14.12.2023 | Christoph Engeler

Einsatz von digitalen Technologien im Gesundheitssektor

Leistungen der Gesundheitswirtschaft haben nicht nur eine wesentliche Bedeutung für die Patienten, sondern stellen auch einen Wirtschaftszweig von erheblicher ökonomischer Bedeutung für den Standort Deutschland dar. Der Anteil der Gesundheitswirtschaft am Bruttoinlandsprodukt beträgt über 12%. Der Bruttowertschöpfungsbetrag steigt weiter überdurchschnittlich schnell. Eine Besonderheit der Gesundheitswirtschaft zeigt sich aktuell in Zeiten gesamtwirtschaftlicher Stagnation: Sie ist in besonderem Maße konjunkturunabhängig und damit wirtschaftlich stabilisierend. Das macht sie für Unternehmen und Investoren interessant.

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1. Einleitung

Leistungen der Gesundheitswirtschaft haben nicht nur eine wesentliche Bedeutung für die Patienten, sondern stellen auch einen Wirtschaftszweig von erheblicher ökonomischer Bedeutung für den Standort Deutschland dar. Der Anteil der Gesundheitswirtschaft am Bruttoinlandsprodukt beträgt über 12%. Der Bruttowertschöpfungsbetrag steigt weiter überdurchschnittlich schnell. Eine Besonderheit der Gesundheitswirtschaft zeigt sich aktuell in Zeiten gesamtwirtschaftlicher Stagnation: Sie ist in besonderem Maße konjunkturunabhängig und damit wirtschaftlich stabilisierend. Das macht sie für Unternehmen und Investoren interessant.

Auch wenn der Großteil der Gesundheitsversorgung in tradierten Bereichen wie Krankenhäusern, ambulanten Praxen, Pflege- oder Rehabilitationseinrichtungen erfolgt, zeichnet sich der Gesundheitsmarkt vor allem durch die Entwicklung innovativer Hightech-Produkte in der Medizintechnik und bei Arzneimitteln sowie neuer Behandlungs- und Untersuchungsmethoden aus und ist somit Innovationstreiber. Hier zeigt sich, dass die Begriffe „Gesundheit“ und „Wirtschaft“ kein Widerspruch sein müssen.

Die digitale Gesundheitswirtschaft ist dabei derzeit noch ein noch eher kleiner Bereich der Gesundheitswirtschaft, der aber über großes Innovations- und Wachstumspotenzial verfügt.

So verändern digitale Technologien zunehmend auch die Art und Weise, wie Gesundheitsleistungen in Anspruch genommen werden können. Sie ermöglichen Videosprechstunden mit behandelnden Ärzten, die Fernüberwachung von chronisch Kranken, papierlose E-Rezepte und elektronische Gesundheitsakten, den Einsatz von Gesundheits-Apps oder auch die virtuelle Durchführung klinischer Studien für neue Arzneimittel anhand von Datensätzen mittels Künstlicher Intelligenz (KI). Die technologischen Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig, und wir stehen erst am Anfang dieser Entwicklung. Das Potenzial ist kaum zu ermessen.

Der Einsatz von digitalen Technologien im Gesundheitssektor wird dabei oft mit den Begriffen „Digitale Gesundheit“ oder „E-Health“ überschrieben. Diese vermeintlich griffigen Schlagworte lassen jedoch die technologische Vielfalt und die rechtlichen Herausforderungen im Umgang mit diesen Innovationen nicht erahnen.

2. Marktzugang und Kostentragung

In rechtlicher Hinsicht sind insbesondere zwei Fragen von grundlegender Bedeutung.

Erstens, welche Anforderungen muss das neue Gesundheitsangebot beziehungsweise das neue Gesundheitsprodukt erfüllen, um angeboten werden zu dürfen? Dies ist eine Frage, die den Marktzugang betrifft, wofür insbesondere Aspekte der Patientensicherheit und der Wirksamkeit des Angebots beziehungsweise des Produkts relevant sind. Marktzugangsregelungen sind innerhalb der EU für Arzneimittel und Medizinprodukte weitgehend harmonisiert, nicht jedoch für Gesundheitsdienstleistungen wie die Videosprechstunde oder das Telemonitoring.

Zweitens, wer trägt die Kosten hierfür? In Deutschland betrifft dies insbesondere die Frage des Erstattungsumfangs von Krankenkassen. Die Rechtsrahmen hierfür sind außerhalb Deutschlands nicht harmonisiert, selbst innerhalb der EU bestehen große landes- und teilweise regionsspezifische Unterschiede.

3. Regulierung folgt Fortschritt

Die Innovationskraft im Gesundheitswesen zwingt die zuständigen Regulierungsbehörden und die Gesetzgeber dazu, bestehende Rechtsgrundlagen anzupassen und Grundsatzentscheidungen zu treffen. Wie in anderen Lebensbereichen auch ist hier der technologische Fortschritt in der Regel der Weitsicht der Regulierer voraus, was dazu führen kann, dass innovative Technologien erst viele Jahre später in den Markt und zum Patienten gelangen. Als Beispiel sei hier die elektronische Gesundheitsakte genannt. Allerdings hat die jüngere Vergangenheit auch gezeigt, dass Beschleunigungen im Marktzugang möglich sind. Als Beispiele seien die Zulassung von Covid19-Impfstoffen oder Gestattung des Inverkehrbringens von FFP2-Masken ohne CE-Kennzeichnung genannt, welche über gleichwertige Zertifizierungen verfügen.

