03.05.2022 | Dr. Milena Charnitzky, Friederike Henke

FDI Screening-Verordnung und ihre Auswirkungen auf europäische Investitionsprüfungen

In der Beitragsreihe zur FDI-Screening-Verordnung unter dem Titel „One screening fits all?“ wird die Umsetzung der Verordnung in verschiedenen europäischen Ländern näher betrachtet. Die Unterschiede und Anpassungsbedarfe des bisherigen Vorgehens werden je nach Land von versierten Rechtsanwälten aus den betroffenen Staaten dargestellt. Eine umfassende Einführung in die Fragestellungen!

Recht & Steuern

Beitragsreihe zur FDI Screening-VO: One screeing fits all?
Einführung

1. Einleitung

Der Wunsch nach mehr Kontrolle über ausländische Direktinvestitionen ist in den vergangenen Jahren immer stärker in den politischen Fokus gerückt. Das deutsche Investitionsprüfungsregime ist nur eines von vielen in Europa, die in den letzten Jahren mehrere Verschärfungen erfahren haben. Jüngster Katalysator für die Änderungen auf europäischer Ebene war und ist die Verordnung (EU) 2019/452 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. März 2019 zur Schaffung eines Rahmens für die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen in der Union („FDI Screening-VO“).

Seit Einführung der FDI (Foreign Direct Investment) Screening-VO haben 24 der 27 EU-Mitgliedstaaten laut der EU-Kommission1 entweder:

(a) ein neues nationales FDI-Screening-Verfahren eingeführt,

(b) einen bestehenden Mechanismus angepasst oder

(c) einen Konsultations- oder Gesetzgebungsprozess eingeleitet, der (i) zur Annahme eines neuen Mechanismus‘ oder (ii) zur Änderung eines bestehenden führen soll:

(a) Tschechische Republik, Malta, Dänemark, Slowenien, die Slowakische Republik

(b) Österreich, Frankreich, Deutschland, Finnland, Ungarn, Italien, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, Spanien

(c) (i) Niederlande, Portugal

(c) (ii) Belgien, Estland, Griechenland, Irland, Luxemburg, Schweden

Keine Initiative: Bulgarien, Kroatien, Zypern

Der vorliegende Beitrag ist der erste in einer Beitragsreihe, die die Auswirkungen der FDI Screening-VO in verschiedenen europäischen Ländern sowie der Schweiz als EFTA-Staat miteinander vergleichen will. Vorgestellt werden die Investitionsprüfungsregime von sechs Ländern, hier oben in Fettdruck; hinzu kommt die Schweiz als EFTA-Staat, und zwar in folgender Reihenfolge: Deutschland, Niederlande, Österreich, Polen, Frankreich, Schweiz. Der Vergleich zwischen den Ländern wird zeigen, dass mehr Gemeinsamkeiten bestehen als man zunächst erwarten würde, die Herangehensweisen an die praktischen Herausforderungen aber mitunter ganz unterschiedlich sind, sodass der Blick über die Grenze sehr lehrreich sein kann.

2. Hintergründe und Zielsetzungen der FDI Screening-VO

Die Verordnung ist das Ergebnis verschiedener Forderungen an die Europäische Kommission. Im Februar 2017 richteten die Wirtschaftsminister Frankreichs, Italiens und Deutschlands Sapin, Calenda und Zypries ein Schreiben an die EU-Handelskommissarin Malmström2 und riefen die EU-Kommission dazu auf, Vorschläge für einen EU-weiten Rahmen für die nationalen Investitionsprüfungen zu erarbeiten. Ein ähnlicher Vorstoß findet sich in einem Vorschlag von zehn Mitgliedern des Europäischen Parlaments aus März 2017.3 In beiden Aufrufen wird thematisiert, dass die Investitionsfreiheit in der EU zum Schutz der Union Beschränkungen erfahren müsse, sie eine gewisse Reziprozität beim Investment in anderen Nicht-EU-Staaten voraussetze und ein Eingreifen zugunsten der nationalen Sicherheitsinteressen insbesondere dann möglich sein müsse, wenn Investitionen durch staatliche Beihilfen subventioniert würden.4

