Regulatorische Grenzen des Unternehmensverkaufs durch den Mittelstand am Beispiel Viessmann
Es war eine vielbeachtete Mitteilung: Der hocherfolgreiche deutsche Mittelständler Viessmann verkauft seine Klimasparte, also gut 75% des Umsatzes, an den amerikanischen Konkurrenten Carrier Global. Unabhängig von diesem Fall, der wahrscheinlich nicht auf große Bedenken stoßen wird, stellt sich die Frage der Grenzen der unternehmerischen regulatorischen Handlungsfreiheit bei Unternehmensveräußerung.
Es war eine vielbeachtete Mitteilung: Der hocherfolgreiche deutsche Mittelständler Viessmann verkauft seine Klimasparte, also gut 75% des Umsatzes, an den amerikanischen Konkurrenten Carrier Global. Unabhängig von diesem Fall, der wahrscheinlich nicht auf große Bedenken stoßen wird, stellt sich die Frage der Grenzen der unternehmerischen regulatorischen Handlungsfreiheit bei Unternehmensveräußerung.
Details zum Fall Viessmann:
Über die Gründe des Verkaufs der Klimasparte von Viessmann kann nur spekuliert werden. Das Wachstum in der Vergangenheit war beeindruckend. Zudem ist bekannt, dass die Finanzierung für den deutschen Mittelstand in Deutschland nicht leicht ist. Schließlich droht – subventionierter – Wettbewerb aus Asien. Somit war dies vielleicht der letzte Zeitpunkt, einen möglichst hohen Erlös zu erzielen. Die Unternehmerfamilie erhält eine hohe Zahlung und wird größter Anteilseigner an Carrier Global. Zudem zeigt die Verkäufer-Familie soziales Engagement: Laut Presse-berichten soll es Standort- und Beschäftigungsgarantien geben. Inwieweit tatsächlich Produktionskapazität und Arbeitsplätze in Deutschland verbleiben, ist indes stets unsicher. Carrier Global geht nach rechtlicher Prüfung von notwendigen staatlichen Freigaben aus. Nach der Form 8-K vom 23. April 2023 ist das Closing bedingt auf die regulatorische Freigabe in „bestimmten (certain)“ Außenwirtschafts- und Fusionskontrollverfahren. Carrier Global erwartet allerdings ein Closing des Vorhabens bis zum Ende des Jahres 2023, geht also nicht von größeren materiellen Problemen aus.
Regulatorische Betrachtung
Alle Unternehmenstransaktionen, die die Voraussetzungen erfüllen, werden fusionskontroll- und außenwirtschaftsrechtlich durchleuchtet, so auch diese.
Fusionskontrollrechtlich sollten keine großen Bedenken bestehen: Carrier Global ist nach öffentlich zugänglichen Berichten in Europa bisher wenig tätig. Viessmann hingegen ist zwar ein großer und bedeutender, aber weder der einzige noch der größte Hersteller von Wärme-pumpen in Deutschland. Zudem ist der Wärmepumpen-markt gerade in großer Bewegung. Es gibt hohe Wachstumsraten und viele mögliche Markteintritte. Vor diesem Hintergrund ist eine unproblematische Genehmigung wahrscheinlich. Bei außenstehender Betrachtung ist angesichts der Umsatzhöhe der beiden beteiligten Unternehmen von einer Zuständigkeit der EU-Kommission auszugehen –gegebenenfalls auch von weiteren Kartellbehörden weltweit. Zeitlich ist bei einer Zuständigkeit der EU-Kommission grundsätzlich auch bei unproblematischen Transaktionen eine vergleichsweise sehr lange Prüfungszeit möglich.
Nach dem bestehenden – in jüngerer Zeit mehrfach novellierten und im Anwendungsbereich erweiterten – deutschen Außenwirtschaftsrecht ergibt sich grundsätzlich ein ähnliches Ergebnis. Das anzuwendende Recht, die Außenwirtschaftsverordnung (AWV), unterteilt grundsätzlich in besonders schutzwürdige Belange, sogenannte sektorspezifische Bereiche, und in allgemeine Bereiche, sogenannte sektorübergreifende Bereiche. Wärmepumpen fallen in keinen spezifischen Sicherheitsbereich und sind insofern in den – eher unkritischen – sektorübergreifenden Bereich einzuordnen. Die Verordnung sieht eine Reihe von Branchen und Tätigkeitsfeldern vor, die als sicherheitsrelevant angesehen werden. Dort gilt eine Gefährdung der Interessen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung als wahrscheinlich. Wärmepumpen fallen bisher nicht darunter. Insofern wird es interessant sein zu sehen, wie sich das Bundeswirtschaftsministerium, wie gesagt hier aufstellt. Es kann grundsätzlich ex officio einen Zusammenschluss aufgreifen, wenn die Kriterien erfüllt sind. Dies ist hier der Fall.
