30.11.2019 | Prof. Dr.-Ing. Kai Lucks, Dr. Philipp Schultes, Dr. Caroline Geiger, Chris Beckmann, Wilhelm Mickerts, Kristina Ganzen, Martin Kuegler

M&A im Lichte der Digitalisierung: Bestandsaufnahme und Blick in die Zukunft

Special Topic

1. Einleitung

Prof. Dr. Kai Lucks

Anfang August 2018 ging das Team „Due Diligence & Legal“ unter Leitung von Dr. Philipp Schultes (ZIRNGIBL Rechtsanwälte Partnerschaft mbB) an den Start. Im Kick-off-Workshop am 11. Juni hatten wir die Gründung des Arbeitskreises „Digitalisierung M&A” und seine Gliederung in vier Teams beschlossen:

(1) Digitale Geschäftsmodelle, (2) End-to-end-M&A-Prozess, (3) Due Diligence & Legal sowie (4) Emerging Technologies. Dies dokumentiert auch eine grundlegende Weichenstellung für den Bundesverband Mergers & Acquisitions insgesamt, nämlich zur Fokussierung unserer Aktivitäten auf „Leuchtturmprojekte“ und die Bildung forschungsorientierter Arbeitskreise. Uns war auch bewusst, dass wir damit die Grenzen von M&A sprengen würden. Die Digitalisierung markiert einen grundlegenden Wandel für M&A, nicht nur intern, in seinen Prozessen, sondern weit darüber hinaus. Der M&A-Markt durchläuft nämlich fast schon als „disruptiv“ zu bezeichnende Änderungen, erkennbar etwa im derzeitigen Tal, in dem er sich befindet und infolge geopolitischer Verschiebungen. Die Digitalisierung bringt nun neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen hervor. Zu nennen sind etwa digitale Ökosysteme, netzförmige Verbünde unter Einbezug ganz neuer datengetriebener Dienstleister und Steuerer sowie eine ganz andere Qualität des Einbezugs von Kunden in die Wertschöpfungskette. Der „Prosumer“ wurde geboren. Unternehmenskäufe und Fusionen bekommen nicht nur „eine neue Konkurrenz“, sondern auch ganz neue Triebkräfte. Worauf das hinausläuft, wissen wir noch nicht. Es ist aber faszinierend, in dieser Bewegung aktiv dabei zu sein und nicht nur zu beobachten. Die Reichweite dessen, was wir hier machen, ist größer, als wir beim Start dachten. Unsere Erkenntnisse treiben uns zu immer neuen Fragen und Themen, mit denen sich auch das Team „Due Diligence & Legal“ unter der Leitung von Dr. Philipp Schultes beschäftigt hat. Zu den Themen des Teams zählten unter anderem:

  • Optimierte Nutzung technischer Hilfsmittel in der Due Diligence: Künstliche Intelligenz, Machine Learning und andere fortgeschrittene Werkzeuge in virtuellen Datenräumen;

  • Data & Analytics im Due-Diligence-Prozess;

  • Tech Due Diligence;

  • Legal Tech zur Lösung rechtlicher Aufgabenstellungen im Rahmen von M&A, insbesondere im Rahmen der Vertragsgestaltung.

Die Ergebnisse aus den Arbeitskreisveranstaltungen haben die Teilnehmer in dem folgenden Beitrag zusammengefasst.

 

2. Optimierte Nutzung technischer Hilfsmittel in der Due Diligence: Künstliche Intelligenz, Machine Learning, und andere fortgeschrittene Werkzeuge in virtuellen Datenräumen

Chris Beckmann, Drooms GmbH

2.1. Ist-Zustand

Moderne Datenräume bieten die Möglichkeit zur gesteuerten und überwachten Veröffentlichung aller für die Kaufprüfung relevanten Daten. Die Technologie ist breit eingeführt, im Markt akzeptiert und im täglichen Einsatz sowohl robust als auch komfortabel. Die bisherige Nutzung ist im Wesentlichen eine Abbildung althergebrachter Vorgehensweisen.

 

2.2. Neue Entwicklungen, neue Möglichkeiten, bessere Resultate

Der Leistungsumfang digitaler Datenräume wird (von einigen Anbietern) massiv erweitert. Wesentliche Neuerungen sind:

  • Übersetzungen aus und in verschiedene Sprachen • Workflow-Management für die Q&A

  • Teilautomatisierte, maschinenunterstützte Vorbereitung der Red Flag Due Diligence (Findings Management)

  • Automatisierte Allokation von (unsortierten) Daten zu Datenraumindizes

 

2.3. Einsatz neuer Tools

Die Möglichkeiten, die sich durch die oben genannten Werkzeuge eröffnen, ermöglichen einen veränderten Arbeitsablauf und werden kurz- und mittelfristig nicht nur nachhaltige Zeitersparnisse nach sich ziehen, sondern auch mit erheblich weniger Aufwand zu besseren Resultaten führen.

