Der Weg zur regulatorischen Freigabe wird noch steiniger
Der Weg zur regulatorischen Freigabe wird noch steiniger: Fusionskontrollrechtliche Verfahren werden zunehmend auch unterhalb von bisher ausschlaggebenden Schwellenwerten und mit einer intensiveren Prüfungsdichte als früher durchgeführt. Zudem sind neue Genehmigungsregime geplant, die erhebliche Anforderungen an eine Transaktion stellen können, wie z.B. die Investitionsprüfung oder die Drittstaatensubventionsverordnung.
1. Einleitung
Das Erlangen von fusionskontrollrechtlichen Freigaben ist schon lange das letzte große Hindernis zum erfolgreichen Vollzug von Unternehmenstransaktionen. Während in der Vergangenheit Fusionskontrollbehörden weltweit eher zurückhaltend agiert und nur sehr selten Zusammenschlüsse verboten haben, breitet sich in Behörden und politischen Kreisen zunehmend die Ansicht aus, dass diese von den Behörden selbst als eher wirtschaftsfreundlich wahrgenommene Linie ein Fehler gewesen sei: Angesichts mutmaßlich immer größer und stärker werdender multinationaler Unternehmen und einer mutmaßlich zunehmenden Konzentration auf wenige große Player in unterschiedlichen Branchen wächst in der Politik die Bereitschaft, Kartellbehörden immer weiter gehende Befugnisse zu verleihen, und die Bereitschaft von Kartellbehörden, auch abseits ihrer bisherigen Entscheidungspraxis neue Einwände gegen Zusammenschlüsse zu entwickeln, vorzubringen und zu verfolgen. Zudem treten neben der klassischen Fusionskontrolle neuerdings drei weitere Genehmigungsregime, die den wachsenden geopolitischen Spannungen geschuldet sind: die außenwirtschaftsrechtliche Investitionskontrolle (Foreign Direct Investment – FDI), die Kontrolle nach der EU-VO über den Binnenmarkt verzerrende drittstaatliche Subventionen (Foreign Subsidies Regulation – FSR) und das Outbound Investment Screening.
2. Fusionskontrolle auch unterhalb relevanter Schwellenwerte
Traditionell ist der Anwendungsbereich der Fusionskontrolle durch Umsatzschwellen für die an der Unternehmenstransaktion beteiligten Unternehmen definiert. Sind diese nicht erreicht oder überschritten, war ein Zusammenschluss meist unantastbar. Dieser Grundsatz gilt mittlerweile nicht mehr. Die Europäische Kommission (Kommission) nutzt jüngst und vermehrt eine juristische Hintertür in der EU-Fusionskontroll-VO: Art. 22, nach dem die Kommission auch Unternehmenszusammenschlüsse unterhalb von für den europäischen Markt anwendbaren Schwellenwerten prüfen kann, wenn ein Mitgliedstaat dies beantragt. Nach Ansicht der Kommission muss der beantragende Mitgliedstaat nach nationalem Recht selbst für den Zusammenschluss gar nicht zuständig sein. Auf diesem Weg kann also auch ein Zusammenschluss, der in keinem EU-Mitgliedstaat die relevanten Schwellenwerte überschreitet, von der Kommission aufgegriffen und geprüft werden. Das Europäische Gericht hat diese Auffassung jüngst erstinstanzlich bestätigt, allerdings ist gegen diese Entscheidung ein Rechtsmittelverfahren anhängig. Der Generalanwalt hat diese Rechtsauffassung in seinen Schlussanträgen scharf kritisiert, da sie der Kommission „mit einem Schlag“ die Macht geben würde, fast jeden Zusammenschluss weltweit zu überprüfen. Es bleibt abzuwarten, wie der Europäische Gerichtshof in letzter Instanz dazu entscheidet.
Das Bundeskartellamt macht von Art. 22 der EU-Fusionskontroll-VO aktuell (noch) keinen Gebrauch und stellt keine derartigen Anträge an die Kommission, wenn deutsche Schwellenwerte nicht überschritten sind. Es setzt stattdessen auf die Transaktionsschwellenwerte des § 35 Abs. 1a GWB, um auch Transaktionen unterhalb der Umsatzschwellenwerte zu überprüfen. In Italien hat die Wettbewerbsbehörde letztes Jahr die Befugnis erhalten, generell Zusammenschlüsse unterhalb von Schwellenwerten von Amts wegen zu untersuchen, und hat dies bereits mehrfach getan.
