10.11.2023 | Dr. Stefan Widder

Transformation durch Carve-outs im Automotive-Bereich: Treiber und rechtliche Besonderheiten

Seit einigen Jahren sind im Markt verstärkt Carve-out-Aktivitäten zu beobachten. Das gilt nicht nur, aber gerade auch für den Automotive-Bereich. Warum ist das so, und was sind die rechtlichen Besonderheiten?

Industry Special

1. Einleitung

Seit einigen Jahren sind im Markt verstärkt Carve-out-Aktivitäten zu beobachten. Das gilt nicht nur, aber gerade auch für den Automotive-Bereich. Warum ist das so, und was sind die rechtlichen Besonderheiten?

2. Wesentliche Treiber

Sich stetig verschärfende Umweltauflagen, die Abkehr vom Verbrennungsmotor hin zur E-Mobilität, Digitalisierung und Zukunftstechnologien wie Advanced Driver Assistance Systems (ADAS) bis hin zum autonomen Fahren erzeugen im Automotive-Bereich einen kontinuierlichen Transformationsdruck. Hinzu kommen disruptive Effekte wie die noch immer nachwirkende COVID-19-Pandemie und der andauernde Krieg gegen die Ukraine, die zu Unterbrechungen in den Lieferketten geführt haben, gerade bei wichtigen Vorprodukten wie Micro-Chips. Anpassungen des Unternehmenszuschnitts durch eine Herauslösung von Non-Core-Bereichen sind oft eine naheliegende Antwort auf diese Herausforderungen. Ein sogenannter Carve-out kann auch Voraussetzung sein, um im Kerngeschäft am Markt weiter erfolgreich zu sein und die nötigen Investitionen in die genannten Zukunftstechnologien überhaupt stemmen zu können.

3. Definition Carve-out

Unter einem Carve-out versteht man die Herauslösung eines Teils eines Unternehmens oder Betriebs aus einem größeren, verbleibenden (Rest-)Unternehmen mit dem Ziel, den herausgelösten Unternehmensteil zu veräußern, an die Börse zu bringen oder Gegenstand einer sonstigen strategischen Transaktion zu machen, etwa durch Einbringung in ein Joint Venture. Beispiele aus dem Automotive-Bereich sind die Nutzfahrzeugsparten verschiedener OEMs, die teils an die Börse gebracht oder sonst separat aufgestellt worden sind. Veräußert also zum Beispiel ein Konzern eine von mehreren Tochtergesellschaften, ist dies im Grundsatz ein Carve-out. Das klingt im Ausgangspunkt weder besonders spannend noch komplex und muss es auch nicht sein, wenn der herauszulösende Unternehmensteil tatsächlich bereits separat geführt und in einer eigenen Konzerngesellschaft gebündelt ist.

4. Besonderheiten eines Carve-outs

Typischerweise werden Unternehmensteile in einem Konzern aber nicht komplett autark geführt. Denn es ist effizienter, Funktionen, die von mehreren Konzernunternehmen benötigt werden, an einer Stelle zusammenzufassen und zentral zu führen. Klassisches Beispiel ist die HR-Abteilung. Soll nun ein Unternehmensteil, der keine eigene HR-Abteilung hat, aus der Gruppe herausgelöst und veräußert werden, müssen die HR-Funktionen übergangsweise weitergeführt werden, bis der herausgelöste Unternehmensteil eine eigene HR-Abteilung aufgebaut hat. Ebenso gibt es typischerweise konzernübergreifende IT-Strukturen, die zumindest vorübergehend weiter zur Verfügung gestellt werden müssen. Diese Überbrückungsleistungen durch den Veräußerer im Wege sogenannter Transitional Services Agreements (TSAs) sind eines der typischen Carve-out-Themen. Dabei gilt: Je größer die Konzerneinbindung des herauszulösenden Unternehmensteils, desto komplexer der Carve-out.

