Zwischen Anspruch und Realität: Frauen in M&A – So what!?
Die M&A-Branche ist ein Hochleistungsumfeld, das sehr homogen ist und in dem mehr Talente mit diversen Kompetenzen und Hintergründen gefördert werden sollten. Ein Umdenken lohnt sich – für Unternehmen, Teams und die Zukunft unserer Arbeitswelt. Heute beginnen wir mit der Perspektive der Frauen als einem wichtigen Teil dieser Vielfalt. Dieser Text arbeitet aus den individuellen Erfahrungen unserer Gesprächspartnerinnen inspirierende und wegweisende Perspektiven heraus und lädt zu einer Horizonterweiterung ein.
1. Einleitung
Noch bis 1962 brauchten Frauen in Deutschland die Erlaubnis ihrer Ehemänner für ein Bankkonto, erst seit 1977 dürfen sie ohne deren Zustimmung arbeiten. Gleichberechtigung auf dem Papier ist keine gelebte Realität. Dies zeigt sich auch in der M&A-Branche, in der Frauen in Führungspositionen noch immer eine Seltenheit sind. Interessanterweise zeigen wissenschaftliche Studien: Der Erfolg weiblicher Führungskräfte ermutigt andere1, reduziert die Gefahr des Tokenismus2 und fördert eine geschlechterinklusive Arbeitskultur3. Die Förderung von Gleichstellung ist keine einseitige Verantwortung, sondern erfordert das aktive Engagement aller, insbesondere jener Männer, die durch ihre Privilegien eine entscheidende Rolle spielen. Indem sie sich für mehr Vielfalt einsetzen, können sie nicht nur zu einer gerechteren Branche beitragen, sondern auch Innovation und Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen langfristig sichern4.
Dies war Grund genug für mich, Frauen aus der M&A-Branche zu interviewen. In einem Jahr haben meine Kollegin Christina Koller und ich mit 68 Frauen in Führungspositionen gesprochen. Sie teilten ihre Herausforderungen, Chancen und Bewältigungsstrategien in einem männerdominierten Arbeitsumfeld mit uns. Ihr Erfolg macht Mut, wirft aber auch Fragen auf: Was bedeutet dies nun? Wie können wir alle in der Branche eine chancengerechte Arbeitswelt aktiv mitgestalten? Wie können wir über eigene Denkmuster reflektieren beziehungsweise diese neu denken? Die M&A-Branche ist ein Hochleistungsumfeld, das sehr homogen ist und in dem mehr Talente mit diversen Kompetenzen und Hintergründen gefördert werden sollten. Ein Umdenken lohnt sich – für Unternehmen, Teams und die Zukunft unserer Arbeitswelt. Heute beginnen wir mit der Perspektive der Frauen als einem wichtigen Teil dieser Vielfalt. Dieser Text arbeitet aus den individuellen Erfahrungen unserer Gesprächspartnerinnen inspirierende und wegweisende Perspektiven heraus und lädt zu einer Horizonterweiterung ein.
Abb. 1 Die Interviews
Quelle: Eigene Darstellung
2. M&A – faszinierend und hart
M&A ist ein kompetitives Arbeitsumfeld, das von Tempo, Druck und Exklusivität geprägt ist. Erfolg hängt von harter Arbeit und strategischem Geschick ab. Lange Arbeitszeiten, ständige Erreichbarkeit und knappe Kommunikation sind selbstverständlich. Trotz aller Faszination bleibt die Branche ein geschlossener Kreis: „Es ist ein elitärer Club, aber eben ein reiner Boys’ Club“, fasst es die M&A-Managerin eines Finanzdienstleisters zusammen. Gleichzeitig treibt genau diese Intensität viele an. Jede Transaktion ist anders, jeder Deal bringt neue Herausforderungen – unabhängig von Größe oder Branche. Die Möglichkeit, etwas zu bewegen, hat ihren Reiz, ebenso wie das Adrenalin der Verhandlungen.
