06.06.2024 | Marcel Meyer

„Ohne Hafenlogistik keine Energiewende, ohne Binnenschifffahrt kein nachhaltiger Transport. Wir sind nicht nur Teil der Transformation, sondern aktive Gestalter“

Die Logistikbranche steht an einem Wendepunkt. Um der Rolle als Enabler der Energiewende sowie Gestalter des klimaneutralen Transports gerecht zu werden, ist eine nachhaltige Transformation notwendig. Im Interview spricht Marcel Meyer, CFO Rhenus Port Logistics, über den Status quo und die Zukunftsperspektiven der Hafenlogistik in den Bereichen Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Globalisierung.

Industry Special

Interview mit Marcel Meyer, Rhenus Port Logistics

M&A Review: Herr Meyer, die globale Transport- und Logistikbranche steht an einem Wendepunkt. Die Zahlen des vergangenen Jahres zeigen deutlich, dass Fusionen und Übernahmen rückläufig waren. Wie ordnen Sie das ein? Und welche Entwicklungen zeichnen sich für dieses Jahr für den M&A-Markt ab?

Marcel Meyer: Im vergangenen Jahr haben wir flächendeckend, sprich global und branchenübergreifend, einen Rückgang im Transaktionsvolumen gesehen, was sich vor allem anhand steigender Zinssätze, der andauernden Inflation und geopolitischen Unruhen begründen lässt. Letztere sind für die Logistikbranche besonders einschneidend, da sie direkten Einfluss auf das Geschäftsmodell der Unternehmen haben. So hatte etwa die Situation im Roten Meer direkt zu Beginn des Jahres unmittelbare Konsequenzen für das Luft- und Seefrachtgeschäft im Sinne von längeren Transitzeiten, geringeren Kapazitäten und erhöhten Frachtraten. Unser Marktumfeld ist sehr volatil, wirkliche Vorhersagen lassen sich daher für dieses Jahr nur schwer treffen.

Allgemein lässt sich aber natürlich sagen, dass wir eine Beruhigung am Markt und eine drehende Zinssituation vernehmen, was sich entsprechend positiv auf Kaufaktivitäten auswirken kann.

M&A Review: Trotz der schwierigen Marktsituation hat die Rhenus Gruppe allerdings einige, darunter mit den Zukäufen der Blu Logistics sowie der LBH-Gruppe auch sehr große, Akquisitionen durchgeführt. War der Zeitpunkt dann doch gut?

Marcel Meyer: Als Familienunternehmen haben wir den Luxus, strategische Investitionsentscheidungen mit einer gewissen Langfristigkeit zu verfolgen. Die Übernahmen von Blu Logistics sowie der LBH-Gruppe betten sich in eine übergeordnete Wachstumsstrategie ein, um die Präsenz in Lateinamerika sowie globale Handelsrouten weiter zu stärken und gleichzeitig das Dienstleistungsportfolio sinnvoll zu ergänzen. Zudem weisen beide Unternehmen eine unfassbar gute Passfähigkeit hinsichtlich der Unternehmenskultur auf – mit der LBH-Gruppe verbindet uns eine jahrelange Partnerschaft. Der Zeitpunkt war daher richtig – trotz des erschwerten Umfelds.

M&A Review: Experten sprechen verstärkt von einem wahrnehmbaren Trend zur Deglobalisierung. Dem stehen Ihre Akquisitionen allerdings eindeutig gegenüber. Wie stehen Sie dazu?

Marcel Meyer: Als Logistikanbieter verfolgen wir den ganz übergeordneten, sehr plakativen Unternehmens-zweck: zu verbinden – Länder, Kontinente und Menschen –, um so eine hohe Lebensqualität sowie Transformation, die es in vielen Bereichen dringend braucht, zu ermöglichen. Globalisierung ist daher eine sehr bewusste Entscheidung von uns und Teil unserer Wachstumsstrategie, die in geeigneten Regionen auch Nearshoring vorsieht.

Rein ökonomisch betrachtet können wir auch nur durch Globalisierung Wachstum erreichen. Nehmen wir die Binnenschifffahrt als Beispiel. Hierin liegen die Wurzeln der Rhenus. Über Jahrzehnte konnten wir uns eine hohe Kompetenz und ein umfangreiches Leistungsportfolio in Europa aufbauen. Diese aufgebaute Kompetenz in der Binnenschifffahrt gilt es weiter zu internationalisieren. Auf den europäischen Wasserstraßen sind unsere Wachstumsmöglichkeiten nur noch sehr begrenzt und das Potenzial gedeckelt. Für uns bedeutet das, auch außerhalb bestehender Kernmärkte auf bestehende Infrastrukturen aufzubauen, um weiteres Wachstum zu ermöglichen. Das geht mit organischem Wachstum, in unserem investitionsintensiven Geschäftsmodell vor allem aber durch M&A-Aktivitäten.

