01.06.2022 | Dr. Nikolaus von Jacobs

W&I-Versicherungen bei M&A-Transaktionen: Stapled Insurance

Wurden Warranty & Indemnity-Versicherungen früher noch nicht umfassend verwendet, sind sie heute in einer überwiegenden Zahl der Transaktionen anzutreffen. Als Stapled Insurance vom Verkäufer vorbereitet in den Prozess gebracht, etabliert sich eine weitere Spielart, deren Besonderheiten Dr. Nikolaus von Jacobs in seinem Beitrag betrachtet.

Special Topic

1. Einleitung

Vorausschauendes Risikomanagement ist gerade in unsicheren Zeiten besonders wichtig. Der Transaktionsmarkt ist in den vergangenen Jahren einerseits zu neuen Höhen aufgelaufen. Andererseits haben sich die Akteure nicht zuletzt aufgrund von weltumspannenden Krisen vermehrt abgesichert. Wurden Warranty & Indemnity (W&I)-Versicherungen früher noch nicht umfassend verwendet, sind sie heute in einer überwiegenden Zahl der Transaktionen anzutreffen. Als Stapled Insurance vom Verkäufer vorbereitet in den Prozess gebracht, etabliert sich eine weitere Spielart.

2. W&I-Versicherung in der Transaktionspraxis

Gewährleistungs- und Freistellungsversicherungen, bekannt als W&I-Insurances, schützen Käufer und Verkäufer vor den Haftungsrisiken aus Unternehmenstransaktionen. In der Mehrzahl der Fälle ist es ihr Zweck, den Käufer für den Fall abzusichern, dass sich die im Kaufvertrag vom Verkäufer über die gegebenen Garantien (Warranties) und Freistellungen (Indemnities) abgedeckten Risiken realisieren. Die Versicherung steht dann vollständig oder teilweise für das realisierte Risiko ein. Kombiniert werden W&I-Versicherungen häufig mit einer Tax-Liability-Versicherung, die die Steuerrisiken der M&A- oder Private-Equity-Transaktion in den Blick nimmt.

W&I-Versicherungen sind nicht neu, sondern seit vielen Jahren in der M&A-Transaktionspraxis bekannt. Die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden wirtschaftlichen Unwägbarkeiten haben die Nachfrage nach W&I-Versicherungen aber nochmals deutlich ansteigen lassen. Einer Markterhebung zufolge mussten einige Versicherer im vierten Quartal 2021 ihre Bücher für das laufende Jahr schließen1.

Darüber hinaus hat auch der Wandel vom Käufer- zum Verkäufermarkt der W&I-Versicherung zu neuen Höhen verholfen. Je schwieriger es sich für Investoren gestaltet, den Zuschlag für eine attraktive Zielgesellschaft zu erhalten, desto weniger erpicht sind sie darauf, ihre Chancen durch die Forderung nach einer Haftung des Verkäufers womöglich zusätzlich zu schmälern. Dies gilt vor allem in Auktionsverfahren.

Verkäufer machen sich dies zunutze und sind vermehrt dazu übergegangen, eine eigene Haftung für Garantien aus ihren Erstentwürfen des Unternehmenskaufvertrags (Sale and Purchase Agreement, SPA) auszuklammern und stattdessen auf die Absicherung über eine Versicherung zu verweisen. Ausgestaltet wird die Versicherung grundsätzlich als Käufer-Police, in der sich der Versicherer gegenüber dem Käufer verpflichtet, für die Garantien und Freistellungen des Verkäufers aus dem SPA einzustehen.

3. Sonderfall Stapled Insurance

Da es nicht nur im Interesse des Verkäufers liegt, dass der Käufer die W&I-Versicherung abschließt, sondern er auch an einem möglichst zügigen und effizienten Prozess interessiert ist, bereitet er im Rahmen eines Auktionsverfahrens nicht selten bereits die W&I-Versicherungslösung vor. Man spricht bei dieser Form der Transaktionsversicherung dann häufig von einer „Stapled Insurance“ und unterscheidet zwischen einem Soft Stapling und einem Hard Stapling.

4. Soft Stapling

Beim Soft Stapling übernimmt der Verkäufer mit Hilfe eines Versicherungsbrokers die Einholung von Angeboten und die Auswahl einer Gruppe von attraktiven Indikationen, die er dem Käufer zur Auswahl stellt. Der Käufer hat dann die Wahl, mit einem der vom Verkäufer vorgeschlagenen Versicherer zusammenzuarbeiten oder mit einem anderen, von ihm favorisierten.

Die Soft-Stapled-Insurance ist dadurch gekennzeichnet, dass der Verkäufer den potenziellen Käufern mit einem Broker abgestimmte unverbindliche Angebote zum Abschluss einer W&I-Versicherung unterbreitet. Der Broker prüft dazu zunächst das Muster-SPA des Verkäufers und holt auf dieser Basis Angebote von Versicherern ein. Zu den eingegangenen Angeboten erstellt er eine Zusammenfassung (sog. Non-Binding-Indications (NBI)-Report), die die oder der relevante Bieter im Datenraum einsehen können/kann.