Eine Partnerin im Bereich Transaction Advisory Services eines Wirtschaftsprüfers beschreibt ihre intellektuelle Faszination so: „Jeder Deal ist anders. Die kleinsten können die kompliziertesten sein. Du machst ständig Fehler, auch wenn du erfahren bist, aber es hält deinen Verstand scharf und fokussiert.”. Die Branche verlangt viel, gibt aber auch viel – allerdings nicht allen zu gleichen Bedingungen (siehe Abb. 2 für ergänzende Interviewausschnitte).
Abb. 2 Interviewausschnitte zu Arbeitskontext und Personas
Quelle: Eigene Darstellung
„M&A ist mein persönliches Stockholm-Syndrom. Was mich nervt, ist auch das, was ich daran liebe: der Tempo-Druck, alles sofort umsetzen und entscheiden zu müssen.” (Head of Transaction Solutions einer Transaktionsversicherung)
3. Ohne Männlichkeit kein M&A
Frauen werden aufgrund stereotyper Vorurteile – ihnen fehle zahlenorientiertes, analytisches Denken oder sie fielen wegen der Kindererziehung aus – häufig als weniger kompetent wahrgenommen und begegnen Skepsis in ihrem Arbeitsalltag. Diese Zuschreibungen erleben sie von männlichen und weiblichen KollegInnen sowie Vorgesetzten gleichermaßen. Auch unterschwellige Abwertungen ihrer Leistung kommen vor. Eine Head of M&A eines Cybersecurity-Konzerns berichtet, dass ihre Rolle und Kompetenz im Erstkontakt regelmäßig in Frage gestellt wird – „Kann ich mit Ihrem Chef sprechen?“. Die Gleichsetzung von Weiblichkeit mit Assistenz ist ein zähes Klischee, das Frauen systematisch klein hält. Es zeigt sich ebenso, dass Frauen, sobald sie Mütter werden, ihre Ambitionen abgesprochen werden, wie eine Partnerin einer Wirtschaftskanzlei Kommentare ihrer Kollegen wiedergibt: „Wie willst du hier Karriere machen? Du kannst doch gar nicht mehr reisen, wenn du Kinder hast!”.
Manche Frauen erzählen uns davon, dass sie Tendenzen zu männlich geprägten Verhaltensweisen wie Dominanz und Härte entwickeln. Um ernst genommen zu werden, kontrollieren sie ihr Verhalten stärker und eignen sich männliche Normen an: „Ich habe mir bewusst einen robusten Sprachstil angewöhnt, einfach weil man dann mehr gehört wird” (Partnerin einer Wirtschaftskanzlei), „Ich lächle und gestikuliere weniger” (Senior Director M&A eines Nahrungsmittelkonzerns), „Ich bin härter zu den Juniors als meine Kollegen” (Vice President einer M&A-Boutique). Als wäre die Männlichkeit das überlegene Prinzip und Frauen versuchten, die besseren Männer zu sein. Dies resultiert in einem „leistungsorientierten Feminismus“5 – einem ständigen Kampf um Anerkennung. Gleichzeitig dürfen Frauen nicht zu stark, nicht zu selbstbewusst sein, damit sie nicht als „unweiblich“, „Emanze“, „zickig“ oder mit „Haaren auf den Zähnen“ gelten. So oder so, Frauen in M&A müssen sich mehr beweisen als ihre männlichen Kollegen. Übrigens denken Männer wie Frauen gleichermaßen, dass Männer kompetenter, vertrauenswürdiger und rationaler seien. Laut einer Untersuchung der UN geben etwa 90% der Weltbevölkerung an, dass sie bei Frauen Vorurteile hegen, wenn es um Führung, Jobs oder Geld geht6.