Zentrale Zielsetzung der FDI Screening-VO ist der Schutz der Sicherheit und öffentlichen Ordnung und die Vereinheitlichung des Investitionsprüfungsregimes innerhalb der EU. So seien „ausländische Investoren in Einzelfällen bestrebt […], europäische Unternehmen, deren Aktivitäten Auswirkungen auf kritische Technologien, Infrastruktur, Ressourcen oder vertrauliche Informationen haben, unter ihre Kontrolle zu bringen oder Einfluss über sie zu gewinnen.“5 Solche Akquisitionen könnten es ermöglichen, dass „diese Vermögenswerte nicht nur auf Kosten des technischen Vorsprungs der EU, sondern auch zulasten der Sicherheit und der öffentlichen Ordnung der EU“ genutzt werden.6

3. Wesentliche Regelungsinhalte
3.1 Keine Pflicht zur FDI-Kontrolle

Die FDI Screening-VO verlangt von den Mitgliedstaaten nicht, dass sie ein Investitionsprüfungsregime einrichten. Die Mitgliedstaaten sollen weiterhin ihre jeweilige Situation und ihre nationalen Gegebenheiten berücksichtigen können. Die FDI Screening-VO schafft daher keine Pflicht für die Mitgliedstaaten, einen Kontrollmechanismus einzuführen.7

Hinsichtlich der Art der Investitionen, die kontrolliert werden, und der sensitiven Sektoren gibt die Verordnung ebenfalls keine Vorgaben. Sie benennt aber diverse Hoch- und Zukunftstechnologien als sicherheitsrelevant und unterstützt die Eingriffsbefugnisse der Mitgliedstaaten bei ausländischen Direktinvestitionen in europäische Schlüsseltechnologieunternehmen. Hierzu zählen unter anderem KI-Unternehmen (Künstliche Intelligenz), Robotik (in bestimmten Bereichen), Halbleiter- oder Quantentechnologie.

Das FDI Screening und etwaige Beschränkungen des ausländischen Investors dürfen weiterhin nur aus Gründen der Sicherheit und öffentlichen Ordnung erfolgen (Art. 3 und 4). Die FDI Screening-VO legt darüber hinaus bestimmte Mindestanforderungen an das Verfahren fest, was die Transparenz8, Diskriminierungsfreiheit, gerichtliche Kontrollmöglichkeit9 und Dauer anbelangt10.

3.2 Keine Prüfeintrittsschwelle

Anders als viele Mitgliedstaaten, die bereits über ein Investitionsprüfungsverfahren verfügen, legt die Verordnung keine Prüfeintrittsschwelle fest; auch der Begriff der Investition in Art. 2 Abs. 1 ist weiter und erfasst insbesondere auch „Greenfield-Investments“ (d.h. Investitionen in die Errichtung einer ersten Tochtergesellschaft im betreffenden Mitgliedstaat) sowie Investments in einzelne Vermögensgüter wie Grundstücke oder Immobilien, die für die Nutzung kritischer Infrastrukturen von wesentlicher Bedeutung sind.11 In Polen, Frankreich, Österreich und Deutschland sind derzeit weder Greenfield-Investments noch Investitionen in einzelne Assets wie Immobilien erfasst.

3.3 Kooperationsmechanismus

Der Fokus der Verordnung liegt auf einer „Verklammerung“ der FDI-Prüfung der Mitgliedstaaten durch einen Kooperationsmechanismus, der gegenseitigen Informationsaustausch und Stellungnahmen ermöglichen soll, und damit eine Art „neighborhood watch“.

Der Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten soll über jeweils in den Mitgliedstaaten einzurichtende Kontaktstellen stattfinden. Die Kontaktstelle für Deutschland ist beispielsweise beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) angesiedelt.

Die FDI Screening-VO räumt den Mitgliedstaaten nichtsdestoweniger ausdrücklich das Letztentscheidungsrecht ein, ob – und wenn ja, wie – sie eine ausländische Direktinvestition im Rahmen der FDI Screening-VO überprüfen.12 Weder die Kommission noch andere Mitgliedstaaten können eine Investition in einem (anderen) Mitgliedstaat verhindern; möglich ist es ihnen nur, ihre Bedenken in Form von Kommentaren (Mitgliedstaaten) oder Stellungnahmen (Kommission) zu übermitteln.13 Diese muss der betroffene Mitgliedstaat „angemessen berücksichtigen“14 und eine Abweichung begründen („comply or explain“).15 Die Mitgliedstaaten haben dennoch hierdurch künftig die Möglichkeit, einen Unternehmenserwerb zu prüfen und notfalls zu verbieten respektive prüfen und verbieten zu lassen, wenn die Investition die öffentliche Sicherheit oder Ordnung eines anderen Mitgliedstaats voraussichtlich beeinträchtigt. Den Kommentaren und Stellungnahmen soll vornehmlich beratende Funktion zukommen. Es besteht aber eine einheitliche Informationspflicht.16

