30.09.2017 | Dr. Jochen Brandhoff

Die Digitalisierung des Rechtsmarkts

Standpunkt, Digitalisierung

Wie läuft‘s im Rechtsmarkt? Die kurze Antwort: Es geht. Die ausführliche Antwort ist etwas schwieriger. Und wie beim beiläufigen „wie geht‘s so?“ hat man das Gefühl, dass sich viele Marktteilnehmer die Antwort gar nicht anhören möchten. Dabei befindet sich der Rechtsdienstleistungsmarkt in einem tiefgreifenden Umbruch.

Lange beschränkten Rechtsanwälte die Nutzung moderner Techniken auf beck-online und juris und vielleicht noch auf eine Kanzlei- bzw. Rechtsabteilungssoftware. In den letzten Jahren ist das anders geworden. Die Digitalisierung des Rechts hat sich rasant beschleunigt.

Die grundlegendste Entwicklung dabei ist die Automatisierung von rechtlichen Tätigkeiten. Von der Erstellung eines Vertrages bis zur rechtlichen Prüfung von Dokumenten – Algorithmen und die darauf aufbauenden Computerprogramme unterstützen Juristen bei immer mehr juristischen Tätigkeiten. Das reicht bis tief in den Kern juristischen Arbeitens herein, der Rechtsanwendungen selbst.

Die Automatisierung funktioniert im Recht deswegen gut, weil Algorithmen und Juristen erstaunlich ähnlich denken. Algorithmen sind eine Art Handlungsanleitung für ein Computerprogramm, wie es eine bestimmte Aufgabe löst. Die Subsumtion, also die Arbeitstechnik der Rechtsanwendung, besteht darin, einen Sachverhalt (zum Beispiel: Ede hat das Handy seines Nachbarn an sich genommen) der passenden Rechtsnorm (z.B. § 242 StGB Diebstahl) zuzuordnen. Die Logik dahinter nennt sich Syllogismus: Wenn A (ein Diebstahl) gleich B (die Wegnahme fremder Sachen) und C (der Ede) gleich B (eine fremde Sache weggenommen hat) ist, dann ist C (Ede) gleich A (ein Dieb – wobei § 242 StGB tatsächlich etwas komplizierter ist). Algorithmen gehen vergleichbar vor: Sie bestehen aus einer Folge von Anweisungen, von denen es drei Grundarten gibt: „Wenn“ „Dann“ und „Sonst“. Die Logik dabei wird boolesche Algebra genannt und stammt direkt vom Syllogismus ab.

Ein wichtiger Treiber automatisierter Rechtsfindung durch Algorithmen ist Künstliche Intelligenz, zum Beispiel in Form von maschinellem Lernen in Künstlichen Neuronalen Netzen. Noch reicht diese artifizielle Intelligenz in den meisten Bereichen nicht annährend an das menschliche Gehirn heran. Sie tut sich etwa schwer damit, zu abstrahieren und zu generalisieren, also vom Konkreten ins Allgemeine zu gehen und Gelerntes zu Neuem zu kombinieren.

Doch schon heute gibt es Softwareangebote, die in begrenzten, oft wiederkehrenden und standardisierbaren Bereichen Rechtsnormen und andere Rechtssätze fehlerfreier und schneller als die menschliche Konkurrenz anwenden. (Teil-)Automatisch geprüfte Ansprüche von Fluggästen, Hartz-IV-Bescheide und Bußgelbescheide sind nur einige Beispiele dafür.

Immer öfter dringen Softwarelösungen auch in die klassische Domäne internationaler Wirtschaftskanzleien vor – etwa wenn Software bei einer Due-Diligence-Prüfung eine große Anzahl gleichartiger Verträge analysiert oder bei Kartellverfahren oder großen Gerichtsverfahren große Mengen an Daten auf rechtlich relevante Sachverhalte prüft.

Die Digitalisierung des Rechts wird die Ordnung und die Strukturen des Rechtsmarkts grundlegend verändern. Verstärkt wird dies durch die Neigung des europäischen Gesetzgebers und der Rechtsprechung, Berufsausübungsschranken abzubauen. Dadurch werden in den kommenden Jahren und Jahrzehnten völlig neue Marktteilnehmer in den Rechtsmarkt eintreten – begünstigt durch den zunehmenden Kapitalbedarf, den Investitionen in rechtliche Innovationen auslösen.

Juristen und andere Spezialisten auf dem Rechtsmarkt werden darauf nur angemessene Antworten finden, wenn sie jetzt anfangen, ein besseres Verständnis für die digitalen Techniken zu entwickeln.

Dr. Jochen Brandhoff,

Veranstalter der LEGAL ®EVOLUTION – The European LegalTech Expo & Congress

Gründer von Brandhoff Obermüller Partner Rechtsanwälte

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Dr. Jochen Brandhoff

Veranstalter der LEGAL ®EVOLUTION
– The European LegalTech Expo & Congress
Gründer von Brandhoff Obermüller
Partner Rechtsanwälte

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