Abb. 3 Interviewausschnitte zu den Herausforderungen für Frauen in M&A
Quelle: Eigene Darstellung
Das Zitat bringt auf den Punkt, dass andere Herangehensweisen – jenseits traditionell männlicher Normen – nicht nur möglich, sondern auch erfolgreich sind. Es zeigt, mehr weibliche Perspektiven würden nicht weniger Professionalität bedeuten, sondern zu einer Qualitäts- statt Quantitätsorientierung bei Transaktionen führen. Studien zeigen, dass Frauen im Top-Management höhere Renditen, geringere Volatilität und stabileres Wachstum erzielen7 beziehungsweise strategisch ausgewogenere Entscheidungen treffen8. Eigenschaften, die traditionell als „weiblich“ gelten – Empathie, emotionale Intelligenz oder kommunikative Finesse – sind besonders in komplexen Verhandlungen und zwischenmenschlich aufgeladenen Situationen, wie sie bei M&A-Transaktionen oft vorkommen, förderlich. „M&A ist ein People Business. Da hilft es, wenn man zwischen den Zeilen lesen kann”, fasst es eine Senior M&A-Managerin eines Agrarkonzerns zusammen. Partnerinnen von Beratungshäusern, Wirtschaftskanzleien und Führungskräfte aus Corporates berichten, dass sie durch Charme und Humor oder ihre wenig bedrohlich wirkende Ausstrahlung Eskalationen abfedern: „Ich wirke harmlos – das verlagert Verhandlungen auf die Inhaltsebene.” (Head of Corporate M&A eines Technologiekonzerns). Gleichzeitig erzeugt diese Wahrnehmung eine gewisse Distanz: Frauen gelten als angenehm im Umgang, aber eben auch als anders („Oh, jetzt ist eine Frau im Raum, wir müssen den Ton wechseln.“). Es ist eine permanente Gratwanderung: „Sich als Frau durchzusetzen, kostet Energie und macht einsam“, sagt eine Partnerin eines PE-Fonds. Also präsent sein, aber nicht zu sehr; weiblich sein, aber nicht weich; sichtbar sein, aber nicht anecken (siehe Abb. 3 für weitere Interviewausschnitte).
„Wenn die ganze M&A-Welt von Frauen beherrscht wäre, würde es weniger, aber erfolgreichere M&A-Transaktionen geben.”
(Transaktionsanwältin einer Wirtschaftskanzlei)
4. Andersartigkeit bringt Unruhe ins System
Männliche Normen – beruflich wie sozial – setzen sich auch beim Netzwerken fort. Dies geschieht zumeist bei Drinks nach der Arbeit. Während Männer untereinander den Drahtseilakt zwischen kollegialem Biertrinken und harter Verhandlung mühelos meistern, kostet es Frauen Energie, sich unter ihnen überhaupt zu positionieren. Diese Männerbeziehungen sind geprägt von der Fähigkeit, in Konkurrenz zu treten und den Gegner zugleich als ebenbürtig zu respektieren. Ein Spiel um Dominanz und Zugehörigkeit. Dabei ist der Konkurrenzkampf unter Männern auch eine Anerkennung des Gegenübers als wertvoller Gegner, mit dem man sich gleichzeitig verbrüdert, mit dem es sich lohnt zu kämpfen9. Da passen Frauen nicht so richtig rein. „Alle von Top-Unis mit ähnlichem Gehalt – diese Konzentration führt zu einer eingeschränkten Realitätswahrnehmung, da fühlt man sich als Frau nicht immer wohl”, sagt die M&A-Managerin eines Corporates. Bei „Männerthemen“ wie der Lufthansa Senatoren Lounge, der Jagd und Fußball fällt es besonders auf, dass die Beziehungspflege schwerer fällt, wenn man kein Mann ist. „Das Erste, was sie machen, ist untereinander zu sprechen, [sie] geben dir wenig physischen Raum, drängen dich aus der Runde. Es macht mich traurig, dass es immer noch passiert, dass ich mir den Platz am Tisch erkämpfen muss“, berichtet eine Head of DACH eines belgischen PE-Fonds. Die symbolische Ausgrenzung ist auch physisch spürbar; nicht nur als Metapher, sondern als realer Verlust von Raum, Stimme und Teilhabe.
„Es ist so unangenehm, mit Andersartigkeit umzugehen, wir müssen dazu gezwungen werden. Je diverser und schwieriger ein Team zu führen ist, desto besser werden die Ergebnisse.”