3.1. Medizinprodukte

In der EU können digitale Technologieangebote als Medizinprodukte oder In-vitro-Diagnostika (IVD) reguliert sein. Die einschlägigen Verordnungen verlangen hierbei, dass Software mit medizinischen Anwendungsbereichen entsprechend klassifiziert und zertifiziert ist, bevor sie in Ver-kehr gebracht wird. Der Anwendungsbereich der Zertifizierungspflicht hat sich im Zuge des technologischen Fort-
schritts, wie beispielsweise beim Einsatz von KI, deutlich erweitert. Dies konfrontiert vormals reine Softwareentwickler mit den komplexen und aufwändigen Regulierungen des Medizinproduktrechts, deren Einhaltung Entwicklungszyklen verlangsamen und Entwicklungskosten erhöhen kann. Beispiele für KI-basierte Medizinprodukte sind die Diagnoseunterstützung bei bildgebenden Verfahren, die Identifikation personalisierter Krebstherapien oder der Einsatz von Exoskeletten für Pflegekräfte.

3.2. Fernbehandlung

Der Bereich der Fernbehandlung zeichnet sich durch eine zusätzliche rechtliche Komplexität aus. Traditionell untersagten die jeweiligen ärztlichen Berufsordnungen der Landesärztekammern in Deutschland eine Behandlung von Patienten, welche ausschließlich über Telekommunikationsmedien erfolgte. Der direkte, persönliche Kontakt zwischen Arzt und Patient wurde lange Zeit für unentbehrlich erachtet. Begünstigt durch die Corona-Pandemie haben sie diese Vorgaben weitgehend gelockert. So ist inzwischen meistens eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien im Einzelfall erlaubt, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird. Für Kopfschütteln bei einigen hat jedoch jüngst eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs gesorgt, wonach selbst dann, wenn eine Fernbehandlung berufsrechtlich zulässig ist, diese nicht beworben werden darf, da eine Fernbehandlung nicht dem anerkannten Standard der ärztlichen Leistungserbringung entspräche. Diese Differenzierung zeigt das Ringen von Regulierern und Gerichten im Umgang mit dem technologischen Fortschritt im Gesundheitswesen.

3.3. Kostenerstattung

Der Marktzugang für innovativen Gesundheitsangebote und -technologien wird ferner dadurch erschwert, dass selbst innerhalb der EU kein vereinheitlichter Rechtsrahmen für die Kostenerstattung oder Preisbildung gilt. Dies ist Folge der nationalen Krankenversicherungssysteme und wird sich auch absehbare Zeit nicht grundlegend ändern. Daher müssen innovative Unternehmen ihre Marktstrategien jeweils länderindividuell (und teilweise sogar regional innerhalb eines Landes) bestimmen.

Deutschland nimmt hier eine Vorreiterrolle innerhalb der EU ein, da seit Ende 2020 digitale Gesundheitswendungen (DiGA) auf Rezept von den Krankenkassen erstattet werden. Allerdings mehren sich in letzter Zeit auch die Kritik und der Zweifel am wissenschaftlichen Nachweis des medizinischen Nutzens einiger DiGA. Hier scheint noch nicht die richtige Bilanz zwischen den traditionellen analogen Leistungen und DiGAs gefunden zu sein, welche mitunter eher zu Mehrkosten geführt haben.

Auf EU-Ebene sieht die Verordnung zur Bewertung von Gesundheitstechnologien von Ende 2021 einen neuen Prozess vor, um die relative Wirksamkeit neuer oder bestehender Gesundheitstechnologien bestimmen können. Dies ist ein erster Schritt zu Ermittlung eines einheitlichen Nutzens, welcher Grundlage für nationale Kostenerstattungen sein wird.

4. Datenschutz

Digitale Technologien und Daten gehen Hand in Hand. Daten sind ihr Treibstoff. Die Relevanz der Daten und der Umstand, dass es sich hierbei um höchstsensible Gesundheitsdaten handelt, machen den Datenschutz zu einem zentralen Thema der Digitalen Gesundheit.

5. Ausblick

Unternehmen und Investoren auf dem Gebiet der Digitalen Gesundheit müssen die regulatorischen Entwicklungen fortlaufend und genau verfolgen. Hierbei ist es unerlässlich, die Komplexität und Vielschichtigkeit der relevanten Bereiche im Auge zu behalten. Umsichtige Akteure können so die Gesundheitsversorgung von morgen maßgeblich mitgestalten und unnötige Risiken vermeiden.

Autor
Christoph Engeler

Christoph Engeler ist Partner im Corporate Department im Hamburger Büro von Latham & Watkins. Er ist spezialisiert auf die Industriebereiche Healthcare und Life Sciences und berät Unternehmen und Investoren bei Transaktionen und regulatorischen Fragen im Gesundheitsmarkt.

Christoph Engeler, a partner at Latham & Watkins, advises a wide range of healthcare and life sciences clients on corporate, transactional, and regulatory matters. He assists in all stages of the business or product lifecycle and regularly advises on M&A transactions and restructurings, privatizations, joint ventures, and regulatory matters.

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