 

2.4. Maschinelle In-Line-Übersetzungen

Bisher besteht das grundsätzliche Risiko, dass zum Download freigegebene Daten durch Online-Übersetzungshilfen wie „Google Translate“ gesendet und damit unkontrolliert veröffentlicht werden.

Inline-Übersetzungswerkzeuge sind für Anbieter in der Programmierung zwar teuer, bieten aber die Sicherheit, dass Datenrauminhalte nicht unkontrolliert veröffentlicht werden, und schützen davor, dass es zu ungewollten/ unbewussten Verstößen gegen die nationalen und EU-Datenschutz-Richtlinien kommt.

Zusätzlich erleichtern diese Tools die Ansprache eines breiteren Bieterkreises und minimieren Diskussionen um die Notwendigkeit von Downloadrechten, denen die Verkäuferseite oft zu Recht skeptisch gegenübersteht.

 

2.5. Q&A-Workflow-Management

Die Q&A Sessions als zentraler Bestandteil der Due Diligence lösen immer noch eine extreme Arbeitslast für das Deal-Team aus.

Neue Entwicklungen für das Q&A-Management des Workflow erleichtern die Abläufe in der Q&A nicht nur durch eine granulare Vergabe von Rechten, sondern auch durch die Definition klarer Abläufe zur Beantwortung und zur Veröffentlichung (Freigabe) von Antworten. Zudem lässt sich durch Auto-Routing, also durch Verknüpfung von Dokumenten mit automatisierter Zuweisung der Fragen an bestimmte (definierte) Beantwortergruppen, viel Aufwand reduzieren.

Schließlich bietet eine konsequent im Datenraum geführte Q&A allen Beteiligten ein höheres Maß an Verbindlichkeit, da alle Inhalte rechtssicher dokumentiert werden.

 

2.6. Findings Management in der Red Flag Due Diligence

Durch den Einsatz „intelligenter“ Werkzeuge erhält die Sell-Side (und fakultativ auch die Buy-Side) die Möglichkeit, mit durch „Machine Learning“ und künstliche Intelligenz unterstützten Werkzeugen nicht nur die Suche, sondern auch die Suchergebnisse zu qualifizieren, quantifizieren, Rückschlüsse zu ziehen und Aktionen daraus zu definieren.

Der Datenraum „erlernt“ an der Vorgehensweise des Nutzers, wonach dieser sucht, und schlägt (prädiktiv) weitere Dokumente, die den bisherigen Ergebnissen ähnlich sind, vor. Dabei bleiben die Ergebnisse personenbezogen, es fließt also das Know-how des Beraters nicht ab, steht ihm aber dennoch in zukünftigen Transaktionen mit den erlernten Ergebnissen wieder zur Verfügung. Die Vorhersagegenauigkeit erhöht sich durch die Nutzung, der individuelle Arbeitsaufwand nimmt so beständig ab.

In zukünftigen Entwicklungsstufen dieser Technologie wird es möglich sein, wesentliche Standard abfragen der Due Diligence wie zum Beispiel die Suche nach „Change of Control Clauses“ vollautomatisiert vorbereiten zu lassen.

Die „Findings“ lassen sich vom Nutzer direkt in Excel exportieren und unterstützen so eine Weiterverarbeitung. (Vgl. hierzu auch die bahnbrechenden Ansätze zur maschinengestützen DD Analyse des „Big Data & Analytics Teams“ von Kristina Ganzen und Wilhelm Mickerts bei Warth & Klein Grant Thornton.)

 

2.7. Automatisierte Indexallokation

In Real-Estate-Datenräumen werden bereits auf breiter Basis Lösungen eingesetzt, die es ermöglichen, Dokumente automatisiert einem vorgegebenen Index zuzuordnen. Durch den hohen Standardisierungsgrad der in Real-Estate-Transaktionen verwendeten Document Request Lists beziehungsweise Datenraum Indizes ist es heute möglich, einen Datenraum mit unstrukturierten Daten so zu befüllen, dass über 80% der Dokumente ohne weiteren manuellen Eingriff korrekt zugeordnet werden. Auch hier wird intensiv daran gearbeitet, diese Funktion für ein breiteres Einsatzgebiet bereitzustellen.

 

2.8. Fazit

Bisher wurden technische Hilfsmittel genutzt, um den traditionellen, eher händischen Ablauf der Due Diligence von den Restriktionen physikalischer Datenräume zu befreien.