(CFO eines deutschen PE-Fonds)
Gerade Frauen müssen häufig zusätzlichen Einsatz leisten, um die bestehenden informellen Netzwerke unter Männern auszugleichen. Der strukturelle Nachteil ist durch das fehlende soziale Kapital ein Hemmnis in der Karriereentwicklung, diese „Buddy-Ebene“, die den Männern selbstverständlich zugänglich ist. „Mannsein ist wie Fahrradfahren mit Rückenwind“10, heißt es in der Männlichkeitsforschung und zudem: „Wir sehen in der Forschung, dass [männliche Seilschaften] weiterhin bestehen und dass es schwierig ist, diese durch Interventionen zu durchbrechen. Frauenquoten sind ein Weg. Es hat sich gezeigt, dass mit Zureden oder mit ‚Statements of Purpose‘ nichts passiert. Dort wo Macht, Geld, Anerkennung herrschen, wurden diese Männerbünde nicht aufgeweicht.“11 Noch gravierender ist: Wir halten niedrigere Frauen-Gehälter unbewusst für gerecht. „Ich glaube, das liegt einfach an der Prägung, dass ich einfach als Fremdkörper wahrgenommen werde und Männer da eher einen Vertrauensvorschuss bekommen“, sagt eine Group CFO eines Maschinenbauunternehmens. In einer Studie mit mehr als 1.600 Teilnehmenden wurden fiktive Gehälter von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bewertet. Männer und Frauen empfinden unbewusst einen Pay Gap von 8% als fair (!), vor allem bei hochqualifizierten Beschäftigten wie Managerinnen12. Diese ungleiche Verteilung von Chancen und Anerkennung manifestiert sich somit nicht nur im Zugang zu Netzwerken und (unbewusst) verzerrten Gehaltsstrukturen – sie setzt sich auch auf der Verhaltensebene fort. Diese Andersartigkeit, wie sie durch Frauen in männerdominierten Branchen verkörpert wird, wird somit nicht als Ressource, sondern als Störung wahrgenommen. Dabei entfaltet sich gerade dort, wo Vielfalt bewusst zugelassen und gefördert wird, ein enormes Potenzial: Teams werden leistungsfähiger, kreativer und erfolgreicher. Die Bequemlichkeit homogener Männernetzwerke beraubt die Branche nicht nur der Innovations- und Ideenkraft, sondern auch wirtschaftlicher Chancen.
5. Familie und/oder Karriere?! Über Erwartungsdruck & Selbstwahrnehmung
Der Spagat zwischen beruflichem Ehrgeiz und familiären Verpflichtungen wird von allen Interviewten mit Kindern als belastend, strukturell herausfordernd und emotional komplex beschrieben. Die fehlenden Vorbilder spielen dabei eine große Rolle: „Ich habe mir nie vorstellen können, Mutter zu werden, bis ich in den USA eine alleinerziehende Mutter traf, die Vollzeit arbeitete“, sagt eine Partnerin der Big Four. In der DACH-Region wird hingegen Vereinbarkeit von Familie und Karriere noch häufig als Ausnahme empfunden. Die speziellen Anforderungen in M&A treffen hier auf gesellschaftliche Normen, die sich noch wenig gewandelt haben. Dies führt dazu, dass Frauen ihre Schwangerschaften lange verheimlichen, „weil viele denken, schwangere Frauen leiden unter Brain Fog und seien nicht mehr leistungsfähig“, beschreibt es eine Director M&A eines Finanzdienstleisters. Schwangerschaft beziehungsweise Mutterschaft wird in Hochleistungsumfeldern als Defekt betrachtet, als vorübergehende Funktionsstörung in einer sonst leistungsfähigen Einheit. Kita-Schluss um 16:30 Uhr, Nannys, Großeltern und späte Schichten prägen den Alltag. Sechs Monate Karenz gilt noch als machbar. Danach, so berichten viele, wird es schwer – da wird man zurückgestuft, müsse sich neu beweisen.