M&A Review: Welche Relevanz spielt Nachhaltigkeit für Sie bei Investitionsentscheidungen? Ist das ein wesentlicher Treiber?

Marcel Meyer: Nachhaltigkeit spielt eine große Rolle. Zum einen natürlich begründet durch die Entwicklungen der Finanzmärkte, die steigende Orientierung an nachhaltigen Kriterien bei der Finanzierung oder die Zunahme an Regularien. Zum anderen folgen wir als Familienunternehmen dem ganz übergeordneten Ziel, eine bestmögliche Zukunft für nachhaltige Generationen zu schaffen. Wollen wir eine CO2-neutrale Gesellschaft werden? Dann können wir das nicht ohne die Transport- und Logistikbranche schaffen, die jährlich Milliarden Tonnen Fracht transportiert und einen immensen CO2-Fußabdruck besitzt. Eine Reduktion dessen können wir hingegen nicht schaffen, ohne das Binnenschiff als das nachhaltigste Transportmedium mitzudenken. Der Binnenschifffahrt sowie der Hafenlogistik insgesamt kommt auch eine erhebliche Rolle in der Gestaltung und Ermöglichung der Energiewende zu – Stichpunkt Offshore- und Onshore-Windkraft sowie Umstieg auf alternative Antriebsstoffe. Ohne Häfen gibt es keine regenerative Energieerzeugung und ohne Binnenschifffahrt keinen nachhaltigen Transport. Auf die Ausgestaltung dieser Rolle und die damit einhergehenden wachsenden Nachfragen und Anforderungen müssen wir vorbereitet sein und Investitionsentscheidungen entsprechend jetzt schon darauf ausrichten. Zusammengefasst: Unsere Branche wird in zehn Jahren nicht mehr die gleiche sein. Wir müssen diese Transformation jetzt aktiv gestalten.

M&A Review: Zählen zu dieser Transformation auch Investitionen in die Digitalisierung?

Marcel Meyer: Selbstverständlich. Gerade in der Hafenlogistik stehen wir hier als gesamte Branche allerdings noch sehr weit am Anfang. Aufgrund des zum Teil heterogenen Geschäftsmodells sind noch zu wenige Prozesse digitalisiert – sehr viele Daten, beispielsweise über Umschläge, werden nicht erfasst, Wissen geht uns dabei verloren. Indem wir digitale Twins aller Prozesse entwickeln und so eine erhöhte Transparenz herstellen können, werden wir einen enormen Effizienzgewinn feststellen.

M&A Review: Das heißt, es geht gar nicht um die ganz großen bahnbrechenden Innovationen?

Marcel Meyer: Doch, um die geht es auch, allerdings erst in einem zweiten Schritt. Im ersten Schritt müssen wir wichtige Grundlagenarbeiten durchführen, sprich Prozesse digitalisieren. Im zweiten Schritt geht es dann um die wirklichen Innovationen. Beide Schritte laufen jedoch nicht hintereinander, sondern parallel zueinander ab. Und sowohl die Digitalisierung als auch technische Innovationen stellen für uns wichtige Investitionsschwerpunkte dar.

M&A Review: Was wären Beispiele für solche technischen Innovationen? Gibt es im Bereich der Hafenlogistik einen Megatrend?

Marcel Meyer: Ein plakatives Beispiel ist das ferngesteuerte Binnenschiff, das ohne Kapitän fahren und aus der entfernten Zentrale gesteuert werden kann. Das mag im ersten Moment nach Science Fiction klingen, wird in der Praxis allerdings schon umgesetzt. Autonomes Fahren kann insgesamt auch zu einem echten Game Changer werden. Wenn wir über das Binnenschiff hinaus gehen, können auch Kräne zukünftig autonom gesteuert werden. Beim Containerumschlag ist dies schon Realität, im Massengutumschlag ist das noch deutlich weiter weg. Die Vision wäre, einen autonomen Umschlag auf allen Ebenen und für alle Gütermengen zu realisieren. So wirken wir einerseits dem Fachkräftemangel entgegen und schaffen andererseits neue und attraktive Jobprofile für unsere Mitarbeitenden. Darüber hinaus erhöhen wir die Arbeitssicherheit an unseren Häfen.