Heute stehen sowohl der Sell- als auch der Buy-Side Werkzeuge zur Verfügung, die bei geschicktem Einsatz schneller, genauer und effizienter zu besseren Ergebnissen führen. Die Marktdurchdringung dieser Tools ist, nach der Einführung der Virtuellen Datenräume, sicher die größte technische Neuerung disruptiver Art, gewissermaßen die zweite kleine Revolution der DD – aber der Einsatz lohnt sich für alle Beteiligten.

 

3. Data & Analytics im Due-Diligence-Prozess

Wilhelm Mickerts, Kristina Ganzen, beide Warth & Klein Grant Thornton AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

3.1. Traditioneller versus mit Data & Analytics angereicherter Financial Due Diligence-Prozess

Der Anspruch an eine „gute“ Financial Due Diligence hat sich in den vergangenen gut 30 Jahren (solange ist der Co-Autor im Beruf) nicht wirklich geändert. Es soll der Informationsbedarf der Bieter zu Umsatz- und Ergebnisentwicklung, Nettoverschuldung und Working Capital möglichst vollumfänglich gedeckt werden. Der Prozess auf dem Weg dorthin hat sich ebenfalls kaum verändert. Von der Datenaufnahme über die Datenverarbeitung gelangt man zur Analyse und den Analyseergebnissen.

Während die Datenaufnahme in frühen Jahren noch auf der Grundlage postalisch versendeter Dokumente und Ordner erfolgte, sind heute virtuelle Datenräume mit intelligenten Steuerungsmodulen die Regel. Die Datenaufnahme und Verarbeitung erfolgte ursprünglich noch manuell mittels handschriftlicher Aufzeichnungen unter Zuhilfenahme von Spaltenpapier und Tischrechner, später dann unter Einsatz der gängigen Office Programme (Excel, Word, PPT). Seit kurzem kommen komplexe Algorithmen und Big-Data-Software-lösungen zum Einsatz.

Eine wesentliche Zielsetzung der Financial Due Diligence ist es, dem potenziellen Käufer eines Zielunternehmens, ein höchstes Maß an Transparenz über die Unternehmensleistung und die Werttreiber zu geben. Um dieses Ziel zu erfüllen, sind Analysen vielfältiger Finanzunterlagen notwendig.

Früher beschränkten sich Finanzanalysen auf Kontenaufrisse der Bilanz- und GuV-Posten, bestenfalls um einige manuelle Zusatzanalysen – etwa eine Top- Kundenumsatz-Analyse – angereichert. Integraler Bestandteil der heutigen Financial Due Diligence sind sowohl wichtige kommerzielle Analysen als auch die Einbeziehung der Planungsrechnung. Der Einsatz moderner Data & Analytics-Softwarelösungen ermöglicht dabei heute eine neue Qualität der Analysetiefe, wie im Folgenden beschrieben wird.

In einer State-of-the-Art-Datenanalyse sammeln wir die transaktionsrelevanten Rohdaten (z.B. Rechnungen) aus dem ERP-System der Zielgesellschaft und strukturieren diese für die (mandanten-)individuelle Datenanalyse zur Identifizierung der Werttreiber im Zielunternehmen. Die (wichtigsten) Ergebnisse fließen in den Due-Diligence- Bericht, alle Analysedetails werden in Form eines Factbooks (zur weiteren Detailauswertung) zur Verfügung gestellt. Ergänzend hierzu können die Analyseergebnisse auch in Form eines Dashboards präsentiert werden.

 

3.2. Effizienzverbesserungen

Der Einsatz neuer Analyse-Tools und Datenverarbeitungslösungen hat zunächst zu erheblichen Effizienzsteigerungen geführt. Für den Berater bedeutet dies (c.p.) einen signifikanten Zeitgewinn in der Erstellung der Datenbücher, für den Mandaten eine Zeit- und damit Kostenersparnis für die Arbeiten im Zusammenhang mit der Datenaufnahme und -verarbeitung. Er erhält im Idealfall ein komplettes Datenbuch nur wenige Tage nach Öffnung des Datenraums.

 

3.3. Added Value bei Kernanalysen

Über die Effizienzsteigerungseffekte hinaus hat sich die Qualität der Datenanalysen mit Hilfe dieser modernen Analyse-Tools dramatisch verbessert.

Die Umsatz- und Margenanalysen auf Ebene der einzelnen Rechnungen lassen nun keine Wünsche mehr offen. Ob Preis-/Mengenanalysen, Kundenanalysen, Absatzmärkte, Saisonalität, Produkte et cetera. Die Verlässlichkeit der daraus generierten Aussagen wird durch die Tatsache gesteigert, dass die Daten direkt aus dem ERP-System extrahiert werden und auf gebuchten Rechnungen und nicht etwa auf manuellen Excel-Auswertungen basieren. Die „wahren“ wirtschaftlichen Treiber werden transparent, und Aussagen des Managements können verifiziert werden.