Nicht ganz unproblematisch ist, dass bei nicht geprüften Transaktionen Kommentare noch bis zu 15 Monate nach Abschluss der ausländischen Direktinvestition übermittelt werden können.17 Kürzer ist diese Frist augenscheinlich nur, wenn Informationen vom Mitgliedstaat erfragt werden.18 Diese starre Frist steht in Widerspruch zu Art. 3 Abs. 3 der FDI Screening-VO, wonach die Mitgliedsstaaten einen eigenen Zeitrahmen für ihr jeweiliges Prüfungsregime setzen und eine Berücksichtigung der Kommentare und Stellungnahmen ermöglichen dürfen.

3.4 Nein zum Reziprozitätstest

Auf einen Reziprozitätstest wurde in der Verordnung verzichtet. Dieser ließe sich – als rein ökonomischer Erwägungsgrund – vor dem Hintergrund des Prüfmaßstabs der europäischen Sicherheitsinteressen schwer rechtfertigen.19 Stattdessen hat die FDI Screening-VO einen Regelungsrahmen gesetzt, der die Hürden für Investments in der EU insgesam erhöht.

4. Ziel der Beitragsreihe

Gerade weil die FDI Screening-VO viele Freiräume lässt, wird mitunter beklagt, dass die Verordnung nicht weit genug gehe und einen „Flickenteppich“ zurücklasse.20 Stattdessen zeigt der Vergleich der hier in den Blick genommenen Länder Deutschland, Niederlande, Polen, Österreich, Frankreich und Schweiz, dass mehr Gemeinsamkeiten bestehen, als man zunächst erwarten würde. In allen untersuchten Ländern stellen sich mehr oder weniger die gleichen Fragen und Herausforderungen; auch die Kataloge der kritischen Sektoren sind weitgehend gleich. Abweichungen bestehen mitunter in den Prüfschwellenwerten oder dem Mechanismus des Prüfregimes. Der größte Unterschied aber zeigt sich darin, welchen Stellenwert die jeweiligen Länder – gegebenenfalls auch aus politischen Gründen – der Investitionsprüfung einräumen. Hier zeichnet sich insgesamt eine zunehmende Sympathie für stärkere Eingriffsbefugnisse der Behörden ab – insbesondere in den Ländern, die schon sehr lange über entsprechende Gesetze verfügen wie Frankreich und Deutschland. Für die Niederlande wäre eine mögliche sektorübergreifende Investitionskontrolle neu. Das Land hat zwar den Kooperationsmechanismus bereits umgesetzt, die Gestaltung der Anforderungen an eine Investitionsprüfung erweist sich aber bisher als ein zähes Gesetzgebungsunterfangen.

Auch die Schweiz kennt eine sektorübergreifende Investitionskontrolle nicht. Im Gegensatz zu Deutschland sind Unternehmen in kritischen Sektoren in der Schweiz aber in der Regel noch vollständig oder zumindest mehrheitlich in Staatshand (national oder kantonal) und dadurch vor einer Übernahme aus dem Ausland geschützt (etwa die Bundesbahn, die Post, die Luftfahrt etc.) Auch Polen und Österreich setzen, wie die Schweiz, weitgehend auf eine offene Investitionspolitik. Polen und Österreich sehen insbesondere auch „De-Minimis“-Ausnahmen für Erwerbe von Zielunternehmen vor, die eine bestimmte Arbeitnehmer- und/oder Umsatzschwelle nicht überschreiten (Näheres in der Juni- und Juli-Ausgabe 2022 der M&A REVIEW). Zur FDI Screening-VO und ihren Auswirkungen in den Nachbarländern mehr in den nächsten Beiträgen dieser Reihe.

