03.08.2023 | Roland Drapatz, Marcus Home

Drei Argumente für Change-Management

Change-Management ist die Disziplin, die sich darauf konzentriert, Einzelpersonen, Teams und Organisationen durch den komplexen Prozess des Übergangs von einem Zustand in einen anderen zu führen. Ob es sich um M&A-Prozesse, die Implementierung neuer Technologien oder die Umstrukturierung von Geschäftsabläufen geht, Veränderungen sind in der heutigen dynamischen Welt unvermeidbar.

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Change-Management ist die Disziplin, die sich darauf konzentriert, Einzelpersonen, Teams und Organisationen durch den komplexen Prozess des Übergangs von einem Zustand in einen anderen zu führen. Ob es sich um M&A-Prozesse, die Implementierung neuer Technologien oder die Umstrukturierung von Geschäftsabläufen geht, Veränderungen sind in der heutigen dynamischen Welt unvermeidbar. Zu häufig allerdings werden die Betroffenen sich selbst überlassen. Auf Basis des von uns am 23. Mai 2023 in Baierbrunn gehaltenen Vortrags soll dieser Artikel dreierlei Anregungen für den Einsatz von Change-Management geben.

Veränderungen sind allgegenwärtig

Veränderungen sind ein ständiger Bestandteil des Lebenszyklus eines Unternehmens. Ob es sich um die Einführung einer neuen Strategie, eine umfassende Transformation oder das Durchlaufen eines M&A-Prozesses handelt: Veränderungen sind unvermeidlich, um mit den sich wandelnden Marktbedingungen Schritt zu halten und Wachstum zu fördern. In den seltensten Fällen kann jedoch ein nahtloser Übergang vom gegenwärtigen Zustand zum angestrebten Zustand allein durch die Vorgabe der Ziele erreicht werden. Vielmehr erfordern erfolgreiche Veränderungen einen strukturierten Ansatz, der typischerweise als Change-Management bekannt ist. Change-Management ermöglicht es Unternehmen, Veränderungen gezielt zu planen, zu steuern und umzusetzen, um Widerstände zu minimieren und die Akzeptanz und den Erfolg der Veränderungen zu maximieren. In diesem Zusammenhang ist es von entscheidender Bedeutung, den Stellenwert des Change-Managements zu verstehen und die richtigen Strategien und Werkzeuge einzusetzen, um Veränderungen effektiv zu managen. In diesem Artikel wollen wir den Leser anhand von drei Überlegungen motivieren, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Schnelles Denken, langsames Denken

Die neuropsychologische Perspektive ist der Kern des ersten Arguments für den Einsatz von Change-Management. Der Nobelpreisträger Daniel Kahnemann hat in seinem Bestseller zwei Arten des Denkens postuliert: Menschen besitzen im Wesentlichen zwei kognitive Systeme, die in ihrem Kopf arbeiten. Das erste System kann als eine Art Autopilot betrachtet werden, der intuitives Handeln ermöglicht, ohne dass viel Nachdenken erforderlich ist. System 1 spiegelt die Routine wider und unterstützt uns bei alltäglichen Aufgaben. Ein gutes Beispiel für die Funktion von System 1 ist das Fahren eines Autos auf einer leeren Straße oder die alltäglichen Aufgaben wie das Begrüßen von Kollegen und das Löschen von E-Mails am Morgen im Büro. In solchen Situationen agieren wir impulsiv und ohne bewusstes Nachdenken. System 1 ermöglicht es uns, schnell und effizient zu handeln, indem es auf bereits etablierte Denkmuster und automatisierte Verhaltensweisen zurückgreift. Es repräsentiert die Routine, auf die wir im Alltag angewiesen sind.

Das zweite System ist hingegen für komplexe Aufgaben zuständig. Hier müssen wir bewusst nachdenken, analysieren und Sachverhalte hinterfragen. System 2 wird aktiviert, wenn wir komplexe Probleme lösen, bewusste Entscheidungen treffen oder uns mit neuen Informationen auseinandersetzen müssen. Aufgaben im Bereich der Wertschöpfung werden häufig im System 2 erledigt. Im Gegensatz zu System 1 erfordert System 2 bewusste Anstrengung und Energie, da es einen höheren kognitiven Aufwand erfordert.