Mit einer solch robusten Datenbasis wird ceteris paribus auch das Risiko aus Informationsasymmetrien zwischen Käufer und Verkäufer reduziert.

Durch den Einsatz der Data & Analytics Tools wird auch die Flexibilität deutlich verbessert. Die ungefilterten und disaggregierten Rohdaten ermöglichen jederzeit weitere Analysen beziehungsweise Aggregationsebenen (z.B. nach Kunden mit dem stärksten Umsatzwachstum, Produktgruppen mit sinkender Rohertragsmarge, Regionen mit dem höchsten Volumeneffekt etc.). Standardisierte Workflows ermöglichen es uns jederzeit, kurzfristige Anfragen unverzüglich zu beantworten.

 

3.4. Datenqualität und -integrität

Während die Datenqualität schon immer eine der größten Herausforderungen im Financial Due Diligence- Prozess war, wird dieses Problem bei dem Versuch, Data & Analytics-Elemente in der Due Diligence einzusetzen, verstärkt sichtbar. Obgleich eine konsistente Datenbasis eine Voraussetzung für qualitativ hochwertige Aussagen über die Werttreiber des Zielunternehmens ist, ermöglicht der Einsatz der modernen Datenanalysetools, eine heterogene und inkonsistente Datenbasis zu bereinigen, zu integrieren und somit für die weiteren Analyseschritte vorzubereiten. Selbst beim Einsatz der „herkömmlichen“ Analysemethoden hilft die Anwendung der Data & Analytics Tools, qualitative Verbesserungen der Datengrundlagen zu gewähren.

 

3.5. Added Value Post Deal und Ausblick

Die Due-Diligence-Praxis verändert sich durch den Einsatz der Data & Analytics Tools nachhaltig. So wird sich nicht nur die Arbeit der Due-Diligence-Anbieter verändern, sondern auch die dem Kunden zu präsentierenden Ergebnisse. Beispielsweise wird in der nahen Zukunft ein starrer, in PowerPoint erstellter Bericht durch ein interaktives, jederzeit abrufbares Dashboard ersetzt, bei dem der Nutzer Antworten finden kann auf Fragen, die noch nicht gestellt worden sind.

Die unmittelbar einleuchtenden Qualitätsverbesserungen in der Analysetiefe und Genauigkeit für die Financial Due Diligence-Ergebnisse führen nach Abschluss der Transaktion aber auch zu weiteren „Synergieeffekten“. Beispielhaft seien hier aufgezählt:

  • Unmittelbare Nutzung der FDD-Analyse (Tools) für ein einzurichtendes Monats-Reporting

  • Verbesserungspotenziale bei Kunden und Lieferanten können Neuverhandlungen stimulieren

  • Analyse und Vorhersage der Auswirkungen von Restrukturierungen

  • What-If-Szenarien, z.B. für die Kostenflexibilisierung

  • Verbindung der Planung mit der historischen Entwicklung auf granularer Ebene

  • Im Controlling höhere Transparenz und datenbasierte Unterstützung der Performance-bezogenen Aussagen

 

3.6. Fazit

Unserer praktischen Erfahrungen in den vergangenen drei Jahren seit Nutzung der neuen Data & Analytics Tools sind durchweg sehr positiv. Käuferseitig können wir die weitergehenden Analysen (auf Basis der ERP-Rohdaten) in zwei von drei Transaktionen tatsächlich durchführen, insbesondere bei Exklusivität oder einer begrenzten Zahl von Bietern in der letzten Phase. Das gilt sogar in Situationen mit wettbewerbsrechtlichen Restriktionen, wenn wir als Berater im Zuge eines „Clean Rooms“ Detailanalysen durchführen und nur die verdichteten Ergebnisse – anwaltlich geprüft und freigegeben – an den Mandanten weitergeben. Ein vorbereitendes Gespräch mit dem Management des Zielunternehmens (u.a. dem IT-Verantwortlichen) ist häufig ausreichend, das Eis zu brechen. Der Einsatz der neuen Data & Analytics Tools im Rahmen von Verkaufsprozessen ist ein absolutes Muss.

 

4. Tech Due Diligence

Dr. Caroline Geiger, ZIRNGIBL Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, und Martin Kuegler, Ernst & Young GmbH, Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

4.1. IT/Tech & Legal – Enge Zusammenarbeit bei jeder Due Diligence

Die Tech Due Diligence ist ein Paradebeispiel für die zwingende Zusammenarbeit zwischen Legal und Tech respektive IT. Dabei ist nicht nur die technische Überprüfung im Hinblick auf Aufbau, Stabilität und Leistungsfähigkeit der IT-Infrastrukturen sowie selbstentwickelter Softwarelösungen relevant. Es müssen zudem die rechtlichen Aspekte beleuchtet werden, die im Zusammenhang mit der Technologie stehen. Jeder Erwerb eines Unternehmens – gleich ob die Zielgesellschaft Technologie-Anbieter oder „nur“ IT-Nutzer ist – wirft technisch-rechtliche Fragestellungen auf.

