07.06.2023 | Erik Hummitzsch, Tobias Huesmann

Interview: PwC Deutschland: „Entscheider planen in den kommenden 12 Monaten signifikante Maßnahmen zur Anpassung des Unternehmensportfolios – Fokus auf dem Schutz des Kerngeschäfts“

M&A Review: PwC Deutschland hat kürzlich die dritte Ausgabe der Corporate Portfolio Management-Studie veröffentlicht. Welchen Zweck verfolgt die Studie, und was sind die wesentlichen Erkenntnisse in diesem Jahr?

Interview

M&A Review: PwC Deutschland hat kürzlich die dritte Ausgabe der Corporate Portfolio Management-Studie veröffentlicht. Welchen Zweck verfolgt die Studie, und was sind die wesentlichen Erkenntnisse in diesem Jahr?

Erik Hummitzsch: Im Rahmen der dritten Ausgabe der PwC Corporate Portfolio Management-Studie wurden 200 Entscheider aus der DACH-Region befragt, um zu verstehen, wie sie die aktuellen Marktbedingungen wahrnehmen und welche Maßnahmen sie ergreifen, um ihr Portfolio an Geschäftsbereichen erfolgreich durch diese Märkte zu navigieren. In den letzten Jahren haben wir ein immer weiter steigendes Ausmaß der sogenannten „VUCA-Faktoren“ Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität erlebt. Dies hat sich durch ganz unterschiedliche Ereignisse verdeutlicht, wie zum Beispiel die Corona-Pandemie, zunehmende globale politische Spannungen und Konflikte oder gar Kriege, zuletzt zweistellige Inflationsraten, erhöhte Zinssätze in unerwartet kurzer Zeit, Unterbrechungen oder drohende Engpässe in den Lieferketten der Unternehmen oder auch zunehmende politische Vorgaben, um die Bemühungen zur Dekarbonisierung der Weltwirtschaft zu forcieren. Unsere Studie belegt, dass die Märkte als immer unsicherer wahrgenommen werden, 55% der Befragten erwarten sogar einen weiteren VUCA-Anstieg in den kommenden fünf Jahren.

Das Spannende ist aber, dass trotz dieser Tatsache die befragten Entscheider bezüglich der erwarteten Marktattraktivität und Wachstumschancen in den nächsten fünf Jahren überwiegend positiv gestimmt bleiben: 46% der Befragten sind weiterhin optimistisch bis sehr optimistisch, weitere 46% neutral und lediglich 9% sind tendenziell pessimistisch gestimmt. Damit hat sich die eher einseitig negative Wahrnehmung von VUCA hin zu einem zweiseitigen Phänomen gewandelt: Natürlich birgt Volatilität und Unsicherheit weiterhin Risiken und kann das Überleben von Unternehmen bedrohen, es kann auf der anderen Seite aber auch einmalige Chancen bieten für transformativen Wandel und Verbesserungen der Wettbewerbsposition.

M&A Review: Welche Maßnahmen sind erforderlich, um das Portfolio an Geschäftsbereichen erfolgreich durch die derzeitigen unsicheren Märkte zu navigieren, und wie implementieren die Befragten diese?

Erik Hummitzsch: In diesem von Unsicherheit und Volatilität geprägten Marktumfeld ist es wichtig, dass Unternehmen Maßnahmen zur Anpassung des Unternehmensportfolios auf Basis einer klaren Strategie und eines institutionalisierten Ansatzes mit objektiven Kriterien und wohldefinierten Entscheidungsprozessen treffen.

Auf Basis dieser Strukturen – wir nennen es strategischer Portfoliomanagementansatz – sollte das Unternehmensportfolio dann regelmäßig auf den strategischen Fit, also wie gut es die Strategie des Unternehmens abbildet, überprüft und Optimierungsmaßnahmen definiert werden. Unsere Studie ergibt jedoch, dass nur 29% der Entscheider einen strategischen Portfoliomanagementansatz vollständig implementiert haben. Bei der Frage bezüglich der Umsetzung von definierten Maßnahmen zur Optimierung des Unternehmensportfolios gaben sogar nur 7% der Befragten an, einen als nicht dem Kerngeschäft zugehörig identifizierten Geschäftsbereich konsequent und zeitnah zu veräußern. Diese Implementierungs-schwäche ist gerade in solch dynamischen Zeiten wie aktuell fatal, da der Pulsschlag des Unternehmens dann dem Puls der Märkte hinterher hinkt – so wird man immer Trends und Marktentwicklungen reaktiv begegnen müssen und die Chance verpassen, Märkte proaktiv und transformativ zu gestalten.

M&A Review: Die Studie betont die Bedeutung von „Strategic ambidexterity“. Was bedeutet dies, und wie können Unternehmen von diesem Ansatz profitieren?

Tobias Huesmann: Strategische Ambidextrie ist die Fähigkeit, je nach Marktsituation eine optimale Balance zwischen eher bewahrenden und auf Resilienz zielenden Maßnahmen („Preserver“) auf der einen Seite und eher adaptiven und auf Transformation zielenden Maß-nahmen („Adapter“) auf der anderen Seite zu finden.

Lange Zeit waren die Märkte durch stabile Strukturen, gute Vorhersehbarkeit und konstantes Wachstum gekennzeichnet. Da ging es bei der Portfoliosteuerung in erster Linie darum, bestehende Strukturen zu bewahren und durch bessere Effizienz und stetiges Wachstum zu optimieren („Preserver“). Mit dem Wandel hin zu immer komplexeren und volatileren VUCA-Märkten hat sich dies jedoch grundlegend geändert. Es rücken Faktoren wie Flexibilität, Risikooptimierung und Schnelligkeit in den Vordergrund, um das Unternehmensportfolio fortlaufend an diese sich ständig wandelnden Marktstrukturen anpassen zu können („Adapter“). Unsere Studie belegt, dass 58% der Entscheider diesen Wandel erkannt haben und entsprechend ihren strategischen Ansatz zum „Adapter“ angepasst haben.