Ebenfalls letztes Jahr entschied der Europäische Gerichtshof im Towercast-Urteil, dass Unternehmenserwerbe von marktbeherrschenden Unternehmen als Missbrauch ihrer marktbeherrschenden Stellung angesehen und auch rückwirkend untersagt werden können, selbst wenn sie unterhalb von anwendbaren Schwellenwerten liegen. Sowohl die französische als auch die belgische Wettbewerbsbehörde haben bereits Verfahren auf Grundlage dieser Befugnis eröffnet. Da auch Private gegen den Missbrauch marktbeherrschender Stellung vor Zivilgerichten vorgehen können, besteht hier theoretisch sogar die Möglichkeit einer privaten Rechtsdurchsetzung durch Wettbewerber.
Auch außerhalb der EU setzt sich dieser Trend fort: Indien hat Transaktionsschwellenwerte eingeführt, um sogenannte „Killer-Akquisitionen“ zu verhindern, China hat die zuvor selten genutzte Möglichkeit ihrer Wettbewerbsbehörde, Transaktionen unterhalb von Schwellenwerten zu untersuchen, überarbeitet, was umgehend von der Wettbewerbsbehörde gegen einen Zusammenschluss im pharmazeutischen Bereich genutzt wurde. Das Vereinigte Königreich plant, neue käuferbezogene Schwellenwerte einzuführen, um vertikale und konglomerate Effekte besser zu erfassen.
3. Wettbewerbsbehörden erproben neue Schadenstheorien
Wenn Wettbewerbsbehörden auf die eine oder andere Weise ihre Zuständigkeit begründet haben, untersuchen sie häufig neuartige Einwände gegen einen Zusammenschluss (sog. Schadenstheorien). Diese neuen Schadenstheorien werden teilweise durch innovative Entwicklungen in der Wirtschaftswissenschaft wie der Verhaltensökonomie inspiriert, wirken teilweise aber auch recht spekulativ und werden zunehmend schwerer vorhersehbar.
So hat beispielsweise die Kommission letztes Jahr in ihrer Verbotsentscheidung betreffend den Erwerb von eTraveli durch booking.com bewusst ihre eigenen Richtlinien zur Analyse konglomerater Effekte ignoriert und auf Basis einer Mischung aus horizontalen und nicht-horizontalen Aspekten geschlussfolgert, dass der Erwerb eines komplementären Geschäfts die marktbeherrschende Stellung von booking.com stärken würde. Auch in anderen Fällen, wie dem britischen Verfahren gegen die Microsoft/Activision-Transaktion oder dem US-amerikanischen Verfahren gegen die Amgen/Horizon-Transaktion, sehen wir zunehmend, dass Wettbewerbsbehörden nicht mehr nur isoliert auf Überschneidungen zwischen Unternehmen und deren Marktanteilen auf bestimmten Märkten schauen, sondern auf sogenannte Ökosystem- oder Portfolio-Effekte setzen, also eine umfassende Betrachtung dazu vornehmen, wie ein Zusammenschluss die Marktposition eines Erwerbers stärken könnte.
Dabei ist zu beobachten, dass Entscheidungen von Wettbewerbsbehörden, die historisch sehr parallel entschieden haben, zunehmend auseinanderlaufen – eine weitere Folge der zunehmenden Unberechenbarkeit des Vorgehens dieser Behörden. So sind zum Beispiel die Kommission und die britische Competition and Markets Authority in 25% der von beiden untersuchten Zusammenschlüsse seit dem Brexit zu unterschiedlichen Ergebnissen (Untersagung, Freigabe, Freigabe mit Auflagen) gelangt.
4. Investitionskontrolle stellt neue Hürden auf
Die geopolitischen Konflikte der letzten Jahre zwischen westlichen Wirtschaften sowie China und Russland haben den zunehmend zu beobachtenden Trend der Deglobalisierung und das Verlangen nach nationaler Autarkie bestärkt, weshalb immer mehr Staaten Investitionskontrollregime einführen, die die Beteiligung ausländischer Investoren an heimischer Industrie unter einen Genehmigungsvorbehalt stellen. Staaten, die bereits über solche Regime verfügen, verschärfen diese regelmäßig; so plant beispielsweise in Deutschland die Bundesregierung die Einführung eines Investitionsprüfungsgesetzes, das die bisher geltenden Regeln nicht unerheblich modifizieren soll. Die Europäische Kommission ist ebenfalls tätig und hat einen Entwurf einer neuen Verordnung vorgelegt, die die Einführung eines Investitionskontrollregimes mit Anmeldepflichten für eine ganze Reihe von Sektoren in allen EU-Ländern verpflichtend machen würde.
