14.11.2022 | Dr. Rainer Ammon

Eine Taxonomie pro Fintech contra Mittelstand

Allgemein, optional, Small & Midcaps

Die Zeiten ändern sich. Waren Fintechs zu New-Economy-Zeiten nicht Unternehmen, die angetreten waren, mittels effizienter Technologien etablierte Großbanken das Fürchten zu lehren? Neben Paytech-Unternehmen wie Paypal, Antgroup-Alipay und Klarna ist in den vergangenen Jahren eine Reihe von Wealthtech-Unternehmen (Scalable Capital und andere) entstanden, die basierend auf KI-Technik Anlageentscheidungen treffen und auf diese Weise kostengünstig anbieten, was früher im Private Banking hohe Gebühren verschlang.

In jüngster Zeit machen allerdings FinTechs von sich reden, die unter dem Stichwort „RegTech“ als technische Antwort auf regulatorische Vorgaben im Zuge des Green Deals Banken, Fondsgesellschaften und Unternehmen darin unterstützen, die mit der EU-Taxonomie einhergehenden Datenmengen zu bewältigen, darunter Greenomy oder die norwegische Celsia, um nur zwei Unternehmensbeispiele zu nennen.

Mit Hilfe von RegTech-Lösungen werden Daten regelmäßig erhoben, verifiziert und verarbeitet. In Abhängigkeit von Branche, Zulieferern und anderen Faktoren werden dynamische Entscheidungsbäume erzeugt, die ein einfaches Navigieren durch regulatorische Vorgaben ermöglichen. Non-Financial Reporting Directive (NFRD) heißt das Zauberwort, das dazu führt, dass Pflichtangaben zu Umweltzielen in den Geschäftsbericht großer Unternehmen einfließen. Die mit den Vorgaben „einhergehenden Regulierungspakete und neuen Anforderungen an Unternehmen sind einzigartig“, frohlocken Partner der Beratungsfirma Oliver Wyman in einem Gastbeitrag für die Börsen-Zeitung vom 10. August 2022. An der Schnittstelle zwischen Nachhaltigkeit und Regulierung sei ein „wahrer Start-up-Boom“ entstanden, so die Berater. Dass diese Entwicklung im Bereich Financial Services für reichlich Arbeit sorgen dürfte, scheint unmittelbar einleuchtend. Prüfungsnahe Beratungsprojekte zur Berechnung von ESG-Kennzahlen, IT- und Datenprojekte, Projekte zur korrekten Offenlegung und Berichterstattung. Ob die Projektflut geeignet ist, den Wohlstand und Schutz der Umwelt zu fördern, steht auf einem anderen Blatt.

Wie hilft die Taxonomie über den Zertifikate-Handel hinaus?

Bekanntlich gibt es bereits einen CO2-Zertifikate-Handel in der EU. Die Tonne CO2 kostet dort aktuell 87 EUR, 2018 lag der Preis noch bei unter 10 EUR. Bei der Freisetzung einer Tonne CO2 durch ein Automobil wiederum werden derzeit an der Zapfsäule bereits zwischen 700 und 800 EUR in Rechnung gestellt. Warum sollte eine Taxonomie, die lediglich verbindliche Definitionen, was als nachhaltiges Wirtschaften gilt, festlegt und die Unternehmen verpflichtet offenzulegen, inwieweit ihr Handeln an den Kriterien der Taxonomie ausgerichtet ist, darüber hinaus irgendetwas bewirken? Selbst wenn regulierte Fonds und Banken aufgrund der Taxonomie in „konforme“ Unternehmen investieren, akquirieren andere Investorengruppen (wie z.B. Beteiligungsgesellschaften und mittelständische Unternehmen) die „verschmähten“ Unternehmen und wetten darauf, sich auf diese Weise höhere Renditen zu sichern. Der Markt für lukrative Investitionen gleicht die Pegelstände aus, er lässt sich nicht selektiv und lokal trockenlegen.

In Bereichen, in denen es keine wettbewerbsfähigen ökologischen Produktalternativen gibt, treten notwendigerweise Unternehmen auf den Plan, die sich entsprechend mit Kapital versorgen, um diese nicht leicht substituierbaren Produkte herzustellen. Andernfalls wäre Saudi Aramco an der Börse nicht kürzlich zum zweitwertvollsten Unternehmen der Welt avanciert.

Es drängt sich der Verdacht auf, dass Subventionen in Form von günstigen Krediten das Taxonomie-Regelwerk populär machen bzw. für dessen „Erfolg“ sorgen werden, ähnlich wie beim 9-Euro-Ticket die schiere Nachfrage nach einem stark subventionierten Produkt bereits politisch als Erfolg umgedeutet wurde.

Tempo durch technischen Fortschritt

Notwendige Industrien, deren Geschäftsmodell auf absehbare Zeit nicht klimaneutral sein wird, dürfen aber bei solchen Überlegungen nicht ausgeblendet werden als gäbe es sie nicht. Die Extraktion und Verarbeitung von Rohstoffen oder Straßen- und Bergbau sowie die Stahlindustrie sind unumgänglich, wenn das heutige Wohlstandsniveau in Deutschland und Europa auch nur annähernd erhalten bleiben soll. Die Eingriffe in die Natur bei diesen Aktivitäten können allenfalls mehr oder minder schwer ausfallen. Dass derartige nicht klimaneutrale Aktivitäten mit einer Abhängigkeit von günstigen fossilen Energieträgern keine wirtschaftliche Randerscheinung darstellen, lässt sich momentan an den auf breiter Front teurer gewordenen Warenkörben ablesen.

