Wie kann ein Unternehmen durch Investitionen und Innovationen rund um den Bereich ESG resilienter werden? Diese Frage beantwortet Prof. Oliver Herkommer, Managing Partner der Ingenics AG, im Interview.
LEBENSWERK: Herr Herkommer, erklären Sie uns bitte kurz, was Ingenics macht.
Prof. Oliver Herkommer: Wir beraten seit über 40 Jahren Unter-nehmen aller Branchen in den Bereichen Strategie, Prozess und Organisation. Unser Fokus liegt auf den Themen ganzheitliche Transformation und Digitalisierung von Geschäftsmodellen, Produkten und Prozessen. Ziel ist die Konzeption und Realisierung intelligenter Lösungen für eine nachhaltige Produktion und Fabrik der Zukunft. Unsere Kunden profitieren von einer ganzheitlichen End-to-End-Beratung und einer punktgenauen Umsetzung. Wir sind an mehreren Standorten in Deutschland, aber auch weltweit – in Großbritannien, Tschechien, Frankreich, China, den USA und Mexiko – vertreten.
LEBENSWERK: Nachhaltigkeit wird zunehmend ein entscheidender Faktor, wenn es darum geht, Unternehmen resilient und zukunftsfähig aufzustellen. Wie sollte ein Unternehmen vorgehen, will es sich in Sachen ESG optimal positionieren?
Prof. Oliver Herkommer: Eines muss von vornherein klar sein: Unternehmen können nicht von heute auf morgen treibhausgasneutral und nachhaltig werden. Dazu bedarf es einer langfristigen Strategie, die über Jahrzehnte umgesetzt werden muss. Klimaziele müssen deshalb im strategischen Management verankert werden. Wichtig ist dabei ein energetischer Masterplan, mit dem zielführende Maßnahmen identifiziert, in kleine Teilschritte heruntergebrochen und in den kommenden Jahren bearbeitet werden. Wer die eigenen Umwelteinwirkungen bilanziert, hat bereits eine gute Basis für eine zielgerichtete Optimierung. Mit dem Prinzip Vermeiden, Reduzieren und Kompensieren wird eine Treibhausgasneutralitätsbilanz nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch zum Erfolg für ein Unternehmen. Nachhaltigkeit wird damit zum wettbewerbsentscheidenden Faktor. Allerdings agieren die meisten Unter-nehmen, das ist zumindest unsere Beobachtung, dabei leider noch viel zu zögerlich.
Häufig wird der Schwerpunkt bei nachhaltigen Transformationsbemühungen auf den ökologischen Aspekt gelegt. Das greift allerdings zu kurz. Wie der Begriff schon nahelegt, ist ESG ein gleichwertiges Zusammen-spiel der drei Bereiche Environment, Social und Governance. Nachhaltigkeit darf nicht von oben verordnet, sondern muss glaubhaft vorgelebt werden. Transparenz ist hier der Erfolgsfaktor, um die Mitarbeitenden im Prozess mitzunehmen. Das Management muss das große Ganze vordenken, damit die Mitarbeitenden im Rahmen dieser Gesamtstrategie agieren können. Der Einsatz jeder und jedes Einzelnen im Unternehmen ist gefragt, um sich nachhaltig zu transformieren.
Zukunftsfähige Unternehmen schauen über den Tellerrand hinaus und tauschen sich mit anderen Unternehmen und der Wissenschaft aus. Denn gerade nachhaltiges Wirtschaften gelingt nur gemeinsam. Die Motivation von Unternehmen zur nachhaltigen Veränderung sollte nicht der Druck von außen, sondern Eigeninteresse sein. Die Wirtschaft ist hier als Vorreiter gefragt und sollte proaktiv statt reaktiv handeln. Eine nachhaltige Transformation muss aus meiner Sicht zwei Ver-sprechen erfüllen: Die Veränderung muss zum einen selbst nachhaltig sein und zum anderen auch nachhaltig Bestand haben. Wir brauchen keinen blanken Aktionismus, sondern eine ganzheitliche und vor allem glaubhafte Transformation. Nachhaltigkeit muss Teil einer jeden Unternehmens-DNA werden. Nur so kann es funktionieren.
LEBENSWERK: Ein Schwerpunkt Ihrer Beratungstätigkeit liegt auf dem Bereich ESG. Wie gut sind produzierende Unter-nehmen hier aufgestellt?
Prof. Oliver Herkommer: Grundsätzlich stehen die produzierenden Unternehmen recht gut da. Bei den meisten ist das Bewusstsein bereits vorhanden und die ersten Schritte sind gegangen. Vor allem die Konzerne haben in den letzten Jahren ihre ESG-Bemühungen deutlich verstärkt und sich konkrete Ziele gesetzt. Das zeigt sich auch unter anderem auch darin, dass mittlerweile zahlreiche Vorstandsgehälter an soziale Ziele und Umweltziele geknüpft sind. Genau vor diesem Hintergrund haben wir im vergangenen Jahr eine Studie zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA durchgeführt. Darin haben 80 Prozent der Befragten angegeben, dass in ihrem Unternehmen Nachhaltigkeitsziele definiert seien. Allerdings gibt es teils deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Branchen und auch bei den Umsatzklassen. Generell lässt sich sagen, je höher der Umsatz, desto eher sind auch konkrete Klima-ziele definiert. Nun gilt es, diese Ziele nachzuverfolgen und zu erreichen. Es gaben jedoch rund 30 Prozent unserer Studienteilnehmer an, dass sie noch am Beginn ihrer Bemühungen sind.