Diese Regime folgen politischen Erwägungen, industrielle Kapazitäten im eigenen Land zu behalten, und führen daher ein komplett neues Risiko in den M&A-Prozess ein, das teilweise schwer vorherzusehen sein kann. Die Sektoren, die besonders intensiv überprüft werden, ähneln sich weltweit. Der Jahresbericht des US-amerikanischen Committee on Foreign Investment in the United States (CFIUS) zeigt, dass 2022 die meisten Anmeldungen in den Bereichen Finanzen, Informationen und Dienstleistungen und im produzierenden Gewerbe erfolgten. Ein Bericht der EU-Kommission zeigt, dass dort vor allem Transaktionen im produzierenden Gewerbe sowie im Informations- und Technologiesektor intensiverer Prüfung unterzogen wurden.
Wenig überraschend stehen solche Investoren, die direkte oder indirekte Beziehungen zu China unterhalten, besonders im Fokus von Behörden. Das zeigt sich zum Beispiel in einer Statistik, die das Vereinigte Königreich veröffentlicht hat: Danach wurden nur 4% aller Anmeldungen durch chinesische Investoren getätigt, allerdings betrafen 42% aller Phase-II-Verfahren und 50% aller Untersagungen oder Auflage-Entscheidungen chinesische Investoren. Russische Investoren tauchen in diesen Statistiken gar nicht erst auf, da ihre Investitionen seit dem Russland-Ukraine-Konflikt weitgehend durch Sanktionen untersagt wurden.
Auch indirekte Beziehungen von Investoren oder Unternehmen zu China geben häufig Anlass zu intensiver Prüfung: So geraten beispielsweise japanische Investoren stärker in den Fokus, weil sie häufig enge wirtschaftliche Beziehungen zu China pflegen; dazu zählen Bezugsbeziehungen, finanzielle Abhängigkeiten von Geschäften mit China sowie der zunehmende Aufkauf von japanischen Technologien durch chinesische Investoren. In ähnlicher Weise zeigen sich Behörden gegenüber Investoren aus Singapur zunehmend skeptisch, weil viele chinesische Investoren ihren Sitz nach Singapur verlegt haben, um sich gegen geopolitische Risiken abzusichern.
Besonders verzwickt für die beteiligten Unternehmen ist, dass sich im Rahmen der Investitionskontrolle widersprüchliche Anforderungen stellen können. So könnte zum Beispiel die chinesische Wettbewerbs- oder Investitionskontrollbehörde bestimmte Lieferverpflichtungen in Bezug auf den chinesischen Markt verlangen, während westliche Investitionskontrollbehörden solche Lieferungen gerade verhindern möchten.
5. Neue Genehmigungsregime in Kraft und am Horizont
Neben die Fusionskontrolle und die außenwirtschaftsrechtliche Investitionskontrolle trat im letzten Jahr ein drittes Genehmigungsregime in Kraft: Die EU-VO über den Binnenmarkt verzerrende drittstaatliche Subventionen oder kürzer die Drittstaatensubventions-VO. Mit diesem gesetzgeberischen Instrument möchte die EU verhindern, dass ausländische Subventionen den Wettbewerb im Binnenmarkt verfälschen, gerade auch im Zusammenhang mit Unternehmenstransaktionen. Neben der Pflicht von an einer Unternehmenstransaktion beteiligten Unternehmen, bestimmte Zusammenschlüsse anzumelden, kann die EU-Kommission auch von Amts wegen Ermittlungen aufnehmen und Transaktionen prüfen. Die Schwellenwerte dazu sind relativ hoch: So ist es zum Beispiel erforderlich, dass das Zielunternehmen in der EU Umsätze von mindestens 500 Mio. EUR pro Jahr aufweist. Sofern dann eine Anmeldung erforderlich wird, ist der Aufwand, ausländische Zuwendungen – und dieser Begriff wird sehr weit gefasst – zu identifizieren, meist sehr hoch.
Darüber hinaus nimmt die Debatte um das sogenannte Outbound Investment Screening immer mehr Fahrt auf. Dieses stellt gewissermaßen die Umkehr der klassischen Investitionskontrolle dar: Mit diesem Verfahren sollen Investitionen nationaler Investoren in fremden Ländern überprüft werden. Durch solche Regime soll(en) (i) strategische Investments in fremden Staaten, insbesondere in feindlichen Staaten, kontrolliert werden, (ii) verhindert werden, dass Investoren die Entwicklung sensibler Technologie in feindlichen Staaten fördern, und (iii) die Abwanderung kritischer Fähigkeiten und eine dadurch erhöhte Abhängigkeit von Drittstaaten vermieden werden. China, Japan, Südkorea und Taiwan haben solche Regime bereits eingeführt. US-Präsident Joe Biden hat die Einrichtung eines solchen Regimes – bisher nur gegen China gerichtet – letztes Jahr angeordnet. Die EU-Kommission möchte diese Möglichkeit in einem White Paper näher untersuchen, und die britische Regierung prüft gerade, ob sie ein solches Regime einführen sollte. Das Outbound Investment Screening stellt damit ein viertes Genehmigungsregime dar, das dem Vollzug einer Unternehmenstransaktion zukünftig entgegenstehen kann.