Abb. 4 Interviewausschnitte zu Familie und/oder Karriere
Quelle: Eigene Darstellung
Die zentralen Bewältigungsstrategien der Interviewten sind Organisation, viel Geld und der richtige Partner. Eine Director M&A eines Automobilkonzerns sagt: „Mein Mann kann unsere Tochter holen – das hält mich im Job.“ Dabei entstehen nicht nur „Mom Guilt“, sondern ganz allgemein Schuldgefühle aus dem Anspruch, allen Rollen gerecht zu werden: „In der Theorie könnte ich überall mehr machen – für die Kinder da sein, für meinen Mann, für mein Team, Kundenkontakte intensiver pflegen.“ Der Versuch, allen Rollen gerecht zu werden, hinterlässt das Gefühl, immer irgendwo zu versagen (siehe Abb. 4 für weitere Interviewausschnitte). Mütter in M&A kämpfen nicht nur mit tradierten Rollenbildern und einem männlich dominierten Arbeitsumfeld, sondern zudem mit hohen eigenen Ansprüchen und den gesellschaftlichen Erwartungen. Frauen werden dadurch in ihrem Menschsein in Frage gestellt, wenn sie sich weniger oder nicht als Mütter engagieren, da sie quasi ihren Daseinszweck nicht erfüllen13. Selbstzweifel und mangelndes Selbstmarketing verstärken dabei die strukturellen Nachteile. Dabei sind die im Vereinbarungsmanagement entwickelten Kompetenzen wie Priorisierung, Resilienz und komplexes Erwartungsmanagement zentrale Fähigkeiten in M&A-Prozessen. Frauen, die diese Fähigkeiten täglich unter hohem Druck trainieren, bringen wertvolle Ressourcen für Führungsaufgaben mit. Ein Arbeitsumfeld, das diese Kompetenzen anerkennt und fördert, stärkt nicht nur individuelle Karrieren, sondern auch ganze Unternehmen.
„Mit sich selbst zurechtkommen, das ist die größte Herausforderung, mit sich selbst ins Reine kommen, wo kann ich welchen Anspruch an mich selbst gewährleisten.“
(Partnerin, Transaction Advisory Services, Big Four)
Was ist mit den Frauen ohne Kinder? Haben es diese einfacher? Im Gegenteil: Diese sind umso mehr mit subtilen Rollenerwartungen konfrontiert. Im deutschsprachigen Raum wird das Privatleben häufig thematisiert, insbesondere die Familienplanung beziehungsweise Vereinbarkeit von Familie und Karriere. Während Mütter gefragt werden, wer sich gerade um die Kinder kümmert, werden kinderlose Frauen gefragt, warum sie keine haben. „Wäre ich ein Mann, würde das Thema gar nicht aufkommen“, sagt eine Director eines internationalen PE-Fonds. Nicht jede Frau ist Mutter – darin liegt ein oft unausgesprochener Unterschied zu tradierten Rollenbildern. Eine erfolgreiche Anwältin, die große Transaktionen in der Biotech- und Pharma-Branche begleitet, erzählt: „Ich werde nicht offen gejudged, aber ich spüre, dass manche meinen nächsten Karriereschritt damit erklären, dass ich keine Kinder habe.“ In der Selbstreflexion merkt sie an, wie tief diese Zuschreibungen sitzen: „Ich habe mich selbst schon ertappt, wie ich bei anderen dachte: Kein Wunder, dass ihre Ehe gescheitert ist – sie macht eben Karriere.“ Diese Perspektiven illustrieren, wie subtil familiäre Rollenbilder geschlechterunabhängig fortwirken und wie sehr Lebensentwürfe durch gesellschaftliche Erwartungshaltungen gefärbt sind, selbst innerhalb progressiver Kreise. Wir sollten also nicht aufhören, unsere stereotypen Zuschreibungen aktiv zu hinterfragen. Wenn Frauen – ob mit oder ohne Kinder – durch subtile Rollenerwartungen in ihrer beruflichen Entfaltung gehemmt werden, verliert die Branche vielfältige Talente, Perspektiven und Innovationskraft. Statt Potenziale individueller Lebensentwürfe zu nutzen, wird Vielfalt auf vorgefertigte Rollenbilder reduziert – eine verpasste Chance für den Erfolg von Transaktionen und wettbewerbsfähigen Unternehmen.
6. Was bleibt nun vom Perspektivenwechsel? Erkenntnisse und ein klarer Blick nach vorn
Meine Absicht, den Blick auf solche Erfahrungen und Perspektiven zu lenken, soll das Potenzial der Vielfalt unterstreichen. Die verschiedenen Erfahrungen und Perspektiven von Frauen helfen uns dabei, bestehende Biases zu identifizieren und strategische Entscheidungen in der Branche zu treffen.