Unternehmen aus dem Automotive-Bereich bilden hier keine Ausnahme, sondern zeichnen sich oft durch besonders intensive gruppenübergreifende Verflechtungen aus. Ein spezifisch Zulieferer betreffendes Thema sind sogenannte Zertifizierungen, die oftmals Voraussetzung für die Belieferung von OEMs sind. Ist ein Carve-out geplant, sollte man frühzeitig klären, ob der herauszulösende Unternehmensteil solche Zertifizierungen benötigt und, wenn ja, ob sie nach dem Carve-out erhalten bleiben. Denn Neu-Zertifizierungen sind regelmäßig zeitaufwendig.

Häufig ist der herauszulösende Unternehmensteil auch in die Konzerninnenfinanzierung eingebunden, beispielsweise über Cash Pools oder, zwecks Herstellung einer steuerlichen Organschaft, über Gewinnabführungsverträge. Diese Verbindungen müssen im Zuge eines Carve-outs gekappt werden, was gerade bei Gewinnabführungsverträgen im Kaufvertrag komplexe Regelungen erfordert, insbesondere um die Effekte der Gewinnabführung auf den Kaufpreis zu neutralisieren.

Ist der herauszulösende Unternehmensteil international tätig, wird er auch nicht in nur einer, sondern in mehreren Konzerngesellschaften in verschiedenen Ländern organisiert sein, die jeweils unter Beachtung örtlichen Rechts herausgelöst und übertragen werden müssen. Jedenfalls größere Carve-outs sind also meist grenzüberschreitend mit den daraus folgenden Herausforderungen.

Schließlich ist der herauszulösende Unternehmensteil oft nicht in einer eigenständigen Konzerngesellschaft isoliert, sondern über verschiedene Konzerngesellschaften verstreut, deren Betrieb nur teilweise zum herauszulösenden Unternehmensteil gehört. Diese Konzerngesellschaften aufzuspalten, ist aufwendig und kann Nachhaftungsthemen auslösen. Häufig müssen dann auch Vermögensgegenstände einzeln übertragen werden, was zum Beispiel bei Verträgen meist die Zustimmung der Vertragspartner erfordert. Sind Arbeitnehmer betroffen, können sie ihrer Zuordnung zu dem herauszulösenden Unternehmensteil in der Regel zumindest widersprechen, und Verhandlungen mit Arbeitnehmervertretungen können angezeigt sein.

Dies sind nicht alle, aber doch einige wesentliche Besonderheiten, die man bei Carve-outs im Blick behalten muss. Schon sie verdeutlichen aber eines: Carve-outs sind typischerweise komplex, zeitaufwendig und kostspielig.

5. Pre-Packed oder Closing Synchronized?

Aus dem Zeit- und Kostenaufwand, der mit einem Carve-out verbunden ist, beantwortet sich auch die Frage, ob der Carve-out bereits durchgeführt wird, bevor der dann vom Rest der Gruppe separierte Unternehmensteil zum Verkauf gestellt wird (Pre-Packed Carve-out), oder ob der Carve-out erst nach Unterzeichnung eines Kaufvertrags und bis zu dessen Vollzug implementiert wird (Closing Synchronized Carve-out). Verkäufer bevorzugen gerne letzteres, weil sie den Carve-out-Aufwand nur dann betreiben wollen, wenn sie sicher sind, dass sie auch einen Abnehmer für den relevanten Unternehmensteil haben.

Für den Käufer ist das nicht ohne Risiko, weil dann vor Vollzug des Kaufvertrags nie getestet worden ist, ob der herauszulösende Unternehmensteil tatsächlich wie vorgesehen allein betrieben werden kann. Was diese sogenannte Stand Alone Operability angeht, wird sich der Käufer stark auf das Management verlassen, das schon bislang den besagten Unternehmensteil geführt hat, in der Regel mit auf den Käufer übergeht und daher ein eigenes Interesse daran hat, dass alle erforderlichen Betriebsmittel, Vermögensgegenstände und so weiter nach Vollzug vorhanden sind.