Aus technisch-rechtlicher Sicht werden nicht nur die Verträge, insbesondere Lizenz- und Serviceverträge, geprüft. Ebenso sind Methoden der Softwareentwicklung sowie der Quellcode selbst Bestandteil der Due Diligence. Hintergrund ist, dass heutzutage nur noch wenig Software vollständig, also jede einzelne Codezeile, selbst entwickelt wird. Um effizient zu sein, bedienen sich die SW-Entwickler speziell für die Entwicklung der Basisfunktionen (z.B. grafische Benutzeroberflächen) sogenannter Bibliotheken, Software Developer Kits (SDKs) oder auch Applets (meist als Plug-ins bezeichnet). Neben möglichen Sicherheitslücken dieser fertigen Software ist vor allem der lizenzrechtlich korrekte Umgang damit ausschlaggebend. Abschließend stellt sich die Frage, wie hoch der selbst geschaffene und somit IP-rechtlich relevante Anteil an der Software tatsächlich ist.

 

4.2. IP – idealerweise frei von Rechten Dritter

Wichtig beim Erwerb eines Unternehmens sind die Rechte am geistigen Eigentum, dem Intellectual Property (IP), welche immer häufiger den wesentlichen Wert des Zielunternehmens ausmachen – sehr häufig im Zusammenhang mit Software und Hardware als IP-Rechte bezeichnet. Der Bestand und die Inhaberschaft dieser IP-Rechte bilden einen Schwerpunkt der Due Diligence. Dabei geht es typischerweise um nicht registrierte Rechte wie Urheberrechte, Datenbankrechte und um Registerrechte wie Patente – wenngleich Letztere im Kontext Software nach § 1 (3) PatG meist auszuschließen sind.

Software ist urheberrechtlich geschützt, sofern sie einen gewissen Komplexitätsgrad überschreitet und das Ergebnis einer individuellen geistigen Schöpfung des Entwicklers ist (§§ 69a ff. Urheberrechtsgesetz, „UrhG“).Es muss also festgestellt werden, ob das Zielunternehmen ausschließliche urheberrechtliche Nutzungs- und Verwertungsrechte an der Software hält und keine ausschließlichen Lizenzen erteilt oder die Software veräußert hat. Urheberrechte entstehen durch Schöpfung und bedürfen – im Gegenzug zu den Registerrechten – keiner Eintragung. Mangels Registerdokumente oder sonstiger behördlicher Unterlagen bildet bei Urheberrechten die Vertragsdokumentation des Zielunternehmens zu angestellten Entwicklern, freien Mitarbeitern (Freelancern) und sonstigen Lieferanten und Kunden die wesentliche Bewertungsgrundlage.

Grundsätzlich hält der Urheber, im Regelfall der Software-Entwickler, die Rechte an der Software. Der Software-Entwickler kann sein Urheberrecht als solches nicht übertragen. Er kann Dritten aber Nutzungs- und Verwertungsrechte einräumen. Eine Besonderheit gilt bei Arbeitnehmern. Sofern keine anderweitige vertragliche Regelung getroffen worden ist, erwirbt der Arbeitgeber auch ohne eine ausdrückliche Vereinbarung die ausschließlichen Verwertungsrechte an der Software, die ein Arbeitnehmer in Wahrnehmung seiner Aufgaben entwickelt hat (vgl. § 69b UrhG). Diese Regelung gilt nicht für die gerade im IT-Bereich häufig eingesetzten Freelancer. Verträge mit Freelancern, aber auch sonstige Verträge mit Dritten, sind im Rahmen der Due Diligence daher besonders sorgfältig auf Regelungen zur Nutzung und Verwertung der Entwicklungsergebnisse zu prüfen. Lizenzverträge mit Dritten sind insbesondere darauf zu überprüfen, ob eine Übertragung der Nutzungsrechte möglich ist.

