24.09.2020 | Daniel Wiedmann, Xin Zhang

Chinesische Staatsunternehmen und deutsche Fusionskontrolle: die Entscheidung des Bundeskartellamts zum Erwerb der Vossloh Locomotives durch CRRC Zhuzhou Locomotives

optional, Recht & Steuern

1. Einleitung

Nach längerer Prüfung hat das Bundeskartellamt den Erwerb der Vossloh Locomotives, dem europäischen Marktführer für Rangierlokomotiven, durch den chinesischen Zughersteller CRRC Zhuzhou Locomotives freigegeben.

In der Entscheidung hat sich das Bundeskartellamt erstmals vertieft mit dem Erwerb eines Wettbewerbers durch ein chinesisches Staatsunternehmen befasst. Die Entscheidung veranschaulicht, was bei einer Anmeldung derartiger Transaktionen zu beachten ist und wo die Behörde Prüfungsschwerpunkte setzt. Es ist sehr zu begrüßen, dass das Bundeskartellamt sich hierbei – unbeeinflusst von politischen Debatten – ausschließlich auf wettbewerbsrechtliche Aspekte konzentriert.

Vossloh Locomotives stand schon seit längerer Zeit zum Verkauf. Mit einem Marktanteil von 40–50% ist das Unternehmen europäischer Marktführer bei Rangierlokomotiven. Allerdings sind Investitionen in innovative Antriebstechnologien zuletzt unterblieben. CRRC Zhuzhou Locomotives ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der börsennotierten CRRC Corporation, an der der chinesische Staat mit 51 % beteiligt ist. CRRC ist der weltgrößte Hersteller von Schienenfahrzeugen. Die Produkte werden bislang überwiegend in China abgesetzt. Auch bei Rangierlokomotiven befindet CRRC sich erst im Begriff, in den europäischen Markt einzutreten.

 

2. Betrachtung chinesischer Staatsunternehmen als Konzernverbund

Nach Einschätzung des Bundeskartellamts befindet sich CRRC durch den mittelbar kontrollierenden Einfluss des chinesischen Staates in einem Konzernverbund mit anderen chinesischen Staatsunternehmen gemäß § 36 Abs. 2 GWB. Die Norm ordnet an, dass mehrere verbundene Unternehmen als ein einheitliches Unternehmen im kartellrechtlichen Sinne anzusehen sind. Da die Volksrepublik China mittelbar die Mehrheit der Anteile an CRRC hält, sei die Beherrschungsvermutung erfüllt (§ 17 Abs. 2 AktG). Die Ermittlungen haben zudem ergeben, dass auch der ausdrückliche Anspruch der staatlichen Beteiligungsverwaltung SASAC (die staatliche Kommission zur Kontrolle und Verwaltung von Staatsvermögen) bestehe, wesentliche Aspekte des wirtschaftlichen Verhaltens ihrer Staatsunternehmen zu beeinflussen. Zudem zeigten interne Dokumente, dass CRRC ihr Verhalten eng an den Vorgaben der derzeit gültigen Fünfjahresplanung ausrichte.

Angaben zum Konzernverbund sind zunächst für die Vollständigkeit einer Anmeldung relevant. Die Fristen, innerhalb derer das Bundeskartellamt ein Vorhaben prüfen muss, werden durch den Eingang einer vollständigen Anmeldung ausgelöst. Dabei muss die Beteiligungsliste vor allem in für die Beurteilung eines Falles bedeutsamen Bereichen vollständig sein, insbesondere bezüglich Beteiligungen in dem betroffenen Sektor sowie hierzu vor- und nachgelagerten Märkten. In dem Verfahren hatte das Bundeskartellamt mehrmals Informationen zu Beteiligungen nachgefordert.

Zudem sind Verbundvorteile aus einem Konzernverbund für die materielle Bewertung relevant.

 

3. Besonderheiten von Staatsunternehmen, insbesondere Niedrigpreisstrategien

Das Bundeskartellamt stellt klar, dass, auch wenn der Kauf deutscher Unternehmen durch Firmen aus China derzeit intensiv diskutiert wird, viele Aspekte dieser Debatte für die Fusionskontrolle keine Rolle spielen. Allerdings ergeben sich durch die Beteiligung eines Staatsunternehmens aus einer zentral geplanten Volkswirtschaft Besonderheiten für die kartellrechtliche Analyse.

Eine Besonderheit besteht in der Größe des Konzernverbunds. Durch die erhebliche vertikale Integration des Verbunds von Staatsunternehmen können Verbundvorteile entstehen. Staatsunternehmen aus zentral geplanten Volkswirtschaften weisen eine besonders hohe Fertigungstiefe in ihrem Konzernverbund auf, da viele Vorprodukte – teilweise weit nach oben in der Lieferkette – intern hergestellt werden können.

Zudem hat sich das Bundeskartellamt mit der Gefahr von Niedrigpreis- und Dumpingstrategien und Kostenvorteilen aufgrund des staatlich geförderten Engagements von CRRC in vielen anderen Märkten auseinandergesetzt. Niedrigpreisstrategien sind wettbewerblich ambivalent. Ein Markteintritt oder ein Ausbau der eigenen Marktstellung durch niedrige Preise ist dem Wettbewerbsgedanken inhärent. Allerdings können Niedrigpreise, die nicht mit komparativen Kostenvorteilen unterlegt sind, auf mittlere Sicht die Marktstruktur schädigen. Maßgeblich seien insofern Möglichkeiten und Anreize zur Umsetzung entsprechender Niedrigpreisstrategien.