6. Die Zeitschienen werden länger
Die erwähnte strengere Überprüfung zahlreicher Transaktionen geht mit einer intensiveren Nutzung von Informationsabfragen und einem Pausieren der Überprüfungsfrist (sog. Stop-the-Clock) einher. Die bisher geltenden Zeitschienen lassen sich daher immer schwerer einhalten. Ein Beispiel dafür aus dem letzten Jahr ist der Intel/Tower-Zusammenschluss, der nach 18 Monaten aufgegeben wurde, nachdem die chinesische Fusionskontrollbehörde den Zusammenschluss sehr ausführlich geprüft hat und eine Freigabe nicht mehr absehbar war, obwohl andere Fusionskontrollbehörden die Transaktion bereits freigegeben hatten.
In den USA wiederum ist eine Überarbeitung der entsprechenden Formulare geplant, mit denen Transaktionen angemeldet werden. Vorgesehen ist, dass wesentlich mehr Informationen und deutlich mehr unternehmensinterne Dokumente vorgelegt werden müssen, als das bisher der Fall ist, was die Vorbereitungszeit einer Anmeldung in den USA und daher auch die Gesamtprüfungszeit wesentlich erhöhen wird.
Auch die zunehmend wichtigere Rolle von Investitionskontrollregimen führt zu erheblichen zeitlichen Verzögerungen: So dauern Genehmigungsverfahren selbst bei inhaltlich problemlosen Fällen häufig länger als eine Fusionskontrollanmeldung, und die Dauer von inhaltlich problematischeren Fällen wird immer schwerer abzuschätzen.
7. Schlussfolgerungen für die M&A-Praxis
Vor diesem Hintergrund ist Deal-Machern Folgendes an die Hand zu geben:
• Mit Blick auf die steigende Komplexität der regulatorischen Landschaft und die länger werdenden Prüfzeiträume sollte das Thema regulatorische Freigaben möglichst früh angegangen werden; so können etwaige Problembereiche rechtzeitig identifiziert und entsprechend adressiert werden. Hierzu sollten möglichst frühzeitig externe Berater eingebunden und relevante Informationen unternehmensintern zusammengetragen und analysiert werden. Dabei muss eine Machbarkeitsanalyse ein holistisches Bild der wirtschaftlichen Auswirkungen der geplanten Transaktion in den Blick nehmen und auch die sonstigen Kontrollregime, insbesondere die Investitionsprüfung, einschließen.
• Regulierungsbehörden ordnen immer häufiger Abhilfemaßnahmen an – vor diesem Hintergrund sollten frühzeitig praktikable und kommerziell akzeptable Maßnahmen ermittelt und geprüft werden, wie diese die Prüfung in anderen Jurisdiktionen beeinträchtigen könnten und ob diese den Regulierungsbehörden proaktiv angeboten werden sollten. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass etwaige Abhilfemaßnahmen andere regulatorische Prüfverfahren (Investitions- und Subventionskontrolle) negativ beeinflussen und sich auf deren Zeitplan auswirken können.
• Eine zentrale Steuerung der verschiedenen regulatorischen Prozesse ist essenziell. Da sich Regulierungsbehörden über Jurisdiktionen hinweg regelmäßig austauschen, sollte eine einheitliche Botschaft erarbeitet werden, die kommuniziert werden soll. Gleichzeitig sollten die beteiligten Unternehmen darauf vorbereitet sein, umfangreiche behördliche Informationsabfragen schnell zu bearbeiten.
• Gegebenenfalls reduzierte Transaktionssicherheit kann durch innovative sowie sorgfältig und passgenau für die konkrete Transaktion entworfene Regelungen in den Transaktionsdokumenten adressiert werden, indem für den Ausgang von Kontrollverfahren in den jeweiligen Jurisdiktionen ein angemessen breiteres Spektrum angesetzt wird; dies kann unter anderem mittels Konditionalität und einer feinjustierten Risikoverteilung erreicht werden. Long Stop Dates sollten nicht allzu kurz gewählt werden oder aber Verlängerungsmöglichkeiten vorsehen. Dort, wo es denkbar erscheint, sollte auch ein etwaiges Aufgreifen der Transaktion unterhalb der relevanten Schwellen-
werte, insbesondere nach Art. 22 der EU-Fusions-kontroll-VO, adressiert werden. Sogenannte Hell-or-High-Water-Klauseln sollten hinreichend ausdifferenziert sein und präzise beschreiben, welche konkreten Risiken der Käufer bereit ist, zu tragen und welche nicht.