Der Wechsel eines strategischen Ansatzes von „Preserver“ auf „Adapter“ nimmt natürlich viel Zeit in Anspruch und ist sehr anspruchsvoll, da er die gesamte Organisation beeinflusst. Dieser Wandel wird nur gelingen, wenn Entscheider ihre Unternehmen schrittweise und mit einem langfristigen Entwicklungsplan in Richtung „Adapter“-Fähigkeiten verändern. Gleichzeitig ist der Wandel aber auch keine Schwarz-Weiß-Entscheidung und insbesondere in Krisenzeiten bleiben „Preserver“-Fähigkeiten sehr relevant, um das Kerngeschäft zu schützen. Für den Unternehmenserfolg wird es eine zentrale Rolle spielen, die richtige Balance zur richtigen Zeit zu finden sowie die Fähigkeit zu entwickeln, kurzfristige Anpassungen in kritischen Situationen vorzunehmen, ohne die langfristige Transformation hin zu „Adapter“-Fähigkeiten aus den Augen zu verlieren.

Klar ist, dass ohne ein stabiles und profitables Kerngeschäft als Basis keine Transformation gelingen wird. Andersherum wird aber ohne stete Transformation des Unternehmensportfolios das Kerngeschäft über kurz oder lang auch erodieren. Unsere Studie zeigt, dass 44% der Befragten über 20% Veränderung bezüglich der Umsatzquellen des Kerngeschäfts in den nächsten fünf Jahren erwarten. In einem solch dynamischen Marktumfeld die richtige strategische Balance, oder eben strategische Ambidextrie, zu finden, entscheidet wie erfolgreich Unternehmen diesen immensen Wandel meistern.

M&A Review: Dieses Jahr haben Sie den „PwC Corporate Portfolio Adaptation Index“ eingeführt. Was misst dieser und welche wichtigen Erkenntnisse können hierdurch gewonnen werden?

Tobias Huesmann: Der „PwC Corporate Portfolio Adaptation Index“ drückt aus, in welchem Ausmaß Entscheider Maßnahmen zur Anpassung ihres Unternehmensportfolios in den nächsten 12 Monaten planen. Für den „PwC Corporate Portfolio Adaptation Index“ sind zwei Komponenten entscheidend: die Wahrscheinlichkeit einer relevanten Portfolioanpassung in den nächsten 12 Monaten sowie der Umfang des Anpassungsbedarfs. Das Unternehmensportfolio kann dabei sowohl durch organische als auch anorganische Maßnahmen angepasst werden. Der Index zeigt in diesem Jahr einen Wert von 0,56/1,00 und verdeutlicht damit, dass in den kommenden 12 Monaten signifikante Aktivitäten und Maßnahmen zur Portfolioanpassung zu erwarten sind.

Interessant ist dabei der Fakt, dass die Entscheider in den nächsten 12 Monaten eher keine radikalen Maß-nahmen zur Portfolioanpassung planen, sondern 75,5% der Befragten selektiven Anpassungsbedarf sehen. Dies hängt natürlich zum einen mit dem längeren Planhorizont von transformativen Anpassungsmaßnahmen zusammen. Es deutet zugleich aber auch an, dass Unternehmen derzeit tendenziell eher selektiv das Kerngeschäft schützen und an die veränderten Marktbedingungen anpassen. Gleichzeitig planen sie transformative Maßnahmen und setzen diese um, sobald die Märkte günstige Gelegenheiten bieten und ein gesundes Kerngeschäft eine stabile Absprungbasis erlaubt.

M&A Review: Was sind, basierend auf den Ergebnissen der Studie, Ihre Empfehlungen, um erfolgreich in diesem Marktumfeld zu bestehen?

Erik Hummitzsch: Entscheider müssen noch mehr in Strukturen, Prozesse und auch Technologie investieren, um in hochkomplexen Marktstrukturen ein oftmals globales Portfolio an Geschäftsbereichen bewusst und zielgerichtet steuern zu können. Derzeit wird noch zu viel erratisch und reaktiv gehandelt und damit viel Potenzial verschenkt. Auch machen Unternehmen dabei noch zu wenig von den technischen Möglichkeiten wie zum Beispiel AI Gebrauch, um schier unendliche Datenpunkte für überlegte Portfolioentscheidungen nutzbar zu machen.

Zusätzlich wird es darauf ankommen, die richtige Kombination aus organischen und anorganischen Maßnahmen zu finden. Unsere Studie zeigt, dass Ent-cheider noch immer zu wenig die Vorteile anorganischer Maßnahmen wie Akquisitionen oder Carve-outs nutzen, obwohl diese in puncto Geschwindigkeit und Wirkungsgrad gegenüber organischen Maßnahmen eindeutige Vorteile bieten.

Zu guter Letzt gilt es, ein unvermeidbares Restmaß an Unsicherheit zu akzeptieren und eine zeitgemäßere Risikotoleranz zu entwickeln. Abschließende Sicherheit wird es in VUCA-Märkten nicht geben, und es kommt eher darauf an, mutig und schnell Entscheidungen zu treffen, um sowohl Risiken zu vereiteln wie auch sich ergebende Chancen zu nutzen. Mit dieser Einstellung kann man Märkte proaktiv gestalten und bleibt flexibel genug, um auf kurzfristige Marktänderungen beherzt reagieren zu können.

M&A Review: Vielen Dank für das gute Gespräch. 

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