 

4.3. Vom Sonderfall zum Regelfall: Der Einsatz von Open Source Software

Als Open Source wird Software bezeichnet, deren Quelltext öffentlich und von Dritten (in der Regel frei zugänglich durch sogenannte Public Repositories auf Plattformen wie zum Beispiel GitHub) eingesehen, geändert und genutzt werden kann. Doch auch Open Source Software ist unter Lizenzbedingungen gestellt, welche häufig vorsehen, dass diese nicht nur für die ursprünglich unter ihnen lizenzierte Software gelten, sondern automatisch auch Bearbeitungen und abgeleitete Werke, die ein Lizenznehmer auf deren Grundlage Software erstellt, „infizieren“. Man spricht auch vom „Tainting Effekt“ oder „Copyleft-Effekt“. Die bekannteste Lizenz dieser Art ist die GNU General Public License (GPL). Eine solche „Infizierung“ kann die kommerzielle Verwertung von Software im Wege einer proprietären Lizenzierung oder anderweitig kommerziellen Nutzung verhindern und damit die Transaktion gefährden. Im Fall von selbst entwickelter und kommerziell genutzter Software ist daher stets zu prüfen, ob das Ziel unternehmen Open Source Software verwendet beziehungsweise diese in den Produkten enthalten ist und inwieweit eine Weiterlizenzierung sowie jegliche kommerzielle Nutzung von ihr abgeleiteter Werke und Bearbeitungen mit den Lizenzbedingungen vereinbar ist.

Ein Beispiel aus der Praxis ist der Fall Free Software Foundation (FSF) gegen Cisco Systems, Inc. (Cisco) aus dem Jahre 2008. FSF hat vor einem US-Gericht Klage gegen Cisco, welche mit Produkten der Marke „Linksys“ die Open-Source-Lizenz GPL (General Public License) verletzt haben soll, erhoben. Die Geräte enthielten unter anderem GPL-Software, auf die die FSF die Lizenz vergibt. Nach einer Überprüfung aller Optionen stellte Cisco fest, dass eine Neugestaltung der Software ohne diese Source-Code-Komponenten sowie die damit verbundenen Kosten unangemessen wäre. Stattdessen wurde eine Vergleichsvereinbarung mit der FSF geschlossen, in der Cisco sich einverstanden erklärte, den Quellcode für die Software der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und deren Verwendung, Änderung und Verteilung gemäß den Bestimmungen der GPL zuzulassen. Gerüchteweise war dies mit einer Spende von Cisco an die FSF verbunden, deren Höhe jedoch nicht offengelegt wurde.

 

5. Legal Tech zur Lösung rechtlicher Aufgabenstellungen im Rahmen von M&A, insbesondere im Rahmen der Vertragsgestaltung

Dr. Philipp Schultes, ZIRNGIBL Rechtsanwälte Partnerschaft mbB

5.1. Phasen einer Transaktion

Bei der Frage, welche Rolle Legal Tech bei der Lösung rechtlicher Aufgabenstellungen im Rahmen von M&A spielt, muss nach den jeweiligen Phasen einer Transaktion unterschieden werden.

(1) Pre-Transaction und Valuation-/Due-Diligence-Phase

In der Pre-Transaction-Phase (z.B. der Informationsbeschaffung mit Recherchealgorithmen) und der Valuation- und Due-Diligence-Phase (z.B. automatische Vertragsanalysen, intelligente Datenräume, Projektmanagement) ist der Einfluss von Legal Tech bislang am deutlichsten spürbar.1 Hier sind bereits ausgereifte Legal Tech Tools, wie etwa die oben genannten Lösungen der Drooms GmbH sowie von der Warth & Klein Grant Thornton AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, im Einsatz, um die Tätigkeit für Berater, aber auch Beteiligte zu erleichtern.

Für Anbieter solcher Lösungen wird demnächst auch die von dem europäischen Gesetzgeber verabschiedete Richtlinienänderung zur Digitalisierung des Gesellschaftsrechts von Interesse sein, die unter anderem vorsieht, dass in Zukunft Unternehmensdaten europaweit vereinheitlicht digital und strukturiert zur Verfügung stehen. Die Untersuchung und Analyse von Gesellschaften und Konzernen durch Algorithmen und künstliche Intelligenz im Rahmen einer Due Diligence und bei der Erstellung von Unternehmensorganigrammen kann damit deutlich erleichtert werden.

(2) Transaktionsphase

Von den frühen Phasen ist die Transaktionsphase mit dem Schwerpunkt der Vertragsgestaltung und -verhandlung (Kaufpreis; Garantien; Freistellungen) zu unterscheiden – der aus juristischer Sicht spannendste Teil einer M&A-Transaktion. Hier stellen sich komplexe Fragestellungen im Zusammenhang mit fein justierten Vertragsklauseln. Diese lassen sich in der Regel nicht beziehungsweise nur schwer in automatisierbare Teilschritte zerlegen. Am Ende eines M&A-Prozesses stellen schließlich zahlreiche Klauseln eines Unternehmenskaufvertrags das Ergebnis langer Verhandlungen dar; sie sind oft mals ein Kompromiss zwischen den Parteien.