„Ich setze mich gedanklich auf den Stuhl meines Gegenübers, um Argumente aus seiner Perspektive zu platzieren – nicht nur aus meiner eigenen.“
(Group CFO eines Maschinenbauers)
Jene Frauen, die den positiven Blick nicht verlieren und Situationen der Ungleichbehandlung in Positionen der Stärke verwandeln, holen Vorteile für sich heraus. Eine Director M&A eines Pharma-Unternehmens blickt nach vorne: „Ich sehe das eher als Chance, wenn Menschen denken, ‚Da kommt so ein Mauerblümchen…‘“. Wer den Mut hat, sich durchzusetzen und neue Wege zu gehen, stärkt unsere Haltung zu mehr Gleichstellung. Die M&A-Branche steht vor einer entscheidenden Chance: Wenn alle, insbesondere auch Männer, Gleichstellung aktiv unterstützen, schaffen sie ein Arbeitsumfeld, das von allen Seiten bereichert wird. Diese Veränderung ist nicht nur ein moralisches Gebot, sondern eine strategische Notwendigkeit, um die volle Potenzialentfaltung aller Talente zu gewährleisten. Auch wenn die Gespräche zu vielfältig und dicht waren, um alles in einem Artikel abzubilden, lassen sich die folgenden zentralen Empfehlungen meiner Gesprächspartnerinnen ableiten:
6.1 Leistung allein reicht nicht
Viele Frauen glaubten zu Beginn ihrer Karriere, dass Leistung allein den Erfolg bestimmt. In dieser Einstellung tendieren sie dazu, Meisterinnen der Selbstoptimierung zu werden. Dies schützt vor Resignation, birgt jedoch die Gefahr, das eigene Selbst als endlos formbar zu betrachten14.
Im Rückblick wünschten sich viele, sie hätten früher Allianzen geschmiedet: „Ab einer gewissen Ebene erfolgt vieles nur noch über Netzwerk, wenn beispielsweise Personen auf Stellen empfohlen werden“, sagt eine Vorständin eines Industrieunternehmens. Karriere folgt sozialen Spielregeln. Studien zeigen dabei, dass Frauen durch Mentoring allein wenig profitieren15. Entscheidender sind Sponsors, also Fürsprecher und Fürsprecherinnen, die einem aktiv Türen öffnen und Namen ins Spiel bringen, wenn es um Rollen oder Beförderungen geht. Besonders ernüchternd ist, dass Empfehlungen von Frauen für Frauen sogar den Aufstieg gefährden können – eine Dynamik, die viele als frustrierend empfinden16. Eine weitere Einsicht ist das Sichtbarmachen von Erfolgen, eine CFO formuliert es so: „Klappern gehört zum Handwerk, und das habe ich gelernt – zeigen, wenn etwas funktioniert.“
Erfolg in kompetitiven Feldern wie M&A ist nicht allein das Ergebnis von Leistung. Wer erfolgreich sein will, muss nicht nur sichtbar sein, sondern auch sichtbar machen. Netzwerke, Fürsprecher und gegenseitige Unterstützung bilden dabei eine zentrale Karrierewährung. Männer unterstützen dies, indem sie:
bewusst Sichtbarkeit teilen, indem sie Kolleginnen in Meetings aktiv einbeziehen oder für Beförderungen empfehlen,
exklusive Netzwerke öffnen, statt sie geschlechtlich homogen zu halten,
nicht weiter den Mythos befeuern, dass sich gute Arbeit von allein durchsetzt.
