erschwert.
3.5 Resilienz der Lieferketten
In Zeiten von Störungen in den Wertschöpfungs- und Lieferketten, Material- beziehungsweise Rohstoffknappheit sowie immer komplexeren Handelsregeln und Zöllen ist der Automobilsektor gefordert, die Widerstands- und Erholungsfähigkeit seiner Lieferketten zu erhöhen. Eine Grundvoraussetzung hierfür ist eine umfassende und kontinuierliche Transparenz in der gesamten Lieferkette durch eine technologiegestützte Berichterstattung. Weiterhin kann die Diversifizierung von Zulieferern und Vertriebskanälen, zum Beispiel in Form von Investitionen in die Eigenproduktion von Schlüsselkomponenten, sowie die verbesserte Zusammenarbeit entlang der Lieferkette helfen, die Resilienz der Lieferketten zu erhöhen.
3.6 Fachkräftemangel
Wie in anderen Industrien haben auch die Automobilzulieferer mit einem akuten Fachkräftemangel zu kämpfen. Gerade auch, um für die neuen Schlüsseltechnologien zukunftsfähig aufgestellt zu sein, bedarf es noch mehr qualifizierter Fachkräfte, die diese Technologien kennen, verstehen und entwickeln. Zudem müssen sich die Unternehmen auf die sich ändernde Arbeitswelt und die Digitalisierung ein-
stellen.
4. M&A zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit
Auch beziehungsweise gerade in dem aktuell herausfordernden Marktumfeld bietet M&A der Automobilzulieferindustrie diverse Möglichkeiten, die für eine nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit notwendigen Wandlungs- und Adaptionsmöglichkeiten zu entwickeln beziehungsweise umzusetzen. Mit Blick auf die zuvor geschilderten Herausforderungen bieten sich insbesondere folgende Ansätze/Strategien an:
· M&A zur Bewältigung der Transformation: Zur Erschließung neuer Geschäftsfelder beziehungsweise Entwicklung neuer Technologien können Investitionen in etablierte oder heranwachsende Unternehmen dienen. Gerade in Anbetracht des in diesen Segmenten dynamischen Marktumfeldes und vorherrschenden Fachkräftemangels bietet M&A den Vorteil, den bei einer Eigenentwicklung hohen und schwer kalkulierbaren Zeit- und Ressourcenbedarf zu umgehen.
· Resilienz durch horizontale und vertikale Integration: Während die horizontale Integration eine Geschäftsstrategie darstellt, bei der ein Unternehmen seine Präsenz durch die Übernahme oder Fusion mit Wettbewerbern auf derselben Stufe der Wertschöpfungskette erweitert, zielt die vertikale Integration darauf ab, die Geschäftsaktivitäten über verschiedene Stufen der Wertschöpfungskette hinweg auszudehnen. Beide Arten der Integration bieten den Zulieferern die Möglichkeit, ihre Marktmacht – insbesondere auch gegenüber den Automobilherstellern – zu erhöhen und Abhängigkeiten zu reduzieren sowie Skaleneffekte und Effizienzsteigerungen durch die Konsolidierung beziehungsweise Optimierung von Prozessen zu generieren. Gerade die weiterhin im Bereich der Verbrennertechnologie tätigen Unternehmen werden sich auf Größenvorteile konzentrieren und somit zu einer weiteren Konsolidierung des Marktes beitragen. Andererseits bietet dies den Unternehmen, die sich strategisch von diesem Segment trennen wollen, die Möglichkeit, die Geschäftsaktivitäten auszugliedern und zu verkaufen.
· M&A zur Kapitalbeschaffung: Der aktuell – insbesondere für Zulieferer im Bereich der Verbrennertechnologie – erschwerte Zugang zu klassischen Fremdkapitalfinanzierungen erfordert, dass die Unternehmen alternative Finanzierungsformen auch außerhalb der traditionellen Bankenlandschaft evaluieren müssen. Neben alternativen Fremdkapital- beziehungsweise fremdkapitalähnlichen Instrumenten, wie Anleihen, Private Debt oder Mezzaninekapital, wird auch die Aufnahme von weiteren Eigenkapitalgebern als zunehmend relevanter Finanzierungsbaustein angesehen.
5. Fazit
Gerade die deutsche Automobilzulieferindustrie steht im Zentrum disruptiver Einwirkungen. Ob es um den Wandel hin zu Elektromobilität, Digitalisierung und Nachhaltigkeit geht oder um belastende externe Faktoren wie steigende Finanzierungskosten, fehlende innenpolitische Planbarkeit, globale Lieferkettenprobleme oder geopolitische Spannungen beziehungsweise Konflikte: Die Unternehmen müssen tiefgreifende Wandlungs- und Adaptionsfähigkeiten entwickeln, um nachhaltig wettbewerbsfähig zu bleiben.
Dabei bietet M&A der Automobilzulieferindustrie diverse Möglichkeiten, die für eine nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit notwendigen Wandlungs- und Adaptionsmöglichkeiten zu entwickeln beziehungsweise umzusetzen.
Während gerade in den vergangenen ein, zwei Jahren bereits Transaktionen zur Erschließung neuer Geschäftsfelder beziehungsweise zur Entwicklung neuer Technologien zugenommen haben, ist auch bei den weiterhin im Bereich der Verbrennertechnologie tätigen Unternehmen eine zunehmende Konsolidierung durch Übernahmen und Fusionen zum Aufbau von Größenvorteilen und Effizienzsteigerungen zu erwarten. Für eine Belebung dieser M&A-Aktivitäten könnte zudem das aktuell zu beobachtende Zinsumfeld sorgen, das auch für den Transaktionsmarkt sinkende Finanzierungskosten erwarten lässt.
1 Oliver Wyman Supplier Financial Benchmarking 2023: Ergebnisse der Auswertung der Jahresabschlüsse von 55 Automobilzulieferern in Deutschland
2 Clearwater Automotive-Newsletter 2021–2024