Covestro-Chef Markus Steilemann griff das Dilemma kürzlich in einem Interview mit der Wirtschaftswoche auf, als er darauf hinwies, dass die Transformation noch Jahrzehnte dauern werde. Derzeit werden 16% des Energiebedarfs des Werkstoffherstellers aus erneuerbaren Energien gedeckt. Nicht erdölbasierte Vorprodukte für Kunststoffe, die unter anderem für Batterie-Cases in Elektroautos verwendet werden, werden kaum verwendet. 98,5% der Vorprodukte werden aus Erdöl erzeugt. Beim derzeitigen Tempo, so musste Steilemann eingestehen, würde die Umstellung 100 Jahre dauern. Daraus folgt, dass die einzige Hoffnung für eine beschleunigte Verringerung dieser desaströsen Werte in vermehrter Forschung und technischem Fortschritt liegt.

Nicht bei jeder Produktinnovation setzt sich aber die ökologische Variante durch. Abstriche bei der Leistungsfähigkeit oder Bequemlichkeit kompensieren häufig einen wie immer gearteten ökologischen Nutzen: Wiederaufladbare Batterien haben sich beispielsweise nie richtig durchgesetzt, Flüssigseife und Kapselkaffee hingegen schon. Nachhaltigkeitskonforme Alternativen, die mit Lebenszeit- und Produktivitätseinbußen einhergehen, setzen sich in der Regel nicht durch. Zeit, die in den Dienst der Ökologie gestellt wird, kann nicht beruflich-technischen Herausforderungen oder privaten Angelegenheiten gewidmet werden. Fahrrad statt Auto fahren mag in bestimmten Fällen sinnvoll sein, der Anteil an zurückgelegten Kilometern ist bei den meisten Verkehrsteilnehmern aber vernachlässigbar. Entsprechend kommen empirische Studien zu dem Ergebnis, dass hochbezahlte Arbeitnehmer und solche mit langen Arbeitszeiten zeitraubende ökologische Alternativen regelmäßig links liegen lassen1.

ESG ohne Knappheit und Zielkonflikte

Das Thema ESG macht auch vor Vermögensverwaltungen nicht Halt. Sie müssen ihre Kunden seit kurzem zum Thema Nachhaltigkeit in der Geldanlage befragen. Auch hier mehren sich skeptische Stimmen, die wie die Finanzprofessorin Christine Laudenbach vom Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung die Gefahr sehen, dass Fondsprodukte teurer werden, wenn Kunden nachhaltig investieren wollten. Ob dies einer Umlage der gestiegenen Kosten geschuldet ist oder ein Abschöpfen der Zahlungsbereitschaft, lässt sich zwar noch nicht genau sagen. Sicher ist aber, dass die neuen Vorschriften die Preistransparenz zwischen konkurrierenden Banken nicht erhöhen.

Was die EU-Taxonomie und verwandte Programme implizit versprechen, sind letztlich Klimaschutz ohne Zielkonflikt und unerwünschte Sekundäreffekte. Die DSVGO mit dem unablässigen Wegklicken von Cookie-Informationen und massiven Implementierungskosten auf Unternehmensseite (inkl. Abmahnindustrie) lässt als regulatorisches Vorbild grüßen. Preistreibende Effekte solcher Regulierungen sind für Verbraucher kaum quantifizierbar. Sie werden in der Regel achselzuckend hingenommen. Technischer Fortschritt ist aber kein abstrakter Parameter in volkswirtschaftlichen Modellen. Er entsteht durch Forschung und unternehmerische Experimente. Arbeitskräfte, die Taxonomien erlassen oder sich um deren Umsetzung kümmern, stehen weder für Forschung noch für „schöpferische Zerstörung“ (Schumpeter)zur Verfügung, sondern sind Kostgänger des marktwirtschaftlichen Wohlstandswunders.

Bleibt die Frage, wie Mittelständler die Dokumentationsanforderungen unter vertretbarem personellem Aufwand schultern werden. Viele KMU-Betriebe sind bislang glücklicherweise von den Vorschriften ausgenommen, wenigstens dann, wenn Umsatz, Bilanzsumme und Mitarbeiterzahl unter gewissen Größenkriterien liegen.

Solche, die künftig zur Offenlegung von Nachhaltigkeitsinformation im Lagebericht verpflichtet sind, werden die gestiegenen Kosten über Preise an die Verbraucher weitergeben und den Reporting-Bereich selbst in Bezug auf die Datenbeschaffung und -verarbeitung auslagern. Berater, RegTechs und Wirtschaftsprüfer freuen sich heute schon.

1 z.B. Matsumoto, Shigeru. (2013). The Opportunity Cost of Pro-Environmental Activities: Spending Time to Promote the Environment. Journal of Family and Economic Issues. 35. 10. Quellen:www.wiwo.de/podcast/chefgespraech/podcast-chefgespraech- covestro-chef-steilemann-jedes-watt-zaehlt/28595514.html Finanzprofessorin Christine Laudenbach, Uni-Frankfurt, Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung SAFE www.faz.net/aktuell/finanzen/finanzprofessorin-laudenbach- nachhaltige-anlage-kann-teurer-werden-18192211.html?GEPC=s10
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Dr. Rainer Ammon

Dr. Rainer Ammon ist Geschäftsführer der Calandi GmbH.

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