Es ist wichtig zu beachten, dass die Kapazität dieser kognitiven Systeme begrenzt ist, insbesondere wenn es um System 2 geht. Während System 1 aufgrund seiner Routine und Automatisierung längere Zeit relativ effizient arbeiten kann, ist System 2 anfälliger für Überlastung. Komplexe Aufgaben, die eine bewusste Denkanstrengung erfordern, können die begrenzte Kapazität von System 2 schnell erschöpfen. Dies kann zu Entscheidungsmüdigkeit, reduzierter Aufmerksamkeit und einer erhöhten Anfälligkeit für Fehler führen.

Werden nun im Rahmen von z.B. einem M&A-Prozess gewohnte Abläufe gestört, verschieben sich Tätigkeiten zwischen den Systemen. Gewohnte Abläufe, die routinemäßig in System 1 bearbeitet werden, werden aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen durch System 2 übernommen. Für die eigentlich von System 2 abgedeckten wertschöpfenden Tätigkeiten verbleibt keine Kapazität.

Das morgendliche Grüßen der Kollegen verkommt zum mentalen Kraftakt, wenn dies mit den Fragen verbunden ist, ob man zukünftig noch mit ihnen zusammenarbeiten wird, ob ihre Jobs sicher sind und nicht zuletzt, ob der eigene Job sicher ist.

Wie viel Umsatzeinbuße können Sie verkraften?

Die quantitative Betrachtung bietet Einsichten in die Auswirkungen von Ablenkungen auf die Leistung einer Organisation. Betrachten wir das vereinfachte Beispiel einer Vertriebsorganisation eines fiktiven Unternehmens mit 20 Mitarbeitern, die an 220 Werktagen im Jahr durchschnittlich jeweils 5.000 Euro Umsatz pro Tag erwirtschaften, in Summe also einen Gesamtumsatz von 22 Millionen Euro pro Jahr erzielen.

Tritt nun ein exogener Schock ein, z.B. durch eine unachtsame Verkündigung eines M&A-Vorganges oder eine anderweitige signifikante Veränderung in den gewohnten Betriebsabläufen, wird das Vertriebsteam von seiner eigentlichen Arbeit abgelenkt. Diese Ablenkung lässt sich typischerweise durch zwei Parameter charakterisieren: die Dauer der Ablenkung in Tagen als auch die Intensität der Ablenkung. Bildet man beides in einer Tabelle ab, lässt sich die hieraus resultierende Umsatzeinbuße feststellen.

Angenommen, das Vertriebsteam wird für 20 Tage abgelenkt und erbringt während dieser Zeit nur 20% weniger Leistung als üblich, bedeutet dies, dass dem Unternehmen am Ende des Jahres 400.000 Euro Umsatz fehlen würden. Investiert man nun als Gegenmaßnahme 50.000 Euro in ein Change-Management-Projekt, um die Ablenkung um 50% zu reduzieren, wäre die Ergebniswirkung am Ende immer noch um 150.000 Euro höher als ohne.

Diese Auswirkungen auf den Umsatz sind jedoch nur ein Teil der Gesamteffekte. Ablenkungen können auch andere Aspekte der Teamleistung beeinträchtigen, wie beispielsweise die Kundenbetreuung, die Beziehungen zu wichtigen Geschäftspartnern oder die Innovationsfähigkeit des Teams. Diese Faktoren können langfristige Auswirkungen haben und sich negativ auf die Kundenbindung, den Ruf des Unternehmens und die Wettbewerbsfähigkeit auswirken.

Ist Ihr Drehbuch glaubwürdig?

Das dritte Argument für Change-Management fokussiert sich auf die soziokulturelle Perspektive. Nehmen wir hierzu folgendes Szenario an: Ein Konzernteil eines deutschen Mittelständlers wird abgespalten, durch einen US-Finanzinvestor übernommen, ein neuer, britisch-stämmiger CEO eingesetzt und eine Transformation (begleitet durch einen amerikanischen Berater) zur Steigerung des Unternehmenswertes gestartet.