Ein weiterer Nachteil eines solchen nachgelagerten, erst nach Kaufvertragsunterzeichnung durchgeführten Carve-outs ist, dass es auch keine „richtigen“ separaten und geprüften Abschlüsse gibt und der Käufer nur aus Pro-Forma-Abschlüssen die erwartete Finanzlage des herauszulösenden Unternehmensteils ablesen kann. Ob die tatsächliche mit der sich aus solchen Pro-Forma-Abschlüssen ergebenden Finanzlage übereinstimmt, zeigt sich dann erst nach Vollzug des Kaufvertrags und nach Übergang des relevanten Unternehmensteils auf den Käufer.

6. Fazit: Lohnt sich das Ganze?

Diese Komplexitäten zeigen, dass ein Carve-out nicht leichtfertig beschlossen werden sollte. Natürlich gibt es neben den schon genannten Automotive-spezifischen Treibern weitere gute Gründe, die für einen Carve-out sprechen können. So bestraft der Kapitalmarkt diversifizierte Konglomerate und belohnt umgekehrt konzentrierte Unternehmen mit einer höheren Bewertung. Viele Unternehmen sehen sich daher auch von aktivistischen Aktionären getrieben, nur komplementäre Unternehmensbereiche abzustoßen. Spiegelbildlich ergibt sich hieraus auch die Attraktivität herausgelöster Unternehmensaktivitäten aus Sicht von Käufern und Investoren: Unternehmensteile, die in ihrer vorherigen Unternehmensgruppe eher ein Schattendasein gefristet haben, können, von ihrem bisherigen Konzernballast befreit, allein besser und profitabler geführt werden und werden entsprechend höher bewertet.

Es gibt aber auch allgemeinere Trends, die Carve-out-Aktivitäten fördern. So haben die gerade auch wegen des Kriegs gegen die Ukraine enorm gestiegenen Energiepreise viele Unternehmen veranlasst, energieintensive Unternehmensbereiche zu veräußern, die nicht zum Kerngeschäft gehören. Jenseits rein betriebswirtschaftlicher Zwänge entspricht dies aber auch dem gesellschaftlichen Willen hin zu einer nachhaltigeren Energiewirtschaft und ist damit Ausfluss des Anspruchs, dass Unternehmen sozialverantwortlich geführt werden (Stichwort: ESG oder „Environment, Social, Government“). Auch aus ESG-Gesichtspunkten sahen oder sehen sich deshalb viele Unternehmen veranlasst, beispielsweise ihre Russland-Aktivitäten auf den Prüfstand zu stellen. Eine klassische Carve-out-Transaktion mit einer Veräußerung des herausgelösten Unternehmensteils kann hier freilich schwierig sein. Zum einen gilt es, durch die immer engmaschigeren Sanktionen und russischen Gegensanktionen sicher zu navigieren. Zum anderen muss sich überhaupt erst einmal ein Erwerber finden, zumal der Kreis potenzieller Käufer aufgrund der vorgenannten Sanktionen und weiterer russischer Regularien beschränkt ist und praktisch oft nur russische Interessenten in Betracht kommen, die wiederum nicht auf einer der einschlägigen Sanktionslisten geführt sein dürfen.

Auch sonst kann gerade im Automotive-Bereich die Suche nach einem Käufer für den herausgelösten Unternehmensteil schwierig sein, wenn es um einen ESG-problematischen Bereich oder jedenfalls um ein technologisches Auslaufmodell geht. Andererseits wird der klassische Verbrennungsmotor nicht über Nacht verschwinden. Eine sogenannte „Last Man Standing“-Strategie, den Markt zu konsolidieren und dann als führender Anbieter die – wenn auch mit der Zeit sinkende – Nachfrage zu bedienen, kann also für manche Investoren interessant bleiben.

Dr. Stefan Widder
Autor
Dr. Stefan Widder

Dr. Stefan Widder ist Corporate Partner bei Latham & Watkins in Hamburg und Experte für komplexe M&A- und Private-Equity-Transaktionen. Stefan Widder verfügt über langjährige Erfahrung in der Beratung von strategischen und Finanzinvestoren zu allen Aspekten von deutschen und grenzüberschreitenden M&A-Transaktionen, einschließlich Leveraged Buy-Outs, Auktionen, exklusiven Transaktionen, Carve-outs, Joint Ventures, Minderheitsbeteiligungen und Distressed M&A.

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