Bedeutsam in diesem Kontext sind der Zugang zu Finanzmitteln und Subventionen sowie das Vorverhalten von CRRC. Das Bundeskartellamt hat festgestellt, dass CRRC als Staatsunternehmen, das im Rahmen zweier wichtiger chinesischer Industriestrategien – „Made in China 2025“ und „Neue Seidenstraße“ – gefördert wird, über einen herausragenden Zugang zu Finanzmitteln verfügt. Dazu gehörten öffentliche und verdeckte staatliche Subventionen, die erhebliche Verzerrungen der Wettbewerbsbedingungen hervorrufen können. Ferner hat das Bundeskartellamt die Möglichkeiten der Finanzierung von chinesischen Staatsunternehmen mit Krediten zu nicht marktgerechten Zinssätzen durch staatliche Banken in Betracht gezogen.

Nach Ansicht des Bundeskartellamts verfügt CRRC über weitreichende Möglichkeiten, Niedrigpreisstrategien durchzuführen. Das bisherige Verhalten von CRRC auf ausländischen Märkten wie auch interne Dokumente ließen darauf schließen, dass CRRC zur Ausweitung seiner Marktstellung auf Auslandsmärkten auch gezielt günstige Preise einsetzt. Anders als bei privatwirtschaftlichen Unternehmen bestehe bei Staatsunternehmen auch ein stärkerer Anreiz zu Niedrigpreisstrategien, da diese nicht nur auf Gewinnerzielung, sondern auch auf industriepolitische Ziele ausgerichtet seien.

 

4. Die Prognoseentscheidung des Bundeskartellamts

Aber auch unter Berücksichtigung dieser Besonderheiten kam das Bundeskartellamt nicht zu dem Ergebnis, dass die Transaktion zu untersagen wäre. Entscheidend hierfür war, dass es nicht ausreichend wahrscheinlich war, dass die Marktstellung von Vossloh hinreichend stark sein würde, um CRRC ihren Ausbau zu einer Marktbeherrschung zu erlauben.

Hierbei spielten die Besonderheiten des konkreten Marktes eine wichtige Rolle. Es handelt sich um einen recht kleinen Markt mit zum Teil stark fluktuierenden Marktanteilen, da sich die Marktvolumina durch große Aufträge der Staatsbahnen stark verändern können. Zudem sei aufgrund des hohen Flottenalters und eines Technologiewechsels zu sparsameren Antriebstechniken mit einem steigenden Marktvolumen zu rechnen. Durch die dynamische Marktentwicklung entstehe eine höhere Prognoseunsicherheit, zumal sich die historische Marktstellung der Parteien nicht einfach extrapolieren lasse. Hier wurde auch berücksichtigt, dass neue Wettbewerber mit innovativen Produkten in den Markt eingetreten sind, während bei Vossloh Investitionen in neue Technologien unterblieben. Insbesondere bestehe die Möglichkeit, dass sich die Wettbewerber in der Schwächephase, die in den nächsten zwei bis vier Jahren vor Vossloh liege, so stark im Markt etablieren können, dass dies anschließend nicht mehr korrigiert werden könne. In diesem Fall könne auch eine zu erwartende Niedrigpreisstrategie von CRRC nicht mehr zu einer substanziellen Änderung der Marktverhältnisse führen, da die neuen Wettbewerber bereits zu große Bedeutung für die Kunden erlangt hätten.

 

5. Fazit

Bei Erwerben durch Staatsunternehmen sind in mehrfacher Hinsicht Besonderheiten zu beachten. Der Konzernverbund mit weiteren Staatsunternehmen kann unter dem Gesichtspunkt der Umsatzzurechnung entscheidend für die Frage sein, ob die Umsatzschwellen erfüllt sind und eine Anmeldepflicht besteht. Vollständige Angaben zu weiteren Staatsbeteiligungen in der Anmeldung können – zumindest sofern solche Beteiligungen für die wettbewerbliche Bewertung relevant sind – für die Frage der Vollständigkeit der Anmeldung und damit der Verfahrensdauer erheblich sein.

In materieller Hinsicht blendet das Bundeskartellamt die öffentliche Debatte über Akquisitionen chinesischer Staatsunternehmen in Deutschland nicht aus, konzentriert sich aber ausschließlich auf kartellrechtliche Aspekte, insbesondere den erweiterten wettbewerblichen Handlungsspielraum von Staatsunternehmen. So ist zum Beispiel eine fehlende Gegenseitigkeit beim Marktzugang kein Aspekt, der im Kartellrecht berücksichtigt werden kann. Auch einer „Fiktion tatsächlich nicht existenter Weltmärkte“, wie im Nachgang zu der Untersagungsentscheidung der Europäischen Kommission in der Sache Siemens/Alstom von politischer Seite gefordert, erteilte das Bundeskartellamt eine Absage.

Besonders instruktiv sind die Ausführungen des Bundeskartellamts zu erweiterten Handlungsspielräumen von Staatsunternehmen aus zentral geplanten Volkswirtschaften, insbesondere durch den Umfang verfügbarer (und zentral gesteuerter) Ressourcen und Subventionen sowie Kostenvorteile und hierdurch mögliche Niedrigpreisstrategien. Allerdings gelten auch für die Prognose der Auswirkungen solcher Strategien die verwaltungsrechtlichen Beweismaßstäbe.

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