M&A Review: Das klingt nach einer größeren Transformation, allerdings in allen im Gespräch angeschnittenen Bereichen. Können Sie diese angesprochenen Trends, sprich Dekarbonisierung, Digitalisierung und (De)Globalisierung, untereinander priorisieren? Oder sind diese alle gleichbedeutend auf Ihrer Agenda?

Marcel Meyer: Ich tue mich etwas schwer damit, diese als Trends zu bezeichnen. Denn der Begriff „Trend“ beschreibt ja eine zu beobachtende Entwicklung und sichtbare sowie messbare Tendenz. Digitalisierung, Dekarbonisierung und Globalisierung beschreiben allerdings schon längst mehr als nur Entwicklungen, sondern gehen mittlerweile mit einer gewissen Statik einher und stellen wesentliche Voraussetzungen dar, die Unternehmen schlicht erfüllen müssen, um zukunftsfähig zu sein.

Ich sehe Digitalisierung, Dekarbonisierung und auch Globalisierung als drei Kernbereiche der Transformation an, die sich zwar gegenseitig beflügeln können, aber für sich stehen. Aufgrund der Diversität der Felder tue ich mich auch schwer damit, diese zu priorisieren. Um – auch langfristig – wettbewerbsfähig zu sein, müssen wir allen gerecht werden und schon jetzt entsprechende Investitionsentscheidungen treffen. Im Bereich Globalisierung liegen dabei allerdings schon ganz andere Erfahrungswerte zugrunde. In ein neues Land und neue Märkte zu gehen ist, auch wenn es länderspezifische Unterschiede gibt, ein Stück weit gelernt. Investitionen in technologische Innovationen und insbesondere in den Bereich Nachhaltigkeit hingegen noch nicht. Aufgrund der Schnelllebigkeit müssen wir sehr agil handeln und im Finance-Bereich eine gewisse „Trial and Error“-Kultur etablieren. Es lässt sich auch schwer voraussagen, wann sich aus Investitionen in Nachhaltigkeit ein wirklicher Effizienzgewinn ableiten lässt. Dennoch müssen wir es vorantreiben: Dekarbonisierung und Digitalisierung, genauso wie Globalisierung.

M&A Review: Abschließend die Frage: Wenn Sie ein Kriterium nennen könnten, welches Investitionsentscheidungen am meisten prägen wird, welches wäre das?

Marcel Meyer: Langfristigkeit. Begründet durch die Herausforderungen, vor denen wir als Gesellschaft stehen – jedes Unternehmen muss einen langfristig wertschöpfenden Beitrag leisten und ich als CFO muss dafür Sorge tragen, dass die Investitionsentscheidung, die ich heute treffe, auch vereinbar mit geltenden Klimazielen ist oder mit verschärften Regularien, die ich zu dem Zeitpunkt vielleicht noch gar nicht kenne. Im Bereich der Hafenlogistik ist das umso entscheidender: Wenn wir in Hafenumschlag und -transport investieren, rechnen wir mit Laufzeiten von 30 Jahren oder mehr. Kurzfristigkeit können wir uns daher getrieben durch unsere Branche selbst sowie aufgrund entsprechender Entwicklungen des Umfelds nicht erlauben.

Auch wäre das nicht vereinbar mit dem Anspruch, den wir als Familienunternehmen haben, nämlich in Generationen zu denken. Das haben wir in unserer über 110-jährigen Unternehmensgeschichte gelernt. Wer, wenn nicht wir, die Häfen seit mehr als 100 Jahren betreiben, können nachhaltige Investitionsentscheidungen treffen? Wir sind bereit, die Transformation aktiv zu gestalten!

Autor
Marcel Meyer

Marcel Meyer ist CFO und Managing Director der Rhenus Port Logistics. In seiner Rolle verantwortet er die Bereiche Finance, Controlling und HR der Rhenus Port Logistics und ist Co-Verantwortlicher für das globale Agenturgeschäft der Rhenus. Seit 2018 ist er in verschiedenen Funktionen im Unternehmen tätig – auf Gruppenebene leitete er unter anderem das Controlling und baute die M&A-Abteilung auf. Vor dem Wechsel ins Familienunternehmen war Marcel Meyer bei Deloitte Consulting und RWE tätig.

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