6.2 Haltung zeigen: Selbstbewusstsein und Freundlichkeit als Strategie
Haltung und Selbstbewusstsein sind entscheidend. „Man muss sich trauen zu fragen – auch nach mehr Gehalt“, sagt eine Director M&A einer Servicegesellschaft. Der Glaube an die eigene Leistung ist dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, sich nicht zu früh aus dem Spiel zu nehmen, wie eine Transaktionsanwältin es formuliert: „Hab keine Angst vor Fehlern. Die Welt wird nicht von jenen gemacht, die ein Dokument sieben Mal lesen. Mach dich unersetzbar, sag was du brauchst!“ Wer sich in seinem Anspruch verliert, läuft Gefahr, das Spielfeld anderen zu überlassen, statt es mitzugestalten. Dabei geht es nicht darum, sich männliche Spielarten von Durchsetzungskraft anzueignen. Vielmehr berichten Frauen von einem bewussten Umgang mit ihrer Wirkung: charmant, souverän und bestimmt. „Ich bin freundlich – das entspannt die Situation und überrascht oft positiv.“ (Director Business Development eines Elektronikkonzerns) Der Einsatz dieser Ambivalenz – zwischen Weichheit und Klarheit – kann Türen öffnen, ohne sich zu verbiegen. Dabei braucht es eine emotionale Robustheit, um in stressigen Situationen nicht den Mut zu verlieren, so eine CFO eines Modeherstellers: „Mund abwischen und weitermachen – auch wenn man in einer M&A-Session gegrillt wurde.“
Es braucht eine fast schon widersprüchliche Kombination: die Souveränität, sich nicht kleinzumachen, und die Eleganz, es niemanden spüren zu lassen. Eine Haltung, die weder laut noch gefällig ist. Frauen, die ihren Weg gehen, setzen auf Präsenz statt Pose, auf Klarheit statt Konfrontation. Dieser Stil hält, auch wenn der Ton rauer wird. Männer unterstützen dies, indem sie:
eigene Privilegien reflektieren und Machtpositionen aktiv nutzen, um andere zu fördern,
sich klar gegen Sexismus äußern – auch wenn es „nur“ ein Witz oder eine Bemerkung am Rande ist,
Mentor und Sponsor zugleich sind, ohne zu „retten“, sondern als Türöffner.
6.3 Lebensmodelle jenseits des Entweder-oder – die Ambivalenz zwischen Anspruch und Aneignung
Viele meiner Gesprächspartnerinnen hinterfragen zunehmend die Logik der M&A-Branche: Der Wunsch, sich intellektuell zu verausgaben, wird zu oft mit einer totalen Aufopferung gleichgesetzt – und das, obwohl M&A gerade auch ein Raum für Gestaltungswillen, strategische Weitsicht und kluge Allianzen ist. „Es ist kein Wert, bis Mitternacht zu arbeiten“, sagt eine erfahrene Führungskraft rückblickend, „wichtiger ist, früh das Ruder zu übernehmen und zu sagen, was machbar ist.“ Die berufliche Selbstbestimmung beginnt für viele nicht bei der Wahl des Jobs, sondern bei der bewussten Ausformulierung eines Lebensmodells, das sich nicht in betriebswirtschaftlichen Kategorien erschöpft. Dazu gehört auch die Einsicht, dass familiäre Verantwortung und intellektuelle Ambition kein Widerspruch sein müssen – solange man sich erlaubt, beides nicht perfekt leben zu müssen. Eine Interviewpartnerin bringt es auf den Punkt: „Ich belaste meine Zeit nicht mit irgendeinem Quatsch. Ich bestelle alles online, bügle nicht. Stattdessen gehe ich mit meinen Kindern wandern.“ Der Verzicht auf das Unwesentliche wird zur Strategie, sich Raum für das Wesentliche zu schaffen – beruflich wie privat. Diese Klarheit wächst oft mit den Jahren: „Ich sehe jetzt bewusster die Opfer, die man bringt. Früher dachte ich: Do it – koste es, was es wolle. Heute sehe ich klarer“, sagt eine Mutter und Führungskraft. Und vielleicht liegt darin der eigentliche Reiz einer Karriere in M&A – nicht im glatten Aufstieg, sondern in der aktiven Aneignung und Gestaltung eines Spielfelds.
In der Reflexion zeigt sich: Es geht nicht um das Entweder-Oder von Berufs- und Privatleben, sondern um ein bewusstes Und. Wer beides will, braucht Haltung – und ein Modell, das nicht auf stumme Anpassung, sondern auf aktives Gestalten setzt. M&A kann genau das sein: fordernd, ja – aber auch formbar. Männer unterstützen dies, indem sie:
Familienverantwortung gleichberechtigt übernehmen und das auch sichtbar machen,
Karrierewege anders denken – nicht als „Durchpowern“, sondern mit gesunder Führung,
aufhören, Weiblichkeit mit Schwäche gleichzusetzen, im Mindset und im Führungsstil.
