03.08.2023 | Mathias Renz

Geschäftsmodell Deutschland am Scheideweg

Viele Top-Manager und Politiker lauschen seinen Vorträgen und Worten. Ob sie seinen Empfehlungen auch folgen und mit welchen Gefühlen Fuest im aktuellen Umfeld auf das Geschäftsmodell Deutschland blickt, verriet er bei seinem Vortrag beim Mittelstandstag Shift & Change 2023 vom Bundesverband Mergers & Acquistions gem. e.V.

Special Topic

Um 1,8% ist die Wirtschaft im letzten Jahr gewachsen, was sich angesichts Corona und der vielseitigen Herausforderungen gut anhört. Die aktuelle Wachstumsrate ist auch besser als die durchschnittliche Wachstumsrate der letzten 20 Jahre, die bei ca. 1,4% liegt. Doch vom alten Wachstumstrend ist man weit entfernt. „Wenn wir uns fragen, ob wir das Wohlstandsniveau von 2019 erreicht haben, so lautet die Antwort nein“, sagte Fuest. Das Geschäftsmodell Deutschland hat begonnen zu schwächeln. Für 2023 prophezeite der Ökonom eine stagnierende Wirtschaft, erst 2024 sei wieder ein moderates Wachstum möglich.

Abb. 1 Aktuelle Prognose: reales BIP erreicht Anfang 2023 das Niveau 2019

Abb.

Quelle: ifo Institut

Inflation auf Rekordniveau

Die Inflation befindet sich nahezu auf Rekordniveau, auch wenn die Energie-preise derzeit wieder sinken. Die anderen Komponenten der Inflation, also die Kernrate, steigen jedoch. Die Kerninflationsrate blendet kurzfristige Preisschwankungen und Datenausreißer, z.B. im Bereich Energie und Nahrungsmittel, aus und schwankt deshalb weniger als die normale Inflationsrate. „Nach unserer Prognose wird das auch 2024 so sein. Die Zinsen werden ebenfalls hoch bleiben“, so Fuest. Die aktuellen Krisen und geopolitischen Veränderungen haben zudem zur Diskussion darüber geführt, ob sich die deutsche Volkswirtschaft und die Wirtschaftspolitik neu ausrichten müssen.

Ist das „Geschäftsmodell Deutschland“ noch zukunftsfähig?

Veränderungsbedarf gibt es vor allem in der Energiepolitik, bei der Handhabung von Risiken durch außenwirtschaftliche Abhängigkeiten und bei den Verteidigungsausgaben. „Deutschland braucht künftig eine diversifiziertere Energieversorgung und ein gezielteres Management von außenwirtschaftlichen Risiken. Höhere Ausgaben für Rüstung und andere Transformationen werden die öffentlichen Finanzen stark beanspruchen und erfordern Reformen des öffentlichen Sektors. Die USA haben unsere Verteidigung bezahlt, das war immer ein günstiges Modell, das aber schwieriger wird“, so Fuest. Um all diese Herausforderungen zu bewältigen, ist eine stärkere Zusammenarbeit auf europäischer Ebene erforderlich. Und auch die internationalen Handelsbeziehungen sind angesichts der Spannungen größeren Stresstests ausgesetzt.

3 große Ds – Demographie, Digitalisierung, Dekarbonisierung

Herausforderungen gab es aber auch schon vor Ukraine-Konflikt und Corona. Die demographische Entwicklung, die Digitalisierung und die Dekarbonisierung beschäftigen Deutschland schon deutlich länger. Durch den Ukraine-Konflikt kamen noch erhöhte Energiekosten, verstärkte Außenhandelsfriktionen und höhere Verteidigungslasten hinzu. „Bis 2013 ging es recht gut, aber ab 2017 ist unsere Performance gegenüber der Euro-Zone zurückgefallen. Gerade die Autoindustrie ist betroffen“, erklärte Fuest und ging zu Demographie und Dekarbonisierung ins Detail.

Demographie

„Wenn man Unternehmer fragt, sagen alle, wir kriegen keine Leute. Und das obwohl wir 45 Mio. Erwerbstätige haben, eine Zahl, die noch nie so hoch war wie heute“, rechnete Fuest vor. Und dennoch herrscht ein immenser Arbeitskräftemangel. Was ist der Hintergrund? Der gesamte Zuwachs an Köpfen wird aufgefangen durch das Sinken der durchschnittlichen Arbeits-zeit. 4-Tage-Woche, kürzere Wochenarbeitszeit und diverse Teilzeitmodelle haben dem Arbeitsmarkt Kräfte entzogen. „Aus ökonomischer Sicht ist die Flexibilität ja in Ordnung, aber wir haben weniger Arbeitskraft“, erläuterte der Präsident des ifo-Instituts. Und die Aussichten sind nicht berauschend. So wird das Halten der Arbeitsstunden nicht möglich sein, wenn die Generation der Babyboomer, die bis vor kurzem noch voll im Saft standen oder noch stehen, aus dem Arbeitsleben scheiden.

