01.03.2022 | Dr. Carla Wiedeck, Dr. Olaf Gärtner

ESG – Brandbeschleuniger für Post-M&A-Streitigkeiten?

ESG – Environmental, Social, Governance. Was als Evaluierung der freiwilligen unternehmerischen Sozialverantwortung begann, ist mittlerweile weitaus mehr. Unternehmen sind unter erheblichem und weiter zunehmendem Druck, ihre ESG-Standards an die Erwartungen von Politik und Gesellschaft anzupassen und ihren Fokus nicht allein auf rein kommerzielle Gesichtspunkte, sondern auch auf Themen der Nachhaltigkeit, sozialen Verantwortung und Unternehmensführung zu lenken. Da auch die übrigen Marktteilnehmer – Verbraucher, Investoren, Arbeitnehmer – vermehrt Wert auf ein nachhaltiges Wirtschaften legen, wird das Befassen mit diesen Aspekten zur Notwendigkeit.

Standpunkt, Special Topic, Recht & Steuer

ESG – Environmental, Social, Governance. Was als Evaluierung der freiwilligen unternehmerischen Sozialverantwortung begann, ist mittlerweile weitaus mehr. Unternehmen sind unter erheblichem und weiter zunehmendem Druck, ihre ESG-Standards an die Erwartungen von Politik und Gesellschaft anzupassen und ihren Fokus nicht allein auf rein kommerzielle Gesichtspunkte, sondern auch auf Themen der Nachhaltigkeit, sozialen Verantwortung und Unternehmensführung zu lenken. Da auch die übrigen Marktteilnehmer – Verbraucher, Investoren, Arbeitnehmer – vermehrt Wert auf ein nachhaltiges Wirtschaften legen, wird das Befassen mit diesen Aspekten zur Notwendigkeit.

„Klimaklagen“ und bahnbrechende Urteile verschiedener Gerichte tragen dazu bei, dass Unternehmen sich plötzlich enormen Risiken ausgesetzt sehen und bangen müssen, ob ihre ESG-Anstrengungen von Gerichten, Behörden oder auch der Allgemeinheit als ausreichend angesehen werden. Dort, wo gesetzliche Regelungen bestehen, drohen den Unternehmen bei Verstößen (teils horrende) Bußgelder wie auch Schadensersatzforderungen. Abseits der regulierten ESG-Bereiche kommen weitere Risiken hinzu: Auch ein gesetzeskonformes Verhalten, welches jedoch modernen ESG-Vorstellungen widerspricht, wird von der Öffentlichkeit zu Teilen hart abgestraft. Gerade im Bereich dieses sogenannten „Soft Laws“ kann es insbesondere zu Reputationsschäden kommen.

Vor diesem Hintergrund gewinnen ESG-Kriterien auch im Rahmen von Transaktionen zunehmend an Bedeutung. Immer mehr Finanzmittel werden nach Nachhaltigkeitsaspekten investiert. Die Gesamtsumme nachhaltiger Geldanlagen in Deutschland – nachhaltige Fonds und Mandate sowie nachhaltig verwaltete Kunden- und Eigenanlagen – betrug Ende 2020 335,3 Mrd. EUR und damit circa 150% mehr als Ende 2018 (vgl. FNG Marktbericht Nachhaltige Geldanlagen 2021 sowie FNG Marktbericht Nachhaltige Geldanlagen 2019).

Aufgrund der gestiegenen Bedeutung von ESG findet bei Transaktionen zunehmend auch eine gesonderte ESG-Due Diligence statt. Zu Art und Umfang der anzufordernden beziehungsweise bereitzustellenden Informationen existieren allerdings noch keine einheitlichen Standards; diese bilden sich derzeit erst langsam und Schritt für Schritt heraus.

Soweit im Rahmen der Due Diligence ESG-Risiken erkannt worden sind, reagieren die Vertragsparteien hierauf regelmäßig mit haftungsverteilenden Regelungen, insbesondere Freistellungsklauseln. Zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten gilt hier – wie stets bei der Vertragsgestaltung –, dass die Klauseln klar definiert sein müssen und auch Themen wie Haftungsumfang, Schadensberechnung, Verjährung und (Mit-)Verschulden beachten sollten. Gerade im Bereich von ESG-Risiken ist dies aufgrund fehlender internationaler Standards, des Einflusses von Soft Law und der teils wenig greifbaren „schwammigen“ Thematik eine besondere Herausforderung. Dies macht die ausgehandelten vertraglichen Regelungen potenziell besonders streitanfällig.

Streitigkeiten entstehen darüber hinaus häufig auch im Bereich von im Rahmen der Due Diligence nicht erkannten beziehungsweise nicht offengelegten ESG-Risiken. Teilweise werden unerkannt gebliebene ESG-relevante Normenverstöße von Garantien erfasst. Auch hier gilt erneut, dass möglichst konkrete Regelungen streitvermeidend wirken. Die Konkretheit der Regelungen steht jedoch gerade im Bereich von ESG im Spannungsfeld zum Interesse des Käufers, alle potenziellen ESG-Verstöße abzudecken. Die insoweit anzustellende Risikoallokation erfordert viel Fingerspitzengefühl. Außerhalb von Garantien stellt sich die Frage von Schadensersatzansprüchen wegen Aufklärungspflichtverletzungen. Da, wie ausgeführt, hier bislang keine allgemein anerkannten Standards zu Offenlegungspflichten bestehen und gerade im Bereich des Soft Law fraglich ist, was proaktiv mitzuteilen ist, ist auch in diesem Feld mit zunehmenden Streitigkeiten zu rechnen.

Insgesamt ist daher zu erwarten, dass Post-M&A-Streitigkeiten zukünftig zunehmend auch über ESG-Risiken geführt werden. Dies gilt sowohl für erkannte als auch im Rahmen der Transaktion nicht erkannte beziehungsweise nicht offen gelegte Risiken.

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