Der NBI-Report legt – für das frühe Stadium und angesichts begrenzter Informationen – relativ detailliert für die verschiedenen Versicherer unter anderem dar:

• Höhe der Police (Deckungssumme)
• De-Minimis
• Eintrittsschwelle (First Loss Piece)
• Prämie
• Rechtskosten
• Anforderungen an die Käufer-Due-Diligence
• akzeptiertes Haftungsregime sowie
• eine konkrete Stellungnahme, welche Garantien des Verkäuferentwurfs voraussichtlich (in Abhängigkeit von späterer Käufer-Due-Diligence etc.) gegebenenfalls mit welchen Qualifizierungen versichert werden können beziehungsweise welche Versicherungsausschlüsse es geben wird

Die Prämien haben sich über die vergangenen Jahre bei zwischen 0,7% und 1,5% der Deckungssumme eingependelt, mindestens jedoch circa 60.000 bis 75.000 EUR.

Der Käufer kann sich bei diesem Vorgehen jedenfalls nicht darauf berufen, dass es Probleme mit einer Versicherungslösung gibt. Er übernimmt zu gegebener Zeit im Prozess die Kommunikation mit dem Broker und wählt eine der Versicherungen (oder eine andere von ihm favorisierte) aus, mit der er dann den üblichen Underwriting-Prozess aufnimmt.

5. Underwriting-Prozess

Im Underwriting-Prozess geht es dem Versicherer darum, dass der Versicherer das Geschäft und die Verhandlungen zwischen Käufer und Verkäufer nachvollziehen kann. Zu diesem Zweck wird er insbesondere zu sehen verlangen:

• das SPA einschließlich aller Anlagen, namentlich
Offenlegungen,
• Zugang zu Datenräumen einschließlich Index,
• jegliche Due-Diligence-Reports seitens des Käufers und, sofern vorhanden, des Verkäufers,
• den letzten geprüften Jahresabschluss der Zielgesellschaft sowie
• das Information Memorandum, die Management-Präsentation und sonstige vom Verkäufer im Rahmen des Verkaufsprozesses erstellten Dokumente und Informationen.

Klimax dieses Prozesses bildet der Underwriting Call zwischen Käufer, Versicherer und beteiligten Beratern, in dem es vor allen Dingen um Folgendes geht:

• die Weise, in der sich der Verkaufsprozess gestaltet hat.
• die Art und Güte der Informationsoffenlegung durch den Verkäufer,
• die Herangehensweise des Käufers an die Due Diligence, auch bezogen auf die unterschiedlichen Berater und der Reichweite ihres Mandats,
• die relative Stärke der Verhandlungsposition der beiden Parteien und wie sich das auf das finale SPA ausgewirkt hat und
• etwaige verbleibende bekannte Bedenken oder identifizierte Themen, die im Rahmen des Underwriting-Prozesses auf Seiten des Versicherers noch offen sind.

Dieser Prozess dauert in der Regel mindesten drei bis fünf Tage, wobei sicherheitshalber sieben Tage einkalkuliert werden sollten, um ggf. offene Fragen zu klären und dem Versicherer wo erforderlich durch Erläuterungen und Informationen Komfort zu geben.

6. Entwicklung der Stapled Insurance über die Jahre

Die Stapled Insurance ist in den vergangenen Jahren immer häufiger zum Einsatz gekommen. Bei Auktionsverfahren erwarten insbesondere verkaufende Finanzinvestoren, aber auch entsprechend gut beratene Mittelständler auf Verkäuferseite den Abschluss einer W&I-Versicherung. Umgekehrt überrascht ein solches Ansinnen einen kaufenden Private-Equity-Investor nicht. Das Instrument ist ein die Transaktionssicherheit sicherstellendes und die Prozessgeschwindigkeit beschleunigendes und daher favorisiertes Instrument.

7. Auswirkungen auf den Kaufvertrag

Wie im Verkaufsprozess üblich, wird der Entwurf des Kaufvertrages typischerweise zum Ende der Due Diligence zur Verfügung gestellt.

Über den Unternehmenskaufvertrag und die Käufer-Police verhandeln die Parteien parallel zum Underwriting-Prozess. Ändert sich etwas mit Blick auf die Garantien im Unternehmenskaufvertrag, wird auch die Versicherungspolice entsprechend im Rahmen des Underwriting-Prozesses mit dem Versicherer (möglichst) angepasst.

Änderungen erfährt der Kaufvertrag im Rahmen einer Stapled Insurance insbesondere durch Einfügung einer W&I-Insurance-Klausel. Danach verpflichtet sich der Käufer, eine marktübliche W&I-Police abzuschließen, wobei die abgeschlossene Police typischerweise als Anlage vorgesehen wird. Die Klausel sieht, soweit die Versicherungslösung greifen soll, insbesondere eine Haftungsbeschränkung des Verkäufers auf einen Betrag von 1 EUR für die Garantien und Freistellungen vor, unabhängig davon, ob nun die Police wirksam abgeschlossen wurde oder nicht, ob der Versicherer im Fall einer Risikorealisierung zahlt oder nicht et cetera. Regressansprüche werden ausgeschlossen.