Dekarbonisierung

„Wir haben seit 1990 drei Jahrzehnte gebraucht, um den Anteil der Erneuer-baren Energien von 0 auf 15% zu bekommen. Jetzt sagen wir, in zwei Jahrzehnten machen wir die restlichen 85%. Die Einschätzung, ob das realistisch ist, überlasse ich Ihnen“, so der 54-Jährige. Auch sei die bisherige Dekarbonisierung deshalb gut gelaufen, weil alleine durch die Abschaltung der DDR-Wirtschaft große Effekte erzielt werden konnten. Fuest: „Die Transformationsgeschwindigkeit muss also immens zunehmen, für mich auf eine ziemlich unrealistische Art.“ Es sei nicht auszuschließen, dass die Ziele evtl. auch erst später erreicht werden können.

Das umstrittene Energieeffizienzgesetz

Einen weiteren Knackpunkt machte Fuest beim Energieeffizienzgesetz aus. Der wichtigste Punkt: Der Endenergieverbrauch soll von heute 2.400 Terrawatt bis 2030 auf 1.867 Terrawattstunden sinken. Die Tatsache ist jedoch, dass der Endenergie-verbrauch seit 2008 nur minimal gesunken ist. Die Energieeffizienz ist dagegen jedoch nur um 1,4% gestiegen. Wenn die Energieeffizienz künftig so schnell wachse wie bisher, erfordere dieses Ziel, dass die Wirtschaft um 14% schrumpft. „Wir brauchen also eine deutliche Erhöhung der Energieeffizienz, um das BIP-Wachstum, mit dem wir heute planen, erreichen zu können. Dafür müsste die Energieeffizienz dreimal so stark wachsen wie bisher. Ob das realistisch ist?“ Nicht berücksichtigt werde zudem, ob es sich um Energie aus klimaneutralen Quellen wie Wind oder Sonne handelt oder aus fossilen Brennstoffen. Darüber hinaus will die Bundesregierung mit Subventionen einen niedrigen Industriestrompreis einrichten, der den Verbrauch steigern wird.

Forderungen an Politik, Wirtschaft und Gesellschaft

Doch wie sehen potenzielle Lösungsansätze aus? Fuest nannte hierfür einige Beispiele. So sei es wichtig, das Steuer- und Transfersystem freundlicher zu gestalten, die Zuwanderung müsse gesteigert werden und die Kinderbetreuung ausgebaut. Weitere mögliche Punkte seien die Forcierung der Produktivität und die Erhöhung der Lebensarbeitszeit. „Das sind alles Stellschrauben, mit denen man viel erreichen kann“, bilanzierte Fuest.

Auch im Bereich Infrastruktur gebe es viel zu tun und zu verbessern. Neue Verkehrs- und Infrastrukturnetze müssen geschaffen und das bestehende Angebot deutlich verbessert werden. „Wir haben die Kernkraftwerke abgestellt, haben uns gegen Gasförderung entschieden. Es ist wichtig sich jetzt hier breit aufzustellen.“

Beim Außenhandel gelte es, neue Handelsabkommen abzuschließen, was durch den Bundeskanzler in Fuests Augen derzeit gut vorangetrieben wird. Darüber hinaus empfahl er, die Bedingungen zu China nachzujustieren, aber keinesfalls aufzugeben. „Das wäre eine Begrenzung unseres Geschäftsmodells, die wir uns nicht leisten können. Vom viel diskutierten amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA) solle man sich dabei nicht verunsichern lassen.

Prof. Dr. Dr. h.c.Clemens Fuest ist Chef des Münchner ifo Instituts und einflussreicher Ökonom. Viele Top-Manager und Politiker lauschen seinen Vorträgen und Worten. Ob sie seinen Empfehlungen auch folgen und mit welchen Gefühlen Fuest im aktuellen Umfeld auf das Geschäftsmodell Deutschland blickt, verriet er bei seinem Vortrag beim Mittelstandstag Shift & Change 2023.

Autor
Mathias Renz

Mathias Renz ist Wirtschaftsjournalist, PR Berater und Unternehmer.

Profil
Das könnte Sie auch interessieren