Die Stimmen der Frauen, mit denen wir sprachen, zeichnen ein differenziertes Bild von Chancen, Widersprüchen und Möglichkeiten im M&A-Umfeld. Die Stärke vieler liegt darin, diese Ambivalenz auszuhalten – sich anzupassen, ohne sich selbst zu verlieren. Dieser Text versteht sich als Einladung – zum Perspektivenwechsel, zum Weiterdenken, zum offenen Gespräch und zur aktiven Gestaltung einer Arbeitswelt, in der Vielfalt nicht nur toleriert, sondern als Stärke begriffen wird.
Abb. 5 Addendum: Eine Randnotiz für progressive Männer
Quelle: Eigene Darstellung
1 Mavin, S., Elliott, C., Stead, V. and Grandy, G. (2023), „Guest editorial: Women-in-leadership research and feminist futures: new agendas for feminist research and impact on gender equality“, Gender in Management, Vol. 38 No. 2, pp. 153-165.
2 Tokenismus bezeichnet die Praxis von Organisationen, einzelne Personen aus marginalisierten Gruppierungen einzubinden, um Vielfalt vorzutäuschen ohne Gleichstellung anzustreben (siehe auch Zimmer, L. (1988), „Tokenism and Women in the Workplace: The Limits of Gender-Neutral Theory”, Social Problems, pp. 64-77.); Sealy, R. and Singh, V. (2008), „The importance of role models in the development of leaders’ professional identities“, Leadership Perspectives, Palgrave Macmillan, London, pp. 208-222.
3 Vinnicombe, S. and Mavin, S. (2023), „Reflections on women’s progress into leadership in the UK and suggested areas for future research“, Gender in Management, Vol. 38 No. 2, pp. 248-254.
4 Dixon-Fyle, S., Hunt, V., Dolan, K., and Prince, S. (2020), „Diversity wins. How inclusion matters“, McKinsey & Company.
5 Hannig, T. (2024): Feminismus heute. In Schulte, B.: „Heute ist ein guter Tag das Patriachat abzuschaffen“, Hirzel Verlag, Stuttgart.
6 UNDP (United Nations Development Programme). 2020. 2020 Gender Social Norms Index (GSNI): Tackling Social Norms: A game changer for gender inequalities. New York.
7 Kersley, R., Klerk, E., Boussie, A., Longworth, B. S., Natzkoff, J. A., and Ramji, D. (2019). The CS Gender 3000 in 2019: The changing face of companies. Credit Suisse Research Institute.
8 (Dixon-Fyle et al., 2020)
9 Connell, R. (2015). Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. Springer Fachmedien, Wiesbaden.
10 Aussage während einer Paneldiskussion mit Tina Themel und Katharina Cibulka, Veranstaltung: „Oh Mann, du bist Feministin?“ am 26.11.2024 in der Stadtbibliothek Innsbruck
11 Paul Scheibelhofer im Gespräch mit der Journalistin Andrea Wieser: Mannsein im Patriachat ist Selbstentfremdung in: Cibulka, K. (2023). Let’s go equal. The Solange Project. Hirmer Verlag, München.
12 Auspurg, K., Hinz, T., & Sauer, C. (2017). Why Should Women Get Less? Evidence on the Gender Pay Gap from Multifactorial Survey Experiments. American Sociological Review, 82(1), 179-210. https://doi.org/10.1177/0003122416683393
13 Schutzbach, F. (2021): „Die Erschöpfung der Frauen. Wider die weibliche Verfügbarkeit“. Droemer, München.
14 Schutzbach, F. (2021): „Die Erschöpfung der Frauen. Wider die weibliche Verfügbarkeit“. Droemer, München.
15 Ibara, H., Carter, N.M., & Silva C. (2010). Why Men Still Get More Promotions Than Women. Harvard Business Review. https://hbr.org/2010/09/why-men-still-get-more-promotions-than-women
16 Zykunov, A. (2023): Was wollt ihr denn noch alles?! Ullstein, Berlin.