1 Europäische Kommission, First Annual Report on the screening of foreign direct investments into the Union, 23.11.2021, COM (2021) 714 final, S. 8 f.
2 Vgl. das Schreiben der Wirtschaftsminister Italiens, Frankreichs und Deutschlands an Cecilia Malmström, Februar 2017, abrufbar unter www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/S-T/schreiben-de-fr-it-an-malmstroem.html, zuletzt abgerufen am 11. April 2022.
3 Proposal for a Union act on the Screening of Foreign Investment in Strategic Sectors, 20. März 2017, B [8-0000/2017] von Weber, Caspary, Saifi, I. Winkler, Cicu, Proust, Quisthoudt-Rowohl, Reding, Schwab und Szejnfeld, zuletzt abgerufen am 11. April 2022.
4 Vgl. B. und Ziff. 1 im Proposal for a Union act on the Screening of Foreign Investment in Strategic Sectors, 20. März 2017, B [8-0000/2017], zuletzt abgerufen am 11. April 2022.
5 Europäische Kommission, Mitteilung: Offenheit für ausländische Direktinvestitionen bei gleichzeitigem Schutz grundlegender Unionsinteressen, 13.9.2017, COM(2017) 494 final, S. 5.
6 Europäische Kommission, Mitteilung: Offenheit für ausländische Direktinvestitionen bei gleichzeitigem Schutz grundlegender Unionsinteressen, 13.9.2017, COM(2017) 494 final, S. 6.
7 Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Rahmens für die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen in der Europäischen Union, COM(2017) 487 final {SWD(2017) 297 final}, S. 10; Krenzler/Herrmann/Niestedt/Voland, 18. EL Oktober 2021, EU_VO_2019_452 vor Art. 1 Rn. 11.
8 Art. 3 Abs. 2.
9 Art. 3 Abs. 5.
10 Art. 3 Abs. 3.
11 Art. 4 Abs. 1 lit.a.
12 Art. 1 Abs. 3; Zu der mitunter schwierigen Zuordnung der Rechtsgrundlagen und Kompetenzgrundlagen für die FDI Screening-VO siehe im Detail: Klamert/Bucher EuZW 2021, 335, 337 ff.
13 Art. 6 Abs. 2 und 3, Art. 7 Abs. 2 und 3.
14 Art. 6 Abs. 9, Art. 7 Abs. 7.
15 Art. 8 Abs. 2 lit.c.
16 Art, 5.
17 Art. 7 Abs. 8.
18 Art. 7 Abs. 6.
19 Vgl. EuGH Rs-C 54/99, Association Église de scientologie de Paris, Scientology International Reserves Trust, IStR 2000, 287, 288, Rn. 17 m.w.N.,
20 Dies war insbesondere die Kritik aus Italien und Begründung, weshalb Italien als Mitinitiator der Verordnung neben Frankreich und Deutschland sich bei der Abstimmung am Ende der Stimme enthielt; vgl. Erklärung Italiens in Rat der EU, Interinstitutionelles Dossier 2017/0224 (COD), 6551/19 – ADD2, I/A-Punkt-Vermerk, 22. Februar 2019.

Autor
Dr. Milena Charnitzky

Dr. Milena Charnitzky, Partnerin bei der Wirtschaftskanzlei RITTERSHAUS (Standort Mannheim) und Fachanwältin für Handels- und Gesellschaftsrecht. Nach ihrem Studium an der Universität Heidelberg promovierte sie dort zum deutschen und französischen Stiftungs- und Treuhandrecht. Ihren Forschungsaufenthalt verbrachte sie in Paris (Universität Panthéon-Assas/Sorbonne II). Die Autorin berät national und international tätige Unternehmen sowie deren Inhaber und Leitungsorgane in allen Fragen des Wirtschaftsrechts. Ihre Beratungsschwerpunkte liegen im Bereich internationaler M&A-Transaktionen und im Handels- und Gesellschaftsrecht. Darüber hinaus berät und referiert die Autorin regelmäßig zum Lieferkettenrecht. Aktiv ist sie neben dem Anwaltsberuf als Vize-Präsidentin der Corporate und M&A-Kommission des internationalen Anwaltsverbands AIJA. Für wertvolle Hinweise dankt die Autorin Herrn Leon Rademacher.

Autor
Friederike Henke

Friederike Henke, als Advocaat in Amsterdam und Rechtsanwältin in Köln zugelassen, ist Leiterin des German Desk der internationalen Wirtschaftskanzlei BUREN in Amsterdam, Niederlande. Nach Abschluss ihres Jurastudiums an den Universitäten von Maastricht und Saarbrücken hat sie mehr als 15 Jahre Erfahrung im Gesellschafts- und Handelsrecht und berät zahlreiche internationale Mandanten, insbesondere aus dem deutschsprachigen Raum, bei M&A-Transaktionen. Zusätzlich zu ihrer anwaltlichen Tätigkeit fungiert sie unter anderem als Präsidentin der SCILL-Kommission des internationalen Anwaltverbands AIJA und als Schatzmeisterin des Deutschen Anwaltvereins in den Niederlanden. Für wertvolle Hinweise dankt die Autorin Herrn Martin Stumpf.

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