Insgesamt erscheint es aber sehr wahrscheinlich, dass die Transaktion genehmigt werden wird. Es ist allerdings zu befürchten, dass dieses Ergebnis das Ministerium zu neuen Aktivitäten herausfordern wird, auch wenn unklar ist, welche Maßstäbe genau angelegt werden würden. Nach dem Erwerb des Roboterherstellers KUKA durch chinesische Konkurrenten wurde der Anwendungsbereich der AWV erweitert. Es wäre ein leichtes, in einer neuen AWV-Novelle Wärmepumpen etwa als „Zukunftstechnologien“ oder „Energiewendetechnologien“ auf eine Liste der Bereiche zu setzen, die bei einem Verkauf ins Ausland die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährden würden. Vor diesem Hintergrund kann es in diesen Bereichen also als Folge des Viessmann-Deals zu einer Erweiterung der Kontrollmöglichkeiten kommen.
Dies wäre durchaus folgerichtig aus der Sicht der Regierung: Deutschland hat bereits in der Photovoltaik sowie im Windenergiebereich versucht, mit Hilfe von Steuergeldern eine Zukunftstechnologie aufzubauen und hier eine Technologieführerschaft zu übernehmen – beide Versuche sind gescheitert. Die Arbeitsplätze sind jetzt in Asien und anderswo. In Deutschland wurden bisher deshalb keine umfassend neuen Industrien geschaffen, die das freiwillige Abschalten der alten Techniken ersetzen würden. Umso wichtiger ist für die Regierung das Gelingen der Wärmepumpe. Nun verkauft ein Hoffnungsträger an ausländische Konkurrenten – schon wieder droht ein Desaster. Daher kann das Verfahren zu weitergehenden Schärfung der Investitionskontrolle führen. Inwieweit dieser immer stärkere Protektionismus für Deutschland als großen Profiteur der Globalisierung und ehemaligen „Exportweltmeister“ ein kluger Schachzug ist, ist eine wirtschaftswissenschaftliche und politische Frage.
Praktische Folgen für die Veräußerung von Familienunternehmen
Regelmäßig sind deutsche Mittelständler sehr erfolgreich im Markt – und haben damit hohe Marktanteile. Anders als bei Viessmann kann es hier zu Problemen kommen, wenn an Strategen, also Wettbewerber verkauft werden soll. Im Fall Sulzer/Kelmix, bei dem ein Schweizer Unternehmer sein Unternehmen an einen Strategen verkaufen wollte, hatte das BKartA die Veräußerung an den einzigen in Frage kommenden Strategen – Sulzer – untersagt, so dass quasi nur an Finanzinvestoren veräußert hätte werden können.1
Die Untersagung scheiterte an anderen Fragen, das Prinzip wurde nicht in Frage gestellt. Schon die Fusionskontrolle kann also sehr einschränken. Nun kommt das immer weiter anwendbare Außenwirtschaftsrecht hinzu. Nach der Towercast-Entscheidung des europäischen Gerichts gilt darüber hinaus, dass selbst Transaktionen, die nicht anmeldepflichtig sind, auch nach Closing noch als missbräuchlich angegriffen werden können2. Insbesondere für Gründer besteht hier ein Risiko, dass bei besonders innovativer Geschäftsidee die Übernahme durch einen etablierten Wettbewerber als „predatory“ verboten werden könnte. Schließlich kommt im Sommer dieses Jahres die Beihilfenverordnung der EU hinzu, nach der ein Erwerber nicht in Frage kommen kann, wenn er in größerem Umfang finanzielle Zuwendungen von außereuropäischen Quellen erhalten hat.
Insgesamt wird die Deal-Sicherheit beim Exit damit für mittelständische Unternehmen, die oft eben nur diese eine Transaktion betreiben, immer geringer. In einem „more administrative approach“ wird immer mehr die Behörde zum Nadelöhr. Für Mittelständler ergibt sich daraus ein Problem. Sie sind oft sehr erfolgreich, haben hohe Marktanteile und sind sehr innovativ. Das kann sie in Zukunft daran hindern, ihr Unternehmen zu den bestmöglichen Preisen zu veräußern. All diese Fragestellungen sollten bei der Auswahl eines möglichen Käufers und bei der Betrachtung der Optionen für eine Veräußerung statt Fortführung rechtzeitig beachtet werden.
1 www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Meldung/DE/Pressemitteilungen/2007/14_02_2007_Sulzer_Kelmix.html
2 https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:62021CJ0449