(3) Marktüberblick

Dieses Ergebnis spiegelt auch der aktuelle Markt für Softwarelösungen wider: Tools für die Vertragsgestaltung spielen in allen Bereichen auf nationaler und internationaler Ebene keine bedeutende Rolle. Zwar gibt es Lösungen, die die Vertragsgestaltung sowie -verhandlung vereinfachen (Vergleichs-, Kollaborationssoftware); hierbei handelt es sich jedoch nicht um innovative Legal Tech Tools per se. Hinzu kommen Lösungen der Dokumentenautomatisierung bei Verträgen mit niedriger Komplexität (bspw. für Standardverträge bei Immobilientransaktionen) – im Übrigen sind solche Lösungen aktuell nicht gewinnbringend einsetzbar.

 

5.2. Einsatz von Legal Tech bei der Vertragsgestaltung und -verhandlung

(1) Frage der Standardisierung Für die Arbeit des Rechtsanwalts, der insbesondere bei der Vertragsgestaltung und -verhandlung im Rahmen eines M&A-Prozesses tätig ist, stellt sich für die Zukunft die Frage, wie Legal Tech bei der Lösung rechtlicher Aufgabenstellungen sinnvoll zum Einsatz gebracht werden kann.

Zielt man allein auf Smart Contracts ab – also auf netzgestützte Computerprogramme, durch die eine Leistungserbringung (einseitig oder im Austauschverhältnis) vorprogrammiert werden –, so stehen hier neben rein technischen Hürden (Schnittstellen zwischen den Beteiligten) auch – und wohl viel entscheidender – die Komplexität des Gesellschaftsrechts, die Vielzahl an Fallgestaltungen und das jeweils unterschiedliche Beratungsbedürfnis einer sinnvollen Umsetzung im Weg.

Konzentriert man sich hingegen auf die Frage, was der Ausgangspunkt verschiedener Lösungen im Zusammenhang mit Legal Tech ist, geht es im Kern um Standardisierung. Überträgt man diesen Gedanken auf das Thema M&A, ist zu fragen, ob Unternehmenskaufverträge insgesamt überhaupt standardisiert werden können oder sollten. Dies dürfte zu verneinen sein. Richtet man jedoch den Blick auf einzelne Klauseln eines Unternehmenskaufvertrags, stellt sich ein anderes Bild dar. So wird in der Praxis gerade bei Verhandlungen einzelner Vertragsklauseln auf die Marktüblichkeit abgestellt.

Beispielweise wird bei der Verjährung von Garantieansprüchen als marktüblich ein Zeitraum von 12 bis 24 Monaten angesehen. In bestimmten Branchen ist es auch eher marktüblich, eine Kaufpreisanpassung (Earn-out) zu vereinbaren als einen Fixkaufpreis (fixer Kaufpreis ohne Locked Box). Weitere Beispiele der Marktüblichkeit findet man bei den Regelungen zu quantitativen Haftungsbeschränkungen, etwa bei der Frage, ob eine De-Minimis-Regelung eine Relation zum Kaufpreis oder absolute Werte vorsehen soll, oder bei der Frage, wann man von einem MAC-Ereignis (Material Adverse Change) sprechen kann, das einen Rücktritt vor dem Closing rechtfertigt.

(2) Anwendungsfälle („Use Cases“) bei der Vertragsgestaltung und -verhandlung

Stellt man also die Frage, wie eine Legal Tech-Lösung einen Rechtsanwalt bei der Gestaltung und Verhandlung eines Unternehmenskaufvertrags unterstützen könnte, so wäre ein möglicher Use Case der Abgleich von Vertragsklauseln hin auf deren Marktüblichkeit. Gleichzeitig könnte eine Auswertung dahingehend erfolgen, ob einzelne Klauseln jeweils käufer- oder verkäuferfreundlich sind. Im Übrigen könnte durch ein solches Tool dem beratenden Anwender unmittelbar angezeigt werden, ob etwaige Vertragslücken bestehen, die von einem zu definierenden Standard abweichen.