Ein weiteres grundsätzliches Thema, das über das Erstarken von W&I-Versicherungslösungen in der Praxis eine stärkere Rolle spielt als zuvor, ist die Frage nach einer Haftung des Verkäufers für „Angaben ins Blaue hinein“ bei Garantien, die er ohne weitere Nachprüfung abgibt. Die Rechtsprechung hat bei Nichtzutreffen solcher Garantien eine vorsätzliche Haftung des Verkäufers etabliert, die dazu führt, dass eine Haftungsbegrenzung nicht greift. Dies ist bei Vorliegen einer W&I-Versicherung insofern relevant, als dass der vereinbarte Haftungsdeckel nicht greifen würde und der Verkäufer sich einer Haftung nicht entledigen kann, er also trotz der vorgesehenen Versicherung haftet. In der Praxis führt das dazu, dass die Garantiekataloge trotz der Versicherungslösung sehr feinmaschig vom Verkäufer dahingehend zu würdigen sind, ob er diese bewusst und unter Anwendung der gebotenen Sorgfalt abgeben kann.

Insgesamt verlagert die Versicherungslösung etwaige Risikorealisierungen auf die Versicherung, weshalb einerseits Verhandlungssackgassen (Dead Locks) bei der Verhandlung des Haftungsregimes vermieden werden können und das SPA insgesamt zügiger verhandelt werden kann. Andererseits entfällt auch die Notwendigkeit von Sicherheiten (Escrows).

8. Hard Stapling

Im Unterschied zum Soft Stapling gibt der Verkäufer beim Hard Stapling konkret einen Versicherer vor.

Diese Variante kommt dann zur Anwendung, wenn ein hoch kompetitiver Prozess zu erwarten ist und der Verkäufer über eine starke Verhandlungsposition verfügt. In diesem Fall startet der Versicherer den Underwriting-Prozess auf der Verkäuferseite auf Basis hinreichend gründlicher Vendor-Due-Diligence-Reports, Zugang zum Datenraum, Underwriting Calls auf der Verkäuferseite und Verhandlung der Police mit dem Verkäufer.

Der Undedrwriting Call dient dazu, dem Versicherer ein Verständnis zu geben für

• die Art der Zusammenstellung der im Datenraum niedergelegten Informationen,
• der Bestückung des Datenraums,
• die Herangehensweise an die Offenlegung von Informationen,
• die Herangehensweise und Reichweite der Vendor-Due-Diligence-Berichte und
• den Verkaufsprozess.

Im Underwriting-Prozess verhandelt der Verkäufer auch die Gebühren und die Prämie mit dem Versicherer. Das Hard Stapling hat zur Folge, dass der Versicherer im Idealfall in der Lage ist, dem Entwurf des SPA bereits einen fertigen Entwurf einer Police zu beizufügen.

Mit Einbeziehung des Käufers in den Verkaufsprozess läuft dann parallel zur Käufer-Due-Diligence und den Kaufvertragsverhandlungen der Underwriting-Prozess auf Käuferseite wie oben beim Soft Stapling beschrieben. Dies kann naturgemäß zu Anpassungen der Police führen.

Zeitlich sollte man beim Hard Stapling wenigstens 48 Stunden für den Underwriting-Prozess auf der Käuferseite einkalkulieren.

9. Fazit

Die W&I-Versicherung hat sich in der Transaktionspraxis zu einem festen Bestandteil der Verhandlungen entwickelt. Ihre Bedeutung für die Parteien dürfte in wirtschafts- und geopolitisch unsicheren Zeiten eher noch weiter zunehmen. Für Anbieter im Versicherungsmarkt ist sie damit einerseits ein sich weiter ausfächernder Sektor mit tendenziell steigender Nachfrage. Andererseits stellt sie auch ein höchst effizientes Instrument dar, das die Transaktionsgeschwindigkeit und Transaktionssicherheit deutlich erhöhen kann.

Ratsam ist es, die Option einer W&I-Versicherung in der Frühphase einer jeden Transaktion mit abzuwägen, um dann schnell agieren zu können, wenn sich ihre Sinnhaftigkeit oder Notwendigkeit bestätigt. Dies im Schulterschluss mit einem Broker zu tun und gleich eine Stapled Insurance in den Blick zu nehmen, kann einem Verkaufsprozess eine ganz andere Dynamik verleihen, zum Nutzen beider Parteien.

1 www2.deloitte.com/de/de/pages/mergers-and-acquisitions/articles/w-und-i-versicherungen.html, abgerufen 19.05.2022
Dr. Nikolaus von Jacobs
Autor
Dr. Nikolaus von Jacobs

Dr. Nikolaus von Jacobs berät Private- Equity-Fonds und deutsche Industrie-Akteure zu Private Equity, Risikokapital und öffentlichen und privaten M&A-Transaktionen. Er ist Mitglied der Praxisgruppe Gesellschaftsrecht und Leiter der deutschen Private-Equity-Aktivitäten.

Profil
Das könnte Sie auch interessieren