Einige Leser werden vermutlich schon jetzt ob der beschriebenen Situation mit den Zähnen knirschen, aber lassen Sie uns die Situation noch etwas zuspitzen. Um es anschaulicher zu machen, bedienen wir uns bekannter Filme, um die Charaktere und Einheiten plastisch zu beschreiben: 

Der deutsche Mittelständler wird patriarchalisch durch den Gründer-Geschäftsführer geführt. In bester Manier des „Paten“ führt er die Geschäfte klar und zielstrebig und duldet keine Zweitmeinungen. Er sieht die Chance, den Konzernteil für einen hervorragenden Preis abzustoßen.

Der abzuspaltende Konzernteil hat sich früh emanzipiert und es ist gelungen, eine familiäre, gut funktionierende Einheit zu schaffen. Die Mitarbeiter kennen sich, es wird auf ein harmonisches Klima Wert gelegt und die Sparte wächst konsequent am Markt, auch wenn es keine großen Sprünge sind. Man stelle sich hier die Idylle aus „The Sound of Music“ vor.

Der amerikanische Finanzinvestor agiert, wie man es sich in bestem Schubladendenken ausmalt. Ein gehebelter Buyout, begleitet von zwei Investmentbanken und internationalen Anwaltskanzleien, Financial Engineering und aggressive Wachstumspläne inklusive. Wohl dem, der nicht an Gordon Gecko denkt.

Nach der Übernahme wird der neue CEO, ein dynamischer Mittdreißiger aus Großbritannien, eingesetzt. Er verfügt über einen starken Track-Record und ist daran gewöhnt, in großen Unternehmen mit festen Strukturen zu arbeiten. Er spricht schnell und erwartet noch schneller Ergebnisse. Menschen sind für ihn nur Zahlen in einem Excel-Blatt.

Sie mögen nun dieses Drehbuch für unglaubwürdig oder gar absurd halten, tatsächlich kommt dies aber so oder in ähnlicher Form immer wieder in M&A-Prozessen vor. Dass ein solcher Prozess ohne ausreichendes Change-Management mit signifikanten Nachteilen für alle Beteiligten, ganz zu schweigen von (zumindest zeitweiligen) Leistungseinbußen, einhergehen wird, ist wenig überraschend.

Im Zweifel – Lieber mit Change-Management

Veränderungen sind schmerzhaft, ganz gleich, ob der Grund hierfür ein M&A-Prozess, eine Transformation oder die Disruption durch technologischen Wandel ist. Die meisten Arbeitnehmer stehen Veränderungen kritisch gegenüber. Abwehrhaltungen sind hier menschlich.

Change-Management ist eine strukturierte Herangehensweise, um Mitarbeiter auf Veränderungen vorzubereiten, Widerstände zu minimieren und die Akzeptanz zu fördern. Es ermöglicht eine gezielte Kommunikation und den Aufbau von Vertrauen, sodass die Betroffenen verstehen, warum Veränderungen notwendig sind und welche Vorteile sie mit sich bringen. Durch die Einbeziehung der Mitarbeiter in den Veränderungsprozess können deren Bedenken und Anliegen berücksichtigt werden, was zu einer höheren Zufriedenheit und Motivation führt. Change-Management hilft auch dabei, die Auswirkungen von Veränderungen auf das Tagesgeschäft zu minimieren und eine reibungslose Umsetzung sicherzustellen. Es bietet klare Strukturen, Methoden und Werkzeuge, um Hindernisse zu identifizieren und effektive Lösungen zu entwickeln.

Denn je besser der Veränderungsprozess begleitet wird, umso sicherer ist die Zielerreichung und umso besser lassen sich die erhofften Wertsteigerungen realisieren. Die drei oben ausgeführten Argumente haben dies hoffentlich plastisch gemacht – im Zweifel also lieber mit Change-Management.

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