Um ein solches Legal Tech Tool zu erstellen beziehungsweise mit den entsprechenden Daten zu füttern, ist zwingende Voraussetzung, dass der Begriff der Marktüblichkeit anhand der Auswertung zahlreicher Transaktionen in unterschiedlichen Branchen tatsächlich und validiert bestimmt werden kann. Eine valide Aussage könnten unter anderem die an zahlreichen Transaktionen mitwirkenden Rechtsanwälte treffen. Studien, wie sich die Risikoverteilung bei Transaktionen gegenüber dem Vorjahr sowie gegenüber einem Jahresdurchschnitt der letzten Jahre entwickelt hat, werden bereits heute von größeren Marktteilnehmern erstellt. Beispielhaft sei hier die Studie einer Rechtsanwaltskanzlei genannt, die Daten von 458 Transaktionen auswertet. Wünschenswert wäre freilich die Auswertung einer noch viel größeren Anzahl von Transaktionen. Hierzu bestünde die Möglichkeit, Daten über eine Auswertung von Unternehmenskaufverträgen über Notariate, die als unabhängiger und unparteiischer Betreuer (§ 14 Abs. 1 S. 2 BnotO) der Beteiligten bei beurkundungspflichtigen Transaktionen ohnehin mitwirken, zu erfassen. Die Sammlung der Daten könnte beispielweise über das Deutsche Notarinstitut als zentrale Plattform erfolgen.

 

6. Ausblick

Die Arbeitsgruppe Due Diligence & Legal wird weitere Treffen und Veranstaltungen durchführen. Haben Sie Fragen oder möchten Sie beim nächsten Treffen – gerne auch mit eigenen Themenvorschlägen – dabei sein? Dann kontaktieren Sie den Arbeitsgruppenleiter Dr. Philipp Schultes unter p.schultes@zl-legal.de

Autor
Prof. Dr.-Ing. Kai Lucks

Prof. Dr.-Ing. Kai Lucks ist Gründer und Vorsitzender des Bundesverbandes Mergers & Acquisitions sowie Geschäftsführer des MMI Merger Management Instituts. Er arbeitete in verschiedensten Funktionen seit 35 Jahren im Siemens-Konzern und als Hochschullehrer, gilt als Architekt des Siemens-Ansatzes für M&A-Integration. Er ist Autor zahlreicher Artikel und Bücher, zuletzt des Praxishandbuches Industrie 4.0.

Autor
Dr. Philipp Schultes

Dr. Philipp Schultes berät bei M&A-Transaktionen sowie Beteiligungsvorhaben (Private Equity/Venture Capital) im nationalen und internationalen Umfeld. Er begleitet Unternehmer, Unternehmen, strategische Investoren und Finanzinvestoren und berät in allen rechtlichen Fragen vor, während und nach Abschluss der Transaktion. Herr Dr. Schultes leitet die Arbeitsgruppe „Due Diligence & Legal“ des Arbeitskreises „Digitalisierung M&A“ des Bundesverbands Mergers & Acquisitions e.V.

Autor
Dr. Caroline Geiger

Dr. Caroline Geiger ist spezialisiert auf die Beratung in allen Bereichen des Geistigen Eigentums und des Wettbewerbsrechts. Ein weiterer Schwerpunkt bildet die Beratung im Zusammenhang mit Lizenzverträgen und mit Forschungs- und Entwicklungsprojekten.

Autor
Chris Beckmann

Chris Beckmann ist seit 2017 bei Drooms beschäftigt und verantwortet die Expansion in neue Geschäftsfelder für das Drooms M&A und Corporate Finance Team. Er begann seine Karriere 1989 in einem New Yorker Asset-Management-Unternehmen, und etablierte später den  größten internationalen VDR-Dienstleister erfolgreich in der DACH-Region. Herr Beckmann ist Alumnus des Internates Salem und hat Betriebswirtschaftslehre studiert.

Autor
Wilhelm Mickerts

Wilhelm Mickerts verantwortet als Partner der Warth & Klein Grant Thornton AG am Standort Frankfurt den Bereich Corporate Finance & Advisory Services. Er berät seit 20 Jahren Unternehmen und Finanzinvestoren bei Kauf oder Verkauf von vorwiegend mittelständischen Unternehmen.

Autor
Kristina Ganzen

Kristina Ganzen ist Wirtschaftsprüferin und Partnerin im Bereich Financial Advisory von Deloitte, leitet M&A Transaction Services Analytics und ist Co-Leiterin der Women in der M&A-Initiative bei Deloitte. Sie erbringt innovative Leistungen im Bereich Analytics, Financial Due Diligence und Post-Merger-Integration und berät Private Equity sowie strategische Mandanten in Pre- und Post-Deal-Anlässen insbesondere im Bereich Software, E-Commerce und Handel und hilft ihnen, mittels innovativer Lösungen aus Daten transaktionsrelevante Insights zu generieren.

Autor
Martin Kuegler

Martin Kügler ist Senior Manager, ebenso tätig im Bereich Transaction Advisory bei EY. Er ist Wirtschaftsingenieur für Elektrotechnik und verfügt über 15 Jahre Berufserfahrung in der IT-Beratung, davon über fünf Jahre im Kontext M&A. Seine Schwerpunkte sind Software und Cyber Diligence Services, insbesondere für digitale Geschäftsmodelle wie SaaS und eCommerce.

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